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Zweifel an "Win win"-Versprechen

Europäische Union und Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft einig über Freihandelsabkommen

Von Georges Hallermayer *

Demnächst sollen »Handelshemmnisse« zwischen Westafrika und der EU fallen. Delegationen unter der Leitung von EU-Handelskommissar Karel De Gucht und Kadré Desiré Ouédraogo, Präsident der Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft (Communauté ­économique des États de l’Afrique de l’Ouest, kurz CEDEAO), vereinbarten am 9. Februar in der senegalesischen Hauptstadt Dakar einen Kompromiß für ein Freihandelsabkommen zwischen beiden Regionen inklusive Mauretanien (der Staat gehört nicht zur CEDEAO). Eine außerordentliche Gipfelkonferenz der Staatschefs am 23. Oktober letzten Jahres hatte ebenfalls in Dakar den Verhandlungsrahmen abgesteckt und den senegalesischen Präsidenten Macky Sall als Mediator eingesetzt. Es wird in EU-Kreisen nunmehr erwartet, daß die zuständigen Vertretungsorgane der Beteiligten das Abkommen auch ratifizieren. Angesichts des Bemühens der USA und der EU-Kommission, das imperialistisch inspirierte Freihandelsabkommen Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) abzuschließen, bekommt diese Übereinkunft zur Liberalisierung des Wirtschaftsverkehrs zwischen Westafrika und der EU eine besondere Brisanz.

Die Verhandlungen zu den Vereinbarungen über Freihandel hatten bereits am 6. Oktober 2002 in Cotonou, der Hauptstadt von Benin, begonnen. Ursprünglich sollte ein entsprechendes Abkommen bis Ende des Jahres 2007 in trockenen Tüchern sein. Unter massivem Druck der EU unterschrieben im Dezember 2007 allerdings zunächst nur zwei der 15 Staaten: Côte d’Ivoire und Ghana. Problem: Die potentiellen Vertragspartner konnten sich nicht über das Niveau bzw. den Umfang der zu vereibarenden Liberalisierungsmaßnahmen und deren Dauer einigen. Drängte die EU auf die Liberalisierung von 80 Prozent des Handelsaustauschs über einen Zeitraum von 15 Jahren, beharrten die Staaten der CEDEAO auf 67 Prozent und einer Laufzeit von 25 Jahren. Zudem wichen die von beiden aufgestellten Listen der von der Liberalisierung auszunehmenden Produkte weit voneinander ab. Und die Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft dringt auf einen finanziellen Ausgleich wegen der entgehenden Zolleinnahmen und für die Systemumstellung.

Die EU wird laut Kommissar De Gucht dafür ein Programm im Volumen von 9,5 Milliarden Euro auflegen, das über fünf Jahre laufen und mehrere Bereiche abdecken soll – beispielsweise die Entwicklung der Infrastruktur und der Energieversorgung. Auch die Textilindustrie und der Tourismus in den afrikanischen Vertragspartnerstaaten sollen damit gefördert werden. Die CEDEAO (inklusive Mauretanien) verlangte, Handelshemmnisse, wie die EU-Normen zum Pflanzenschutz, zu beseitigen. Der Brüsseler Kommissar wies darauf hin, daß die EU keine Exportsubventionen nach Westafrika mehr bewilligen werde. Damit würden zum Beispiel die dortigen Märkte nicht mehr von billigstem Gefrierfleisch aus Europa überschwemmt.

Das Abkommen wird Import und Export sicherlich erleichtern, vor allem für die EU. Inwieweit es die Entwicklung einer eigenen Industrie in Westafrika zu fördern erlaubt, ist noch nicht abzusehen. Der Freizügigkeit von Menschen steht nach wie vor eine restriktive Visapolitik der EU entgegen. Während es für Reisende aus Europa keine Probleme gibt, kämpfen afrikanische Bürgerinnen und Bürger nicht nur mit bürokratischen Hemmnissen (z.B. Nachweis des Einkommens, der Sozialversicherung, einer von EU-Kommunen bestätigten Einladung), sondern auch mit für viele unerschwinglichen Gebühren. Wie das Solidaritätsnetzwerk Cimade berechnete, kostet ein Visum im Durchschnitt 220 Euro in einem Land wie Mali, wo das monatliche Durchschnittseinkommen 61 Euro beträgt.

* Aus: junge Welt, Montag, 17. Februar 2014


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