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Krieg als notwendiges Übel

Die evangelische Kirche und ihre Stellungnahme zum Afghanistan-Einsatz

Von Horsta Krum *

Selig sind die Friedfertigen« – unter diesem biblischen Zitat hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) diese Woche eine Stellungnahme zum Einsatz der Bundeswehr in Afghanistan veröffentlicht, in der sie nach ethischen Kriterien für einen »gerechten Frieden« fragt.

Wie sonst auch, arrangiert sich die EKG mit den Mächtigen. Krieg wird beispielsweise als »militärische Friedensmission« bezeichnet. Zwar zieht das Papier eine realistische Bilanz der Situation in Afghanistan und schildert ungeschönt die katastrophalen Zustände, unter denen die Zivilbevölkerung leidet. Aber immer wieder wird diese Bestandsaufnahme relativiert. Die Verantwortlichen werden damit entlastet. Daß es in manchen Detailfragen Differenzen unter den Autoren gibt, ändert nichts am Grundkonsens, »daß ein militärisches Eingreifen zur Erhaltung oder Aufrechterhaltung einer Rechtsordnung (...) möglich« ist. Ungeachtet der Realität von Brüchen des Völkerrechts sowohl beim Afghanistan-Einsatz als auch in anderen Kriegen, an denen sich die Bundesrepublik beteiligt, zeigt sich die EKD zuversichtlich, daß in Zukunft militärische Gewalt »an hohe rechtliche Schranken und verläßliche völkerrechtliche Verfahrensregeln« gebunden sein wird.

Und der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider demonstrierte im Deutschlandfunk-Interview am Montag in aller Deutlichkeit, daß die Regierenden von seiner Institution auch in Zukunft kein ernsthaftes Veto befürchen müssen, wenn Deutschland weiterhin Kriege führt. Wie weiland Außenminister Joseph Fischer (Grüne) bei der Intervention in Jugoslawien, bemühte er das Wüten der deutschen Faschisten als Begründung dafür, daß militärische Gewalt manchmal »die Ultima ratio« sein müsse, die somit auch »eine relative Legitimität« habe.

Mit Blick auf den von einem Bundeswehroberst befohlenen Bombereinsatz am 4. September 2009 bei Kundus räumte Schneider ein, es hätten sich während des Afghanistan-Einsatzes »Konstellationen ergeben«, die »dann sehr gewaltförmig waren«. In der »Kammer für öffentliche Verantwortung«, in der die Schrift erarbeitet wurde, habe es verschiedene Positionen gegeben, darunter auch solche, denen zufolge solche Vorkommnisse »gerade noch zu rechtfertigen« seien. Nach Einschätzung Schneiders hat die Bundeswehr insgesamt »Voraussetzungen verbessert, daß Frieden geschaffen werden kann«. Gleichwohl ist ihm bewußt, daß Krieg »mit den Worten Jesu« nicht zu rechtfertigen ist. Aber die heutige Welt sei eben »noch nicht das Reich Gottes«. Will der Theologe Schneider damit suggerieren, Jesus habe seinerzeit in einer weniger gewalttätigen, ungerechten und konfliktbeladenen Welt gelebt als wir? Oder meint er, der Gottessohn sei eben zu naiv gewesen?

Papst Franziskus sagte vor zwei Monaten in aller Deutlichkeit: »Diese Wirtschaft tötet.« Er meinte explizit den Kapitalismus. Die deutsche evangelische Kirche beruft sich auf den mutigen Martin Luther. Warum kann sie nicht sagen: Krieg tötet, und die Überlebenden schädigt er in nicht zu rechtfertigender Weise? Sie kann es nicht, solange die enge personelle und strukturelle Verflechtung von Kirche und Staat in der Bundesrepublik weiter besteht, solange die Kirche finanziell vom Staat anhängig ist und dies auch nicht anders will. So lange werden wir vergebens auf ihr klares Nein zum Krieg warten.

* Die Autorin ist Pfarrerin im Ruhestand und langjähriges Mitglied der Christlichen Friedenskonferenz.

Aus: junge Welt, Samstag, 1. Februar 2014


Die Stellungnahme zum Herunterladen:

"Selig sind die Friedfertigen" [pdf, externer Link]

Zitat aus der Schlussbemerkung der Stellungnahme:

"Ein Teil der Kammer sieht durch die Situation in Afghanistan die Prinzipien und Kriterien der Friedensdenkschrift bestätigt und bewertet die friedensethische Legitimität des Einsatzes trotz gegebener völkerrechtlicher Mandatierung sehr kritisch. Es würden zum Teil erhebliche Diskrepanzen gegenüber den in der Denkschrift formulierten Bedingungen für internationale bewaffnete Friedensmissionen sichtbar. Die zivilen Anstrengungen seien nicht Teil eines konsistenten friedenspolitischen und strategischen Gesamtkonzepts gewesen.

Ein anderer Teil der Kammer betont die Legitimität des Einsatzes unter dem Gesichtspunkt, dass die ursprüngliche Interventionsentscheidung durch nicht erkennbare Faktoren und Entwicklungen im laufenden Einsatz zu zuvor unvorhergesehenen und ungewollten Gewaltmaßnahmen gezwungen habe. Die beträchtlichen zivilen Anstrengungen seien in der öffentlichen Darstellung und Wahrnehmung nicht angemessen gewürdigt worden. Es sei geboten, nicht die Prinzipien, wohl aber die auf einzelne Handlungssituationen bezogenen Kriterien der Friedensdenkschrift weiterzuentwickeln.

(Ziffer 55 der Stellungnahme "Selig sind die Friedfertigen")



"Nachhaltige Friedenspolitik dringend gebraucht"

EKD-Kammer veröffentlicht Stellungnahme zum Einsatz in Afghanistan

(Pressemitteilung der EKD) 27. Januar 2014

Die Kammer für Öffentliche Verantwortung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat eine Stellungnahme zur Friedensethik veröffentlicht. Der Text trägt den Titel „,Selig sind die Friedfertigen‘ – Der Einsatz in Afghanistan: Aufgaben evangelischer Friedensethik.“

Bei der Vorstellung des Textes am heutigen Montag in Berlin sagte der Vorsitzende des Rates der EKD, Nikolaus Schneider: „Der Ruf zum Frieden und der Einsatz für den Frieden gehören zum Kern des kirchlichen Auftrags.“ In dem neuen Text, so der Ratsvorsitzende, gehe es um eine „kritische und konstruktive Reflexion des Afghanistan-Einsatzes“ und darüber hinaus um eine „friedensethische und friedenspolitische Aufgabenbeschreibung und Orientierung für die Zukunft.“

Diese Überlegungen seien sehr nötig, denn, so Schneider weiter: „Der Einsatz deutscher Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan hat uns neu deutlich gemacht, welche gesellschaftlichen und menschlichen Folgelasten mit militärischen Einsätzen verbunden sind: Tod und Verwundung, traumatisierte Soldatinnen und Soldaten und langfristige Prozesse der Vernarbung in den Biographien der Einzelnen, der Familien und der Gemeinschaften.“

Der Ratsvorsitzende erinnerte an die besonderen Gedenktage des Beginns beider Weltkriege im Jahre 2014: „Vor 100 Jahren begann der Erste Weltkrieg, vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg. Unsere Welt ist seitdem nicht friedlicher geworden, wenn wir an den Bürgerkrieg in Syrien oder an die aktuellen kriegerischen Auseinandersetzungen in Afrika denken. Wir sind davon überzeugt: Die friedensstiftende Kraft des Evangeliums von Jesus Christus wird auch heute für eine nachhaltige Friedenspolitik dringend gebraucht.“

Schneider dankte der Kammer für Öffentliche Verantwortung für die Ausarbeitung der Stellungnahme. Das Ergebnis nähre „grundsätzlichen Zweifel“, dass mit militärischer Gewalt der Weg zu einem ,Gerechten Frieden‘ gebahnt werden könne.

Auch der Vorsitzende der Kammer für Öffentliche Verantwortung, Hans-Jürgen Papier, gab seiner Überzeugung Ausdruck, dass der Einsatz in Afghanistan „gravierende Defizite“ zeige. Die „Förderung von Sicherheit, Entwicklung und Rechtsstaatlichkeit“ sei trotz großer und anerkennenswerter Anstrengungen“ nur unzureichend gelungen. „Ein friedens- und sicherheitspolitisches Gesamtkonzept unter dem Primat des Zivilen hat weitgehend gefehlt. Die enge Verknüpfung des ISAF-Mandates mit der von den US-Amerikanern als Teil des ,War on Terror‘ geführten ,Operation Enduring Freedom (OEF)‘ hat die Glaubwürdigkeit der Friedens- und Unterstützungsmission ISAF erheblich beeinträchtigt“, so Papier.

Zudem, so der Kammervorsitzende weiter, habe es an „Exit-Strategien“ gefehlt, die schon vom Beginn eines Einsatzes an hätten entwickelt werden müssen. „Deutschland muss in besonderer Weise für die weitere Entwicklung in Afghanistan Verantwortung übernehmen, besonders auch im Hinblick auf nach dem Abzug gefährdete afghanische Partner der Bundeswehr“, sagte Papier, und: „Der Auf- und Ausbau rechtsstaatlicher Strukturen braucht verstärktes Augenmerk und Anknüpfung an lokale Rechtstraditionen und Institutionen.“ Außerdem forderte der Kammervorsitzende eine breite gesellschaftliche Debatte über die Entwicklung und den Einsatz der „Drohnen“-Technologie, insbesondere im Hinblick auf die Praxis der „gezielten Tötungen“.

Schließlich, so Papier abschließend: „Militäreinsätze müssen von Beginn an durch Evaluation begleitet sein. Gegen die Eigendynamik und Zwangsläufigkeit militärischer Gewalt müssen Einsätze Gegenstand politischer Lernprozesse und Fehleranalyse sein.“

Hintergrundinformation

Auftrag des Rates der EKD an die Kammer für Öffentliche Verantwortung war es, das in der Friedensdenkschrift der EKD von 2007 formulierte Leitbild des „Gerechten Friedens“ zu den Erfahrungen des Einsatzes in Afghanistan in Beziehung zu setzen. Theologen, Militärs, Juristen und Sozialwissenschaftler haben im Kreis der Kammer über zwei Jahre hinweg an dieser Frage gearbeitet.

Die EKD-Denkschrift von 2007 („Aus Gottes Frieden leben - für gerechten Frieden sorgen“) hatte das Leitbild des „Gerechten Friedens“ in folgenden Maximen entwickelt: Recht stiftet Frieden; wer den Frieden will, muss den Frieden vorbereiten; der „Gerechte Friede“ ist ausgerichtet am vorrangigen Paradigma der Gewaltlosigkeit; Friede ist ausgerichtet an menschlicher Sicherheit und menschlicher Entwicklung; militärische Gewalt hat als „rechtserhaltende Gewalt“ ihren ausschließlichen Ort als „ultima ratio“, legitimiert durch ein Mandat der internationalen Gemeinschaft oder im Fall Selbstverteidigung.

Wird der Einsatz in Afghanistan an diesem Leitbild gemessen, so ein Ergebnis des Textes der Kammer, erkenne man große und anerkennenswerte Anstrengungen der internationalen Gemeinschaft, aber auch gravierende Defizite. Es habe an einem politischen und strategischen Rahmenkonzept gefehlt. Wesentliche Zielvorgaben des Gerechten Friedens, wie die Förderung von Sicherheit, Entwicklung und Rechtsstaatlichkeit würden der Logik der militärischen Mittel untergeordnet.

„,Selig sind die Friedfertigen‘ – Der Einsatz in Afghanistan: Aufgaben evangelischer Friedensethik.“ erscheint als „EKD-Texte 116“. Der Text hat 60 Seiten und kann zum Stückpreis von 0,90 € über das Kirchenamt der EKD bezogen werden - Herrenhäuser Str. 12, 30419 Hannover -, Fax (0511) 2796-457 oder E-Mail: versand@ekd.de und steht im Internet zum Download bereit: http://www.ekd.de/friedensethik


Hannover/Berlin, 27. Januar 2013

Pressestelle der EKD
Reinhard Mawick


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