Wulff fordert Dank für Kriegseinsatz
Bundespräsident bei deutschen Soldaten in Afghanistan *
Fast zehn Jahre ist die Bundeswehr
bereits in Afghanistan, in Deutschland
wachsen die Zweifel an dem Krieg.
Bei seinem ersten Truppenbesuch am
Hindukusch forderte Bundespräsident
Wulff mehr gesellschaftliche Unterstützung
für den Einsatz.
Bei seinem ersten Truppenbesuch
am Hindukusch hat Bundespräsident
Christian Wulff den deutschen
Soldaten und Polizisten in
Afghanistan demonstrativ den Rücken
gestärkt. »Die deutsche Gesellschaft
sollte Danke sagen und
sich bewusst sein, was hier geleistet
wird«, sagte Wulff am Montag
im Bundeswehr-Standort in
Masar-i-Scharif.
Mit der Besichtigung eines Polizei-
Ausbildungszentrums in Masar-
i-Scharif setzte der Bundespräsident
seinen am Sonntag begonnenen
Besuch fort. Ziel aller
militärischen und zivilen Anstrengungen
müsse sein, »dass die
Afghanen ihre Zukunft selbst in die
Hand nehmen«, erklärte Wulff. Bis
Ende 2014 sollen die afghanischen
Sicherheitskräfte im ganzen Land
die Verantwortung von der NATO
übernehmen. Als eine der wichtigsten
Aufgaben gilt daher der
Aufbau von Armee und Polizei.
Deutschland ist maßgeblich an der
Polizeiausbildung beteiligt.
Im Regionalkommando Nord
der internationalen Truppe ISAF
in Masar-i-Scharif, das von der
Bundeswehr geführt wird, traf
Wulff auch mit US-Soldaten zusammen.
»Es was mir ein Bedürfnis,
den Amerikanern zu danken«,
sagte er. »Viele deutsche Soldaten
haben mir berichtet, dass sie nur
deshalb noch leben, weil sie amerikanische
Hubschrauber unter
Beschuss aus Gefechtssituationen
herausgeflogen haben.«
Wulff war bei seinem Staatsbesuch
am Sonntag (16. Oktin Kabul mit
Präsident Hamid Karsai
zusammengetroffen.
Dort hatte er Afghanistan
deutsche Unterstützung
auch nach dem für 2014 geplanten
Abzug der internationalen Kampftruppen
zugesagt.
Der Bundespräsident wird von
Bundeswehr-Generalinspekteur
Volker Wieker begleitet. In Afghanistan
sind derzeit rund 5000
deutsche Soldaten stationiert. Mit
dem Abzug der Bundeswehr soll
Ende dieses Jahres begonnen
werden. Unklar ist bislang, um wie
viele Soldaten die Truppenstärke
verringert werden soll.
Am Sonntagabend (16. Okt.) hatte Wulff
im Camp Marmal in Masar-i-
Scharif mit Bundeswehrsoldaten
gesprochen. Er wünschte sich
mehr gesellschaftliche Anerkennung
für den gefährlichen Einsatz
und zitierte Umfragen, wonach
zwei Drittel der Deutschen das genauso
sehen. Dass in anderen
Umfragen etwa gleich viele einen
sofortigen Rückzug der deutschen
Truppen fordern, sagte er nicht.
»Hier wird die Welt ein Stück
sicherer gemacht«, so Wulff. Immerhin
gebe es Lichtblicke, aus
denen Leuchttürme für Afghanistan
werden müssten. Der Bundespräsident
sprach von »kriegsähnlichen
Zuständen« – wie viele vor
ihm. Neues hatte er nicht mitzuteilen.
Vor allem hörte er den Soldaten
zu, ließ sich auch von ihren
privaten Lebensumständen berichten.
Er rühmte die Rolle der
Angehörigen zu Hause, die bei allem
Risiko des Einsatzes doch auch
stolz auf die Arbeit der Soldaten in
der Ferne seien.
Am Montagmorgen dann (17. Okt.), in
aller Frühe, bekam Wulff eine Demonstration
der Gefahren, die in
Afghanistan überall lauern – wenn
auch nur als Übung. Deutsche
Ausbilder und afghanische Polizeischüler
ließen ein Fahrzeug
über einen Sprengsatz fahren, es
gab Verletzte, gespielt natürlich.
Der Bundespräsident beobachtete
aus der Entfernung. Das riesige
Ausbildungslager der Polizei befindet
sich nur zwei Kilometer außerhalb
von Camp Marmal. Den
Weg dorthin legte die deutsche
Delegation in gepanzerten Fahrzeugen
zurück.
Unterdessen wurde bei einem
Selbstmordanschlag auf einen
hochrangigen Geheimdienstoffizier
in der nordafghanischen Provinz
Farjab am Montag ein Kind
getötet. Der Provinzchef des afghanischen
Geheimdienstes NDS,
Sayed Ahmad Sadaat, vier weitere
NDS-Mitarbeiter und zwei Zivilisten
seien verletzt worden, sagte
der Sprecher der Provinzregierung,
Ahmad Dschawid Bedar. Der
Attentäter kam bei dem Anschlag
in der Provinzhauptstadt Maimane
ebenfalls ums Leben.
* Aus: neues deutschland, 18. Oktober 2011
Wulff sagt mal danke
Truppenschau in Afghanistan: Bundespräsident zum Grillabend bei deutschen Soldaten und Polizisten an der Kriegsfront. Stützrad für Präsident Karsai
Von Rüdiger Göbel **
Kundus, Kabul, Masar-i-Scharif, Grillen mit den Soldaten, Geschenke für den Präsidenten, Gespräche mit Frauengruppen– Bundespräsident Christian Wulff (CDU) tourt durch Afghanistan und wirbt für den unpopulären deutschen Kriegseinsatz. 70 Prozent der Deutschen sind für den Abzug der Bundeswehr, das Staatsoberhaupt zeigt Flagge. Ausgewählte Medienvertreter rapportieren den Besuch an die Heimatfront. Dapd meldet: »Wulff zeigt sich beeindruckt, wie ›verantwortungsbewußt und klar die Leute hier arbeiten, um diesem Land zu einer besseren Zukunft zu verhelfen‹. Die deutsche Gesellschaft sollte ›Danke sagen und sich bewußt werden, was unsere Soldaten hier leisten‹, findet der Bundespräsident.«
Weiter berichtet die Agentur von der präsidialen Inspektion: »›Maaaarsch!‹ ruft der Ausbilder – und 30 angehende afghanische Polizisten setzen sich zackig in Bewegung. Ein wenig unbeholfen wirkt der Trupp in einem Trainingscamp nahe Masar-i-Scharif noch, aber das Bemühen um Gleichschritt ist unverkennbar. Bundespräsident Christian Wulff sieht die Parade mit Wohlgefallen: ›Ich habe den Eindruck, daß Sie echte Sympathieträger werden für das afghanische Volk‹, lobt das Staatsoberhaupt am Montag die afghanischen Rekruten.«
Den 200 Soldaten, Polizisten und Entwicklungshelfern habe der Präsident am Abend zuvor beim gemeinsamen Grillfest im Bundeswehrcamp Marmal »Danke« gesagt. »Sie alle helfen, daß die Menschen in diesem Land in Sicherheit leben können, eine Perspektive erhalten, und damit schützen sie Deutschland und seine Verbündeten und unsere Mitbürger.« Von einem »Scheitern« des seit zehn Jahren andauernden NATO-Krieges in Afghanistan will Wulff nichts wissen. Auch wenn es noch sehr viel zu tun gebe, seien doch »erste, aber flackernde Lichtblicke« zu sehen. Aus diesen Lichtblicken müßten nun »Leuchttürme« werden, schwärmt der Präsident, als wäre der Krieg eine Exzellenzinitiative.
Wulff dankte auch der 1. Air Cavalry Brigade der US-Armee und verlieh ihr ein Fahnenband. Er wolle eine »emontionale Brücke« bauen, bekundete der Bundespräsident. Viele deutsche Soldaten hätten ihm berichtet, sie würden nur deshalb noch leben, »weil amerikanische Hubschrauber sie unter Beschuß aus Gefechtssituationen herausgeflogen haben«. Ein Sprecher des US-Militärs erklärte militärisch knapp: »Wir lernen eine Menge von den Deutschen – und umgekehrt.«
Schon am Sonntag (16. Okt.) hatte Wulff in der Hauptstadt Kabul den NATO-gestützten Präsidenten Hamid Karsai getroffen und diesem die deutsche Unterstützung auch nach dem Abzug der internationalen Kampftruppen zugesagt, die für 2014 angekündigt ist.
Der Bundespräsident schwärmte von Erfolgen beim Wiederaufbau des Landes. Diese müßten in Deutschland stärkere Beachtung finden. Insbesondere in der Bildungspolitik und für die Frauen gebe es Fortschritte. Kabul sei wieder eine »pulsierende Hauptstadt«.
Die Märkische Oderzeitung frohlockte in ihrer Montagausgabe (17. Okt.) kolonialpaternalistisch: »Christian Wulff kam mit einem kleinen bunten Kinderrad mit Stützrädern. Was als Geschenk für den jüngsten Sohn des afghanischen Präsidenten Karsai gedacht war, läßt gewiß ein Kinderherz höher schlagen. Es taugt aber auch als Symbol für das Engagement in Afghanistan. (…) Vielleicht gelingt es bis zum Abzug 2014, die Regierung bei Sicherheit, Bildung und Gesundheit so zu stärken, daß sie auf eigenen Beinen stehen kann. Bis dahin aber braucht das Land am Hindukusch weiter Stützräder. Auch aus Deutschland.«
** Aus: junge Welt, 18. Oktober 2011
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