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Afrika zwischen Boom und Armut

Trotz hohen Wirtschaftswachstums steht der Kontinent weiter vor sehr großen Problemen

Von Thomas Nitz *

Die afrikanische Wirtschaft wächst, die Armut geht zurück. Ist der Kontinent tatsächlich der hoffnungslose Pflegefall, für den er dank unermüdlicher Krisenberichterstattung gehalten wird?

Die aktuellen Zahlen der Afrikanischen Entwicklungsbank sprechen eine deutliche Sprache: Die Wirtschaft des Kontinents werde 2010 voraussichtlich um mehr als vier Prozent wachsen. Sogar die Wachstumsquote vor der Wirtschaftskrise von sechs Prozent wird in Zukunft als realistisch eingeschätzt. Alles Zweckoptimismus oder ist Afrika tatsächlich die neue Boomregion? Campact - Gesundheit

Leonce Ndikumana, Chef der Afrikanischen Entwicklungsbank, hält dies für möglich. »Gegenwärtig durchläuft Afrika eine Entwicklung wie Asien vor einigen Jahrzehnten«, erklärte der Ökonom. Diesem Vergleich schließt sich der Industrieländerclub OECD an, der Afrika in den kommenden Jahren ein ähnlich starkes Wirtschaftswachstum voraussagt wie den asiatischen Tigerstaaten in den 90er Jahren. Afrika sucht selbst die Nähe zu diesen asiatischen Schwellenländern, insbesondere zu China und Indien. Die Möglichkeiten zur Verbesserung dieser Süd-Süd-Kooperation bildete einen der Schwerpunkte des Weltwirtschaftsforums, das vergangene Woche in Daressalam (Tansania) stattfand.

Die Gründe für das Wachstum führt Ndikumana in erster Linie auf den Rohstoffreichtum des Kontinents und die zunehmenden ausländischen Investitionen zurück. Vor allem die Rohstoffnachfrage Chinas ist zuletzt wieder stark angestiegen. Die Volksrepublik zahlt mit neuen Straßen, Schienen, Brücken und Häfen, wovon die gesamte Wirtschaft profitiert. Das schafft Arbeitsplätze, wenn auch schlecht bezahlte, und trägt zur Herausbildung einer konsumfreudigen Mittelschicht bei, die vor allem die Telekommunikationsbranche und den Bankensektor belebt. Die vergleichsweise kleinen Aktienmärkte in Afrika verzeichnen deutliche Zuwächse. Anleger brauchen keine Spekulationsblase fürchten, da die afrikanische Privatwirtschaft eine reine »Cash-Wirtschaft« ist. Einen neuen Schub, vor allem aber einen positiven Imagegewinn, erhofft man sich von der Fußball-WM in Südafrika.

Doch erreicht diese Entwicklung die breite Masse der Bevölkerung? Wenn man nach Angola blickt, mag man seine Zweifel haben. Dem größten Erdölproduzenten des Kontinents, der mit Hochdruck immer neue Ölvorkommen erschließt, werden für das laufende Jahr 8,7 Prozent Wachstum vorausgesagt. Die Hauptstadt Luanda gilt inzwischen als teuerste Stadt der Welt. Die Mitarbeiter der internationalen Konzerne, die seit dem Ende des Bürgerkriegs 2002 in die Metropole strömen, zahlen für Büros, Wohnungen und Häuser nahezu jeden Preis. Die Mehrheit der fünf Millionen Einwohner der Stadt kann das nicht. Sie lebt in absoluter Armut, in erbärmlichen Quartieren oft ohne sauberes Wasser, Strom und Kanalisation. Jeder dritte Angolaner ist von ausländischen Nahrungsmittellieferungen abhängig. Die Menschenrechtsorganisation Human Right Watch beklagt, dass Milliarden US-Dollar aus dem Ölgeschäft an der Zentralbank vorbeigeschleust werden. Wohin das Geld verschwindet? Die angolanische Regierung ist nicht für ihre Transparenz bekannt. Nur soviel ist sicher, Präsident José Eduardo dos Santos zählt zu den reichsten Männern der Welt.

Bei dem Forum in Daressalam wurde nach Unternehmensformen gesucht, die Wachstum, soziale Aspekte und Umweltverträglichkeit am Besten vereinen. Erfahrungen mit traditionellen, solidarischen Wirtschaftsmodellen gibt es in Afrika reichlich. Und trotz aller Probleme kommt die Armutsbekämpfung südlich der Sahara offenbar zügiger voran, als angenommen. Zu diesem Schluss kommt eine jüngst veröffentlichte Studie der Ökonomen Xavier Sala-i-Martin und Maxim Pinkovskiy von der Columbia-Universität. Demnach sank die Zahl der Menschen mit weniger als einem Dollar am Tag von 1985 bis 2006 von 42 auf 32 Prozent. Gleichzeitig stieg das Pro-Kopf-Bruttoinlandsprodukt um etwa 20 Prozent -- trotz Bevölkerungswachstums. Damit steht der Bericht im Widerspruch zu jüngsten Verlautbarungen der Vereinten Nationen, wonach die Armutsbekämpfung südlich der Sahara kaum Fortschritte mache.

Der Bericht macht aber auch deutlich, dass es zuletzt wieder Rückschritte gegeben hat. So habe die Armut in der Demokratischen Republik Kongo weiter zugenommen. Gründe dafür seien der lange Krieg und die noch immer unsichere Lage im Osten des Landes.

Das Bevölkerungswachstum in vielen Regionen Afrikas wird von Experten auch als Katalysator für Wachstum und Entwicklung gesehen. Der deutsche Soziologe Gunnar Heinsohn dagegen sieht die demographische Entwicklung als eines der größten Risiken. Millionen junge Männer und Frauen stünden auf der Straße. Ohne Zukunftsperspektive, ohne Grundversorgung stecke in diesem »Youth Bulge« (Jugendüberschuss) ein gewaltiges Aggressionspotenzial, das sich über den ganzen Kontinent zu entladen drohe. Das hatte man auch in Daressalam verstanden. Ganz oben auf der Agenda stand die Frage, wie die Jugend in Beschäftigung gebracht bzw. in die Lage versetzt werden kann, eigene Unternehmen zu gründen.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Mai 2010


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