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Afghanistan: Cameron sieht "Bemerkenswertes"

Britischer Premier zu Besuch am Hindukusch *

Der britische Premierminister David Cameron ist am Wochenende zu einem unangekündigten Besuch nach Afghanistan und Pakistan gereist.

In Kabul sagte Cameron, es gebe die Gelegenheit zu einem Friedensdialog mit den radikalislamischen Taliban. Pakistans neuer Regierungschef Nawaz Sharif sicherte Großbritanniens Bemühungen seine Unterstützung zu.

In der südafghanischen Unruheprovinz Helmand stattete Cameron den britischen Truppen einen Besuch ab, bevor er in der Hauptstadt Kabul mit Präsident Hamid Karsai zusammentraf. Der Premier erklärte, seit seinem vorangegangenen Besuch in Helmand 2006 habe es eine »bemerkenswerte Veränderung« gegeben. Damals habe es »fast keine afghanischen Truppen« gegeben, heute seien es »340 000 fähige und entschlossene Soldaten«. Zu möglichen Verhandlungen mit den Taliban-Kämpfern erklärte Cameron, ihnen werde derzeit bewusst, »dass sie sich nicht durch Terror und Gewalt eine Rolle in Afghanistans Zukunft sichern« könnten.

In Islamabad sprach Cameron mit Staatschef Asif Ali Zardari und Regierungschef Sharif. Dieser erklärte anschließend, er unterstütze Großbritanniens »Bemühungen um einen dauerhaften Frieden und Stabilität in Afghanistan«.

Überschattet war der Besuch von einem Bombenanschlag auf einen Militärkonvoi in Peshawar, bei dem laut einem Krankenhaussprecher 17 Menschen, darunter vier Kinder, starben und 46 weitere verletzt wurden. Zu dem Attentat bekannte sich zunächst niemand. Pakistanische Taliban und andere radikale Islamisten verüben immer wieder derartige Anschläge auf die Sicherheitskräfte.

Der ranghöchste britische General in Afghanistan hielt dem Westen in einem am Wochenende veröffentlichten Interview vor, nach dem Sturz der Taliban durch eine US-Militärintervention im Jahr 2001 die Chance auf einen Dialog verpasst zu haben. Die Taliban seien »auf der Flucht« gewesen, sagte der Vizekommandeur der NATO-Truppen in Afghanistan, Nick Carter, dem »Guardian«. Dieser Umstand hätte für eine Friedenslösung genutzt werden können. Kürzlich hatten die Taliban im Golfemirat Katar ein Verbindungsbüro eröffnet, um Verhandlungen mit der US-Regierung aufzunehmen. Dass sie dabei die Bezeichnung »Islamisches Emirat Afghanistan«, den offiziellen Namen des Staates während der Taliban-Herrschaft von 1996 bis 2001, verwendeten und ihre damalige Flagge hissten, hatte Karsai erbost. Bereits anberaumte Gespräche mussten wieder abgesagt werden. Auf Betreiben der USA wurden die umstrittenen Hoheitszeichen wieder entfernt. Am Dienstag bekräftigten US-Präsident Barack Obama und Karsai dann öffentlich ihre Unterstützung von Gesprächen mit den Taliban.

Die USA und ihre Verbündeten wollen kommendes Jahr alle Kampftruppen aus Afghanistan abziehen. Es besteht die Sorge, dass dann der Konflikt weiter eskaliert und Afghanistan erneut im Bürgerkrieg versinkt.

* Aus: neues deutschland, Montag, 1. Juli 2013


Nur noch Gutes

Von René Heilig **

ISAF hat unlängst die Verantwortung für das, was man in Afghanistan Sicherheit nennt, an die einheimischen Behörden abgegeben. Der Westen plant keine militärischen Operationen mehr, führt keine Truppen, ist höchstens ab und zu mal beratend dabei. Sagt man und dachte clever ein wenig weiter. Wenn man keine Verantwortung hat, so muss man auch nicht über das, was in Afghanistan geschieht, berichten. Folglich fallen ab sofort alle Informationen weg, aus denen man sich bislang ein halbwegs stimmiges Lagebild basteln konnte. Das war zwar nicht einfach, doch schon die allerorten spürbare Konkurrenz unter den Alliierten sorgte dafür, dass ISAF und vor allem die US-Militärführung unliebsame Dinge nicht allzu lange unterm Tarnnetz halten konnte.

Und nun? Natürlich wird die Regierung unseres Freundes Hamid Karzai die Welt umso eifriger unterrichten – über ihre ganz gewiss großartigen Erfolge auf dem Weg zu Frieden und Demokratie, gegen Korruption und Drogenhandel. Natürlich wird man dabei der Wahrheit verpflichtet sein, nichts hinzudichten und nichts weglassen, was zur Sache gehört. Die Bilder werden farbiger, statt Gefechten zeigt man uns demnächst noch mehr die Paraden eifriger Polizeischüler. Und bald wird kaum noch jemand wissen, dass die NATO Truppen am Hindukusch hat und was die dort machen. Ach ja, ist das nicht schön – alles wird gut.

** Aus: neues deutschland, Montag, 1. Juli 2013 (Kommentar)


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