Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Wir erleben eine geradezu lächerliche Kriegsrhetorik"

"Soldaten für den Frieden": Unterstützung aus Österreich für den Appell der 100 NVA-Generäle. Ein Gespräch mit Friedrich Hessel *


General i. R. Friedrich Hessel war in den Jahren 2000–2002 stellvertretender Generalstabschef der österreichischen Streitkräfte.

Sie haben den Aufruf »Soldaten für den Frieden« begrüßt, den etwa hundert ehemalige DDR-Generäle kürzlich zum 70. Jahrestag der Befreiung vom Faschismus veröffentlicht haben. Ist das nur Ihre persönliche Meinung, oder wird sie von ehemaligen oder vielleicht auch aktiven Offizieren der österreichischen Streitkräfte geteilt?

Grundsätzlich ist es erst einmal meine persönliche Meinung. Ich bin aber überzeugt davon, dass es gerade in Österreich etliche Offiziere gibt, die aufgrund ihrer Erfahrungen mit UN-Einsätzen eine ähnliche Haltung vertreten. Wie in allen Streitkräften gibt es natürlich auch bei uns Offiziere, denen es um größte militärische Stärke geht – das sind in meinen Augen Systemerhalter ohne politischen Weitblick.

Zum Thema »Kriegseinsätze im Ausland« haben Sie allerdings eine etwas andere Meinung als Ihre Kollegen aus der Ex-DDR.

Ich denke, dass es sich hier um zwei verschiedenen Denkrichtungen handelt. Dabei kann ich mir gut vorstellen, dass die Kameraden aus der früheren Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR auch meiner Meinung sein könnten. Militär wird ja zum einen als machtpolitisches Instrument eingesetzt – so wie es die USA z. B. im Irak gemacht haben. So etwas lehne ich ab.

Zum anderen kann Militär Menschen, die in Not sind, durchaus Hilfe bieten – das ist die Einstellung Österreichs schon seit den 60er Jahren. Wir waren lange Zeit im Nahen Osten, haben auch in Afrika mitgemacht, und zur Zeit stehen österreichische Truppen auf dem Balkan. Wenn man mit derartigen Peacekeeping-Einsätzen erreichen kann, dass die Menschen wieder Hoffnung gewinnen und sich nicht zur Flucht gezwungen sehen, dann wirkt sich das sicherheitspolitisch auch auf das eigene Land und auf Europa aus.

Das heißt: Dies sind keine Kriegshandlungen, sondern Hilfseinsätze durch Soldaten. Der Vorteil ist, dass Militär sofort respektiert wird – es wäre etwas anderes, wenn wir nur die Feuerwehr oder das Rote Kreuz dorthin schickten. Soldaten können einerseits Verständnis für die Bevölkerung aufbringen und ihr helfen – sie können aber andererseits auch militärischen Schutz bieten.

Das, was Europa im Moment bewegt, ist die Ukraine-Krise. Wie real sehen Sie die Gefahr, dass sich daraus ein Krieg entwickelt?

Genau deswegen haben ich auf den Aufruf der Offiziere der ehemaligen NVA reagiert. Die Ukraine-Krise wird in meinen Augen durch die Medien sehr einseitig hochgespielt, nach dem Motto: Der Westen ist gut, Russland ist böse. Mittlerweile erleben wir eine geradezu lächerliche Kriegsrhetorik. Die baltischen Staaten, in denen bis zu ein Viertel der Bevölkerung russisch ist, haben plötzlich Angst vor den Russen und wollen mehr Panzer haben, damit sie nicht plötzlich überfallen werden. Mehr als einige zusätzliche Panzer sind doch ohnedies nicht drin! Das Geld sollte viel zielführender für die Integration der Jugendlichen ausgeben werden, insbesondere der russischen, damit sich ein besseres gegenseitiges Verständnis entwickelt.

Was würde aus Ihrer Sicht von Europa übrigbleiben, wenn es zu einem großen Krieg käme?

Daran will ich gar nicht denken, es bliebe von diesem Kontinent nämlich nichts mehr übrig.

Haben Sie Kontakt zu ehemaligen DDR-Offizieren oder zu Soldaten anderer europäischer Streitkräfte, die sich ebenfalls Sorgen um den Frieden machen?

Leider nicht mehr. Solange ich im aktiven Dienst war, hatte ich natürlich auch Verbindungen zu Streitkräften im Ostblock – in Ungarn etwa oder Rumänien. Ich war auch in Moskau. Diese Verbindungen sind leider abgerissen, sie müssten neu aufgebaut werden.

Politik und Mainstreammedien in Deutschland skizzieren Russland immer penetranter als Reich des Bösen, wie in schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges. Wie stellt sich das in Österreich dar?

Ich meine, dass sich die österreichischen Medien nicht sehr von den deutschen unterscheiden. Bis auf einzelne Ausnahmen wird Russland bei uns aber nicht grundsätzlich negativ dargestellt. Hinzu kommt, dass unsere Politiker – Außenminister, Kanzler – immer wieder das Signal gesetzt haben, dass wir in Europa nur mit Russland gemeinsam den Frieden halten und dabei auch wirtschaftlich prosperieren können.

Das neutrale Schweden hat jahrzehntelang eng mit den US-Streitkräften zusammengearbeitet, wie die Arte-Sendung »Täuschung – die Methode Reagan« (kurzlink.de/reagan) kürzlich dokumentierte. Welchen Einfluss haben die USA auf das österreichische Militär?

Mir ist nicht bekannt, dass es jemals einen sicherheitspolitischen Druck der USA auf uns gegeben hätte. Natürlich hat Washington versucht, unsere Rüstungspolitik an den Westen zu binden – das heißt, sie wollten uns ihre Militärtechnik verkaufen.

Und wie steht es mit der Kooperation auf Geheimdienstebene? Schweden hat eng mit der CIA zusammengearbeitet, in der neutralen Schweiz gibt es regelmäßige Treffen westlicher Geheimdienste. Macht Österreich da mit?

Dazu kann ich nichts Konkretes sagen. Aber nicht, weil ich es ihnen verschweigen will, ich bin ja auch schon etliche Jahre in Pension. Klar, die Geheimdienste stehen untereinander im Kontakt, das ist zwangsläufig so, der respektvolle Umgang miteinander wäre zu fordern.

Sehen Sie Möglichkeiten, eine europaweite Unterstützung für den Aufruf »Soldaten für den Frieden« zu schaffen?

Ich habe über diese Frage nachgedacht. Leider gibt es nur relativ wenige politisch denkende Offiziere. Die meisten sind fachorientiert und auf ihre Führungsaufgaben fixiert. Ziel des Militärs müsste es aber doch sein, Krieg vom eigenen Volk fernzuhalten. Ich meine, dass diejenigen, die sich einem solchen Appell verbunden fühlen – die politisch denkenden Offiziere also –, versuchen sollten, in die Medien zu kommen. Nur so erreicht man die Öffentlichkeit, nur so kann man auf Dauer das Stimmungsbild verändern.

So etwas wie eine Organisation aufbauen zu wollen, halte ich für zu aufwendig. Da wird dann um jeden Satz gefeilscht, da gibt es Vorbehalte gegen dieses und jenes, da gibt es dann vielleicht auch Leute, die mit ehemaligen NVA-Offizieren überhaupt nichts zu tun haben wollen.

In Deutschland könnte ich es mir durchaus vorstellen, dass große Medien ansprechbar sind. Oder dass dazu eine Diskussion in der Führungsakademie der Bundeswehr in Hamburg-Blankenese geführt wird. Solche Aktivitäten sind meines Erachtens durchaus denkbar, man kann sie ja auch mit Gleichgesinnten koordinieren.

Das Problem ist allerdings, dass die deutschen Medien entsprechende Initiativen totschweigen. Über den Appell der NVA-Generäle haben lediglich zwei Berliner Lokalzeitungen und die junge Welt berichtet.

Dergleichen Erscheinungen kenne ich. Es stellt sich ja immer wieder die Frage, warum um den Frieden besorgte Generäle in der Öffentlichkeit nicht gehört werden. Das funktioniert nur, wenn man Redakteure und Reporter kennt, die solche Impulse aufgreifen. Man braucht eine Art Netzwerk, dann besteht auch die Möglichkeit, irgendwann einen Leitartikel, eine persönliche Meinung in die Bevölkerung zu bringen.

Kritische Beobachter der deutschen Medienlandschaft sagen, die wichtigsten Redaktionen verhielten sich wie Außenbüros der NATO-Pressestelle.

Dann muss man den Hebel bei den Politikern ansetzen. Es verdient jedenfalls Achtung und Respekt, dass die deutsche Bundeskanzlerin einen Tag nach der Siegesparade nach Moskau gefahren ist, um mit Staatspräsident Wladimir Putin zu reden. Ich glaube, das kann man nicht hoch genug einschätzen.

Das Entscheidende ist, dass der Kontakt zu Russland nicht abreißt, dass man respektvoll miteinander umgeht.

Dass Merkel die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation als »Verbrechen« bezeichnet hat, klingt aber nicht gerade respektvoll gegenüber ihrem Gastgeber.

Ich weiß, dass man gegenüber den Medien manchmal Dinge sagt, die nicht der tatsächlichen Meinung entsprechen. Mir sagte mal ein österreichischer Politiker: »Wenn du mich heute im Fernsehen siehst, dann ruf mich bitte nicht gleich an, um mir zu sagen, dass das Quatsch ist. Was ich ins Mikro spreche, ist für die Galerie.« Bei solchen Auftritten geht es ja manchmal darum, die Anhänger der eigenen Partei auf Linie zu halten oder auf irgendeine Weise zu vermeiden, in die Bredouille zu kommen. Wenn man sich jedoch persönlich kennt und mit der Denkweise des anderen vertraut ist, kann man Verständnis und Entspannung aufbauen.

Interview: Peter Wolter

* Aus: junge Welt, Montag, 18. Mai 2015


Zurück zur Österreich-Seite

Zur Österreich-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Ukraine-Seite

Zur Ukraine-Seite (Beiträge vor 2014)

Zur Russland-Seite

Zur Russland-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage