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Wenig Annäherung

Anschlag von 1994 auf jüdisches Zentrum AMIA in Buenos Aires nicht aufgeklärt. Kooperationsangebot Irans

Von Andreas Knobloch *

Als »positiv« bezeichnete die argentinische Regierung am Montag das Angebot des Iran, bei den Ermittlungen zum blutigsten Terrorakt in der Geschichte Argentiniens zu kooperieren. Teheran hatte am Samstag (16. Juli) mitgeteilt, daß es den Anschlag von 1994 auf das jüdische Gemeindezentrum AMIA in Buenos Aires verurteilt und sich mit den Familien der Opfer solidarisch erklärt. Der Iran sei zu einem »konstruktiven Dialog« bereit und wolle mit der argentinischen Regierung bei der Aufklärung des Falles zusammenarbeiten, der sich am Montag zum 17. Mal jährte, hieß es.

Am Morgen des 18. Juli 1994 war um 9.53 Uhr in der Einfahrt des AMIA im Zentrum der Hauptstadt eine Autobombe explodiert. 85 Menschen wurden getötet, mehr als 300 verletzt. Die Ermittlungen waren von Anfang an überschattet von Vertuschung, Schlampereien und Undurchsichtigkeiten. Spuren, die in den Iran führten, wurde genausowenig nachgegangen wie Hinweisen auf Syrien. Der damalige Präsident Carlos Saúl Menem, ein Sohn syrischer Einwanderer, soll höchstpersönlich jegliche Ermittlungen in Richtung Damaskus verhindert haben. Auch eine Verwicklung des argentinischen Geheimdienstes gilt als wahrscheinlich. Bisher gelang es nur, Helfershelfer vor Gericht zu stellen, doch die Beweise reichten nicht einmal, diese zu verurteilen.

Im Jahr 2006 beschuldigte die argentinische Staatsanwaltschaft offiziell den Iran, das Attentat geplant zu haben. Die Hisbollah soll es durchgeführt haben. Buenos Aires verlangt deshalb die Auslieferung von fünf ehemaligen hohen iranischen Funktionären und die eines Libanesen, was von Teheran jedoch abgelehnt wird. An dieser Haltung hat sich trotz des Kooperationsangebots nichts geändert, wie Irans Außenministerium in der Erklärung vom Samstag noch einmal betonte. Einer der sechs Gesuchten ist Irans amtierender Verteidigungsminister, Ahmad Wahidi. Auch Interpol hat Haftbefehle gegen die Männer ausgestellt. In der Vergangenheit hatte Teheran die Beweise als vom CIA und Mossad manipuliert bezeichnet und von einem »unfairen Prozeß« gesprochen.

Argentiniens Außenminister Héctor Timerman würdigte nun das iranische Dialogangebot als »unerwarteten und sehr positiven Schritt«. Argentiniens Chefermittler, Alberto Nisman, aber sieht in der iranischen Kooperationsbereitschaft nicht mehr als »leere Worte«, solange die Verdächtigen nicht ausgeliefert würden. Auch jüdische Organisationen bezweifeln die Ernsthaftigkeit des iranischen Angebots und vermuten politische Gründe hinter der Annäherung, die mit dem Fall selbst wenig zu tun haben.

Die diplomatischen Beziehungen Irans zu Ländern wie Brasilien, Bolivien oder Venezuela haben sich in den vergangenen Jahren vor allem aufgrund stark angestiegener ökonomischer Kooperation erheblich verbessert. Das Verhältnis zu Argentinien dagegen ist eher kühl und bleibt von den Attentaten in den 90er Jahren überschattet. Zum Eklat kam es, als Wahidi im April Bolivien besuchte. Dies führte zu Spannungen zwischen Buenos Aires und der Regierung in La Paz und einer offiziellen Entschuldigung von Boliviens Außenminister.

Auch das Gedenken an die Opfer zum Jahrestag des Bombenattentats selbst wurden überschattet. Im Beisein von Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner forderten Repräsentanten der jüdischen Gemeinde Aufklärung und Gerechtigkeit, ehe der Vertreter der Vereinigung der Familien der Opfer des AMIA-Attentats, Sergio Burstein, in seiner Rede zum Rundumschlag ausholte. Neben harter Kritik am Iran und an Boliviens Präsidenten Evo Morales wegen des Wahidi-Besuches ging er auch mit jüdischen Institutionen und nationalen Politikgrößen ins Gericht. Carlos Menem warf er vor, das Attentat gedeckt zu haben. Und den amtierenden rechtsliberalen Bürgermeister von Buenos Aires, Mauricio Macri, kritisierte er für die Ernennung von Jorge Palacios zum Chef der Hauptstadtpolizei. Palacios steht im Verdacht, bei den Ermittlungen nach dem Anschlag Beweise manipuliert zu haben. Die Rolle argentinischer Behörden bei dem Autobombenanschlag, so Burstein, sei nie ausreichend beleuchtet worden.

Die Führung des AMIA distanzierte sich von den Ausführungen Bursteins und schloß ihn von zukünftigen Gedenkveranstaltungen aus. Auch nach 17 Jahren schlagen die Auseinandersetzungen um das Attentat noch hohe Wellen in Argentiniens Öffentlichkeit.

* Aus: junge Welt, 21. Juli 2011

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