Totenzahlen aus Kabul
Von Rüdiger Göbel *
Düstere Zahlen vom immer weiter eskalierenden Krieg in Afghanistan: NATO-Soldaten haben dort in drei Monaten mehr als 1000 Aufständische getötet. Das gab US-General David Petraeus, Oberbefehlshaber der Besatzungstruppen in Afghanistan, bekannt. In den 90 Tagen vor dem 8. August 2010 gab es demnach rund 2900 Einsätze sogenannter Special Forces gegen die Taliban. Bei »gezielten Operationen« sollen 365 Anführer der Aufständischen getötet oder gefangengenommen worden sein. Weitere 1031 Afghanen wurden demnach getötet, die vom US-Kommandierenden als »einfache« Kämpfer klassifiziert wurden.
Auch der Blutzoll auf seiten der Besatzer steigt. Seit dem Beginn der Invasion am Hindukusch Ende 2001 sind bereits mehr als 2000 ausländische Soldaten getötet worden. Angaben der Website icasualties.org zufolge starben in dem fast neun Jahre andauernden Krieg insgesamt 2002 NATO-Soldaten, darunter 1226 aus den USA und 331 aus Großbritannien, dem zweitgrößten Truppensteller. Allein in diesem Jahr wurden bislang 434 Besatzer getötet. Im vergangenen Jahr waren es insgesamt 521. Der Juli 2010 war mit 66 getöteten US-Soldaten zudem der verlustreichste Monat für Washingtons Invasoren.
Ein Ende des Krieges und des Sterbens ist nicht in Sicht. Afghanistan-Kommandeur Petraeus relativierte am Wochenende den Zeitpunkt für den Beginn des US-Truppenabzugs, der von US-Präsident Barack Obama für Juli 2011 angekündigt worden war. Der General stellte in einem am Sonntag (Ortszeit) ausgestrahlten Interview mit dem TV-Sender NBC klar, der Beginn des Rückzugs sei ein »Prozeß und kein Ereignis« und zudem »an bestimmte Bedingungen gebunden«. Er betrachte diesen Zeitpunkt daher nicht als zwingend. US-Verteidigungsminister Robert Gates behauptete in der Los Angeles Times vom Montag (16. Aug.), der Truppenabzug könne wie geplant Mitte kommenden Jahres beginnen.
Laut einem Dekret des durch Wahlfälschung im Amt gehaltenen afghanischen Präsidenten Hamid Karsai sollen bis Ende 2010 Mitarbeiter sogenannter privater Sicherheitsdienste das Land verlassen. Schätzungen zufolge sollen sich 40000 Bewaffnete als Söldner in Afghanistan verdingen. Allein für die US-Regierung arbeiten etwa 26000 private Sicherheitskräfte, darunter 19000 für die US-Armee. Sie bewachen Militärstützpunkte oder Versorgungskonvois. Wie der Focus in seiner aktuellen Ausgabe berichtet, starb bei einem Taliban-Angriff auf eine mutmaßliche CIA-Niederlassung in Kabul am 2. Juli auch ein früherer Bundeswehrsoldat, der bei einer britischen Söldnerfirma angeheuert hatte. Verklärend heißt es im Beitrag »Bis zur letzten Kugel« über Rouven Beinecke aus Norddeutschland: »1,85 Meter groß und trainierte 95 Kilogramm schwer, galt Beinecke bei seinen Leuten als tapfer, als Rauhbein mit Herz. Eine menschliche Mehrzweckwaffe.« Und: »Die tödliche Kugel trifft ihn im Bauchbereich. Der Deutsche soll sich gegen die Übermacht zäh zur Wehr gesetzt haben, so berichten es später Augenzeugen.«
Für Schlagzeilen sorgte hierzulande die Meldung über die Hinrichtung eines jungen Paares in der nordafghanischen Provinz Kundus, dem Einsatzgebiet der Bundeswehr. Berichten zufolge wurden eine 23 Jahre alte verlobte Frau und ein 28 Jahre alter verheirateter Mann gesteinigt, denen die Taliban eine außereheliche Affäre vorgeworfen hatten.
* Aus: junge Welt, 17. August 2010
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