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Die Logik des Krieges als Unterhaltung

Filmkritik. Von Sabine Schiffer

Der SWR-Film „Willkommen zu Hause“, gesendet zur ARD-Primetime um 20.15 Uhr am 3.2.2009, könnte ein Anfang zu einer kritischen Auseinandersetzung mit den Folgen des Krieges gewesen sein. Könnte, denn es gibt genügend Elemente im Film, die Kriegseinsätze wie den in Afghanistan weiter rechtfertigen.

PTBS – ein gängiges Mitbringsel aus dem Krieg

Dennoch wird deutlich: Der Krieg bleibt nicht dort! Das ist auch eine wichtige Botschaft dieses Spielfilms, der einige Selbstidealisierungen und peinliche Naivitäten deutscher Wohlstandsbefindlichkeit bloß stellt. So wollen alle gerne, „dass Ben wieder so ist wie vorher“ und der Heimkehrer ergibt sich in machohaftem „Es ist nichts!“ oder „Ich schaff‘ das schon (alleine!)“. Warum aber soll der Krieg spurlos an ihm vorbei gegangen sein und niemand hier von dem Schicksal der Menschen in Afghanistan, die ständig unter ihm leiden, berührt sein? Niemand interessiert sich wirklich für Afghanistan und Ben wird seine Brille auf die „langen Leiden“ der Bevölkerung dort, die ein „nur kurzer“ Einsatz „noch“ nicht beheben könne, auch nicht los. Die Situation in Afghanistan wird in bewährter kolonialer Herablassung mit parentalem Touch, diesmal aus dem Munde eines Soldaten, beschrieben: Defizite und Aufgaben werden mit eurozentrischem Blick aufgezählt. Die Menschen in Afghanistan bleiben ferne Objekte seiner Betrachtung – warum er ihnen „helfen“ will (ein inflationär gebrauchter Begriff im Zusammenhang mit dem Bundesheereinsatz in Afghanistan) ist nicht ersichtlich, denn er stellt keine Beziehung zu den Menschen vor Ort her. Das kann man im Film deutlich sehen – wenn man will – und insofern bietet er einige wenige Elemente sanfter Gesellschaftskritik und des Infragestellens von Kriegsrhetorik an.

Klar und deutlich ist aber einzig und allein die Beschreibung der posttraumatischen Belastungsstörung, die nicht nur Soldaten mit nach Hause bringen, die einen Anschlag überlebt und dabei ihren besten Freund verloren haben. Dieses Thema ist spätestens seit dem erfolgreichen Roman von Wolfgang Schorlau „Brennende Kälte“ im Bewusstsein. Liegt hier eine Salamitaktik der sukzessiven Einräumung der (nicht mehr zu leugnenden) Kriegsschäden vor, die die völkerrechtswidrigen Militäreinsätze mit den Beteiligten anrichten? Zwar wird immerhin dieser Aspekt und sein Potenzial der Zerstörung offensichtlich, dennoch kann man sich des Eindrucks kaum erwehren, dass der Film im Wesentlichen zustimmend in Bezug auf die Politik unserer Bundesregierung, die für Krieg votiert, ist. Darauf weist der Endfokus des Films mit Originalaufnahmen aus den Pressekonferenzen von Fischer/Schröder bis Merkel hin. Sogar den längst entlarvten Satz Strucks „Die Sicherheit Deutschlands wird auch am Hindukusch verteidigt!“ müssen die Fernsehzuschauer noch einmal über sich ergehen lassen. Besonders perfide und stark beschönigend aber ist das sich anbahnende private Happy End für den „gutmeinenden“ Soldaten, dessen blonde Frau ihm ermutigend zulächelt. Der angekündigte Neubeginn wird durch die anstehende Geburt ihres Kindes symbolisiert. Die Mehrzahl der Opfer des Krieges, die Afghanen, bleiben ausgeblendet – klaro, der Krieg dort ist ja auch „humanitär“.

Subtile Botschaften und Kollektivsymbolik

Einige implizite Vereinnahmungsversuche für den Krieg wurden schon genannt. Und dass hier mit dem Format Spielfilm die alltägliche Kriegspropaganda der Nachrichtenmedien, die vorzugsweise „helfende Bundesheerärzte“ porträtieren, gestützt wird, erstaunt den Fan US-amerikanischer Filme am wenigsten. Gibt es im deutschen „Verteidigungsministerium“ auch eine Stelle für Öffentlichkeitsarbeit, die eng mit der Filmindustrie zusammenarbeitet und „Unterstützung beim Drehen authentischer Militärszenen“ anbietet – gegen das Genehmigen des Drehbuchs? Im Abspann des Films ist nichts vermerkt, aber hier lohnt sicher eine weitere Recherche – denn das aufgeklärte Volk, laut Grundgesetz Souverän dieses Staates, muss ja wissen, wie es derlei TV-Produkte einzuschätzen hat.

Erstaunt das Palituch, das Ben und sein Freund tragen? Oder ist es ein paschtunisches Tuch? Es scheint ein strategisches Kleidungsmittel als Signal an das afghanische Volk zu sein – wir sind Eure Freunde! Zufällig wurde dieses Accessoire des Bundesheeres sicher nicht gewählt. Dem Zufall wurde auch im Film wenig überlassen, obwohl man einräumen muss, dass es sich nicht um eine aufwändige Produktion handelt, die künstlerischen Anspruch erhebt. Mit Blick auf die tief verankerten historischen Bilder, die die Mitglieder eines Kollektivs im Gedächtnis abgespeichert haben, wurden hier jedoch einige solcher Ikonografien zielsicher eingesetzt: Wenn das Bild des GIs auftaucht, der bettelnden Kindern Schokolade schenkt, dann wird mit diesem freundlichen Foto das Kriegsende und die „Befreiung“ Deutschlands assoziiert. Dieses Bild ist ein implizites Votum für einen vergleichbaren „Befreiungsschlag“ und propagiert, dass der Zivilbevölkerung von wohlmeinenden Soldaten „geholfen“ werden kann.

Verräterisch wird die ganze Konstruktion an der Stelle, als der Heimkehrer Ben das deutsche Lager in Afghanistan beschreibt. Es erscheint wie eine Oase, im Inneren fühlt er sich sicher, dort kann man essen und sich waschen. Außen ist der Feind – das heißt: das gesamte afghanische Volk ist der (potenzielle) Feind. Warum will man dem helfen? Dahinter kommt die christliche Lehre von „Liebe deine Feinde und halte eventuell auch noch die andere Wange hin!“ zum Vorschein. Auch die Kurzeinblendung der Drachen am Himmel kann eine gezielte Anspielung sein: Khaled Hosseinis Roman „Drachenläufer“ dürfte vielen noch in Erinnerung sein – und die damit eng verknüpften Assoziationen an schreckliche Taliban und die Steinigung von Burkaträgerinnen. Dem Propagandamotiv der „Frauenbefreiung“ folgend werden weitere entsprechende Schlüsselszenen angeboten: Etwa die Schülerinnen während des Unterrichts und später die Frau, die sich Ben an den Hals wirft und von ihm abgleitet, als er blut- und staubüberströmt aus dem Jeep steigt. Sie trägt keine Burka und man sieht ihr langes schwarzes Haar, als sie sich hilfesuchend an den Soldaten klammert. Was wird mit ihr bzw. ihren offenen Haaren geschehen, wenn dieser Afghanistan wieder verlässt? In einer der Schlussszenen befindet sich demgegenüber die Ikonografie der emanzipierten Frau schlechthin: Bundeskanzlerin Angela Merkel in kugelsicherer Camouflage, wie eine Soldatin bei der Truppe. Naja, etwas eleganter würde man sie sich wünschen, aber das hat der Feminismus nicht verlangt – nur das Gleichtun mit den Männern, wozu im Jahre 10 der neuen Weltkriegsordnung [1] auch der Dienst an der Waffe gehört – zum „gleichwertigen“ Töten von Männern, Frauen und Kindern. Auch letzteres Faktum wird noch einige posttraumatische Belastungssyndrome erzeugen und den fernen Krieg mit heim bringen.

[1] Mit dem Balkankrieg und der neuen NATO-Doktrin von 1999 wurde die Ausrichtung auf internationale militärische Konflikte legitimiert.

* Dr. Sabine Schiffer, Leiterin des Instituts für Medienverantwortung (IMV), Erlangen


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