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Wahlkampf in Afghanistan

Die US-Regierung sucht nach einem gefügigeren Präsidenten

Von Knut Mellenthin *

In Afghanistan hat der Präsidentschaftswahlkampf begonnen. Nachdem über Nacht große Plakatträger aufgestellt worden waren, hielten die bedeutendsten der elf Kandidaten am Sonntag Auftaktveranstaltungen ab, die jeweils von mehreren hundert ihrer Anhänger besucht wurden. Gewählt wird am 5. April. Falls keiner der Konkurrenten mehr als 50 Prozent der Stimmen erreicht – und damit wird allgemein gerechnet –, wird ein zweiter Durchgang erforderlich. Es ist die erste Wahl, zu der der schon seit Dezember 2001 amtierende Hamid Karsai nicht mehr antreten darf. Beim ersten Mal wurde der jetzt 56jährige Paschtune noch von den Interventionsmächten ernannt. 2004 und 2009 wurde er durch Wahlen bestätigt, die allerdings nicht gerade über jeden Zweifel erhaben waren.

Insgesamt 27 Bewerber um das Amt des Staatsoberhaupts hatten sich bis zum Oktober 2013 gemeldet. Die Zentrale Wahlkommission ließ schließlich nur elf von ihnen zu. Ausschlußgründe waren unter anderem das Nichterreichen der nötigen Anzahl von unterstützenden Unterschriften, aber auch unzureichende Schulbildung und fehlende Personalpapiere.

Die internationale Aufmerksamkeit wird sich in den kommenden zwei Monaten darauf konzentrieren, ob ein von Karsai protegierter und ihm nahestehender Kandidat das Rennen macht oder ob die US-Regierung es schafft, einen ihr genehmen und auch wirklich lenkbaren Präsidenten in Kabul zu installieren. Mit Karsai haben die USA zunehmend Schwierigkeiten. Vor allem kritisiert er ihre Art der Kriegführung auf Kosten der Bevölkerung und verweigert bis heute seine Unterschrift unter ein schon im November 2013 geschlossenes Stationierungsabkommen. Die USA wollen bis mindestens 2024 rund 10000 Soldaten und mehr als ein halbes Dutzend großer Militärstützpunkte in Afghanistan behalten.

Karsai schickt jetzt seinen kaum ein Jahr älteren Bruder Quajum ins Rennen. Dieser lebte als Geschäftsmann in den USA, bevor er beschloß, Politiker in Afghanistan zu werden. Viele Korrup­tionsvorwürfe kleben dicht und kaum ablösbar an ihm. Auch im Drogengeschäft soll er alle zehn Finger haben. Letztlich ist nicht einmal auszuschließen, daß Washington sich mit ihm recht gut arrangieren könnte. Schon in der Vergangenheit gab es Überlegungen, seinen Bruder durch ihn ablösen zu lassen.

Als Präsidentschaftskandidat, der das Vertrauen von Hamid Karsai hat, gilt auch der seit Januar 2010 amtierende Außenminister Zalmai Rassoul, gleichfalls ein Paschtune. Derzeit ist er wegen seiner Kandidatur beurlaubt.

Die Unterstützung der US-Regierung wird sich vermutlich, wie schon in der Vergangenheit, auf Abdullah Abdullah konzentrieren. Sein seltsamer Name ist eine, vielleicht sarkastische, Reaktion auf die ständigen Nachfragen westlicher Journalisten, die sich nicht damit abfinden mochten, daß er – wie viele anderen Afghanen auch – nur einen einzigen Namen führte. Er entschied sich daraufhin irgendwann für die jetzige Form.

Abdullah war der vom Westen begünstigte Hauptgegner Karsais im Wahlkampf 2009. Nachdem der Amtsinhaber bei der Wahl am 20. August nur äußerst knapp die erforderliche absolute Mehrheit erreicht hatte, protestierte der mit 30,6 Prozent zweitplazierte Abdullah – sachlich zweifellos berechtigt – gegen die Wahlfälschungen, die ein großes Ausmaß angenommen hatten. Die US-Regierung zwang Karsai daraufhin mit Methoden, die ihn öffentlich demütigten und als deren Vollstrecker hauptsächlich der damalige Senator John Kerry agierte, eine zweite Wahlrunde auf. Sechs Tage, bevor diese am 7. November 2009 stattfinden sollte, zog Abdullah seine Kandidatur zurück. Angeblich, weil doch nur wieder mit massiven Betrügereien zu rechnen sei. Tatsächlich aber wohl eher, weil ihm klar war, daß er die Wahl auf keinen Fall gewinnen würde.

Am Sonnabend wurden in der westlichen Provinz Herat zwei Wahlhelfer Abdullahs von vorerst Unbekannten erschossen. Möglicherweise droht ein blutiger Wahlkampf.

* Aus: junge Welt, Dienstag, 4, Februar 2014


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