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Kein Geld für Ostafrika

Hunger, überfüllte Flüchtlingslager, hohe Lebensmittelpreise: Dürrekatastrophe bringt auch UN und Hilfsorganisationen in Bedrängnis

Von Thomas Berger *

Nach offiziellen Angaben kommen täglich 2000 Menschen über die somalisch-äthiopische Grenze. 1250 Somalis fliehen im pro Tag ins südwestliche Nachbarland Kenia. Die tatsächlichen Zahlen dürften noch höher liegen, denn niemand vermag derzeit zu sagen, wie viele Menschen am Horn von Afrika durch die verheerende Dürrekatastrophe zur Flucht aus ihren Heimatorten genötigt sind. Und sie fliehen nicht nur Richtung Süden und Westen. Auch innerhalb des früheren Staatsgebietes von Somalia verlassen Hungernde in Scharen die ausgedörrten Provinzen und strömen nach Mogadischu – dem einzigen Ort im Inland, wo sie zumindest noch etwas Hilfe erwarten können. Insgesamt sind in Somalia, Kenia, Äthiopien und dem kleinen Dschibuti nach UN-Prognosen aktuell 10,7 Millionen Menschen direkt in ihrer Existenz bedroht. Sowohl die Experten der Weltorganisation als auch die diverser Hilfsorganisationen sind sich in der Einschätzung einig: So schlimm wie gegenwärtig war es in der ohnehin dürregeplagten Region seit sechs Jahrzehnten nicht. Es herrscht also akuter Handlungsbedarf. Für kommenden Montag (25. Juli) hat deshalb die UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) ein Sondertreffen einberufen.

Die letzte derartige Krise liegt erst zwei Jahre zurück. Doch kaum waren damals die schlimmsten Probleme überstanden, blieb erneut der Regen aus. Im Oktober 2010 lagen die Niederschlagsmengen deutlich unter den langjährigen Durchschnittswerten. Stellenweise wurde kaum ein Drittel der ohnehin geringen Mengen erreicht. Auch die zweite »Regenzeit« zwischen April und Juni 2011 brachte kaum Wasser und hat den Notstand verschärft. Die Ernte ist vertrocknet und verdorrt auf den schwachen Halmen, das Vieh stirbt. Zahlreiche Bewohner der Regionen, die zumeist von Subsistenzwirtschaft leben, wissen nun nicht mehr, wie sie sich selbst und ihre Kinder über die nächsten Tage, Wochen oder gar Monate bringen sollen. Allein in Äthiopien sollen seit Jahresbeginn rund 500000 Tiere verendet sein. Daß es erneut zu einer dramatischen Unterversorgung mit Nahrungsmitteln kommen würde, war im Nordosten Afrikas also schon länger absehbar. Doch erst seit rund zwei Wochen nimmt auch der Rest der Welt Notiz von der Katastrophe.

Im Gespräch mit Irinnews, dem Informationsnetzwerk der Vereinten Nationen, machte Aden Ibrahim, Gesundheitsminister der somalischen Übergangsregierung, auf einige der dringendsten Probleme aufmerksam. So seien die Krankenhäuser in der vom Zerfall des Staates geprägten Hauptstadt Mogadischu dem Ansturm so vieler Patienten nicht gewachsen. Masern, Malaria und Durchfallerkrankungen grassieren. In den ohnehin miserabel ausgestatteten Hospitälern sollen täglich bereits fünf Kindern deshalb sterben, weil Arzneimittel fehlen oder Hilfe einfach zu spät kommt. Seit nunmehr 20 Jahren gibt es hier kein reguläres Staatswesen mehr. Makabre Kontinuität besteht lediglich in der Fortdauer des Bürgerkrieges mit ständig wechselnden Fronten.

Immerhin hat die akute Krise dazu geführt, daß Kooperation dort möglich wird, wo dies vor kurzem noch undenkbar schien. Die ersten Hilfslieferungen erreichen inzwischen den Landessüden, der von den radikalislamischen Al-Schabab-Milizen kontrolliert wird. Deren Führung hat den Vertretern von UNICEF und anderen Hilfsorganisationen zugesichert, frei agieren zu können. Nunmehr scheint auch der Westen bereit, Unterstützungsleistungen in diesem Landesteil wieder aufzunehmen.

Ohne Zusammenarbeit ist eine Lösung des Problems nicht vorstellbar. Die Nachbarstaaten Somalias, selbst zu mehr als einem Drittel von der Dürre betroffen, sind bei den Flüchtlingsströmen gänzlich überfordert. Die Lager in Dadaab (Kenia) und Dollo Ado (Äthiopien) platzen aus allen Nähten – allein in Dadaab, das für 90000 Menschen ausgelegt ist, drängen sich nunmehr um die 400000 Personen. In Dollo Ado campieren derzeit 120000 Flüchtlinge, von denen 54000 erst in diesem Jahr neu hinzugekommen sind. Hochrangige UN-Vertreter haben sich in den zurückliegenden Tagen ein Bild von der Lage vor Ort gemacht. Anthony Lake, UNICEF-Exekutivdirektor, sprach bei einer Pressekonferenz in Nairobi am Sonntag von einer halben Million Kinder, die in der Region akut gefährdet sei. Fast die Hälfte der in den Camps ankommenden Kinder sei stark unterernährt.

Auch Paul Spiegel, Gesundheitschef der UN-Flüchtlingsagentur UNHCR, ist besorgt. Spiegel besuchte die äthiopischen Lager rings um Dollo Ado. Zwar gibt es dort – anders als in Mogadischu – noch keine Anzeichen von Masern oder anderen schweren Infektionserkrankungen, selbst Durchfälle hielten sich bisher in Grenzen. Daß dies so bleibt, sei aber eher unwahrscheinlich: Die durch Hunger und Flucht akut geschwächten Menschen, insbesondere die Kinder, könnten Krankheitserregern kaum widerstehen.

Die Helfer stehen vor einem Berg besonderer Herausforderungen. Mit dem Neubau von Camps sollen die beiden großen Lager entlastet werden. In Somalia wiederum gibt es ungeachtet gewisser Sicherheitsgarantien weiterhin eine hohe Gefährdung des Hilfspersonals. Hinzu kommen logistische Hürden in den Gebieten, deren Infrastruktur kaum noch existiert. Und dann sind da noch die weltweit hohen Nahrungsmittelpreise, zu denen Hilfsgüter eingekauft werden müssen. Die Reserven der UN sind stark geschrumpft, weil die Kosten seit 2008 explodiert, Zuschüsse hingegen gesunken sind. Westliche Politiker flüchten lieber in hohle Phrasen, als verbindliche finanzielle Zusagen zu geben. Fünf Millionen Euro Nothilfe aus Deutschland und eine Hilfsankündigung der britischen Regierung reichen längst nicht aus.

* Aus: junge Welt, 20. Juli 2011


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