Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Sprache als Ausdruck des Denkens

Ex-Bundespräsident "übersetzte" deutsche Sicherheitspolitik und musste abtauchen

Von René Heilig *

Horst Köhler tat am Freitag vor einer Woche beim Rückflug vom Truppenbesuch in Afghanistan das, was er für einen wichtigen Auftrag hielt. Er versuchte, Politik zu übersetzen. Etwas holprig, etwas frei, doch verständlich. Fürwahr: Ein Grund zum Rücktritt.

Als der damalige Bundespräsident Köhler vor zwei Jahren mit U33 in die Ostsee abtauchte, sagte er: »Ich weiß aber nicht, ob ich viele Tage diesen Belastungen auf engstem Raum gewachsen wäre.« Erwischt hat es Köhler nun nicht unter der Meeresoberfläche sondern am Himmel - irgendwo zwischen Afghanistan und Europa. Um nicht zu viel hohles Zeug über Respekt vor dem Einsatz deutscher Soldaten »für unsere Sicherheit ...« in das Mikrofon eines Radioreporters zu plappern, versuchte er sich als »Übersetzer« deutscher Außen- und Sicherheitspolitik. Zitat:

»Meine Einschätzung ist aber, dass insgesamt wir auf dem Wege sind, doch auch in der Breite der Gesellschaft zu verstehen, dass ein Land unserer Größe mit dieser Außenhandelsorientierung und damit auch Außenhandelsabhängigkeit auch wissen muss, dass im Zweifel, im Notfall auch militärischer Einsatz notwendig ist, um unsere Interessen zu wahren, zum Beispiel freie Handelswege, zum Beispiel ganze regionale Instabilitäten zu verhindern, die mit Sicherheit dann auch auf unsere Chancen zurückschlagen negativ durch Handel, Arbeitsplätze und Einkommen. Alles das soll diskutiert werden, und ich glaube, wir sind auf einem nicht so schlechten Weg.«

Der Bundespräsidenten ist auf das Grundgesetz vereidigt. Darin gibt es die Artikel 26, 87 und 115. Die regeln, dass man das friedliche Zusammenleben der Völker nicht stören und deshalb auch keinen Angriffskrieg vorbereiten, geschweige führen darf und dass Deutschland ausschließlich zur Verteidigung der eigenen Republik Streitkräfte unterhält. Doch Köhler, der ob seines Amtes und des Artikels 59 den Bund völkerrechtlich vertritt, erklärte da frank und frei, dass wirtschaftliche Interessen durchaus Gründe bieten, um Soldaten auszuschicken.

Obwohl die Regierung spätestens seit dem NATO-gemeinsamen Überfall auf Jugoslawien immer wieder die »Notwendigkeit einer Erweiterung des verfassungsrechtlichen Rahmens für den Einsatz der Streitkräfte« betont - so direkt hat noch kein Staatsoffizieller bestätigt, was damit gemeint ist. Auch im geltenden »Weißbuch zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr« von 2006 kann man nur zwischen den Zeilen lesen, was Köhler ausgesprochen hat. Da wird von einem »umfassenden Sicherheitsbegriff« gesprochen, für den »ein umfassender Ansatz« erforderlich ist. »Die Bundeswehr ist«, so das Weißbuch, »Instrument einer umfassend angelegten, vorausschauenden Sicherheits- und Verteidigungspolitik.«

Zwei Seiten später erwartet den Leser eine neue Stufe verhüllten Erklärens: »Staatliches Handeln bei der Sicherheitsvorsorge wird künftig eine noch engere Integration politischer, militärischer, entwicklungspolitischer, wirtschaftlicher, humanitärer, polizeilicher und nachrichtendienstlicher Instrumente der Konfliktverhütung und Krisenbewältigung voraussetzen.« Und weiter: »Bei Einsätzen ist auf internationaler Ebene ebenfalls ein umfassender vernetzter Ansatz erforderlich, der zivile und militärische Instrumente wirksam verbindet.«

Wer zwischen den Zeilen lesen kann und Dokumente des NATO-Bündnisses hinzuzieht, versteht auch die folgende Weißbuch-Passage, die Köhler bei seinen Übersetzungsbemühungen gleichfalls im Kopfe gehabt haben mag: »Verwerfungen im internationalen Beziehungsgefüge, Störungen der Rohstoff- und Warenströme, beispielsweise durch zunehmende Piraterie, und Unterbrechungen der weltweiten Kommunikation bleiben in einer interdependenten Welt nicht ohne Auswirkungen auf nationale Wirtschaftsstrukturen, Wohlstand und sozialen Frieden.«

Energiesicherheit und Migration bergen laut Weißbuch gleichfalls Gefahren in sich. Sogar grenzüberschreitende Pandemien, Seuchen und Aids werden aufgeführt. Gegen all das müsse man »das gesamte sicherheitspolitische Instrumentarium einbeziehen«. Daher werde die Bundesregierung »auch künftig in jedem Einzelfall prüfen, welche Werte und Interessen Deutschlands den Einsatz der Bundeswehr erforderlich machen«. So etwa hat es Köhler ja auch gesagt.

* Aus: Neues Deutschland, 2. Juni 2010


Systemscheitern

Köhlers Rücktritt - eine Bilanz Von Arnold Schölzel **

Der Abgang Horst Köhlers ist das Verschwinden einer mittelmäßigen Figur aus einer mit wenig Befugnissen ausgestatteten Funktion. Die jüngere Vorgeschichte liest sich so: Seit Monaten berichtet die Berliner Hofpresse über schlechtes Betriebsklima im Bundespräsidialamt. Spitzenbeamte ließen sich versetzen, die Hilflosigkeit des Chefs wurde an die Medien durchgestochen, genüßlich wurden Jähzorn und Wutausbrüche kolportiert. Unisono startete die zu rückgratlosem Lakaientum dressierte Herrschaftsjournaille im März eine Kampagne mit dem Leitorgan Bild an der Spitze. Titel: »Wo ist eigentlich Super-Horst?« Die Demontage wurde in den folgenden Wochen mal forciert, mal zurückgefahren. Geschrei gab es wegen der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes an die zionismuskritische Felicia Langer, Ruhe herrschte, als der Orden dem rechtskräftig verurteilten Steuerbetrüger und Milliardär Würth nicht entzogen wurde. Als Köhler jüngst das Recht parlamentarischer Minderheiten, vor dem Bundesverfassungsgericht gegen Mehrheitsentscheidungen zu klagen, als »Anomalie demokratischer Politik« bezeichnete, schien das egal. Weil er aber höhere Benzinpreise forderte, schrieb ihm Air-Berlin-Chef ­Hunold am 28. Mai einen Wutbrief, der am Dienstag im Handelsblatt dokumentiert wurde. Die scheinheilige Aufwallung über Köhlers Gestammel zu den wirtschaftlichen Gründen bundesdeutscher Kriege kam mit vier Tagen Verzögerung. Sie soll der Anlaß für den Rücktritt gewesen sein. Selbst dessen Begründung war verquer: Am »Respekt vor dem Amt« ließ es kein Parlamentarier, der sich kritisch zu Köhler geäußert hatte, fehlen. Lediglich Köhlers bißchen Wahrheit zu Kriegszielen machte die Großstrategen bei SPD und Grünen nervös.

Köhlers Rücktritt - was auch immer zu ihm führte - ist aber ein Symbol: Er repräsentiert das Scheitern eines Systems. Köhler verantwortete als Staatssekretär die Währungsunion mit der DDR. Sie wirkte als Massenvernichtungswaffe bei der Zerstörung von Millionen Arbeitsplätzen in der DDR und machte deren Anschluß an den Bonner Staat lange vor dem 3. Oktober unumkehrbar. »Blut muß fließen« verkündete Köhler, als Helmut Kohl im Dezember 1990 gewählt war und der Spitzenbeamte die Treuhand von der Leine ließ. Analoges gilt für Köhlers Einsatz bei der Freisetzung des finanzmarktgetriebenen Kapitalismus. Was er damals förderte, nennt er jetzt »Monster«. Sein Rücktritt macht ihn nicht zur tragischen Figur, er teilt lediglich das Schicksal aller Handlanger: Wer Verschleißerscheinungen zeigt, wird fallengelassen.

** Aus: junge Welt, 2. Juni 2010 (Kommentar)

Lesen Sie auch:

Mit der Volkstümlichkeit eines Politkommissars
Horst Köhler war gern unbequem – bis es ihm selbst zu viel wurde. Von Uwe Kalbe
Köhler gibt nach Kritik Amt auf
Bundesrepublik ohne Bundespräsident / Friedensbewegung: "Es trifft den richtigen, aber leider nicht alle"




Zurück zur Deutschland-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zur Seite "Militärinterventionen"

Zurück zur Homepage