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Nabucco vor dem Aus?

Aserbaidschan und Rußland unterschreiben Absichtserklärung über Erdgasexport. Westliches Pipelineprojekt könnte so ohne feste Lieferzusagen dastehen

Von Tomasz Konicz *

Rußland scheint ein Überraschungscoup gelungen zu sein, der den energiepolitischen Ambitionen des Westens in der rohstoffreichen Region rund um das Kaspische Meer einen schweren Rückschlag versetzen könnte. Von der westlichen Presse weitgehend ignoriert, traf sich am 27. März der Vorsitzende der staatlichen Energiegesellschaft Aserbaidschans (State Oil Company of Azerbaijan Republic – SOCAR), Rownag Abdullajew, mit ranghohen Vertretern des russischen Gasmonopolisten Gasprom. Während dieser Unterredung in der Moskauer Gasprom-Zentrale wurde von beiden Seiten eine Absichtserklärung über Verhandlungen bezüglich des Kauf von aserbaidschanischem Erdgas durch Gasprom unterzeichnet. Aserbaidschan ist der letzte Gasexporteur im gesamten postsowjetischen Raum, mit denen der Kreml noch keinen entsprechenden Vertrag abgeschlossen hat.

Sollte diese derzeit noch nicht bindende Absichtserklärung tatsächlich realisiert werden, so stünde das ambitionierteste energiepolitische Projekt des Westens in der Region, die Nabucco-Pipeline, vor dem aus. Vermittels dieser Gaspipeline will die EU aserbaidschanisches und turkmenisches – eventuell auch irakisches wie iranisches – Erdgas an Rußland vorbei über die Türkei bis nach Europa befördern, um hierdurch die europäische Erdgasversorgung zu diversifizieren. Doch ohne Lieferzusagen aus Aserbaidschan könnte die geplante jährliche Nabucco-Transportkapazität von zirka 30 Milliarden Kubikmeter Erdgas nicht einmal ansatzweise erreicht werden.

Die russische Tageszeitung Wedomosti jubelt bereits, daß Nabucco, der »Gas-Bypass« der Europäischen Union, mit dem das russische Transitmonopol beim Energieträgertransport aus dem postsowjetischen Raum gebrochen werden sollte, de facto »gescheitert« ist. Gasprom habe Europa »einen Schlag versetzt«, so Wedomosti, da der russische Gasmonopolist bereits ab 2010 das gesamte frei verfügbare Gas in postsowjetischen Raum aufkaufen wolle. Das Blatt gab ferner die Beteuerungen russischer Stellen wieder, denen zufolge es sich hierbei keineswegs um Eine Reaktion auf die »gemeinsame Deklaration der Ukraine und der EU über die Modernisierung des ukrainischen Gastransportnetzes« handele, an der Rußland nicht teilnehmen könne (siehe Kasten unten).

Die Zeitung berichtet ferner, daß Gasprom Aserbaidschan den langfristigen Aufkauf des Erdgas gemäß einer »europäischen Preisformel« angeboten habe. Wie die Rußlands Regierungschef Wladimir Putin zitierende Nachrichtenagentur RIA-Novosti erläuterte, bedeute dies im ersten Quartal 2009, daß Gasprom zentralasiatisches Erdgas für 340 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter aufkaufe und für 400 US-Dollar an Europa liefere. Einen besseren Preis werde Europa Aserbaidschan nicht bieten können, zitierte Wedomosti einen Beamten des russischen Energieministeriums. Zudem bestehe bereits eine 200 Kilometer lange Pipeline zwischen Baku und dem russischen Nowo-Filja, die nur noch modernisiert werden müßte.

Eine ähnliche Einschätzung lieferte das Wall Street Journal in der vergangenen Woche: Kaum seien die Europäer ernsthaft bereit, das lange Zeit auf dem Abstellgleis befindliche Nabucco-Projekt voranzutreiben, »schnappt« Rußland sich die noch zugänglichen Reserven. Besonders verheerend für die westlichen Planungen ist zudem nur der Umstand, dass Aserbaidschan auch als einziges Transitland für etwaige turkmenische Energielieferungen gen Westen infrage käme. Das Wall Street Journal spekulierte auch über die die Gründe, die Aserbaidschan – vormals einer der wichtigsten Befürworter von Nabucco – dazu veranlaßten, diesen Deal mit Rußland ernsthaft in Erwägung zu ziehen. Neben dem Krieg in Georgien sei es vor allem die Haltung der Türkei gewesen, die zu dem Sinneswandel in Baku beigetragen habe. Ankara habe bei mehreren Gelegenheiten angedeutet, die türkische Teilnahme an dem Nabucco-Projekt von substantiellen Fortschritten bei der EU-Integration abhängig zu machen. Da dies aber keineswegs gesichert sei und die Türkei somit als ein zuverlässiges Transitland ausscheide, könnte sich nun Aserbaidschan für die sichere russische Option entschieden. Überdies sorgt die jüngste Annäherung zwischen der Türkei und Armenien für massive Verstimmungen in Baku, das sich immer noch in einem »eingefrorenen Konflikt« mit Eriwan um die Region Bergkarabach befindet (siehe Spalte rechts). Der Vorvertrag mit Moskau könnte somit auch dazu dienen, Ankara von einer allzu innigen Annäherung an Jeriwan abzuhalten.

Doch ist der Westen noch lange nicht bereit, die Flinte ins Korn zu werfen. Christian Dolezal, Sprecher des Nabucco-Konsortiums, erklärte Anfang April, weiterhin mit aserbaidschanischen Erdgaslieferungen zu rechnen, da es »keine Änderungen« an den entsprechenden Planungen gebe. Ähnlich äußerten sich Vertreter des aserbaidschanischen Energiemonopolisten SOCAR. Diesen Beteuerungen steht aber das Faktum entgegen, dass bei Realisierung der russisch-aserbaidschanischen Absichtserklärung schlicht kein Erdgas mehr für Nabucco zur Verfügung stünde.

Der Westen scheint auch seinen eigenen Beschwichtigungen nicht so recht zu glauben. Am 6. April weilte der EU-Beauftragte für Südkaukasus und Zentralasien, Peter Semneby, in Baku und kündigte für Anfang Mai eine Konferenz zum Thema Nabucco an. Am 9. April zeigte auch die NATO in Aserbaidschan deutlich Flagge. Man habe »viele gemeinsame Grundlagen«, erklärte der hochrangige NATO-Diplomat Jean Francois Bureau nach Gesprächen mit aserbaidschanischen Regierungsvertretern: »Die wichtigsten Aufgaben, denen sich alle NATO-Mitglieder stellen müssen, sind die Energieversorgung und die Sicherheit zur See,« so Bureau, der offensichtlich auf die militärische Absicherung des Transits zentralasiatischer Energieträger über das Kaspische Meer anspielte.

* Aus: junge Welt, 14. April 2009

Hintergrund: Eintrübung zwischen Ankara und Baku

Die in den letzten Monaten rasch voranschreitende Annäherung zwischen Armenien und der Türkei löst in Aserbaidschan massiven Unmut aus. Bislang machte Ankara eine Normalisierung der Beziehungen mit Jeriwan von der Rückgabe der größtenteils armenisch besiedelten Region Bergkarabach an Aserbaidschan abhängig. Diese war in einem blutigen Bürgerkrieg Anfang der 90er Jahre mit armenischer Unterstützung aus Aserbaidschan gelöst worden. Zudem belastete der von Ankara immer noch geleugnete Völkermord an den Armeniern während des Ersten Weltkrieges die Beziehungen beider Staaten.

Doch inzwischen scheint sogar eine Öffnung der Grenze zwischen der Türkei und Armenien möglich, die seit dem armenisch-aserbaidschanischen Krieg geschlossen war. Die Reaktion aus Baku fielen entsprechend harsch aus. Der aserbaidschanische Außenminister Elmar Mammadyarow erklärte am 2. April hierzu: »Wenn die Grenze geöffnet wird, bevor die armenischen Truppen die besetzten Gebiete Aserbaidschans verlassen, dann läuft dies dem nationalen Interesse Aserbaidschans zuwider. Wir haben diese unsere Meinung der türkischen Führung mitgeteilt.« Aserbaidschans Präsident Ilcham Alijew lehnte auch jüngst einer Einladung seines türkischen Amtskollegen Abdullah Gül nach Istanbul ab.

In der Türkei selbst sind es kemalistische Kräfte und vor allem die faschistische Partei MHP, die sich einer Entspannung mit Armenien widersetzen. Inzwischen planen nationalistische Gruppen Demonstrationen, sollte die Grenze tatsächlich geöffnet werden. Der aserbaidschanische Presserat erklärte sogar, diese Proteste offiziell unterstützen zu wollen.

Auch die türkische Führung scheint nun auf eine baldige Entscheidung in der Nabucco-Frage – und somit auch in den Beziehungen zu Aserbaidschan – zu drängen. Kürzlich schickte der türkische Energieminister Hilmi Guler einen Brief an alle an dem Nabucco-Projekt beteiligten europäischen Staaten, in dem er dessen zügige Realisierung anmahnte. Man könnte den Vertrag »schon im Juni« unterzeichnen, so Guler, der aber auch betonte, daß die Türkei weiterhin 15 Prozent des durch ihr Territorium geleiteten Erdgases »für den eigenen Konsum« beanspruchen werde.

(tk)

** Aus: junge Welt, 14. April 2009




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