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"Das Ausmaß des Leidens ist unvorstellbar"

Die verzweifelte Lage am Horn von Afrika überfordert Regierungen und Hilfsorganisationen

Von Kristin Palitza, Kapstadt *

Tausende sind tot. Tausende weitere liegen im Sterben. Mehr als elf Millionen Menschen hungern am Horn von Afrika. Internationale Hilfsorganisationen können die tägliche Flut Hilfesuchender kaum bewältigen.

Im kenianischen Dadaab – mit einer Kapazität für 90 000 Menschen das größte Flüchtlingslager der Welt – herrscht Chaos. Mittlerweile sind hier fast 400 000 Flüchtlinge angekommen. Jeden Tag werden es mehr. »Es treffen täglich um die 1400 neue Menschen ein«, sagte Juliett Otieno, Pressesprecherin der Hilfsorganisation CARE Kenia.

Das UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR wird der Situation kaum Herr. »Es fehlt an Personal und an Kapazität. Flüchtlinge, die heute registriert werden, können erst ab Mitte bis Ende September in den Lagern aufgenommen werden. Zwei Monate sind sehr lang«, klagt Otieno. Für viele könnte es bis dahin zu spät sein.

Seit Wochen müssen sich Neuankömmlinge notdürftig in den Außenbereichen Dadaabs ansiedeln, wo sie sich aus Ästen und Planen Unterkünfte bauen. Einige Flüchtlinge erhalten nicht einmal drei Liter Wasser pro Tag, beobachtete die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen. »Die Menschen sind bis auf die Knochen abgemagert«, erklärte CARE-International-Direktorin Barbara Jackson, die das Lager diese Woche besuchte. »Das Ausmaß des Leidens ist unvorstellbar.«

Jetzt werden Tausende in das Erweiterungslager Ifo 3 umgesiedelt. Doch dort gibt es kaum sauberes Wasser und Sanitäranlagen. Das sei ein klarer Verstoß gegen humanitäre Mindestnormen, klagen die Ärzte ohne Grenzen. Insgesamt sollen dort 60 000 Flüchtlinge unterkommen. Dabei ist das Lager nur für 20 000 Menschen gedacht. Wasser muss täglich angefahren werden, Latrinen sind noch nicht gegraben. Ifo 3 hat kein Krankenhaus, so dass Patienten in andere Lager verwiesen werden müssten. Deren Kliniken aber sind bereits überlastet.

Die Vereinten Nationen versuchen verzweifelt, mehr Unterkünfte für den Flüchtlingsstrom zu schaffen. Ein zusätzliches Erweiterungslager mit dem Namen Kambioos mit einer Aufnahmekapazität von für 120 000 Menschen soll in Sasi, unweit von Dadaab, geschaffen werden. »Insgesamt 180 000 Flüchtlinge werden bis Ende November aus Dadaab nach Kambioos und Ifo 3 verlegt werden«, erklärt Otieno.

Nur wenige Kilometer entfernt steht das Vorzeigelager Ifo 2, das im November eröffnet werden sollte, noch immer leer. Ifo 2 ist mit Bohrlöchern, Latrinen, Duschen, Elektrizität, Unterkünften und Schulen ausgestattet. Warum die kenianische Regierung das Lager nicht öffnet, will niemand sagen.

In Somalia bleiben Hungernde aufgrund der militanten Gruppe Al-Shabab, die große Teile des Südens kontrolliert, weitgehend von Hilfe abgeschnitten. Allein hier sind 3,7 Millionen Menschen, rund ein Drittel der Bevölkerung, vom Hungertod bedroht.

Zehntausende Somalis sind Richtung Norden gewandert, in der Hoffnung, in der Hauptstadt Mogadischu Hilfe zu finden. Laut UNHCR treffen hier täglich 1000 neue Flüchtlinge ein. Dies habe zu Massenaufläufen und Gedränge sowie zu Plünderungen an Ausgabestellen geführt. Die Schwächsten erhielten daher oft keine Hilfe.

Die Operation der UN-Luftbrücke, die seit Mittwoch Nahrungsmittel in die Hauptstadt bringen soll, ist gefährdet, nachdem somalische Regierungskräfte am Donnerstagmorgen eine Offensive gegen Al-Shabab-Stützpunkte in Mogadischu begonnen und 15 Mitglieder der Al-Qaida nahestehenden Gruppe getötet haben. Zuvor war die Luftbrücke für Tage aufgrund von Problemen mit dem kenianischen Zoll verhindert worden.

Erst am Mittwochabend (27. Juli) landete das erste Flugzeug des Welternährungsprogramms (WFP) mit zehn Tonnen einer auf Erdnussbutter basierenden Nährpaste in Mogadischu. Es brachte zuerst Nahrung für hungernde Kinder, deren Überleben besonders gefährdet ist.

Das Leiden der Kinder in Somalia sei »das Schlimmste«, was sie jemals gesehen habe, sagte die WFP- Vorsitzende Josette Sheeran nach einem Besuch der Hauptstadt. Die Kinder seien so schwach, dass sie »weniger als 40 Prozent Überlebenschance« hätten.

Die Vereinten Nationen planten, Nahrungsmittel nach Mogadischu sowie nach Dolo in Äthiopien, nahe der Grenze zu Somalia, und nach Wajir im Norden Kenias, das ebenfalls von der Dürre betroffen sei, zu fliegen, erläuterte Sheeran. Insgesamt sollen 100 Tonnen Lebensmittel in das Krisengebiet gebracht werden.

* Aus: Neues Deutschland, 29. Juli 2011

Kämpfe gefährden Hungerhilfe

Erste Lieferungen in Somalia eingetroffen

Nur einen Tag nach Aufbau einer Luftbrücke der UNO für Hungernde in Somalia sind bei Kämpfen in der Hauptstadt Mogadischu etwa 30 Zivilisten verletzt worden. Nach Angaben von Augenzeugen versuchten regierungstreue Truppen am Donnerstag, in ein von Rebellen kontrolliertes Gebiet einzudringen. Das Welternährungsprogramm WFP hoffte aber, seine Hilfsgüter auch in die Rebellengebiete im Süden Somalias bringen zu können.

Die Kämpfe in Mogadischu hätten »große Auswirkungen« auf die Arbeit der UNO am Flughafen, sagte WFP-Sprecher David Orr. Er hoffe jedoch, dass der Hilfseinsatz »wie geplant« fortgesetzt werden könne.

Am Mittwoch (27. Juli) hatte die UNO mit ihrer Luftbrücke in das dürregeplagte Somalia begonnen. In Mogadischu landete das erste Flugzeug mit Spezialnahrung für unterernährte Kinder. Somalia ist das am schlimmsten von der Hungerkrise am Horn von Afrika betroffene Land. Dramatisch ist die Lage besonders im Süden, den das WFP Anfang 2010 auf Druck der Shebab-Miliz verlassen musste. Von dort sind in den letzten zwei Monaten rund 100 000 Somalier vor der Dürre nach Mogadischu geflohen. Der deutsche WFP-Leiter Ralf Südhoff zeigte sich optimistisch, dass Hilfsgüter der Luftbrücke auch nach Südsomalia gebracht werden können.

(Neues Deutschland, 29. Juli 2011)



Geiz ist geil

BRD hat 30 Millionen Euro für elf Millionen Hungernde in Nordostafrika übrig

Von Knut Mellenthin **


Das World Food Programme, eine Unterorganisation der UNO, hat am Mittwoch (27. Juli) damit begonnen, Lebensmittel in die somalische Hauptstadt Mogadischu zu fliegen. Das Land, das seit 1991 keine funktionierende Zentralregierung hat, ist von der schlimmsten Trockenperiode seit Jahrzehnten besonders hart betroffen. Insgesamt leiden in Nordostafrika nach Schätzungen der UNO rund elf Millionen Menschen unter den Folgen der Dürre, davon 4,56 Millionen in Äthiopien, 3,7 Millionen in Somalia und 2,4 Millionen in Kenia.

Die Luftbrücke in die somalische Hauptstadt soll nun kontinuierlich fortgesetzt werden. Ein Teil der Hilfsgüter wird anschließend mit LKWs in andere Teile des Landes transportiert. Im Großraum Mogadischu sind in den vergangenen zwei Monaten etwa 100000 Menschen aus den Notstandsgebieten angekommen. Wenn nicht schnell deutlich wird, daß den Bedürftigen auch an ihren bisherigen Lebensorten geholfen wird, ist zu befürchten, daß die Hauptstadt noch weitaus mehr Flüchtlinge anziehen wird.

In einer Pressemeldung des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR vom Dienstag (26. Juli) wird beklagt, daß »die gelieferten Mengen nicht ausreichen, um allen Bedürfnissen zu genügen«. Dies habe »zu ernsten Zusammenstößen und in einigen Fällen zu Plünderungen geführt. Als Folge stehen einige der Schwächsten, am meisten Verletzbaren ganz ohne irgend etwas da, trotz größter Anstrengungen der Agenturen und Wohlfahrtsorganisationen.«

Für viele Journalisten der Mainstreammedien steht die islamistische Organisation Al-Schabab, die große Teile Somalias beherrscht, als Hauptschuldige fest. Diese läßt angeblich in ihrem Machtbereich keine Hilfslieferungen zu. Unter der Überschrift »So wurde Somalia zugrunde gerichtet« behauptete Bild am Mittwoch: »Während die Bundesregierung ihre Hilfen am Horn von Afrika aufstocken will, verbieten die unmenschlichen Rebellen den Rettern die Arbeit im Land.«

Das ist jedoch falsch. Tatsächlich hält Al-Schabab am Arbeitsverbot für einige Organisationen fest, denen sie mißtraut; auch das WFP ist davon betroffen. Andere Institutionen, beispielsweise das Internationale Rote Kreuz, Ärzte ohne Grenzen und auch UNICEF, das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen, sind auch in den von Al-Schabab kontrollierten Gebieten noch tätig.

Vor diesem Hintergrund sind die Kommentare der WFP-Direktorin Josette Sheeran nicht hilfreich. Sie behauptete dieser Tage, ihre Organisation sei in der Lage, 1,5 Millionen bedürftige Somalis zu erreichen. Es gebe jedoch weitere 2,2 Millionen Menschen, denen man wegen der Blockade durch Al-Schabab zur Zeit keine Hilfe bringen können. Diese Zahlen beruhen nicht auf statistischen Erkenntnissen, sondern sind willkürlich und mit politischen Absichten gewählt. Außerdem sind die internationalen Hilfsorganisationen organisatorisch und finanziell weit davon entfernt, auch nur 1,5 Millionen Somalis angemessen und regelmäßig versorgen zu können.

Geldmangel ist das zentrale Problem. Das Überleben von mehreren hunderttausend Menschen hängt jetzt davon ab, daß ausreichend finanzielle Mittel zur Verfügung gestellt werden. Eine Liste der 30 wichtigsten Geldgeber, die am Dienstag vom UN-Büro für humanitäre Angelegenheiten, OCHA, verbreitet wurde, führt Deutschland auf Platz 12 mit neun Millionen Euro. Damit lag die Bundesrepublik noch hinter Dänemark, Schweden, Norwegen und den Niederlanden. Inzwischen hat Berlin »großzügig« auf 30 Millionen erhöht.

** Aus: junge Welt, 29. Juli 2011


Armut ist kein Schicksal

Von Martin Ling ***

Die Weltbevölkerung wächst und damit wachsen die Probleme. An dieser Grundaussage hält die Stiftung Weltbevölkerung seit Jahr und Tag fest. Dabei ist manches richtig und doch ist die dort vertretene Sicht extrem verkürzt. Das starke Bevölkerungswachstum trägt der Stiftung zufolge entscheidend zur Armut bei und erschwert eine nachhaltige Entwicklung. Je stärker die Bevölkerung zunehme, desto mehr Menschen konkurrierten um die ohnehin schon knappen Ressourcen wie Ackerland, Wasser und Nahrung. Letzterer Zusammenhang ist so banal wie richtig und in gewissen, armen Regionen auch ein faktisches Problem.

Doch Armut insgesamt ist kein Problem von knappen Ressourcen, das durch das Bevölkerungswachstum verschärft wird. Rein rechnerisch könnten mit den derzeit zur Verfügung stehenden Technologien und Produktionsverfahren und auf der Basis der heutigen Nahrungsquellen 12 Milliarden Menschen ernährt werden – bei entsprechender Verteilung. Armut produziert Bevölkerungswachstum und nicht umgekehrt! Das zeigt ein simpler Blick in die reichen Gesellschaften. Solange dem Süden soziale Entwicklung durch eine unfaire Weltwirtschaftsordnung verwehrt bleibt, wird die Bevölkerung dort wachsen. Was dort vor allem fehlt, ist Kapital für den Bau von Brunnen und Leitungen, für den Aufbau von Vertriebsstrukturen für Kleinbauern. 80 Prozent der Armen leben auf dem Land!

*** Aus: Neues Deutschland, 29. Juli 2011 (Kommentar)


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