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Milliardenprofit mit Flüchtlingslagern

Australien: Nach Selbstmordserie Protestdemonstration gegen Konzern Serco

Von Maria Röckmann, Brisbane *

Mit einer Demonstration vor den Toren des britischen Dienstleistungsunternehmens Serco haben am Freitag (29. Juli) im Zentrum der australischen Stadt Brisbane Menschenrechtsaktivisten gegen das Agieren des global aktiven Konzerns protestiert. Anlaß für den Protest war eine Serie von Selbstmorden in mehreren Flüchtlingslagern, mit deren Verwaltung Serco Millionengewinne erzielt. Allein im vergangenen halben Jahr hatten sich dort fünf Menschen das Leben genommen. 2010 wurden über 1000 Fälle von Suizid- und Selbstverstümmelungsversuchen inhaftierter Asylsuchender bekannt.

In ständiger Angst, abgeschoben zu werden, warten in den in abgelegenen Gebieten errichteten Lagern Tausende Menschen darauf, daß ihre Asylanträge bearbeitet werden, unter ihnen auch Hunderte Kinder. Dabei können bis zu einer Entscheidung der Behörden Monate oder sogar Jahre vergehen. »Die Internierung von Flüchtlingen zerstört Menschenleben«, kritisiert Tim Arnot vom Refugee Action Collective, das die Demonstration am Freitag organisiert hat, gegenüber junge Welt. »In nur einer Woche im Juli versuchten 54 Menschen in von Serco verwalteten Camps, sich selbst zu verletzen.«

Suizidversuche und Selbstverstümmelungen seien verzweifelte Hilferufe von Menschen, die unter posttraumatischen Belastungsstörungen, Depressionen und Angstzuständen leiden, sagt auch Judy Carrey vom Multikulturellen Zentrum für psychische Gesundheit. Asylbewerber, die aus ihrer Heimat fliehen mußten und unter riskanten Bedingungen nach Australien gelangten, seien ohnehin schon traumatisiert. Die Internierung in Flüchtlinslagern verstärke diese Belastung noch zusätzlich.

»Das sind vorhersehbare Folgen, die seit Jahren bekannt sind«, kritisierte Andrew Bartlett von den australischen Grünen. Dennoch setze die australische Regierung die Praxis der Internierung von Asylbewerbern weiter fort, versuche mittlerweile jedoch, die unvermeidbaren Folgen auf private Dienstleistungsfirmen wie Serco abzuwälzen. Die Verwaltung der Lager durch private Träger verschlechtere seiner Erfahrung nach die Situation der dort Inhaftierten noch weiter. »Serco behandelt Flüchtlinge wie Kriminelle«, so der Politiker, mit dem Unterschied, »daß sie nicht wissen, wann sie entlassen werden und was dann mit ihnen geschehen wird, ob sie zurück in die Länder geschickt werden, aus denen sie geflohen sind.«

Die Demonstranten forderten am Freitag (29. Juli), daß Serco für die Suizide und Selbstverstümmelungen der Internierten zur Rechenschaft gezogen wird. Sie beklagten außerdem, daß das Unternehmen mit der unmenschlichen Behandlung von Flüchtlingen Profit mache. Aus diesem Grund legten sie einen symbolischen Scheck über eine Milliarde Dollar, »ausgestellt« von der australischen Regierung, vor dem Eingang des Bürogebäudes nieder. Es sei wahrscheinlich, daß die Firma in den nächsten Jahren einen Gewinn in dieser Größenordnung erzielen werde, so Mitorganisator Robert Nicholas. »Die Regierung versucht derweil, die unwürdigen Zustände in den Flüchtlingslagern zu vertuschen.« Außerdem würden Asylsuchende nach wie vor für politische Zwecke mißbraucht, kritisiert Nicholas. »Wann immer die Regierung den politischen Druck auf Flüchtlinge verschärft, sind auch weniger Anträge auf Asyl erfolgreich.«

Die 1929 gegründete Serco-Gruppe ist heute ein »Global Player«, der in erster Linie von der Privatisierung öffentlicher Dienste durch Regierungen profitiert. Serco verwaltet heute unter anderem das Raketenabwehrsystem und die Atomwaffen Großbritanniens. Auch das deutsche Bundesverteidigungsministerium gehört zu den Kunden des Konzerns.

* Aus: junge Welt, 30. Juli 2011


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