Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Washington bestimmt, wer in Kabul regiert

In Afghanistan ist der Wahlkampf um die Präsidentschaft entbrannt, aber die Bevölkerung bleibt skeptisch

Von Emran Feroz, Kabul *

Die Präsidentschaftswahl am 5. April in Afghanistan wirft ihre Schatten voraus. Die Taliban haben zu Angriffen auf Wähler, Wahllokale und Wahlhelfer aufgerufen. In Kabul tobt trotzdem der Wahlkampf.

Wer durch die Straßen der afghanischen Hauptstadt geht, merkt, dass Wahlkampfstimmung herrscht. In jeder Ecke hängen Plakate der Präsidentschaftskandidaten, mal klein und unscheinbar, mal überdimensional groß. Es sind markante Gesichter, meist Bartträger mit traditioneller afghanischer Kleidung oder westlich aussehende Anzugträger. Die meisten von ihnen sind Warlords, die sich in den 90er Jahren einen Namen machten, Kriegsverbrecher, die das Blut zahlreicher Zivilisten an ihren Händen haben und stets von ihren eigenen, immer gewaltbereiten Milizen begleitet werden. Als die NATO-Truppen 2001 ins Land einmarschierten, verbündete man sich mit ihnen im Kampf gegen die Taliban. Seitdem besetzen die Kriegsfürsten hohe Regierungsposten und bereichern sich persönlich. Die unzähligen Plakate können sie sich leisten, während der Großteil der Bevölkerung hungert.

Bezüglich der Wahlen herrscht Skepsis in der Bevölkerung. Die meisten Menschen wünschen sich wirtschaftliche Fortschritte und vor allem Frieden. Dass diese Dinge jedoch wirklich eintreten werden, bezweifeln viele. Vor allem vom lange ersehnten Frieden fehlt jede Spur. Die Sicherheitssituation hat sich in den vergangenen Jahren und Monaten permanent verschlechtert. Die Angriffe der Aufständischen haben auch jene Hauptstadtviertel erreicht, die als sicher galten. Soldaten patrouillieren vor allem in Gegenden, in denen sich viele Ausländer und reiche Afghanen aufhalten. Kein Wunder, die stetige Gefahr ist vor allem ein Grund zur Sorge für die elitäre Bevölkerung Kabuls. Für den einfachen »Kabuli«, der Schuhe putzt oder Obst verkauft und tagtäglich »wie ein Esel schuftet« – wie man im Afghanischen sagen würde – ist die Todesgefahr Alltag.

Kabuls staubige Straßen sind geprägt von solchen »einfachen« Menschen. Tagein, tagaus gehen sie ihrer Arbeit nach. »Irgendwie muss es ja weitergehen«, denken die meisten von ihnen. Mit dieser Einstellung sind die letzten dreißig Jahre vergangen. Der Großteil der Bevölkerung hält nicht viel von Politik, zu groß sind die täglichen Sorgen, sprich, der Kampf, die eigene Familie zu ernähren. Nichtsdestoweniger scheinen die politischen Gestalten des letzten, ja sogar des vorletzten Jahrhunderts immer noch allgegenwärtig zu sein. An zahlreichen Autofensterscheiben kann man die Porträts afghanischer Könige, Politiker und anderer historischer Persönlichkeiten sehen.

Besonders beliebt scheint Mohammad Nadschibullah Ahmadzai, kurz Nadschib, zu sein, der letzte von den Sowjets eingesetzte Präsident des Landes. 1996 wurde er von den Taliban hingerichtet. Nadschib war ein charismatischer Mann, dessen rhetorische Fähigkeiten die der meisten anderen Politiker Afghanistans in den Schatten stellten. Er propagierte stets Einigkeit unter den verschiedenen Volksgruppen und schwärmte von einer friedlichen Zukunft. Vor seiner Präsidentschaft sah das jedoch anders aus. Als Chef des Geheimdiensts KHAD folterte er Hunderte von Gefangenen persönlich. Mehrere tausend Afghanen – die genaue Zahl wird wohl niemals ans Licht kommen – fanden durch den KHAD auf grausame Weise den Tod. Dass Nadschib dabei eine führende Rolle spielte, wird von zahlreichen Afghanen bis heute verdrängt.

Wer jedoch auf die törichte Idee kommt, dies einem seiner immer noch zahlreich vorhandenen Anhänger zu sagen, sollte gewarnt sein. In solch einem Fall könnte es schnell zu gewalttätigen Ausschreitungen in Form von Ohrfeigen kommen. Auf historische Fakten achtet niemand. Jeder hat seine vermeintlichen Helden, die er bis zum Letzten verteidigt, sei es Nadschib oder irgendeiner von den zahlreichen Kriegsfürsten.

Die Einzigen, die unbeliebt zu sein scheinen, sind Präsident Hamid Karsai und die Taliban. Ersterer versucht in letzter Zeit, seinen Namen für zukünftige Geschichtsbücher reinzuwaschen, indem er permanent die US-Besatzung kritisiert und sich weigert, das Sicherheitsabkommen mit den US-Amerikanern zu unterschreiben. Diese Strategie ist bis jetzt aufgegangen. Obwohl man im Weißen Haus in Washington erbost ist, wird allem Anschein nach erst Karsais Nachfolger dem Vertrag zustimmen, der laut dem afghanischen Publizisten Ahmad Waheed Mozhdah Afghanistan praktisch zu einer »US-Kolonie« macht. »Karsais Nachfolger wird den Vertrag unterschreiben. Der Krieg wird wie gewohnt weitergehen. An einer friedlichen Lösung ist man nicht interessiert«, sagt Mozhdah.

Als Beobachter der afghanischen Politik schaut man pessimistisch in die Zukunft. Der einfache Afghane, der vom weltpolitischen Geschehen kaum Kenntnis nimmt, lässt sich immerhin zu der Aussage verleiten, dass »ohnehin in Washington bestimmt wird, wer in Kabul regiert«.

Auf die Frage, warum so viele Kriegsverbrecher trotzdem von den jeweils verschiedenen Volksgruppen akzeptiert werden, hört man nicht selten Antworten wie »Afghanen vergessen schnell« oder »Hier regiert nun mal der Mann mit der Kalaschnikow, wir sind doch nicht in Europa.«

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 13. März 2014


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur Afghanistan-Seite (Beiträge vor 2014)

Zurück zur Homepage