Bakus Stadtobere planen Bildersturm
Denkmal für 26 revolutionäre Kommissare soll einem Parkhaus weichen
Von Irina Wolkowa, Moskau *
Neben dem Kiz kulesi – dem Mädchenturm – und der alten Karawanen-Herberge gehörte zu Zeiten
der Sowjetunion auch das Denkmal für die 26 Kommissare zum Pflichtprogramm eines Besuches in
Baku. Diese hatten 1918 in der aserbaidshanischen Hauptstadt die erste sowjetische Regierung
gebildet und waren dafür im September gleichen Jahres erschossen worden.
Teile der Gedenkstätte mitten im Zentrum von Baku wurden schon 1992 demontiert, gleich nachdem
sich die Sowjetrepublik Aserbaidshan für unabhängig erklärt hatte. Später wurden auch Straßen,
Plätze und die Metrostation, die an die Kommissare von Baku erinnerten, umbenannt. Übrig blieb die
Skulptur eines Arbeiters, der eine Fackel in den Händen hält. Nun soll auch sie der Abrissbirne zum
Opfer fallen. Die Stadtoberen von Baku wollen am Standort des Denkmals ein Parkhaus bauen und
die sterblichen Überreste der 26 Revolutionäre auf einen Militärfriedhof außerhalb der Stadt
umbetten.
Zufall oder nicht: Der Bildersturm soll akkurat zum 90. Jahrestag der Geschehnisse vollendet
werden, an die das Denkmal erinnert. Bei Wahlen zum Stadtparlament im Frühjahr 1918 hatten die
Bolschewiki gesiegt. Der von ihnen gebildete Rat der Volkskommissare war zwar kurzlebig, erreichte
jedoch eine Menge. Ihm gelang es, eine Hungersnot abzuwenden, soziale Reformen durchzusetzen
und die Ölindustrie zu verstaatlichen. Weiße Generäle und Menschewiki aus der nach Gjandsha –
zu sowjetischen Zeiten Kirowabad – geflüchteten bürgerlichen Regierung Aserbaidshans riefen
daraufhin britische Truppen zur Hilfe, die im benachbarten Iran standen, und begründeten dies mit
Interventionsplänen der osmanischen Türkei. Dafür stimmte auch das Stadtparlament, und zwar
gegen den Willen der Bolschewiki, die daraufhin zurücktraten.
Danach übernahm die bürgerliche Regierung bis zum Einmarsch der Roten Armee 1920 erneut die
Macht. Die Kommissare wurden verhaftet, konnten aber mit Hilfe loyaler Truppen, die vom späteren
sowjetischen Ministerpräsidenten Anastas Mikojan befehligt wurden, fliehen und versuchten,
gemeinsam mit diesem ins russische Astrachan zu entkommen, dem einzigen Hafen am Kaspischen
Meer, den die Bolschewiki damals kontrollierten. Die Schiffsbesatzung indes meuterte und steuerte
das turkmenische Krasnowodsk am Ostufer der Kaspi-See an, wo britische Interventionstruppen
eine Bande von Konterrevolutionären an die Macht gehievt hatten. Dort wurden die 26 Kommissare
in der Nacht zum 20. September 1918 erschossen. Die Szene wurde später von Isaak Brodski auf
einer großformatigen Leinwand verewigt.
Die aserbaidshanische Öffentlichkeit streitet bis heute, ob das Wirken der Kommissare segensreich
oder verhängnisvoll war. Eldar Ismailow, Professor an der Staatsuniversität von Baku, wirft ihnen vor
allem Massaker an Muslimen vor. Den Bildersturm verurteilt er dennoch »kategorisch«. Ebenso der
Chef der Sozialistischen Partei Rustam Schachsuwarow: »Kein zivilisierter Staat zieht gegen die
eigene Geschichte zu Felde.«
Die Demontage des Denkmals für die 26 Kommissare ist indes nur eine Facette von Versuchen, die
Vergangenheit radikal umzudeuten. Wie Russland bemüht sich auch Aserbaidshan, historische
Kontinuität herzustellen. Dabei schöpft die junge aserbaidshanische Nation ihr Selbstverständnis
jedoch aus der Zugehörigkeit zur türkischen Völkerfamilie und einer mehrhundertjährigen
gemeinsamen Staatlichkeit mit Iran. Vor allem aus den kulturellen Leistungen der Safawiden-
Dynastie: turkstämmigen Derwischkriegern, die ihren Aufstieg Ende des 13. Jahrhunderts im
südaserbaidshanischen Ardebil begannen und Iran zum schiitischen Islam bekehrten, dem auch die
Mehrheit der Aseri anhängt.
Russland, dem Baku den Boom Ende des 19. Jahrhunderts verdankt, und die sowjetische Ära, die
Aserbaidshan definitiv den Sprung in die Moderne ermöglichte, werden dagegen vom herrschenden
Alijew-Clan bewusst außer Acht gelassen. Obwohl Haydar, der Vater von Präsident Ilham Alijew und
der eigentliche Begründer des neuen Aserbaidshans, zu sowjetischen Zeiten selbst höchste
Funktionen im Moskauer Staats- und Parteiapparat innehatte.
* Aus: Neues Deutschland, 15. Juli 2008
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