Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Bundeswehr: Tote und Verletzte in Afghanistan

Schwere Kämpfe mit Aufständischen im Distrikt Char Darah bei Kundus im Norden des Landes

Bei schweren Kämpfen sind in Nordafghanistan wurden am Freitag (2. April) drei Bundeswehrsoldaten getötet und mehrere schwer verletzt.

Kundus/Potsdam (dpa/ND-Heilig). Es ist der erste tödliche Zwischenfall für die deutschen ISAF-Einsatzkräfte in diesem Jahr. Bei einem stundenlangen Feuergefecht sind bei Kundus in Nordafghanistan am Freitag (2. Apr.) drei deutsche Soldaten getötet und mehrere schwer verletzt worden. Das Einsatzführungskommando bei Potsdam war noch am Abend zurückhaltend mit Informationen und Wertungen. Im Hauptquartier des Bundeswehr-Kontingents in Masar-i-Scharif, mehr als 100 Kilometer westlich von Kundus, herrschte am Nachmittag Hektik und Trauer. Es dauerte lange, bis sich die Lage klärte. Erst Stunden später wurde bestätigt: Es gab drei Tote und fünf Schwerverletzte.

Noch am Abend dauerten die Gefechte an. Daran waren – laut afghanischen Quellen – bis zu 200 Aufständische beteiligt. Die deutschen Soldaten seien mit automatischen Waffen und Panzerfäusten aus verschiedenen Richtungen angegriffen worden. Die Rede ist auch von Sprengfallen, in die ein deutsches Fahrzeuge geriet.

Umgangssprachlich

Nach dem Tod von drei deutschen Soldaten bei Gefechten mit radikal-islamischen Taliban in Afghanistan hat Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) von "Krieg" in dem Land gesprochen. Bei der Realität in der Region "kann man umgangssprachlich von Krieg reden", sagte Guttenberg am Sonntag (4. Apr.) vor Journalisten in Bonn. Er hob hervor, "die Perfidie und gleichzeitig auch die Komplexität des Anschlags" machten die Realität in Afghanistan deutlich. Es scheine nicht ganz zufällig der Karfreitag für den Anschlag ausgewählt worden zu sein.
AFP, AP, dpa, 4. April 2010



Wieder einmal bewahrheitet sich die interne Einschätzung des deutschen ISAF-Kommandos, laut der die Taliban seit gut einem Jahr auch im Nordbereich – gut vernetzt – das gesamte Spektrum des asymmetrischen Kampfes beherrschen und die deutschen Truppen immer öfter in die Defensive treiben. Bereits 2009 haben sich die Anschläge auf Bundeswehrsoldaten im Vergleich zum Vorjahr verdreifacht. Unlängst bestätigte der Chef des Einsatzführungskommandos, Generalleutnant Rainer Glatz: »Im Raum Kundus haben wir die Initiative verloren.« Um sie zurückzuerobern, dürfe man sich nicht länger im Camp einigeln, sondern müsse sogenannte Einsatzbasen in der Fläche schaffen. Aus denen sollen dann deutsche Einheiten gemeinsam mit afghanischen Soldaten bis zu 30 Tagen autonom operationsfähig sein, erläuterte einer der Führungsoffiziere. Doch dazu fehlen vor allem Pioniergerät und Hubschrauber.

Die alte Polizeiwache in der als extrem gefährlich geltenden Region Char Darah ist ein Beispiel für solche Stützpunkte. Nach bisherigen Angaben scheinen die Bundeswehrsoldaten gestern gerade dabei gewesen zu sein, den Vorposten auszubauen. Das versuchen die Aufständischen zu verhindern. Deutsche Aufklärungsergebnisse besagen, dass das Gebiet bereits seit eineinhalb Jahren von den Taliban als eine sichere Ausgangsbasis für verschiedene Operationen gegen den aus Tadschikistanan rollenden Nachschub für alle ISAF-Einheiten genutzt wird. Die im Norden stationierten rund 5000 Kämpfer der afghanischen Armee meiden das Gebiet ebenso wie die schlecht ausgerüsteten Polizeieinheiten. 2009 hatte es in dem Distrikt eine große deutsch-afghanische Offensive gegeben, um die radikalislamischen Taliban zurückzudrängen. Das Ziel ist ganz offenbar nicht erreicht worden.

Während die Bundesregierung die Ergebnisse der Londoner Konferenz lobt, bei der die möglichst rasche Übergabe der Verantwortung an die afghanische Seite betont wird, wartet die Bundeswehr auf Verstärkung. Bis zum Sommer sollen bis zu 5000 US-Soldaten mit einer Hubschrauberbrigade sieben neue Stützpunkte im Verantwortungsbereich der Deutschen und unter deren Kommando errichten. Bislang operieren die US-Verbündeten in der Nordregion mit wenigen Spezialkräften. Sie versuchen, Taliban-Führer »auszuschalten«. Denselben Auftrag haben auch deutsche KSK-Elitesoldaten. Über deren Einsätze wird jedoch Stillschweigen bewahrt.

Im Norden Afghanistans sind derzeit etwa 4300 deutsche Soldaten stationiert. Das Bundestagsmandat zieht eine Obergrenze von 5350 Soldaten, wovon 350 als Reserve für Spannungszeiten dienen.

*Aus: Neues Deutschland, 3. April 2010


Bundeswehr tötet irrtümlich fünf afghanische Soldaten

Während der schweren Kämpfe in Afghanistan, bei denen am Karfreitag drei deutsche Soldaten starben, hat die Bundeswehr irrtümlich fünf afghanische Soldaten getötet. Die Bundeswehr bedauerte den Zwischenfall und kündigte eine Untersuchung an. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) sprach dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai ihr Beileid aus. Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) hob die Notwendigkeit des Afghanistan-Einsatzes hervor. Bundesentwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) will am Sonntag in Kundus an der Trauerfeier für die getöteten Deutschen teilnehmen.

Laut dem Einsatzführungskommando in Potsdam verließen am Freitag deutsche Soldaten das Feldlager in Kundus, um einige seit Stunden in Gefechte verwickelte Deutsche abzulösen. Auf dem Weg in den Unruhebezirk Schahar Dara seien zwei zivile Fahrzeuge auf die Deutschen zugefahren und hätten trotz "durchgeführter Sicherheits- und Identifizierungsverfahren" nicht angehalten. Daraufhin eröffnete ein Schützenpanzer vom Typ Marder das Feuer auf eines der Fahrzeuge.

Wie sich später herausstellte, handelte es sich bei den zivilen Autos um Fahrzeuge der Afghanischen Nationalarmee. Dabei wurden fünf Afghanen getötet. Der deutsche Kommandeur des Regionalkommandos Nord, Brigadegeneral Frank Leidenberger, telefonierte noch am Freitagabend mit dem zuständigen afghanischen Kommandeur und drückte seine tiefe Betroffenheit aus.

Laut einem Regierungssprecher in Berlin telefonierte Kanzlerin Merkel mit dem afghanischen Präsidenten. Karsai habe seinerseits sein Mitgefühl anlässlich des Todes der drei Bundeswehrsoldaten bei dem Gefecht in der Nähe von Kundus am Freitag zum Ausdruck gebracht.

Guttenberg sagte der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung", dass er den Tod der afghanischen Soldaten sehr bedauere und dem afghanischen Volk nur sein "tiefes Beileid" aussprechen könne. Aber "im Krieg wie in kriegsähnlichen Zuständen" zeige die bittere Erfahrung, "dass solche Vorfälle nie vollends auszuschließen sind."

Guttenberg sagte der "Bild am Sonntag" mit Blick auf die deutschen Soldaten: "Ich bin in Gedanken bei den Familien der Gefallenen und den verwundeten Soldaten und deren Familien." Trotzdem sei er davon überzeugt, "dass der Einsatz in Afghanistan noch notwendig ist".

Ein Sprecher des afghanischen Verteidigungsministeriums sprach von sechs getöteten Afghanen. Er verurteile "den Vorfall", der derzeit überprüft werde, sagte er der Nachrichtenagentur AFP.

AFP, 3./4. April 2010


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage