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Bolivien hofft auf Meer

Regierung will von Chile vorm Internationalen Strafgerichtshof Zugang zum Pazifik einklagen

Von Benjamin Beutler *

Seit über 100 Jahren versucht Bolivien, sich mit Chile auf neue Grenzen zu einigen, damit es Zugang zum Pazifik bekommt. Nun klagt der Andenstaat auf Erfüllung der Versprechen.

134 Jahre nach dem Salpeter-Krieg zwischen Bolivien und Chile hat der bolivianische gegen den chilenischen Staat Klage vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag eingereicht. Ziel ist, Chile zu neuen Verhandlungen über einen Zugang zur ersehnten Pazifikküste zu zwingen.

Nach dem Krieg von 1879 bis 1884 um das als Rohstoff rare Düngemittel Salpeter hatte Bolivien die Küstenregionen Tarapacá und Antofagasta an den übermächtigen Gegner verloren, was es im Friedensvertrag von 1904 völkerrechtlich anerkannte. Seitdem sollen Verhandlungen die Grenzen neu ordnen. Der reiche Nachbar, so Boliviens Klage, habe bindende Zusagen regelmäßig gebrochen. »Das internationale Recht eröffnet die Möglichkeit, dass ein Staat einen anderen Staat belangen kann, wenn ein nicht erfülltes Versprechen vorliegt«, denn eine gebrochene Zusage sei »genau so gültig wie der Bruch eines schriftlichen Vertrags«, argumentieren die bolivianischen Völkerrechtler nach zwei Jahren Vorbereitungszeit. Für die Übergabe der Klageschrift an das oberste UN-Gericht am Mittwoch waren neben Außenminister David Choquehuanca auch zahlreiche Minister in die Niederlande gereist. In einer Präsentation stellten sie ihre Argumente vor.

Hoffnungen auf Meer wurden Bolivien oft gemacht, sei es in Gesprächen mit der Regierung des Antikommunisten Gabriel González Videla nach dem Zweiten Weltkrieg, oder während der Militärdiktaturen, als sich Chiles Augusto Pinochet und sein Pendant Hugo Banzer 1975 im Bahnhof der kleinen Grenzstadt Charaña freundschaftlich in die Arme fielen. Deren »Vertrag von Charaña« sah eine »Fortführung des Dialoges« vor. Die Diktatoren einigten sich auf »eine Lösung von Angelegenheiten die Binnenlage betreffend, welche Bolivien beeinträchtigt«, um so »Hoffnungen des bolivianischen und chilenischen Volkes zu entsprechen«. Vorgeschlagen wurde Meereszugang gegen Gebietsaustausch. Die später von Chiles Präsidentin Michelle Bachelet vorgelegte »Agenda der 13 Punkte« verschwand zwei Monate nach Amtsantritt ihres Nachfolgers Sebastian Piñera in der Schublade des Multimilliardärs.

Für den Binnenstaat Bolivien, eines der ärmsten Länder des Kontinents, sind eigene Häfen lebenswichtig. Schätzungen zufolge kostet die aktuelle Lage das Land jährlich 1,3 Prozent seiner Wirtschaftsleistung. Für Ex-Außenminister Armando Loaiza würde ein Scheitern in der Meeresfrage die Forderung für Jahre »unter die Erde bringen« und wäre eine »große Niederlage«.

In Chile ist die Meeresfrage längst Wahlkampfthema. Bachelet, erneut sozialdemokratische Kandidatin für die Präsidentschaftswahlen im November 2013, kritisierte Boliviens Vorgehen als »schweren Fehler«. Sie hat damit die nationalistische Position des rechten Lagers der Regierung von Sebastian Piñera übernommen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 27. April 2013

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