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Das Dilemma der Afghanistan-Helfer

Die Strategie der Bundesregierung für die Zeit nach dem Abzug vernachlässigt Zivilgesellschaft und Sicherheit

Von Roland Bunzenthal *

Die Bundesregierung hat jüngst ihre Afghanistan-Strategie [externer Link] für die Jahre 2014 bis 2017 vorgestellt – die Zeit nach dem Abzug der NATO. Aus entwicklungspolitischer Sicht bleiben viele Fragen offen.

Afghanistan steht wieder einmal vor einer Phase seiner Geschichte, die darüber entscheidet, ob das Land nach 35 Jahren Krieg endlich Frieden findet. Die Hürden auf diesem Weg sind hoch: Traumatisierte Kinder, arbeitslose Jugendliche, rivalisierende Stämme, schwache Sicherheitskräfte, korrupte Eliten, zerstörte Infrastruktur, blühender Drogenanbau als Machtbasis lokaler Warlords. Das sind einige der Probleme, mit denen das Land zu kämpfen hat.

Ende 2014 soll der Einsatz der Bundeswehr innerhalb der International Security Assistance Force (ISAF) endgültig beendet sein. Schon jetzt ist ein Großteil der 4400 deutschen Soldaten abgerückt. Unter anderem die von der Bundeswehr geschulte Nationale Polizei soll nun die Lücke schließen.

Zugleich hinterlässt der Abzug der Militärs eine wirtschaftliche Lücke, haben doch nicht nur die 700 angestellten Ortskräfte relativ gut von dem militärischen Engagement gelebt, auch Bauern, Händler und Handwerker bekamen über die Nachfrage nach ihren Gütern ein Stück von den acht Milliarden Euro ab, die der deutsche Einsatz in zwölf Jahren gekostet hat.

Von den Ortskräften sollen zehn Prozent akut und 30 Prozent latent durch möglich Racheakte der Taliban gefährdet sein, berichtete Brigadegeneral Michael Vetter dieser Tage auf einer Veranstaltung in Frankfurt am Main. Vetter ist für den logistischen Rückzug der Truppe zuständig. Während diese Afghanen auf Wunsch ein deutsches Visum erhalten könnten, soll der große Rest von ihnen am liebsten mit einer kleinen Abfindung als örtliche Existenzgründer im Lande verbleiben.

Ein weiteres Element der momentanen Unsicherheit sind die Anfang April anstehenden Wahlen. Gelten doch einige der Kandidaten für die Präsidentschaft als ausgesprochen zweifelhafte Warlords und Milizenführer, die in manchen Regionen selbst ein Sicherheitsproblem darstellen.

In dieser Situation hat das von Gerd Müller (CSU) geführte Entwicklungsministerium (BMZ) eine neue Länderstrategie für Afghanistan erarbeitet. Neu sind dabei weniger die auch bisher schon so gesetzten Schwerpunkte der Zusammenarbeit. Neu ist eher die strikte Konditionierung der Hilfe, die an politische Fortschritte im Land geknüpft wird. So sollen die vorgesehenen 430 Millionen Euro pro Jahr aus Deutschland nur dann in vollem Umfang fließen, wenn die staatlichen Stellen einigermaßen effizient und korruptionsfrei funktionieren, also dem Kriterium der sogenannten Good Governance, der guten Regierungsführung, entsprechen. Ebenfalls als politisches Exit-Kriterium gilt die Einhaltung der Menschen- und insbesondere der Frauenrechte. Ein Verstoß dagegen wird mit Hilfsentzug bestraft. Dies machte Entwicklungsminister Gerd Müller in Berlin noch einmal der afghanischen Delegation unter Leitung von Finanzminister Omar Zakhilwal deutlich. Gegenüber der deutschen Öffentlichkeit rückte er eher das bisher schon Erreichte in den Vordergrund. Mittlerweile gebe es zum Beispiel neun Millionen Schüler, 40 Prozent davon Mädchen, 80 Prozent der Afghanen hätten inzwischen Zugang zu medizinischer Versorgung.

In Kabul zeige sich bereits ein Wiederaufbauboom und die Bodenschätze des Landes lockten bereits Investoren. Mit deutscher Hilfe hätten sich erste Bauerngruppen zu MilchKooperativen zusammengeschlossen.

Brigadegeneral Vetter betonte, auch die Sicherheit sei in 110 der 120 Distrikte nicht gefährdet. Insgesamt fünf Schwerpunktsektoren der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) listet das Strategiepapier des Ministeriums auf: Hilfe zu einer guten Regierungsführung, Versorgung mit Energie und Trinkwasser und Beschäftigungsförderung sowie Bildung. Zudem sollen »Mechanismen der Friedensentwicklung« unterstützt werden. Das Dilemma besteht in der Drohung mit Abzug der Hilfe, falls die neue Regierung nicht auf Entwicklungs- und Friedenskurs bleibt. Denn die internationale Staatengemeinschaft hat Afghanistan zugesichert, den Wiederaufbau und die nachhaltige Entwicklung des Landes mindestens bis 2024 zu unterstützen.

Auch Müller betont die »Verlässlichkeit« der deutschen Präsenz, verweist aber im gleichen Atemzug auf die noch immer sehr schwach ausgeprägte staatliche Verwaltung in Kabul. Der Einsatz der rund 200 deutschen Experten und Entwicklungshelfer hängt aber auch von der Einhaltung ihrer persönlichen Sicherheit ab, für die die einheimischen Polizei- und Armee-Einheiten nun die alleinige Verantwortung tragen. Nicht zuletzt deshalb will Müller das deutsche Engagement auf die Nordprovinz konzentrieren. Hier glaubt man, die Sicherheitslage einigermaßen zu kennen. Geplant sind deshalb auch keine Großprojekte, die deutsches Personal und Kapital zu langfristig binden würden. Peter Palesch, zuständig für Afghanistan bei der Deutschen Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit, sieht vor allem die ländliche Entwicklung als Aufgabe. Dort müssten Jobs geschaffen werden durch kleine Geschäfte wie zum Beispiel Kfz-Werkstätten oder eine Hühnerzucht. Zudem könnte in der Landwirtschaft die Milchproduktion angekurbelt werden. »Es passiert etwas in Afghanistan«, betont Palesch, »wir müssen die unterstützen, die etwas verändern wollen«. Aber letzten Endes »können wir nur Erfolg haben, wenn wir selbst die Unterstützung der Bevölkerung genießen«. An diesem Punkt setzt die Kritik des grünen Entwicklungspolitikers Uwe Keckeritz. an: In der neuen Afghanistan-Strategie vernachlässige Bundesminister Müller die Zivilgesellschaft, ohne die fehle aber eine breite Akzeptanz in der Bevölkerung. »Die wichtigen deutschen Entwicklungsorganisationen haben angekündigt, unabhängig von der Militärpräsenz tätig bleiben zu wollen. Kooperationen mit dem Militär lehnen sie nach wie vor ab«, führt Keckeritz aus und zieht seine Schlüsse: »Wir erwarten hier ein konkretes Konzept und verschiedene Szenarien, wie nach 2014 die Arbeit fortgesetzt werden kann. Die neue Afghanistanstrategie hat dazu leider wenig zu bieten.«

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 18. März 2014

Hier geht es zum Dokument [externer Link]:

Verlässliche Partnerschaft in Zeiten des Umbruchs
Neue entwicklungspolitische Strategie für die Zusammenarbeit mit Afghanistan im Zeitraum 2014–2017. Verantwortlich: BMZ Referat 404 (Afghanistan, Pakistan) [ENTWURF, 3. März 2014]



Afghanistans unsichere Perspektiven

Martin Ling über die Tücken des Rohstoffreichtums **

Sie stehen im Zentrum der Interessen des Nordens: Afghanistans Rohstoffe. Laut einer US-Studie beläuft sich der Wert der noch unerschlossenen Rohstoffe auf eine Billion Dollar, laut Schätzungen der afghanischen Regierung sogar auf drei Billionen Dollar.

Was sich nach einer verlockenden Entwicklungsperspektive für Afghanistan anhört, birgt gewaltige Sprengkraft in sich: Kaum ein rohstoffreiches Entwicklungsland in der Welt vermochte bisher, seinen Rohstoffreichtum zum Wohle der allgemeinen Bevölkerung umzumünzen. Dieses Phänomen wird als Ressourcenparadoxon beschrieben und besagt, dass ausgerechnet die Länder mit großen Vorkommen an Rohstoffen in der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung häufig besonders schlecht abschneiden.

Im Norden wird das meist mit dem Verweis auf die schlechte Regierungsführung im Süden begründet. Das aber ist nur eine Seite der Medaille, die andere sind die rohstoffimportierenden Industrieländer, die sich keinen Deut um die Bedingungen in den Abbaugebieten kümmern: Arbeitsstandards, soziale Standards – egal, Hauptsache, die Rohstoffe sind billig zu kriegen.

Afghanistan hat viel zu bieten: Neben Erdgas, Öl, Kohle auch reiche Vorräte an Kupfer, Eisenerz, Gold, Edelsteinen und seltenen Erden. Stand jetzt spricht nichts dafür, dass es ausgerechnet in Afghanistan gelingt, das Ressourcenparadoxon zu durchbrechen. Denn eine Entwicklungspolitik, die die Bedürfnisse der ländlichen Bevölkerung und der betroffenen Menschen in den Mittelpunkt stellt, ist nicht zu erkennen. Das ist ganz offensichtlich weder die Priorität der afghanischen Regierung noch der Geberstaaten aus dem Norden. Auch im Strategiepapier der Bundesregierung bleibt das ausgespart.

** Aus: neues deutschland, Dienstag, 18. März 2014 (Kommentar)


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