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In den Untergang

Vor 25 Jahren verließ die Rote Armee Afghanistan

Von Lothar Schröter *

Die Brücke der Freundschaft über dem Grenzfluß Amudarja zwischen Afghanistan und der UdSSR beim usbekischen Termes am 15. Februar 1989. Als letzter sowjetischer Militär verläßt der Befehlshaber der 40. Armee, Generalleutnant Boris W. Gromow, Afghanistan. Eine militärische, mehr noch eine politische Katastrophe für die sozialistische Supermacht erreicht ihr Finale furioso. Mit welthistorischen Konsequenzen.

Alles hatte am 12. Dezember 1979 begonnen: Das Politbüro des Zentralkomitees der KPdSU fällt die Entscheidung für den Einmarsch von Streitkräften der UdSSR nach Afghanistan. Die Hauptinitiatoren waren Verteidigungsminister Dmitri F. Ustinow, Außenminister Andrei A. Gromyko und der Vorsitzende des Komitees für Staatssicherheit (KGB) Juri W. Andropow. Das Votum mit dem Kürzel »P 176/125« steht jedoch erst am Ende monatelanger interner Debatten. Zunächst hatten sich unter anderem Gromyko und Andropow gegen die militärischen Maßnahmen gewandt. Auch KPdSU-Generalsekretär Leonid I. Breshnew war skeptisch. Größte Bedenken äußerte der Generalstab, insbesondere sein Chef, Marschall der Sowjetunion Nikolai W. Ogarkow, und seine Ersten Stellvertreter, Marschall der Sowjetunion Sergei F. Achromejew und Armeegeneral Walentin I. Warennikow, zugleich Chef der Operativen Hauptverwaltung des Generalstabs. Der entschiedenste Gegner war (und blieb) Ministerpräsident Alexei N. Kossygin. Das internationale Renommée der Sowjetunion werde beschädigt und Moskau auf Ablehnung in der Dritten Welt und sogar bei den eigenen Verbündeten stoßen.

Konfrontation des Westens

Die Intervention war völkerrechtlich formell legitim, da es seit 5. Dezember 1978 einen Freundschafts- und Beistandsvertrag zwischen Afghanistan und der Sowjetunion gab. Außerdem existierte eine Bedrohung von außen, insbesondere durch Rebellenstützpunkte in Pakistan und im Iran, wofür auf Artikel 51 der UN-Charta mit seinem verbrieften Recht der individuellen und kollektiven Selbstverteidigung rekurriert werden konnte.

Am 24. Dezember unterzeichneten Ustinow und Ogarkow die Einsatzdirektive. Einen Tag später begann die Intervention. Bis 1. Januar 1980 erreichte die sowjetische Truppenstärke 30000 bis 40000 Mann – das ist das ursprünglich überhaupt erwogene Maximum –, die sich Mitte der 1980er Jahre auf 110000 erhöhte. Am Ende waren 620000 im Einsatz: 525000 der regulären Streitkräfte, 90000 des KGB sowie 5000 des Innenministeriums.

Ausschlaggebend für das sowjetische Eingreifen sind globalstrategische Aspekte. Zum einen registriert Moskau den Abschwung der politischen Entspannung der 70er Jahre und das Ausbleiben wirksamer Schritte der militärischen Abrüstung. Immer deutlicher zeichnet sich der erneute Übergang des Westens zur Konfrontationspolitik ab. Besonders ablesbar ist das am »Raketenbeschluß« des NATO-Ministerrats vom 12. Dezember 1979: Stationierung neuer nuklearer Mittelstreckenwaffen strategischer Bestimmung in Westeuropa.

Dazu bestand die Befürchtung eines militärischen Angriffs der USA auf den Iran – also an der sowjetischen Südflanke. Zudem existierten Hinweise, daß sich die afghanische Führung mittelfristig auf die USA als strategischen Partner orientieren, somit die westliche Hegemonialmacht sich dort militärisch festsetzen und eine neue Front gegen die UdSSR eröffnen könnte. Außerdem ängstigte Moskau ein Überschwappen des Islamismus auf die angrenzenden Sowjetrepubliken. Washington könnte so Zugriff auf die riesigen Rohstoff- und insbesondere auf die Erdölquellen im Süden des Landes erhalten. Außerdem war die afghanische Führung für ihr Gesellschaftsmodell und den eigenen Machterhalt zu Terror gegen Teile der eigenen Bevölkerung übergegangen. Das destabilisierte die Lage in bedrohlichem Maße. Schließlich verzeichnete man immer deutlicher eine Annäherung des mit Moskau entzweiten China an die USA – ein Horrorszenario gerade für die mittelasiatische Region.

Aufgabe des sowjetischen Truppenkontingents war es, die gesellschaftlichen Veränderungen seit der Machtübernahme der linksorientierten Demokratischen Volkspartei Afghanistans (DVPA) am 27. April 1978 (Saur-Revolution) gegen einen wachsenden bewaffneten Widerstand abzusichern. Eine Befriedung des Landes würde binnen Jahresfrist gelingen, wobei die sowjetischen Truppen nur durch ihre bloße Anwesenheit wirken sollten.

Innere Labilität der UdSSR

Es kam ganz anders. Die UdSSR verstrickte sich in einen nicht zu gewinnenden Guerillakrieg. Etwa 150000 Kämpfer von rund 30 sogenannten Mudschaheddingruppen standen der sowjetischen Militärmacht und den afghanischen Regierungstruppen gegenüber. Sie erhielten Hilfe von mindestens 35000 muslimischen Freiwilligen aus 43 islamischen Ländern. Obwohl damals offiziell geleugnet, wurde die innere bewaffnete Opposition in Afghanistan massiv von Washington unterstützt. Erst nach dem Ende des Kalten Krieges gestehen die USA ein, daß sie ihrem Hauptgegner ein »eigenes Vietnam« bereiten wollten. Das mit Erfolg. Schätzungen belaufen sich auf drei Milliarden Dollar, die in den ersten zehn Jahren des Krieges den Aufständischen zuflossen.

Am Ende bezahlten 13887 Sowjetsoldaten ihren Afghanistan-Einsatz mit dem Leben, knapp 54000 werden verwundet, Zigtausende traumatisiert. Zur traurigen Bilanz gehören aber auch mindestens 200000 Tote unter der Zivilbevölkerung und zwei Millionen Flüchtlinge. Verhandlungen mündeten am 14. April 1988 im Genfer Abkommen zwischen Afghanistan, Pakistan, der Sowjetunion und den USA. Während Washington und Islamabad das Abkommen unterliefen, begann die UdSSR vertragsgetreu am 15. Mai 1988 mit der Rückführung ihrer Streitkräfte, die am 15. Februar 1989 zum Abschluß kam. Afghanistan versank danach erst recht im Bürgerkrieg, der sich mit der Eroberung Kabuls durch die Aufständischen am 28. April 1992 entschied. Am 7. Oktober 2001 begannen die USA, unterstützt von Großbritannien, einen Angriffskrieg, der zur Besetzung des gesamten Landes und zur Installierung willfähriger Regierungen führte – die nunmehrigen Interventen stürzten in ihr Debakel.

Für die UdSSR bedeutete das militärische Eingreifen in Afghanistan eine der schwersten Belastungen der inneren Stabilität in ihrer gesamten Geschichte. Das fiel mit gravierenden strukturellen Defiziten des realsozialistischen Systems, fundamentalen Fehlentscheidungen der politischen Führung auf vielen Gebieten, dem zunehmenden politischen, wirtschaftlichen und militärischen Druck seitens der USA und ihrer Verbündeten, aber auch mit Verrat in den eigenen Reihen – so schätzt es Exministerpräsident Nikolai I. Ryschkow ein – zusammen. Das Ende ist die Auflösung der UdSSR am 21. Dezember 1991, der Zerfall der seit Zar Peter I. bestehenden multinationalen russischen respektive sowjetischen Groß- bzw. Weltmacht, der Rückfall ihrer bisherigen Bestandteile in den Kapitalismus und der Untergang des Realsozialismus in Europa.

* Aus: junge Welt, Samstag, 15. Februar 2014

KGB erschießt Afghanistans Präsidenten Hafizullah Amin

Am 25.Dezember 1979, 15 Uhr Moskauer Zeit, erging der Einsatzbefehl für die Operation »Sturm – 333«. Die 103. Gardeluftlandedivision begann in 150 Transportflugzeugen mit einer massiven Luftlandung, die zunächst auf die Hauptstadt Kabul und auf Bagram mit seinem großen Luftwaffenstützpunkt zielte. Bis zum 27. Dezember werden an die 7000 Soldaten eingeflogen. Zum Zeitpunkt des Eingreifens befanden sich bereits 4000 sowjetische Militärberater und 1000 Mann an Kampftruppen im Land.

Bei der Einnahme seines Palastes am 27. Dezember 1979 wurde Präsident Hafizullah Amin, dem Moskau mißtraute, erschossen. Das geschah durch die Spezialeinheiten »Grom« und »Zenit« des KGB und der bataillonsstarken 154. Spezialeinheit der Hauptverwaltung Aufklärung des Generalstabs in einem beiderseits verlustreichen Kampf. Am Tag darauf wird Babrak Karmal Generalsekretär des ZK der Demokratischen Volkspartei Afghanistan, Präsident und Ministerpräsident. Er erneuert die Aufforderung an Moskau, seinem Land umfassende, auch militärische Hilfe zu gewähren.





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