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Erneut Bundeswehr-Opfer in Afghanistan

Schusswechsel im "OP North": Drei Tote und sieben Verwundete

Von René Heilig *

Im Norden Afghanistans sind am Freitag (18. Feb.) erneut zwei Bundeswehrsoldaten getötet worden. Sieben deutsche Soldaten wurden verwundet. Bis zum späten Freitagnachmittag war die Lage noch relativ unklar.

Letzte Meldung (18. Februar, 17.15 Uhr):

Von den vier verwundeten Soldaten ist ein 22-jähriger Stabsgefreiter seinen schweren Verletzungen erlegen. Die Zahl der Toten steigt also auf drei.
(Website der Bundeswehr; www.bundeswehr.de)



Gegen 12 Uhr Ortszeit soll ein Mann im Außenposten »OP North« bei Baghlan um sich geschossen haben. Drei deutsche Soldaten seien schwer, vier weitere leicht verletzt worden. Ein 30-jährigen Hauptfeldwebel wurde unmittelbar getötet, ein weiterer Soldat aus Bayern verstarb später im Lazarett. Die Soldaten waren nach ISAF-Angaben mit Wartungsarbeiten an einem Fahrzeug beschäftigt, als der Schütze das Feuer eröffnete. Beim anschließenden Schusswechsel sei der »OMF«, so lautet das NATO-Kürzel für feindliche Kämpfer, erschossen worden.

Der Außenposten im Süden der Provinz Kundus gilt als vorgeschobener Stützpunkt. Hier sind 500 Mann Kampftruppen der Bundeswehr stationiert, die gemeinsam mit afghanischen Soldaten offensiv gegen Aufständische vorgehen. Man versucht, die Nachschubstraßen unter Kontrolle zu halten und die seit 2007 verlorene Initiative zurückzugewinnen. Die Hauptmacht in dem unter deutschen Kommando stehenden Nordabschnitt wird von den USA gestellt.

Dem Vernehmen nach soll ein afghanischer Soldat um sich geschossen haben. Der Polizeichef der Region, Daud Daud, bestätigte gegen Mittag, es habe einen Anschlag auf Soldaten mit insgesamt zwei Toten und acht Verletzten gegeben. Der Täter habe ein Uniform getragen. Es wäre nicht das erste Mal, dass ein afghanischer Soldat oder Polizist die Waffe gegen ISAF-Mitglieder oder ausländische Polizeiausbilder richtet. Beim sogenannten Partnering, bei dem NATO-Soldaten afghanische Kräfte bei laufenden Operationen ausbilden, kam es mehrmals zu Angriffen gegen ISAF. Noch bedenklicher wird von Militärs bewertet, dass die afghanischen Behörden im fernen Kabul – US-Empfehlungen folgend – ganze Überläufergruppen in ihren Dienst nehmen, ihnen Polizeifunktionen übertragen und mit 60 bis 120 US-Dollar bezahlen. Doch diese Maßnahmen sind Bestandteil der Strategie zur schrittweisen Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die afghanische Seite. Die soll dazu beitragen, dass die NATO ihre Kampftruppen bis zum Jahr 2014 abziehen kann. Andere Berichte über den Zwischenfall vom Freitag gingen zunächst davon aus, dass ein afghanischer Arbeiter das Feuer eröffnet habe. Die Bundeswehr baut den »OP North« derzeit mit Hilfe von lokaler Firmen aus. Grundsätzlich werden die Arbeiter kontrolliert. Wie der Angreifer trotzdem eine Waffe in den Posten schmuggeln konnte, ist unklar.

Beim Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan sind bisher 46 deutsche Soldaten ums Leben gekommen, 28 davon bei Anschlägen. Gab es früher die meisten Opfer im Raum Kundus, hat sich seit 2010 das Schwergewicht der Attacken auf die Region Baghlan verlagert.

Am Mittwochabend (16. Feb.) hatte Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg den Stützpunkt besucht und auch dort übernachtet.

* Aus: Neues Deutschland, 19. Februar 2011


Bundeswehrsoldaten getötet

Schießerei in Feldlager in Afghanistan. Kundus-Klage als »unzulässig« abgewiesen **

In Afghanistan sind laut dapd zwei deutsche Soldaten getötet worden. Der Anschlag in der Provinz Baghlan ereignete sich nur einen Tag nach dem Besuch von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg im sogenannten Außenposten Nord. Bei dem Angriff wurden sieben weitere Soldaten der Bundeswehr verletzt, einige schwer. Wie die NATO-geführten Besatzungstruppen mitteilten, trug der Angreifer im Bereich des vorgeschobenen Postens »OP North« nahe Pol-e Khomri eine Uniform der afghanischen Streitkräfte ANA. Bei dem Feuergefecht wurde der Mann den Angaben zufolge schwer verletzt (AFP) bzw. getötet (dapd).

»Die Schießerei mitten im Bundeswehr-Camp zeigt das Scheitern des Konzepts der NATO, in Afghanistan eine Bürgerkriegsarmee auszubilden«, erklärte die friedenspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Christine Buchholz. »Auch im Interesse der deutschen Soldaten fordert Die Linke den sofortigen Abzug der Bundeswehr.«

In Düsseldorf scheiterte unterdessen ein Hinterbliebener des tödlichen Luftangriffs im afghanischen Kundus mit seinen Bemühungen, ein Strafverfahren gegen zwei Bundeswehrsoldaten zu erzwingen. Als unzulässig wies das Oberlandesgericht Düsseldorf nach eigenen Angaben vom Freitag einen entsprechenden Antrag des Mannes zurück, der bei dem Luftangriff vom 4. September 2009 zwei Söhne verloren hatte.

Wegen des Luftangriffs hatte die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe gegen den Bundeswehroberst Georg Klein und einen Hauptfeldwebel ermittelt. Klein hatte den Befehl zum Bombardement von zwei entführten Tanklastern in Nordafghanistan gegeben. Dabei gab es nach offiziellen Angaben 102 Tote und Verletzte.

Das Ermittlungsverfahren gegen die beiden Soldaten wurde am 16. April 2010 eingestellt. Soldaten könnten wegen der Tötung von Zivilisten nicht strafrechtlich verfolgt werden, solange dies im Rahmen »völkerrechtlich zulässiger Kampfhandlungen« geschehe, hatte die Bundesanwaltschaft diese Entscheidung begründet. Gegen diesen Schritt hatte der Antragsteller vor dem Düsseldorfer Gericht seit dem vergangenen Herbst ein sogenanntes Klageerzwingungsverfahren betrieben und beantragt, daß wegen des Luftangriffs eine Klageerhebung wegen Mordes angeordnet wird. Die Düsseldorfer Richter entschieden nun, daß der Antrag des Mannes nicht den Formerfordernissen des Klageerzwingungsverfahrens genüge. (Az. III-5 StS 6/10)

(dapd/AFP/jW)

** Aus: junge Welt, 19. Februar 2011


Für unser Land?

Von René Heilig ***

Ruhe in Frieden, Soldat, und sei in Gottes Segen geborgen«, hat Minister zu Guttenberg im Oktober in der St. Lamberti-Kirche von Selsingen gesagt, als man Oberfeldwebel Florian Pauli zu Grabe trug. Pauli starb unweit jener Stelle, an der gestern erneut zwei deutsche Soldaten erschossen wurden. Wie Pauli hatten die gestern Getöteten, von denen wir noch nicht einmal die Namen kennen, kaum Gelegenheit, die Falle zu erkennen, in die sie geraten war. »Ruhe in Frieden, Soldat ...« Wie absurd ist Militär? Wie absurd ist Politik, die sich des Militärs bedient! Sterben müssen, um Frieden zu finden.

Man wird routiniert den Hergang der gestrigen Schießerei untersuchen, Schlussfolgerungen ziehen – und ängstlich darauf warten, dass es wieder geschieht. Denn es wird wieder geschehen. Und wieder wird der Minister Mitgefühl ausdrücken. Bei Paulis Beerdigung sagte er: »Wir lassen junge Menschen schwören, für unser Land tapfer zu sein. Und dann sind sie es und dann sterben sie tapfer.« Wofür? »Für unser Land.« Guttenberg hat viele Probleme im Umgang mit der Wahrheit.

Zur Zeit bangen Angehörige und Freunde von fast 5000 Bundeswehrsoldaten, die in Afghanistan sind, um das Leben ihrer Nächsten. Doch wenn überhaupt, so glaubt nur eine Minderheit der Deutschen, dass sie in der Ferne »für unser Land« kämpfen. Und dabei selbst töten. Zumeist Unbekannte, mit denen nur allzu oft auch die eigene Seele stirbt. Er trage »die Verantwortung für die Soldaten im Einsatz«, sagt der Minister gestern. Ob jüngster Enthüllungen fragt man sich, wie ein Mensch, dem eigener Glanz so wichtig ist, Verantwortung für andere übernehmen will.

*** Aus: Neues Deutschland, 19. Februar 2011


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