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Öl und Kapital

Englische Firma hat Bohrarbeiten vor Malwinen begonnen. Staaten der Rio-Gruppe unterstützen Argentinien

Von Johannes Schulten *

Argentinien hat unsere bedingungslose Unterstützung in diesem Konflikt«. An klaren Worten, wie denen vom ecuadorianischen Präsidenten Rafael Correa, hat es während des am Dienstag (23. Feb.) im mexikanischen Cancún zu Ende gegangenen Gipfels der sogenannten Rio-Gruppe nicht gemangelt. In dem sich seit einigen Tagen bedrohlich zuspitzenden Streit um britische Ölambitionen nahe der etwa 600 Kilometer vor der argentinischen Küste gelegenen Malwinen (engl. Falkland-Inseln) sind die 32 Staaten aus Lateinamerika und der Karibik Argentiniens Anliegen nach einer Verurteilung der Pläne aus London bedingungslos nachgekommen. Venezuelas Präsident Hugo Chávez forderte das Königreich zudem auf, »nicht nur seine Bohrinsel abzuzuiehen, sondern auch die Resolution der Vereinten Nationen zu erfüllen«. Diese drängen England seit Jahren, Gespräche mit Argentinien über die Souveränitätsfrage aufzunehmen und von einseitigen Aktionen abzusehen.

Londoner Alleingang

Doch genau einen solchen Alleingang hat London am Montag (22. Feb.) unternommen. Trotz eindeutiger Warnungen aus Buenos Aires ist die britische Bohrinsel Ocean Guardian nach zweimonatiger Reise durch den Atlantik in den Gewässern nördlich der Malwinen eingetroffen. Am Montag morgen wurde im Auftrag des Ölmultis Desire Petroleum mit den Arbeiten an vier Bohrlöchern begonnen.

28 Jahre nachdem die argentinische Militärdiktatur (1976-1983) in einem Anflug von Größenwahn das Insel-Archipel besetzt hat und von der grenzenlos überlegenen britischen Armee in nur 74 Tagen zurückgebombt wurde, stehen die Zeichen zwischen beiden Ländern wieder auf Konflikt. Diesmal geht es um Rohstoffe. Wir erwarten »riesige Gewinne für die beteiligten Firmen, die Falkland-Inseln und Großbritanien«, frohlockte David Hudd von Falkland Oil and Gas schon Ende vergangenen Jahres im Revolverblatt The Sun. Tatsächlich sind die Potentiale in den Tiefen des Atlantiks gigantisch. Geologen vermuten Rohölreserven im Ausmaß von 60 Milliarden Barrel. Damit überstiegen die dortigen Vorkommen nicht nur die der Nordsee um ein Vielfaches, sondern lägen nur ein Viertel unter den Ressourcen von Ghawar in Saudi Arabien - dem größten Ölfeld der Welt.

Buenos Aires betrachtet die britischen Bohrungen als illegal und pocht auf seinen Anspruch auf die Inseln, inklusive der umliegenden Ressourcen. Ein zwischen beiden Ländern bestehender Vertrag zur Erforschung der Öl- und Gasvorkommen wurde 2007 von Argentinien gekündigt.

Die britische Regierung sieht sich völlig »im Einklang mit dem Gesetz«, wie es Außenminister David Miliband ausdrückte. Und Premier Gordon Brown ließ am Donnerstag verlauten: »Wir haben alle nötigen Vorbereitungen getroffen«, um die Bewohner »anständig zu schützen«. Mehr als 1000 britische Soldaten sind laut dem Nachrichtensender BBC ohnehin auf der Insel stationiert, britische Kreuzer seien in der Umgebung. Will man der Sun glauben, befinden sich auch der Zerstörer HMS York auf dem Weg in die Gewässer.

Doch eine Neuauflage des Malwinen-Krieges wird es wohl kaum geben. Bereits in der vergangenen Woche hat Präsidentin Cristina Fernández bewaffnete Reaktionen kategorisch ausgeschlossen. Am heutigen Mittwoch soll es ein Gespräch zwischen dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon und dem argentinischen Außenminister Jorge Taiana geben, »um den Streit diplomatisch zu lösen«.

Kolonialmentalität

Und auch das Kampfgeschrei von Gordon Brown ist eher im Kontext der im Juni anstehenden Parlamentswahlen zu interpretieren. Denn Brown weiß um den nationalen Symbolwert, den die »Falklands« bei den Briten genießen. Und da gilt es, keine Schwäche zu zeigen.

Historisch ist der britische Anspruch auf die Malwinen Produkt imperialen Wettstreits gewesen. Nach der einem britischen Segler zugeschriebenen Entdeckung 1592 befand sich der Archipel zeitweilig sowohl in französischem, spanischem und englischem Besitzt, bis er 1835 endgültig an London ging. Argentinien, das seit seiner Unabhängigkeit 1816 naturgemäß auch Anspruch erhebt, blieb außen vor. Der Versuch, kurz nach Staatsgründung eine Kolonie zu installieren, wurde von US-Soldaten 1831 gewaltsam beendet. Chávez lag also völlig richtig, als er am Montag darauf hinwies, in der britischen Öljagd einen »Rest Kolonialmentalität« zu sehen.

* Aus: junge Welt, 24. Februar 2010


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