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"Daher lehnen wir die Entsendung von acht Recce-Tornados nach Afghanistan und deren Einsatz ab"

Im Wortlaut: Alle 22 Persönlichen Erklärungen nach der Abstimmung im Deutschen Bundestag

Unter Tagesordnungspunkt 21 beriet der Deutsche Bundestag am 9. März 2006 über den Antrag der Bundesregierung, sechs Tornado-Aufklärungsflugzeuge nach Afghanistan zu entsenden. Wir haben die Debatte und das Ergebnis der namentlichen Abstimmung hier dokumentiert: Bundestag beschließt Tornado-Einsatz.
Im Anschluss an die Debatte am 9. März sind zahlreiche (insgesamt 22) Persönliche Erklärungen zu Protokoll abgegeben worden, die wir im Folgenden dokumentieren. Es sind sowohl Begründungen gegen (überwiegend) als auch für den Tornadoeinsatz. Die Erklärungen geben Auskunft über die persönliche Meinung der Abgeordneten und begründen ihr Abstimmungsverhalten. Dabei werden sehr viele Argumente vorgetragen, die in der Sitzung selbst nicht zum Zug kamen. Insofern sind diese Erklärungen ein wichtiges Dokument parlamentarischer Demokratie.
Wir halten uns an die Reihenfolge, wie sie im Stenografischen Protokoll des Bundestags eingehalten wird (Anlage 5-14):



Anlage 5

Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Ortwin Runde, Renate Schmidt (Nürnberg), Elke Ferner, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Lothar Mark, Petra Merkel (Berlin), Marlene Rupprecht (Tuchenbach), Ulla Burchardt, Dirk Manzewski, Christian Kleiminger, Marko Mühlstein, Dr. Margrit Spielmann, Sönke Rix, Dr. Rainer Tabillion, Reinhold Hemker, Angelika Krüger-Leißner, Frank Hofmann (Volkach), Mechthild Rawert, Renate Gradistanac, Hilde Mattheis, Wolfgang Spanier, Martin Burkert, Ute Kumpf, Gabriele Hiller-Ohm, Jürgen Kucharczyk und Christel Humme (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 21 a)


Seit über fünf Jahren ist die Bundesrepublik Deutschland aktiv am Aufbau von staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen sowie in verschiedenen Bereichen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Afghanistan engagiert. Seit Ende 2001 war Deutschland führend am Prozess zum Aufbau rechtsstaatlicher und demokratischer Ordnung beteiligt und hat dazu drei internationale Afghanistankonferenzen organisiert. Die Bundeswehr leistet seit Beginn des internationalen Engagements im Rahmen eines UN-Mandat – ISAF – einen mit unserer zivilen Unterstützung vernetzten, wichtigen Beitrag zur militärischen Absicherung des Stabilisierungs- und Wiederaufbauprozesses in Afghanistan.

Das bisherige, auf die beschriebene Weise vernetzte Engagement Deutschlands im Norden Afghanistans hat wesentlich zur Stabilisierung in Kabul und im Norden Afghanistans beigetragen und genießt hohe internationale Reputation. Dauerhafter Frieden und zuverlässige humanitäre Hilfe waren und sind für die deutsche Außenpolitik zwei Seiten derselben Medaille. Diese Verbindung unterstütze ich auch weiterhin.

Die deutsche Außenpolitik hat sich dabei auf sehr wohltuende Weise von der Politik anderer Nationen unterschieden. Anders als in der Außenpolitik anderer Länder wurde der Kampf gegen den Terrorismus nicht als Krieg betrachtet. Dass die „Kriegsstrategie“ bislang nicht aufgegangen ist, belegt nicht nur der Umstand, dass die Friedenssicherung im Osten und Süden Afghanistans nach dem Willen der dort verantwortlichen Nationen nun ebenfalls um eine zivile Begleitung mit höherem Gewicht ergänzt werden soll, die Deutschland im Norden Afghanistans bereits erfolgreich betreibt.

Dabei sollten wir nicht vergessen, dass selbst diese Korrektur der „Kriegsstrategie“ noch zu wenig sein könnte: Denn eigentlich war die internationale Schutztruppe ISAF vor fünf Jahren mit 20 000 Soldatinnen und Soldaten angetreten, um den zügigen Aufbau eines physisch und moralisch zerstörten Landes zu garantieren.

Die Reste der Taliban und von al-Qaida sollten von hochgerüsteten Truppen in wenigen Monaten besiegt sein. Die Realität, auf deren Grundlage der Antrag der Bundesregierung jetzt gestellt wird, sieht leider anders aus. Die Zahl der Anschläge auf militärische Ziele in Afghanistan ist von 2005 auf 2006 dramatisch gestiegen: von 1 632 auf 5 338. Insgesamt waren 4 000 Tote zu beklagen. Das sind zehnmal so viele wie drei Jahre zuvor.

Angesichts dieser Entwicklung stellen wir uns die Frage, ob man diese Entwicklung beenden kann, indem deutsche Tornados mit Aufklärungsflügen den Bodentruppen den Weg weisen. Angesichts dieser Entwicklung – insbesondere der Fehlentscheidungen in Ost- und Südafghanistan, den Frieden dort vornehmlich mit militärischen Mitteln erreichen zu wollen – sind wir mehr denn je aufgerufen, alles zu tun, damit die Afghanen die Mitglieder fremder Nationen als ihre Unterstützer wahrnehmen und anerkennen. Jeder zusätzliche militärische Beitrag mit nahezu unvermeidlichen zusätzlichen Opfern aufseiten der Zivilbevölkerung birgt den Verdacht in sich, die Afghanen nicht als gleichberechtigte Partner anzuerkennen, sondern die Besatzungssituation perpetuieren zu wollen.

Mit der nun von der Bundesregierung beantragten Beteiligung an dem Einsatz einer internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe verbinden wir daher die Befürchtung, dass die bisherige, fruchtbringende deutsche Außenpolitik anders als bisher wahrgenommen würde.

Gegenwärtig drohen die Kommandeure der Taliban damit, das Land zu irakisieren, mit funkgesteuerten Kleinstbomben zu agieren, die Selbstmordattentate zu erhöhen. Das Ganze könnte nicht trotz, sondern sogar wegen der Tornados geschehen. Dass dann der Ruf nach deutschen Bodentruppen im Osten und Süden Afghanistans noch stärker als bislang ertönen dürfte, ist für uns die militärisch logische und wahrscheinliche Konsequenz. Deutschland könnte mit zunehmendem Zeitablauf nicht mehr vermitteln können, warum es nicht mit gleichem Risiko wie die anderen Nationen beteiligt ist. Dies gilt umso mehr, als die Tornado-Einsätze nun in die gerade anlaufende Frühjahrsoffensive der NATO und in die Operation Enduring Freedom, OEF, einbezogen werden sollen. Es besteht daher die Gefahr, dass deutsche Soldaten für Kriegsoperationen verantwortlich gemacht werden, auf deren Planung und Durchführung sie kaum Einfluss haben. Dies hätte letztlich Auswirkungen auf das gesamte deutsche ISAF-Kontingent. Deutsche Stellungen der ISAF-Truppe könnten zunehmend Ziel von Angriffen und Anschlägen werden, und auch die erreichte Stabilisierung der Lage im Norden Afghanistans wäre gefährdet.

Der Einsatz deutscher Tornados wäre damit kein Beitrag zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan. Das Gegenteil wäre der Fall. Wir sehen daher in der Entsendung von „Recce-Tornados“ nach Afghanistan ein nicht vertretbares Risiko für unsere deutschen Soldatinnen und Soldaten und für das Gelingen des ISAF-Einsatzes insgesamt und werden daher dem erweiterten Mandat nicht zustimmen.

Anlage 6

Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Heinz Schmitt (Landau), Angelika Graf (Rosenheim), Dr. Marlies Volkmer, Detlef Müller (Chemnitz), Waltraud Lehn, Christel Riemann-Hanewinckel, Dr. Bärbel Kofler, Dr. Wolfgang Wodarg, Christine Lambrecht und Elvira Drobinski-Weiß (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 21 a)


Die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe, ISAF, soll einen Beitrag für Sicherheit, Recht und Ordnung und damit für eine friedliche politische Entwicklung in Afghanistan leisten. ISAF hat beim Wiederaufbau Afghanistans Erfolge vorzuweisen. Insbesondere die deutsche Bundeswehr hat in ihrem Verantwortungsbereich zu einer Stabilisierung im afghanischen Norden beigetragen. Das ISAF-Mandat beinhaltet das Recht der Soldaten auf Selbstverteidigung. Militärische Gewalt ist auch zulässig, wenn es darum geht, die Regierung und die Menschen in Afghanistan zu schützen.

ISAF ist klar abzugrenzen von der Operation Enduring Freedom, OEF, welche die Bekämpfung des internationalen Terrorismus zum Ziel hat. Die bisherige relative Sicherheit deutscher Soldaten beruht nicht zuletzt auf der erkennbaren Trennung beider Operationen. Unter dieser Prämisse haben die Unterzeichnenden bisher Einsätzen deutscher Soldaten in Afghanistan zugestimmt. Der jetzt geplante Einsatz von Tornados der Bundeswehr über ganz Afghanistan führt zu erheblichen Unschärfen bei der Aufgabenteilung von ISAF und OEF. Die Luftaufklärung der Bundeswehrtornados dient nach Aussage des Bundesverteidigungsministers Dr. Franz Josef Jung dem „Schutz der ISAF-Truppen“ und der „Zielaufklärung vermuteter Stellungen militanter Widerstandgruppen“ (OEF).

Wir bezweifeln, dass es gelingen wird, die Einsatzbedingungen – insbesondere hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen ISAF und OEF – detailliert zu regeln. Es steht also zu befürchten, dass Widerstandsgruppen in Afghanistan eine solche Differenzierung nicht nachvollziehen werden und die deutschen Tornados als Flugzeuge im Kampfeinsatz bewerten. Deutsche Soldaten könnten damit für Kriegsoperationen verantwortlich gemacht werden, auf deren Planung und Durchführung sie keinerlei Einfluss haben. Als Folge von Einsätzen der Amerikaner sind fast jeden Tag Opfer unter der afghanischen Zivilbevölkerung zu beklagen, zuletzt zum Beispiel am Sonntag, 4. März 2007. Mit dem Einsatz der deutschen Tornados wären wir – zumindest in der Wahrnehmung der Afghaninnen und Afghanen – in diese verhängnisvolle Kette von Gewalt hineingezogen.

Dies hätte letztlich Auswirkungen auf das gesamte deutsche ISAF-Kontingent. Deutsche Stellungen der ISAF-Truppe könnten zunehmend Ziel von Angriffen und Anschlägen werden. Der Einsatz deutscher Tornados wäre damit kein Beitrag zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan. Das Gegenteil wäre der Fall. In dieser Einschätzung fühlen wir uns bestärkt durch Warnungen von in Afghanistan tätigen NGOs wie Medica Mondiale. Diese zivile deutsche Organisation, die in Kabul, Herat, Mazar-i-Sharif und Kandahar hervorragende Arbeit zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ leistet, befürchtet, dass sich die Gefahr für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vor Ort durch einen Einsatz von Bundeswehrtornados stark erhöhen würde. Bei einer weiteren Militarisierung der Lage würden sich immer weniger zivile Fachkräfte imstande sehen, sich dem erhöhten Sicherheitsrisiko auszusetzen.

Wir teilen die Ansicht, dass nur eine weitere Stärkung der Zivilgesellschaft und eine Fortsetzung der sinnvollen Wiederaufbauhilfe, die Deutschland in der Vergangenheit geleistet hat, ein Gegengewicht zu einer weiteren Eskalierung militärischer Gewalt bilden kann. Die Unterzeichnenden sehen daher in der Entsendung von Recce-Tornados nach Afghanistan ein nicht vertretbares Risiko für unsere deutschen Soldaten, für das Gelingen des ISAF-Einsatzes insgesamt und für die Arbeit von NGOs in Afghanistan.

Daher lehnen wir die Entsendung von acht Recce- Tornados nach Afghanistan und deren Einsatz ab.

Anlage 7

Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Andrea Nahles, Niels Annen, Gerold Reichenbach, Monika Griefahn, Ursula Mogg, Garrelt Duin, Anette Kramme, Nicolette Kressl und Kerstin Griese (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 21 a)


2001 haben die Mitglieder des Deutschen Bundestages und mit ihnen die Abgeordneten der SPD eine Grundsatzentscheidung getroffen. Deutschland ist der Bitte der afghanischen Regierung nachgekommen, sich an einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe, ISAF, zu beteiligen. Durch diesen Einsatz auf Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta wollten wir Afghanistan auf seinem Weg des Wiederaufbaus begleiten und stabilisieren. Den vorläufigen Staatsorganen Afghanistans sollte die Vorbereitung und Durchführung von demokratischen Wahlen in sicherem Umfeld ermöglicht werden.

Der Bevölkerung Afghanistans sollte mit Unterstützung der Vereinten Nationen und zahlreicher internationaler Hilfskräfte eine Chance auf einen Neuanfang in Sicherheit und politischer Selbstbestimmung gegeben werden.

Wir haben Afghanistan und seiner Bevölkerung damit Unterstützung zugesagt, sich vor der erneuten Kontrolle durch extremistische und terroristische Kräfte und vor der Ausbeutung von Land und Leuten zu schützen. An diesen grundsätzlichen Zielen hat sich nichts geändert. Der Deutsche Bundestag hat das ISAF-Mandat daher nicht nur verlängert, sondern auch auf Regionen jenseits von Kabul ausgeweitet. Die Bundesregierung hat die deutsche Verantwortung für die Zukunft Afghanistans nicht zuletzt im Afghanistan-Compact Anfang 2006 bestätigt. Ressortübergreifend leistet Deutschland daher unermüdlich und mit umfangreichen finanziellen Mitteln einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Landes. Besonders hervorzuheben sind dabei die Ausbildung der afghanischen Polizei und insbesondere die beachtenswerten Programme und Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit.

Deutsche Bundeswehrsoldaten kommen dabei weiter ihrem Mandat nach und sichern die Bemühungen der afghanischen Zivilbevölkerung und der internationalen Hilfskräfte ab. Nicht zuletzt durch die Einbeziehung der afghanischen Zivilgesellschaft und ziviler Hilfskräfte konnten deutsche Soldaten Vertrauen schaffen und dadurch nachhaltige Verbesserungen erreichen. Das bisherige Auftreten der deutschen Bundeswehrsoldaten und der deutsche Ansatz der zivil-militärischen Zusammenarbeit haben sich bewährt.

Die Lage in Afghanistan hat sich in den letzten Monaten dramatisch verschlechtert, denn die Regierung Karzai ist nach wie vor schwach und weit davon entfernt, ihre Kontrolle auf das gesamte Land auszuweiten. Die Rückkehr der Taliban in das Sicherheitsvakuum im Süden Afghanistans bedroht daher den weiteren Entwicklungsprozess und die politische Stabilität des ganzen Landes.

Wir sehen in der Entsendung von Tornados keine qualitative Änderung des bisher von Deutschland verfolgten Kurses. Auch der Einsatz von Tornados zielt darauf ab, Afghanistan bei der Gewinnung und Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit zu unterstützen. Die Aufklärungsflüge dienen der Sicherheit der Menschen und internationalen Hilfskräfte und damit der Stabilität weit über den Süden Afghanistans hinaus.

Wir betrachten mit wachsender Sorge, dass Deutschland mit einer verfehlten Antiterrorpolitik identifiziert wird. Denn Deutschland hat stets betont, dass ein rein militärischer Ansatz, der nur auf die Verfolgung von Terroristen setzt, aber den zivilen Wiederaufbau vernachlässigt, zu kurz greift. Militärische Maßnahmen ohne flankierendes ziviles Engagement können nicht von nachhaltigem Erfolg gekrönt sein. Die dank der Bundesregierung auf dem NATO-Gipfel in Riga verabschiedeten Auflagen, auch die zivile Komponente des Engagements in Afghanistan zu verstärken, entsprechen dieser Einschätzung. Sie reichen aber nicht aus. Wir begrüßen daher die intensive Debatte um den ISAF-Einsatz und die Tornado-Entsendung in den letzten Wochen, in denen sich viele von uns umfangreich über die Situation in Afghanistan informiert haben.

Eine grundlegende Überprüfung der Afghanistanstrategie sehen wir als Voraussetzung für die anstehende Verlängerung der Mandate von ISAF und Operation Enduring Freedom an. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie die verbleibende Zeit nutzt, um die begonnene Debatte im Bündnis weiterzuführen und intensiv mit dem Deutschen Bundestag abzustimmen. Wir haben dadurch die Basis für die Diskussion geschaffen, die wir im Hinblick auf die für den Herbst anstehende Entscheidung über die Verlängerung des ISAFMandats führen werden.

Die Entscheidung über die Entsendung von deutschen Tornados muss der Beginn einer ehrlichen Analyse der bisherigen NATO-Strategie in Afghanistan sein. All diejenigen, die unsere Kritik teilen, dass der Einsatz von Mitteln für militärische Zwecke im Vergleich zu den Investitionen in zivile Maßnahmen unverhältnismäßig hoch ist, bitten wir, gemeinsam mit uns dafür zu sorgen, dass in Zukunft in angemessenem Umfang Gelder für den zivilen Wiederaufbau von Afghanistan bereitgestellt werden.

Die SPD ist die Friedenspartei. Eine umfassende Sicherheitspolitik ist aktive Friedenspolitik. Doch diese muss langfristig und vorausschauend geplant sein. Militärisches Engagement, für das wir uns in Afghanistan entschieden haben, kann nur dann ermöglicht werden, wenn man zu dauerhaften Verpflichtungen auch im flankierenden zivilen und entwicklungspolitischen Bereich bereit ist. Die zivil-militärische Zusammenarbeit steht dabei im Vordergrund. Im Oktober läuft das Mandat für den Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan aus. Spätestens bis dann gehört eine nachhaltige Strategie für einen stabilen Frieden auf die Tagesordnung.

Anlage 8

Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Alexander Bonde, Winfried Nachtwei, Jürgen Trittin, Ute Koczy, Volker Beck (Köln), Dr. Gerhard Schick, Thilo Hoppe und Bärbel Höhn (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 21 a)


Wir lehnen den Antrag der Bundesregierung zur Entsendung deutscher Tornados ab.

Der Stabilisierungs- und Aufbauprozess in Afghanistan durchläuft in diesem Jahr eine besonders kritische Phase. Nach der Verschärfung der Lage im Vorjahr muss die internationale Gemeinschaft in den nächsten Monaten die Wende zum Besseren schaffen. Für uns bleibt die nach Kap. VIl der VN-Charta mandatierte ISAF-Schutztruppe weiterhin sinnvoll und notwendig. Ohne die militärische Friedenssicherung durch ISAF hätte es die bisherigen Teilerfolge in Afghanistan nicht gegeben. Wer jetzt zu einem Abzug der Bundeswehr und der ISAFTruppen insgesamt aufruft, nimmt die Rückkehr der Taliban an die Macht und den Zusammenbruch des Friedensprozesses in Kauf. Für die Stabilisierung und den Wiederaufbau Afghanistans ist das militärische Engagement der Staatengemeinschaft eine unverzichtbare Voraussetzung.

Unsere Ablehnung des Tornado-Einsatzes erfolgt nach sorgfältiger Abwägung. Die Aufklärungstornados können nicht nur Aufklärungsmaterial zur Absicherung der Stabilisierungsoperationen von ISAF liefern. Sie tragen vor allem auch zur Kampfunterstützung in den umkämpften Provinzen im Süden bei. Seriösen Quellen ist zu entnehmen, dass im Süden und Osten vielfach militärisch undifferenziert und unverhältnismäßig gegen Aufständische vorgegangen und zugleich der Aufbau vernachlässigt wurde. Eine auf Felderzerstörung fixierte Art der Drogenbekämpfung tat das Ihre zur Konfliktverschärfung. Dass dadurch mehr Feinde produziert und Freunde verloren wurden, ignoriert die Bundesregierung bisher. Es besteht also die akute Gefahr, dass Aufklärungstornados zu einer kontraproduktiven und opferreichen Militärstrategie und Operationsführung beitragen.

Seit Monaten wird auf allen Ebenen der Staatengemeinschaft betont, dass die Konflikte in Afghanistan nicht militärisch zu lösen seien und dass es eines Strategiewandels sowie forcierter und effizienterer Aufbauanstrengungen bedürfe. Bisher bleiben die Taten weit hinter den richtigen Worten zurück. Das gilt für die Staatengemeinschaft insgesamt, wo eine deutliche Diskrepanz zwischen der proklamierten Revision der Stabilisierungsstrategie und dem tatsächlichen Forcieren einer primär militärischen Bekämpfung aufständischer Gruppen besteht. Das gilt insbesondere auch für die Bundesrepublik, die wohl seit fünf Jahren einen konzeptionell vorbildlichen Ansatz ziviler, polizeilicher und militärischer Maßnahmen vertritt, aber mit dem Tornado-Einsatz ihre militärischen Anstrengungen verstärkt und viel zu wenig für die weitaus dringlicheren zivilen Bemühungen tut. Wenn nun für die Tornados ungefähr so viele Millionen Euro in einem Jahr ausgegeben werden sollen wie für die deutsche Hilfe zum Polizeiaufbau in fünf Jahren – circa 70 Millionen – und wenn die deutsche Polizeihilfe trotz des drängenden Bedarfs weitgehend unverändert bleibt, dann ist das kurzsichtig und halbherzig. Das bisherige Missverhältnis zwischen militärischem und zivilem Engagement wird somit vertieft statt überwunden. Ohne mehr und besseren Aufbau bleibt jede militärische Anstrengung aussichtslos. Deshalb fordern wir eine „zivile Frühjahrsoffensive“.

Das Nein zum Tornado-Einsatz ist ausdrücklich kein Aufruf zum Ausstieg aus dem multilateralen Projekt von Gewalteindämmung, State-Bildung und Friedensförderung, sondern ein Aufruf für eine Erfolgsstrategie in Afghanistan und ein dringender Warnruf, das schmale Zeitfenster für die Veränderung der Militärstrategie und der zivilen Anstrengungen jetzt zu nutzen. Seit Juli 2006 haben wir immer wieder gegenüber der Bundesregierung darauf gedrängt. Eine praktische Wirkung blieb weitgehend aus.

Wir unterstützen die Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr, die in Afghanistan eingesetzt werden, genauso wie die Polizistinnen und Polizisten, Zivilexpertinnen und Zivilexperten sowie Helferinnen und Helfer. Wir werden deren Einsatz kritisch-konstruktiv begleiten und uns weiterhin dafür einsetzen, dass das in Afghanistan gutangesehene Deutschland dort seiner besonderen Verantwortung auch bestmöglich gerecht wird: im Einsatz für eine glaubwürdige, ausgewogene und wirklich hilfreiche Politik der internationalen Gemeinschaft.

Anlage 9

Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt, Kerstin Andreae, Christine Scheel, Elisabeth Scharfenberg, Dr. Thea Dückert, Margareta Wolf (Frankfurt) und Brigitte Pothmer (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 21 a)


Afghanistan bedarf weit mehr als bisher der Unterstützung, gerade durch zivile Mittel. Ohne Strategiewechsel und deutlich mehr ziviles Engagement sind die Köpfe und Herzen der Menschen in Afghanistan dauerhaft nicht für die Demokratie zu gewinnen. Afghanistan braucht eine politische und zivile Frühjahrsoffensive. Zugleich können wir nicht übersehen, dass sich Afghanistan in einer Situation befindet, in der zivile Maßnahmen allein nicht zum Erfolg führen können. Besonders im Süden und Osten des Landes muss Stabilität auch mit militärischen Mitteln herbeigeführt werden, um zivilen Helfern ihren Einsatz überhaupt erst zu ermöglichen. Im ganzen Land ist militärischer Schutz und Absicherung des zivilen Aufbaus unverzichtbar. Hierin besteht der Auftrag der Tornado-Aufklärungsflugzeuge.

Ich stimme der Entsendung der Aufklärungsflugzeuge zu, weil ich die Notwendigkeit militärischer Flankierung der zivilen Maßnahmen anerkenne. Meine Zustimmung ist jedoch untrennbar verbunden mit der Aufforderung an die Bundesregierung, innerhalb der NATO auf einen Kurswechsel zu dringen. Nur als Teil einer tatsächlich gewalteindämmenden Militärstrategie ist der Einsatz der Tornados für den Aufbau Afghanistans aussichtsreich.

Für eine ausgewogenen Afghanistanpolitik ist eine Vervielfachung der zivilen Mittel notwendig, die angekündigte Erhöhung um 20 Millionen Euro reicht nicht aus. Deutschland hat die Koordinierungsverantwortung für den Aufbau der Polizei in Afghanistan übernommen. Um dies zum Erfolg zu führen, ist eine deutliche Aufstockung von Personal und Mitteln notwendig. Gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft müssen schlüssige Konzepte zur Drogenbekämpfung entwickelt und politischer Druck auf Pakistan ausgeübt werden, das die Reorganisation der Talibankräfte auf seinem Territorium duldet.

Dazu fordere ich die Bundesregierung auf.

Anlage 10

Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter Hettlich, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Harald Terpe, Sylvia Kotting-Uhl und Monika Lazar (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 21 a)


Heute entscheidet der Deutsche Bundestag über die Entsendung von Tornado-Aufklärungsflugzeugen nach Afghanistan. Diese Flugzeuge können im gesamten ISAF-Bereich eingesetzt werden, also auch in den umkämpften Regionen im Süden und Osten. Sie sollen zu mehr Sicherheit beitragen. Doch zum Aufspüren von Selbstmordattentätern, deren Anschläge die Sicherheit zunehmend bedrohen, sind Tornados weder gedacht noch geeignet. Die hochmodernen Aufklärungsflugzeuge ersetzen britische Aufklärungs- und Kampflieger, die sich ohne Aufklärungsarbeit ganz auf den Kampf aus der Luft konzentrieren werden. Deutsche Tornados haben vor allem die Aufgabe, genaue Bilder von „aufständischen (Taliban-)Kämpfern“ für anschließende Bombardements zu liefern.

Die NATO-Partner erwarten, dass Deutschland sich endlich am schwierigen und schmutzigen Kampf gegen den Widerstand im Süden Afghanistans beteiligt. Tornados sind dazu die elegante Lösung. Deutsche Soldaten müssen – noch – nicht im direkten Kampf ihr Leben riskieren, dafür liefern deutsche Flugzeuge die Infobilder zur blutigen Bekämpfung und Zerstörung. Faktisch wird mit dem Tornadoeinsatz die bisherige Linie des deutschen ISAF-Einsatzes verlassen, der sehr darauf bedacht war, im Norden Afghanistans möglichst zivilpolizeilich die Aufbauprojekte zu sichern. Ganz anders als die NATO im Süden, die sich immer wieder als martialische Besatzungsarmee aufspielt.

Das relativ gute Ansehen der Bundeswehr vor Ort, das wesentlich mit dieser eher zivilen Strategie zusammenhängt, wird bald blutbeschädigt sein. Und auch in Afghanistan wird sich herumsprechen, dass deutsche Flugzeuge die Bombardements der NATO vorbereitet haben. Der scheinbar harmlose Bundeswehreinsatz mit sechs Aufklärungstornados könnte die Rolle der Bundeswehr in Afghanistan entscheidend verändern: von der Aufbauschutztruppe zur gewaltsamen Besatzungsarmee. Aber mit noch so viel militärischer Gewalt wird man ein Volk nicht „überzeugen“ und auch keine „Herzen gewinnen“. Und mit noch so viel Waffengewalt und Krieg kann auch Demokratie nicht durchgesetzt werden.

Die Tornados werden den Friedensprozess sicher nicht beschleunigen, wohl aber eine neue militärische Eskalationsstrategie einleiten. Wir befürchten eine Ausweitung und Brutalisierung des Krieges wie die Mehrzahl der Menschen in Deutschland. Afghanistan braucht keine militärische, wohl aber eine zivile Frühjahrsoffensive. Der Einfluss der Taliban kann allenfalls mit zivilen Mitteln zurückgedrängt werden. Sinnvoller wäre es, die 35 Millionen Euro für den Tornadoeinsatz in den zivilen Wiederaufbau einzusetzen. Deshalb und aufgrund weiterer grundsätzlicher Bedenken sagen wir Nein zu deutschen Tornados in Afghanistan.

Anlage 11

Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Hans-Josef Fell und Wolfgang Wieland (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 21 a)


Der Antrag der Bundesregierung auf Beteiligung an der NATO-geführten Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan – ISAF – mit sechs bis acht Tornados zur Aufklärung und Überwachung aus der Luft ist zum Teil plausibel.

Die Sicherungsunterstützungstruppe – ISAF – ist Teil der auch von den Grünen in der Vergangenheit massiv eingeklagten und unterstützten Verbindung von zivilem Aufbau auf der einen und militärischer Absicherung auf der anderen Seite. Dieser Einsatz ist vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mehrfach legitimiert und in dem sogenannten Petersberger Prozess mit der Verpflichtung der Staatengemeinschaft konkretisiert worden. Die Grünen, insbesondere das grün geführte Auswärtige Amt, waren in diesem Prozess immer eine treibende Kraft. Es war und ist unser erklärtes Ziel, das geschundene Afghanistan nach 25 Jahren Bürgerkrieg in einer langfristig angelegten Entwicklung des zivilen Wiederaufbaus und des Nation Building wieder zur Ruhe kommen zu lassen. Es war und ist unsere Überzeugung, dass dieser Prozess noch auf absehbare Zeit der militärischen Absicherung bedarf.

Gerade weil die Grünen im November 2006 zum ersten Mal einer Verlängerung des Antiterrormandats Operation Enduring Freedom – OEF – nicht zugestimmt haben, stehen wir bei der realistischen Ausgestaltung des ISAF-Mandats in einer besonderen Verantwortung. Auch in der Öffentlichkeit und in der politischen Diskussion der NATO wird zunehmend ein Strategiewechsel angestrebt, der eine Stärkung und Beschleunigung des zivilen Aufbaus unter dem Schutz von ISAF zum Inhalt hat.

Angesichts der schwierigen Lage in Afghanistan, die sich im Laufe des Jahres 2006 weiter verschlechtert hat, muss die Sicherungsunterstützungstruppe allerdings auch mit den nötigen militärischen Kapazitäten ausgestattet werden. Insofern ist der Antrag der Bundesregierung plausibel. Mit den Aufklärungsflugzeugen vom Typ Tornado Recce wird die Fähigkeit von ISAF deutlich verbessert, sich ein Lagebild vom gesamten Verantwortungsbereich zu machen. Diese Fähigkeit kommt unmittelbar der Sicherheit der Soldaten und der zivilen Helfer zugute. Die Aufklärung kann die Führungsfähigkeit der Operation ISAF verbessern und die Effizienz der ISAF Stabilisierungs- und Sicherheitsoperationen steigern. Verbesserte Aufklärungsfähigkeit von ISAF kann zu verbesserter, angemessener und verhältnismäßiger Reaktion von ISAF führen.

Deutschland steht hier auch in einer Gesamtverantwortung und Bündnisverpflichtung für alle Teilnehmerländer der Schutztruppe. Diese Verpflichtungen erlauben es nur in extremen Ausnahmefällen, Bündnisanfragen abzulehnen, obwohl die Kapazitäten vorhanden sind. Deshalb können wir den Antrag der Bundesregierung nicht ablehnen.

Allerdings: Die Aufklärungsergebnisse der Tornados können auch zu Zwecken missbraucht werden, die mit den Zielen des zivilen Wiederaufbaus nicht im Einklang stehen. Unsere Kritik an Teilen der OEF-Operationen, die im Ergebnis eher den Taliban die Anhänger in die Arme getrieben haben, verweist auf Zweifel an der Führung der künftigen Gesamtoperation und auf die Tatsache, dass der angekündigte Strategiewechsel noch nicht umgesetzt ist. Hierzu gehört insbesondere die Kritik an Bombardierungen, die hauptsächlich Zivilpersonen in Mitleidenschaft nehmen. Die Versicherung des Bundesministers der Verteidigung, der Tornado-Einsatz vermindere die Zahl der Kolateralschäden, ist solange nicht glaubhaft, wie die Ergebnisse der Luftaufklärung – wenn auch restriktiv – für die OEF zu Verfügung gestellt werden.

Auch hat für uns die Unterstützung des zivilen Aufbaus höchste Priorität. Wir müssen leider beobachten, wie die schwarz-rote Bundesregierung die Finanzierung der zivilen Komponente gegenüber der militärischen Sicherung nicht mit dem gleichen Einsatz verfolgt. Militär darf nicht zum Ersatz von zivilen politischen Maßnahmen werden. Deshalb können wir dem Antrag der Bundesregierung nicht zustimmen.

Da der geplante Tornado-Einsatz deshalb zum einen sinnvoll für eine Absicherung von ISAF ist, zum anderen aber Grundlage für eine falsche Strategie im Rahmen von OEF sein kann – beide Funktionen sind untrennbar miteinander verwoben –, werden wir uns der Stimme enthalten.

Anlage 12

Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Britta Haßelmann und Ulrike Höfken (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 21 a)


Die Bundesregierung hat einen Antrag auf Entsendung von sechs bis acht deutschen Tornados zur Ergänzung der UN-mandatierten ISAF-Mission in Afghanistan in den Deutschen Bundestag eingebracht, über den das Parlament heute entscheidet. Diese Tornados sollen zur luftgestützten Aufklärung in ganz Afghanistan dienen. Hier geht es für jede und jeden von uns darum, den Nutzen eines solchen Einsatzes gegen die Risiken abzuwägen.

Ich unterstütze weiterhin die Stabilisierung Afghanistans, weil ein Scheitern der internationalen Gemeinschaft für die Menschen in Afghanistan und die internationale Gemeinschaft fatal wäre.

Die ISAF (International Security Assistance Force) als Verbindung von militärischer Sicherheit auf der einen Seite und zivilem Aufbau und Nation-Building auf der anderen Seite sollte die Umsetzung der Ziele Sicherheit und Stabilisierung gewährleisten. Dieser Einsatz ist vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mehrfach legitimiert und in dem sogenannten Petersberger Prozess mit der Verpflichtung der Staatengemeinschaft konkretisiert worden. Der Kampf gegen Gewalt und terrorbereite Kräfte macht den Einsatz von Polizei- und Streitkräften erforderlich, denn ohne eine Mindestmaß an Sicherheit ist der Aufbau staatlicher und zivilgesellschaftlicher Strukturen nicht möglich. Aus meiner Sicht muss es um eine Gesamtstrategie gehen, die eine Stabilisierung stützt und nicht gefährdet. Bei der Ablehnung von OEF (Operation Enduring Freedom) im November 2006 haben wir Grüne gleichzeitig gefordert, dass ISAF als internationale Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO gestärkt werden muss. Heute sind die Risiken und Chancen der Bereitstellung von Tornado-Aufklärungsflugzeugen zu bewerten.

ISAF braucht sicher zur Erfüllung des Stabilisierungsauftrags eine robuste Komponente und, da die Partner wechselseitig aufeinander angewiesen sind, ergeben sich aus einem gemeinsamen Vorgehen der internationalen Gemeinschaft auch bündnispolitische Verpflichtungen.

Die Aufklärungsergebnisse allerdings sind in mehrfacher Hinsicht nutzbar. Sie können zum Schutz und zur Stabilisierung eingesetzt werden, könnten aber auch zu Zwecken missbraucht werden, die mit den Zielen des zivilen Wiederaufbaus nicht im Einklang stehen.

Die im Laufe des Jahres 2006 verschlechterte Lage in Afghanistan erfordert aus meiner Sicht einen grundlegenden Strategiewechsel, der die klare Priorität auf einen zivilen Aufbau legt und zu einer nachhaltigen Stabilisierung des Landes führt. Wir brauchen eine zivile und politische Offensive und eine Verstärkung der zivilen Anstrengung.

Ich bin der Auffassung, dass die Bundesregierung einen größeren Beitrag für einen Strategiewechsel der NATO leisten muss. Zu diesem Zeitpunkt ist für mich nicht erkennbar, in welcher Weise die Bundesregierung durch ihr nationales Engagement und durch internationale Bemühungen auf der Ebene der EU und der NATO diesen Strategiewechsel wirklich im Sinne einer Gesamtstrategie voranbringen will. Deshalb kann ich dem Antrag der Bundesregierung nicht zustimmen und werde ich mich bei dieser Entscheidung enthalten.

Anlage 13

Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Ernst Kranz und Frank Schwabe (beide SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 21 a)


Die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe, ISAF, soll einen Beitrag für Sicherheit, Recht und Ordnung und damit für eine friedliche politische Entwicklung in Afghanistan leisten. ISAF hat beim Wiederaufbau Afghanistans Erfolge vorzuweisen. Insbesondere die deutsche Bundeswehr hat in ihrem Verantwortungsbereich zu einer Stabilisierung im afghanischen Norden beigetragen. Das ISAF-Mandat beinhaltet das Recht der Soldaten auf Selbstverteidigung. Militärische Gewalt ist auch zulässig, wenn es darum geht, die Regierung und die Menschen in Afghanistan zu schützen.

ISAF ist klar abzugrenzen von der Operation Enduring Freedom, OEF, welche die Bekämpfung des internationalen Terrorismus zum Ziel hat. Die bisherige relative Sicherheit deutscher Soldaten beruht nicht zuletzt auf der erkennbaren Trennung beider Operationen. Der jetzt geplante Einsatz von Tornados der Bundeswehr über ganz Afghanistan führt zu erheblichen Unschärfen bei der Aufgabenteilung von ISAF und OEF. Die Luftaufklärung der Bundeswehr-Tornados dient nach Aussage des Bundesverteidigungsministers Dr. Franz Josef Jung dem Schutz der ISAF-Truppen und der „Zielaufklärung vermuteter Stellungen militanter Widerstandgruppen“, OEF.

Ich bezweifle, dass es gelingen wird, die Einsatzbedingungen – insbesondere hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen ISAF und OEF – detailliert zu regeln. Es steht also zu befürchten, dass Widerstandsgruppen in Afghanistan eine solche Differenzierung nicht nachvollziehen werden und die deutschen Tornados als Flugzeuge im Kampfeinsatz bewerten. Deutsche Soldaten könnten damit für Kriegsoperationen verantwortlich gemacht werden, auf deren Planung und Durchführung sie keinerlei Einfluss haben. Als Folge von Einsätzen der Amerikaner sind jeden Tag Opfer unter der afghanischen Zivilbevölkerung zu beklagen, zuletzt zum Beispiel am Sonntag, 4. März 2007. Mit dem Einsatz der deutschen Tornados wären wir – zumindest in der Wahrnehmung der Afghaninnen und Afghanen – in diese verhängnisvolle Kette von Gewalt hineingezogen. Dies hätte letztlich Auswirkungen auf das gesamte deutsche ISAF-Kontingent. Deutsche Stellungen der ISAF-Truppe könnten zunehmend Ziel von Angriffen und Anschlägen werden. Der Einsatz deutscher Tornados wäre damit kein Beitrag zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan. Das Gegenteil wäre der Fall.

In dieser Einschätzung fühle ich mich bestärkt durch Warnungen von in Afghanistan tätigen NGOs wie Medica Mondiale. Diese zivile deutsche Organisation, die in Kabul, Herat, Masar-i-Scharif und Kandahar hervorragende Arbeit zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ leistet, befürchtet, dass sich die Gefahr für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen vor Ort durch einen Einsatz von Bundeswehr-Tornados stark erhöhen würde. Bei einer weiteren Militarisierung der Lage würden sich immer weniger zivile Fachkräfte imstande sehen, sich dem erhöhten Sicherheitsrisiko auszusetzen.

Ich bin der Ansicht, dass nur eine weitere Stärkung der Zivilgesellschaft und eine Fortsetzung der sinnvollen Wiederaufbauhilfe, die Deutschland in der Vergangenheit geleistet hat, ein Gegengewicht zu einer weiteren Eskalierung militärischer Gewalt bilden kann. Ich sehe daher in der Entsendung von Recce-Tornados nach Afghanistan ein nicht vertretbares Risiko für unsere deutschen Soldaten, für das Gelingen des ISAF-Einsatzes insgesamt und für die Arbeit von NGOs in Afghanistan. Daher lehne ich die Entsendung von acht Recce-Tornados und deren Einsatz in Afghanistan ab.

Anlage 14

Erklärungen nach § 31 GO
zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung:
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt 21 a)


Veronika Bellmann (CDU/CSU):

Zunächst ist festzustellen, dass ich dem Antrag auf Einsatz von Recce- Tornados zur Verstärkung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan im Rahmen von ISAF nur unter größten Vorbehalten zustimme.

Das Grundmandat wurde 2001 von der damaligen rotgrünen Bundesregierung befürwortet und mit entsprechenden Mehrheiten beschlossen. Ich war damals noch nicht Mitglied des Deutschen Bundestages und würde unter heutigen Bedingungen für einen verstärkt auf militärische Präsenz ausgerichteten Auftrag keine Zustimmung geben. Der jetzt geplante Einsatz der Tornado-Aufklärungsflugzeuge ist keine solche Grundsatzentscheidung, sondern eine Ergänzung, die wegen unserer Bündnisverpflichtungen und aus Sicherheitsgründen – für den Schutz unserer Soldaten, der zivilen Entwicklungshelfer sowie gefährdeter Wiederaufbauprojekte – notwendig erscheint. Mit den Aufklärungsflügen soll es besser als jetzt möglich sein, Gefahren rechtzeitig zu erkennen, insbesondere hinsichtlich der fragilen Sicherheitslage im Südosten Afghanistans.

Insgesamt aber sollte Deutschland innerhalb der NATO und der EU darauf drängen, eine grundlegende Überprüfung der Strategie hinsichtlich der Aufwertung der UN-Mission im Sinne einer Verstärkung der wirtschaftlichen und politischen Hilfe zu erreichen. Diese umfassende politische Stabilisierung Afghanistans wurde bereits auf dem NATO-Gipfel im November 2006 angemahnt. Mit der derzeitigere Befristung des Einsatzes der Tornado-Aufklärer bis Oktober dieses Jahres ist eine Möglichkeit der Überprüfung dieses Strategiewechsels gegeben.

Nur unter der Bedingung dieser Befristung, des beabsichtigten Strategiewechsels und der großen Befürchtung um die afghanische Bevölkerung, insbesondere um Frauen und Mädchen, stimme ich zu. Ein Erstarken der Taliban ist unter allen Umständen zu verhindern, da ansonsten der Wiederaufbau des Landes und die Rechte und Freiheiten der Bevölkerung gefährdet würden.

Dr. Axel Berg (SPD): Die Internationale Sicherheitsbeistandtruppe unterstützt die Regierung Afghanistans bei ihrer Aufgabe, für Sicherheit, Recht und Ordnung im ganzen Land zu sorgen. ISAF soll eine friedliche politische Entwicklung Afghanistans gewährleisten. ISAF hat beim Wiederaufbau Afghanistans Erfolge vorzuweisen. Insbesondere die deutsche Bundeswehr hat in ihrem Verantwortungsbereich zu einer Stabilisierung des Nordens Afghanistans beigetragen.

Das ISAF-Mandat beinhaltet das Recht der ISAF-Soldaten auf Selbstverteidigung. Militärische Gewalt ist auch dann zulässig, wenn es darum geht, die Regierung und die Menschen in Afghanistan zu schützen. ISAF ist dabei klar abzugrenzen von der Operation Enduring Freedom, die die Bekämpfung des internationalen Terrorismus zum Ziel hat. Die Sicherheit deutscher Soldaten bisher beruht nicht zuletzt auf der relativ klaren Trennung beider Operationen. Unter dieser Prämisse habe ich bisher allen Einsätzen deutscher Soldaten in Afghanistan zugestimmt.

Der jetzt geplante Einsatz von Tornados der Bundeswehr über ganz Afghanistan führt zu erheblichen Unschärfen bei der Aufgabenteilung von ISAF und OEF. Die Luftaufklärung der Bundeswehrtornados dient nach Aussage des Bundesverteidigungsministers Dr. Franz Josef Jung dem Schutz der ISAF-Truppen und der Zielaufklärung vermuteter Stellungen militanter Widerstandgruppen.

Ich bezweifle, dass es gelingen wird, die Einsatzbedingungen – insbesondere hinsichtlich der Zusammenarbeit zwischen ISAF und OEF – detailliert zu regeln. Es steht also zu befürchten, dass Widerstandsgruppen in Afghanistan eine solche Differenzierung nicht nachvollziehen werden und die deutschen Tornados als Flugzeuge im Kampfeinsatz bewerten.

Die Recce-Tornados könnten sowohl die ISAF – als auch die OEF-Operationen in ihrer ganzen Breite unterstützen und haben insofern einen doppelten Verwendungszweck die Stabilisierungsoperationen vor allem in Nord-, West- und Zentralafghanistan und die zum Teil hochintensiven Kampfoperationen bei der Aufstandsbekämpfung im Süden und Osten. Es geht also weder nur um Schutz, noch nur um Kampf, sondern sowohl um Stabilisierungs- als auch um Kampfunterstützung.

Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Maschinen zur Überwachung der bergigen afghanischpakistanischen Grenze sowie zur Erkundung von Schlafmohnfeldern eingesetzt werden. Die bisherige Drogenbekämpfung war, trotz positiver Einzelfälle, insgesamt erfolglos. Feldzerstörungen trafen in einem Umfeld fehlender Alternativen oder nicht eingehaltener Zusagen vor allem die ärmsten Bauern. Auch dies fördert Entfremdung – und den Zulauf zu den Taliban. Für dieses Jahr ist eine massive Ausweitung der Eradication angekündigt.

Die afghanische Regierung konnte bisher noch dem massiven US-Druck für einen Herbizideinsatz widerstehen. Auch die präzisere Aufklärung durch Tornados kann das hohe Risiko ziviler Opfer nicht entscheidend reduzieren, da Kombattanten und Zivilbevölkerung angesichts landesüblicher Kleidung und Bewaffnung kaum zu unterscheiden sind. Zur Praxis und Operationsführung im Süden liegen kaum verlässliche Angaben vor. Da dort vorrangig die Strategie verfolgt wird, die Aufständischen zu bekämpfen, werden nicht nur eigene Soldaten einem erhöhten Risiko ausgesetzt, sondern auch die Zivilbevölkerung massiv in Mitleidenschaft gezogen und Nothilfe und Aufbau vernachlässigt.

Deutsche Soldaten könnten damit für Kriegsoperationen verantwortlich gemacht werden, auf deren Planung und Durchführung sie keinerlei Einfluss haben. Jeden Tag sind als Folge von Einsätzen der Amerikaner Opfer unter der afghanischen Zivilbevölkerung zu beklagen, zuletzt am Sonntag, dem 4. März 2007. Mit dem Einsatz der deutschen Tornados wären wir zumindest in der Wahrnehmung der Afghaninnen und Afghanen in diese verhängnisvolle Kette von Gewalt hineingezogen. Dies hätte letztlich Auswirkungen auf das gesamte deutsche ISAF-Kontingent. Deutsche Stellungen der ISAFTruppe könnten zunehmend Ziel von Angriffen und Anschlägen werden. Der Einsatz deutscher Tornados wäre damit kein Beitrag zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan. Das Gegenteil wäre der Fall.

In dieser Einschätzung fühle ich mich bestärkt durch Warnungen von in Afghanistan tätigen NGOs wie Medica Mondiale. Diese zivile deutsche Organisation, die in Kabul, Herat, Mazar-i-Sharif und Kandahar hervorragende Arbeit zum Thema Gewalt gegen Frauen leistet, befürchtet, dass sich die Gefahr für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort durch einen Einsatz von Bundeswehrtornados stark erhöhen würde. Bei einer weiteren Militarisierung der Lage würden sich immer weniger zivile Fachkräfte imstande sehen, sich dem erhöhten Sicherheitsrisiko auszusetzen.

Ich teile die Meinung von Medica Mondiale, dass nur eine weitere Stärkung der Zivilgesellschaft und eine Fortsetzung der sinnvollen Wiederaufbauhilfe, die Deutschland in der Vergangenheit geleistet hat, ein Gegengewicht zu einer weiteren Eskalierung militärischer Gewalt bilden kann. Der Einsatz von sechs Tornados wird für die nächsten sechs Monate auf 35 Millionen Euro taxiert. Das deutsche Jahresbudget für bilaterale Aufbauhilfe in Afghanistan betrug bisher lediglich 80 Millionen Euro.

Wenn der Aufbau im bisherigen Tempo fortgesetzt wird, wären in fünf Jahren vielleicht 10 Prozent der Zerstörungen von 26 Jahren Krieg wieder aufgebaut. Afghanische Polizisten und Soldaten erhalten 50 bis 60 USDollar im Monat, Taliban-Söldner 200 bis 600 Dollar. Die Forderungen nach einer Forcierung des zivilen Aufbaus fanden bisher nur ein unzureichendes Echo. Es ist zu hoffen, dass die beschlossene Polizeimission der Europäischen Union mit einer deutlichen Verstärkung der Kapazitäten einhergeht.

Der Einsatz von Recce-Tornados kann neben dem positiven Teilnutzen für die Stabilisierungsoperationen auf die Unterstützung einer falschen Strategie hinauslaufen, in jedem Fall würde sie die militärisch-zivile Unausgewogenheit des deutschen Engagements verstärken.

Ich sehe daher in der Entsendung von Recce-Tornados nach Afghanistan ein nicht vertretbares Risiko für unsere deutschen Soldaten, für das Gelingen des ISAFEinsatzes insgesamt und für die Arbeit von NGOs in Afghanistan und lehne den Einsatz ab.

Lothar Binding (SPD):

Nachfolgend deute ich den Abwägungsprozess für meine unten angefügte Entscheidung an. Dabei greife ich in einigen Fällen wortgleich auf Informationen der Bundesregierung bzw. einiger Kollegen aus der SPD-Fraktion zurück.

Seit über fünf Jahren ist die Bundesrepublik Deutschland aktiv am Aufbau von staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen sowie in verschiedenen Bereichen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Afghanistan engagiert.

Seit Ende 2001 war Deutschland führend am Prozess zum Aufbau rechtsstaatlicher und demokratischer Ordnung beteiligt und hat dazu drei internationale Afghanistankonferenzen organisiert. Die Bundeswehr leistet seit Beginn des internationalen Engagements im Rahmen eines UN-Mandates – ISAF – einen mit unserer zivilen Unterstützung vernetzten wichtigen Beitrag zur militärischen Absicherung des Stabilisierungs- und Wiederaufbauprozesses in Afghanistan.

Bisher habe ich allen Afghanistaneinsätzen in enger Abstimmung mit meinen afghanischen Freunden zugestimmt. Unser Konzept ist darauf orientiert, in Afghanistan zivile Aufbauprozesse zu ermöglichen und einen Rahmen zu schaffen, der Terrorismus stetig weiter einengt.

Durch bessere Bildungschancen, durch Stärkung der Frauenrechte, durch Ausweitung der zivilgesellschaftlichen Entfaltungsmöglichkeiten, den Aufbau wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Infrastruktur usw. soll jeglichem Terrorismus der Boden entzogen werden. Soweit eine – meine – Idealvorstellung. In der Praxis stellt sich diese Aufgabe aber als sehr risikoreich dar und erfordert schon aus Gründen einer eventuell notwendigen Selbstverteidigung über rein zivile Vorerfahrungen hinausgehende Erfahrungen – militärische Präsenz war und ist heute noch erforderlich und auch von Afghanistan erwünscht. An dieser Aufgabe – Aufbau des Landes und Schutz vor terroristischen Übergriffen – möchte ich solange festhalten, bis Afghanistan selbst diese Aufgabe übernehmen kann.

Diese Aufgabe hat die Bundeswehr bisher im Norden sehr gut erfüllt. Natürlich gab es Rückschläge, aber in noch immer tribalen Strukturen und einem Land, das maßgeblich vom Drogenanbau dominiert wird, müssen die Maßstäbe für die oben genannten Ziele entsprechend transformiert werden. Insgesamt sind die Entwicklungen im Norden Afghanistans, also dem Einsatzgebiet der Bundeswehr, ein Erfolg deutscher Außenpolitik. Eine der Voraussetzungen für diesen Erfolg war sicherlich einerseits die räumliche Begrenzung, andererseits die Arbeitsteilung zwischen den verschiedenen Nationen. So konnten unterschiedliche Konzepte zur Anwendung kommen und die Aufträge für die Bundeswehr – einer „Parlamentsarmee“ – entsprechend definiert werden. Soldaten der Bundeswehr waren in der Vergangenheit an verschiedenen Auslandseinsätzen im Rahmen der kollektiven Bündnisse der Vereinten Nationen und der NATO beteiligt. In einer Entscheidung vom 12. Juli 1994 hat das Bundesverfassungsgericht bekräftigt, dass Art. 24 Abs. 2 Grundgesetz im Zusammenwirken mit Art. 87 a Abs. 2 Grundgesetz die verfassungsrechtliche Grundlage für die Einordnung der Bundesrepublik Deutschland in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit zur Wahrung des Friedens darstellt. Als Abgeordneter muss ich bei meiner Entscheidung berücksichtigen, dass die Bundesrepublik als Mitglied in der NATO Verantwortung für deutsche Soldatinnen und Soldaten und auch für alle Soldaten der NATO-Vertragsstaaten übernimmt und Verpflichtungen eingeht.

Die Verpflichtungen, die sich aus der NATO-Mitgliedschaft ergeben, erfordern außenpolitische Verlässlichkeit als Bündnispartner. Diese setzt innenpolitische Unterstützung der Bundesregierung durch die sie tragenden Koalitionsfraktionen voraus. Denn jede letztgültige Entscheidung muss von innen bestimmt und nach außen vertreten werden.

Die angeforderte und auch erforderliche Bündnistreue steht in Konflikt mit der Entscheidungs- und Gewissensfreiheit als Abgeordneter. Die NATO-Mitgliedschaft begründet keinen Automatismus; denn die Letztentscheidung über einen Einsatz unserer Soldatinnen und Soldaten obliegt dem Bundestag. Dieser Parlamentsvorbehalt ist eng mit dem freien Mandat und der Gewissensfreiheit des Abgeordneten verbunden. Er genießt Vorrang gegenüber den außenpolitischen Erfordernissen und ist zusätzlich begründet durch die besondere historische Verantwortung Deutschlands.

Dies gilt umso mehr, als der Abgeordnete eines nationalen Parlaments am Entscheidungsprozess der NATO, der zu bestimmten Anforderungen führt, nicht immer hinreichend beteiligt ist. Dies gilt gleichermaßen für die Abgeordneten anderer nationaler Parlamente. Im Falle einer Koalitionsmehrheit muss die Gewissensfreiheit abgewogen werden gegen die Handlungsfähigkeit der gesamten Regierung in allen Politikfeldern – eine schwierige Entscheidungssituation für jeden einzelnen Abgeordneten, auch für mich.

Mit dem Beitritt Deutschlands zu den Vereinten Nationen und zur NATO wurden auch Einsätze der Bundeswehr im Rahmen und nach den Regeln von VN und NATO möglich; mit Blick auf die wechselseitigen Verpflichtungen, die man in Bündnissen eingeht, sind solche Einsätze vielleicht sogar nötig. Allerdings ist für mich Bündnistreue allein kein hinreichender Grund, für Einsätze der Bundeswehr zu stimmen. Art und Ziel des Einsatzes dominieren meine Entscheidung.

Auslöser der aktuellen Entscheidung über eine Entsendung von Tornados nach Afghanistan war eine Anfrage der NATO. Die Bundesregierung hat nach Prüfung dieser Anfrage über die Ergänzung des vom Bundestag am 26. September vergangenen Jahres verlängerten ISAF-Mandates einen Beschluss gefasst, wonach zeitlich befristet Aufklärungsflugzeuge des Typs Recce-Tornado nach Afghanistan verlegt werden sollen.

Die Bundesregierung hat wichtige Beschränkungen für den Einsatz der Tornados vorgesehen. Sie dürfen nur zum Zwecke der Aufklärung und Überwachung aus der Luft eingesetzt werden. Wie die Bundesregierung in ihrer Mandatsbegründung ausführt, sieht der ISAF-Operationsplan eine restriktive Übermittlung von Aufklärungsergebnisse an die internationale Operation Enduring Freedom vor. Die Übermittlung von Aufklärungsdaten darf nur erfolgen, wenn dies zur erfolgreichen Durchführung der ISAF-Operation oder für die Sicherheit von ISAF-Kräften erforderlich ist. Die Aufklärungsflugzeuge sollen nicht zur Luftnahunterstützung eingesetzt werden. Die Erkenntnisse werden von ISAF für Schutzmaßnahmen genutzt, aber auch zur Bekämpfung der Taliban und anderer oppositioneller militanter Kräfte.

Neben der Bitte um eine Ausweitung des militärischen Engagements und die aktive Beteiligung deutscher Soldaten an Kampfeinsätzen steht das Bemühen seitens der NATO, die Europäische Union und weitere internationale Organisationen wie Weltbank und Vereinte Nationen zu einem verstärkten Engagement in Afghanistan aufzurufen. Der NATO-Generalsekretär de Hoop Scheffer kritisierte in diesem Zusammenhang bereits die Einsatzbeschränkungen für mehrere Kontingente der aus verschiedenen Ländern stammenden internationalen Afghanistanschutztruppe ISAF.

Auch der Bundestag hat im Rahmen des Stabilisierungsmandates der Vereinten Nationen in Afghanistan, – kurz ISAF – solche Beschränkungen hinsichtlich des geografischen Einsatzgebietes in Afghanistan und der Beteiligung deutscher Soldaten an Kampfhandlungen definiert, die meine volle Unterstützung hatten und haben. Das Parlament hat einer Verlängerung dieses Engagements der Bundeswehr am 28. September 2006 zugestimmt.

Dieses Mandat erlaubt den Einsatz von maximal 3 000 Soldaten in Afghanistan. Gegenwärtig sind etwa 2 850 dort stationiert. Das Mandat sieht einen Einsatz nicht im Süden des Landes, sondern nur im Norden vor.

Im Rahmen des Selbstverteidigungs- und Nothilferechts darf die Truppe alle zum Schutz der Regierung und der Zivilbevölkerung erforderlichen Maßnahmen ergreifen. Darüber hinaus dürfen die deutschen Streitkräfte aber nicht zu Kampfhandlungen eingesetzt werden. In anderen Regionen des Landes, in denen Militäreinheiten unserer Bündnispartner seit Sommer verstärkte Offensiven gegen die bewaffnete Opposition in Afghanistan durchführen, wird ein Einsatz wie bisher nur für zeitlich und im Umfang begrenzte Unterstützungsleistungen ermöglicht.

Forderungen unserer NATO-Partner nach einem direkten Einsatz der Bundeswehr, insbesondere von Einheiten des Kommandos Spezialkräfte – KSK –, bei der aktiven Bekämpfung des Drogenanbaus und -handels waren von der Bundesregierung zurückgewiesen worden.

In einer Protokollnotiz hatte die Bundesregierung im Oktober 2003 klargestellt, dass „die Drogenbekämpfung nicht im Mandat des Bundeswehreinsatzes enthalten ist“.

Gegenwärtig drohen die Kommandeure der Taliban damit, das Land zu irakisieren, mit funkgesteuerten Kleinstbomben zu agieren, die Selbstmordattentate zu erhöhen. Das Ganze könnte nicht trotz, sondern sogar wegen der Tornados geschehen. Dass dann der Ruf nach deutschen Bodentruppen im Osten und Süden Afghanistans noch stärker als bislang ertönen dürfte, ist für uns die militärisch logische und wahrscheinliche Konsequenz. Deutschland könnte mit zunehmendem Zeitablauf nicht mehr vermitteln können, warum es nicht mit gleichem Risiko wie die anderen Nationen beteiligt ist.

Diese Weigerung, sich an Kampfeinsätzen zu beteiligen, halte ich für die richtige Entscheidung, die ich auch zur Grundlage meiner gegenwärtigen Einschätzung der politischen Situation mache. Denn die Erfahrungen mit bisherigen Militärmissionen, die unter dem Mandat der VN oder der NATO standen, zeigt, dass Truppen oftmals zahlreiche eigene Todesopfer zu beklagen hatten und eine Beteiligung in engster Kooperation schnell an Selbstbestimmung verliert. Das ist ein in der Praxis nicht kalkulierbares Risiko. Das Wissen um diese möglichen Konsequenzen meiner Entscheidung für die betroffenen Bundeswehrsoldaten und ihre Angehörigen stellt eine schwere moralische Bürde dar.

Meine Entscheidung bespreche ich auch mit afghanischen Freunden, die mir ein genaues und lebensnahes Bild von der Lage im Land zeichnen und deren Friedensorientierung für mich zweifelsfrei feststeht. Gegenwärtig werde die Aufbauarbeit durch die afghanische Regierung in der Öffentlichkeit nicht genug sichtbar; die Regierung gilt als schwach. Militärische Präsenz dagegen werde viel deutlicher sichtbar. Statt ziviler Projekte, deren Lebensdauer oft auf wenige Monate begrenzt ist, sei der Schwerpunkt des Engagements umzulenken von militärischen Aktivitäten in zivilen Aufbau. Meine Aufgabe ist es, die verschiedenen Aspekte der Auslandseinsätze und der Terrorismusbekämpfung sensibel zu betrachten und Handlungsalternativen besonnen gegeneinander abzuwägen. Entscheidungen wie die, Soldatinnen und Soldaten in ein militärisches Krisengebiet zu schicken, sind schwierige Gewissensfragen für mich.

Dies gilt genauso für Kolleginnen und Kollegen, die anders abstimmen. Für sie gibt es mit Blick auf die Hilfe und Unterstützung anderer Einsatztruppen auch Gründe, für den Einsatz zu stimmen. Hier gilt es, wechselseitig die Ernsthaftigkeit der Abwägungsprozesse mit unterschiedlichen Ergebnissen zu respektieren. Die Unberechenbarkeit in terroristischem Umfeld führt bei allen Handlungsoptionen zu Restzweifeln über „die richtige“ Entscheidung.

Zudem befürchte ich, dass sich unsere Weigerung, Bodentruppen für einen möglichen Kampfeinsatz zu entsenden, angesichts drohender Verluste anderer Truppenteile nicht aufrechterhalten lassen wird, wenn wir der Entsendung von Tornado-Flugzeugen zugestimmt und damit unsere Bereitschaft zu Kampfeinsätzen signalisiert haben. Der Tornado-Einsatz liegt zwischen den bisher getroffenen Entscheidungen und weiteren Erwartungen bestimmter Bündnispartner, deren Schwelle zu militärischen Kampfeinsätzen sehr viel niedriger ist.

Ich möchte auch die Leistungsfähigkeit unserer Soldaten und Soldatinnen nicht aus den Augen verlieren.

Die Belastungsgrenze ist angesichts deutscher Beteiligung an vielen Missionen in der Welt erreicht.

Die Pläne der Regierung hatten zunächst vorgesehen, die lange geplante Rückverlegung von Soldaten aus Mazar-i-Sharif in Nordafghanistan und das damit verbundene Freiwerden eines Truppenkontingentes von 400 Mann dazu zu nutzen, um 250 Soldaten der Luftwaffe mit den Tornados nach Afghanistan zu schicken.

Damit hätte man sich im Rahmen des laufenden Bundestagsmandates bewegt, das eine Obergrenze von 3 000 Soldaten für den Einsatz vorsieht; aus formalrechtlicher Sicht wäre damit eine Debatte um das Mandat und eine Entscheidung des Bundestages vermieden worden. Da meines Erachtens mit der aktiven Beteiligung der Bundeswehr an Kampfeinsätzen in Süd- und Ostafghanistan allerdings eine inhaltliche Neuausrichtung des Mandates einhergeht, halte ich eine Entscheidung im Bundestag für erforderlich.

Den Vorschlag aus den Reihen unseres Koalitionspartners, der Bundestag solle die Bundesregierung zu Beginn einer Legislaturperiode ermächtigen, internationalen Organisationen Truppen anzubieten, den konkreten Marschbefehl vom Bundeskabinett erteilen zu lassen und dem Parlament lediglich ein Rückholrecht innerhalb von 90 Tagen zuzugestehen, halte ich unter dem Aspekt der zivilen Kontrolle der Streitkräfte für nicht sinnvoll und praktikabel. Gerade bei solch schwierigen Entscheidungen darf ein Parlament vor der Verantwortung nicht zurückschrecken.

Außerdem gilt für die Entscheidung über den Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte der wehrverfassungsrechtliche Vorbehalt des Parlaments. Dieser verpflichtet die Bundesregierung, grundsätzlich im Voraus die Zustimmung des Bundestages zu Einsätzen einzuholen. Mit Inkrafttreten des neuen Gesetzes über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland – dem Parlamentsbeteiligungsgesetz vom 24. März 2005 – werden diese Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages konkretisiert.

Zu den Befugnissen gehören insbesondere das Rückholrecht der Soldaten im Kampfeinsatz und die Verpflichtung der Regierung zur Unterrichtung des Parlaments. Neben diesen gesetzlichen Schranken gegen einen Missbrauch militärischen Engagements hat auch der einzelne Abgeordnete einen wichtigen Anteil an der Kontrolle über die Streitkräfte. Denn es handelt sich bei der Bundeswehr um eine Parlamentsarmee, und die Angehörigen unserer Streitkräfte müssen darauf vertrauen können, dass die Abgeordneten das Für und Wider eines Einsatzes genau abwägen.

Die jüngere Vergangenheit hat deutlich gemacht, dass die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sich ihrer Verantwortung, die mit einem Einsatz deutscher Truppen im Ausland verbunden ist, bewusst sind und ihre Entscheidungen erst nach reiflicher Überlegung und sorgfältiger Gewissensprüfung getroffen haben. In diesem Zusammenhang erinnere ich daran, dass ich dem Libanoneinsatz der Bundeswehr im Rahmen der UNIFILMission nicht zugestimmt habe.

Deshalb plädiere ich dafür, bei der Analyse unserer Vorgehensweise und der Suche nach Wegen zu Befriedung und Wiederaufbau in Afghanistan behutsam zu argumentieren, auch wenn man damit Gefahr läuft, keine einfachen Auswege aus dem Dilemma anbieten zu können. Momentan sehe ich keine vernünftige Alternative zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung von Sicherheit und Ordnung durch militärische Präsenz in Nordafghanistan und bin mir dabei durchaus des Dilemmas der Erzwingung von Ruhe und Frieden bewusst. Allerdings habe ich auch keine befriedigende Antwort auf die Frage gefunden, in welchem Zustand sich Afghanistan ohne den militärischen Schutz der internationalen Truppen, die im Rahmen der Mandate Operation Enduring Freedom – ORF – und International Security Assistance Force – ISAF – operieren, befände.

Aufgabe der OEF ist der Kampf gegen den internationalen Terrorismus und seine Unterstützer auf der Grundlage von Art. 51 der VN-Satzung, der das Recht auf Selbstverteidigung festschreibt, und den Resolutionen 1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie Art. 5 des Nordatlantikvertrages. Die OEF besteht derzeit aus zwei weitgehend unabhängigen Teiloperationen: Eine wird in Afghanistan, die andere im Seegebiet am Horn von Afrika durchgeführt. Die Bundeswehr war an den Kampfeinsätzen zur Terrorismusbekämpfung im Rahmen der OEF nur mit kleinen Einheiten des Kommandos Spezialkräfte – KSK – beteiligt.

Nach Angaben von Verteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU) hat es seit dem Regierungswechsel keine KSK-Einsätze in Afghanistan mehr gegeben. Der letzte Beitrag wurde im Mai 2005 beendet, und im Oktober 2005 wurde die Rückverlegung aller deutschen KSK-Kräfte nach Deutschland abgeschlossen. Hier ist gut zu erkennen, wie sensibel Regierung und Parlament mit diesen Fragen umgehen, und dass eine digital reduzierte Beurteilung – ja/nein, gut/böse, richtig/falsch – an friedensorientierten Lösungen vorbeiführt.

Innerhalb der NATO-geführten internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe – ISAF – sollen unsere Bundeswehrsoldaten in Afghanistan den Frieden sichern und den Wiederaufbau unterstützen. Nach den terroristischen Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA und dem Sturz des Talibanregimes hatten sich Vertreter unterschiedlicher politischer Kräfte Afghanistans Ende 2001 anlässlich der Petersberger Konferenz in Bonn auf eine „Vereinbarung über provisorische Regelungen in Afghanistan“ bis zum Wiederaufbau dauerhafter Regierungsinstitutionen geeinigt. Mit dieser sogenannten Bonner Vereinbarung war die politische Grundlage für die NATO-geführte International Security Assistance Force – ISAF – geschaffen, deren Aufstellung der UNSicherheitsrat am 20. Dezember 2001 mit der Resolution 1386 beschlossen hat. Mit der am 5. Oktober 2006 erfolgten Ausdehnung des Einsatzgebiets der NATO-geführten Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe – ISAF – auf ganz Afghanistan besteht die Hoffnung, dass es mit dem auch stärker an zivilen Erfordernissen orientierten Ansatz von ISAF gelingen kann, die Regierungsgewalt der Zentralregierung und damit auch die Aufbaubemühungen auf diese bislang vernachlässigten Regionen auszuweiten.

Meine Auffassung ist, dass die Bekämpfung des Terrorismus in erster Linie keine militärische, sondern eine politische Aufgabe ist. OEF und ISAF sind daher als ein Element einer Gesamtstrategie zu sehen, die Maßnahmen auch und gerade in zahlreichen anderen nichtmilitärischen Bereichen umfasst. Sie kann dabei auf militärischen Schutz nicht verzichten. Afghanistan ist trotz eines insgesamt erfolgreich verlaufenden Stabilisierungsprozesses weiterhin auf die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft angewiesen, sodass eine Fortsetzung der Anwesenheit internationaler Sicherheitskräfte unbedingt erforderlich bleibt. Militärische Mittel sind bei der Bekämpfung des Terrorismus nur ein – allerdings unerlässliches – Element, das von polizeilichen, politischen, wirtschaftlichen, entwicklungspolitischen und zivilgesellschaftlichen Maßnahmen begleitet werden muss. Daher begrüße ich die Aufstockung der finanziellen Mittel um 20 Millionen auf 100 Millionen Euro, die das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung am vergangenen Mittwoch bekanntgegeben hat. Die deutsche Aufbauhilfe konzentriert sich auf die Bereiche Energie- und Wasserversorgung sowie die Bildungsförderung in Groß- und Kleinprojekten und soll auch auf den Süden des Landes ausgeweitet werden, um diese Krisenregion weiter zu stabilisieren.

Seit fast fünf Jahren ist die Bundesrepublik Deutschland aktiv am Aufbau von staatlichen Strukturen und in verschiedenen Bereichen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit engagiert. Dazu wurden im November 2003 und im September 2004 je ein „Provincial Reconstruction Team“, das heißt ein regionales Wiederaufbauteam, in Kunduz und Faisabad aufgestellt, die mit ihrer zivilen Ausrichtung die Autorität der Zentralregierung in den Provinzen stärken und die Wiederaufbaubemühungen unterstützen sollen. Zentrale Aufgabe der deutschen Wiederaufbauteams war „die Schaffung eines Klimas der Sicherheit, in dem afghanische Kräfte zur Drogenbekämpfung ausgebildet werden“. Deutsche Soldaten sollen deshalb, wie bisher, nur logistische Unterstützung leisten.

Deutschland hat bis 2010 weitere 400 Millionen Euro für den Wiederaufbau zugesagt. Das BMZ hat im November 2006 ein Pilotprojekt für die Provinzen Paklia und Khost im Südosten begonnen. Weitere Aktivitäten im Süden sind nötig, um den Menschen zu zeigen, dass die internationale Präsenz ihren Interessen dient. Die EU hat zu diesem Zweck Ende Januar weitere 600 Millionen Euro für zivile Entwicklung bereitgestellt. Darüber hinaus wurde im Februar eine ESVP-Mission beschlossen, die 160 Kräfte für den Polizeiaufbau und 70 Berater für die Reform der Justiz umfassen soll. Da der Nachschub aus den paschtunischen Stammesgebieten Pakistans eine zentrale Rolle für die Stärke der afghanischen Taliban spielt, setzt sich Deutschland zusammen mit seinen Verbündeten für eine bessere Kooperation der pakistanischen Regierung mit den afghanischen Nachbarn ein.

Bei einem Treffen der EU-Troika mit Pakistan konnten Anfang Februar 2007 gemeinsame Anstrengungen zur Sicherung der Grenze vereinbart werden. Dafür stellt die EU wiederum 200 Millionen Euro bereit. Deutschland ist in Afghanistan weiterhin ein anerkannter und angesehener Partner und leistet einen unverzichtbaren Beitrag zur notwendigen militärischen Absicherung des Stabilisierungsprozesses in Afghanistan.

Allerdings sind 23 Jahre Bürgerkrieg und Talibanherrschaft nicht kurzfristig zu überwinden. Die fortbestehende Gefährdungslage erfordert von der Allianz weiterhin die Bereitstellung ausgewählter militärischer Fähigkeiten für die Bekämpfung des Terrorismus. Die militante Opposition, sowie die lokalen und regionalen Machthaber und die organisierte Kriminalität sind immer noch bestimmende Faktoren für die Sicherheitslage Afghanistans. Besonders im Süden und Osten stellen diese Faktoren eine wesentliche Bedrohung afghanischer und internationaler Sicherheitskräfte, aber auch der gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen Entwicklung dar. Es bedarf hier weiterhin der aktiven Terrorismusbekämpfung durch OEF, bis die afghanischen Sicherheitskräfte eigenständig in der Lage sind, die Sicherheit im eigenen Lande zu gewährleisten.

Die Bundesrepublik leistet hierzu ihren Beitrag mit der Ausbildung von Sicherheitskräften, der Bereitstellung logistischer Unterstützung und der Bewahrung eines Raums relativer Sicherheit und Ruhe im Norden. In Abwägung all dieser Aspekte trete ich für die Beibehaltung der bisherigen Präsenz deutscher Soldaten in Afghanistan ein, lehne aber eine Erweiterung der bisherigen Aufgabe und die Entsendung von Aufklärungsflugzeugen des Typs Recce-Tornado nach Afghanistan ab.

Klaus Brandner (SPD):

2001 haben die Mitglieder des Deutschen Bundestages und mit ihnen die Abgeordneten der SPD eine Grundsatzentscheidung getroffen. Deutschland ist der Bitte der afghanischen Regierung nachgekommen, sich an einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe – ISAF – zu beteiligen. Durch diesen Einsatz auf Grundlage von Kapitel VII der UNCharta wollten wir Afghanistan auf seinem Weg des Wiederaufbaus begleiten und stabilisieren. Den vorläufigen Staatsorganen Afghanistans sollte die Vorbereitung und Durchführung von demokratischen Wahlen in sicherem Umfeld ermöglicht werden. Der Bevölkerung Afghanistans sollte mit Unterstützung der Vereinten Nationen und zahlreicher internationaler Hilfskräfte eine Chance auf einen Neuanfang in Sicherheit und politischer Selbstbestimmung gegeben werden. Wir haben Afghanistan und seiner Bevölkerung damit Unterstützung zugesagt, sich vor der erneuten Kontrolle durch extremistische und terroristische Kräfte und vor der Ausbeutung von Land und Leuten zu schützen.

An diesen grundsätzlichen Zielen hat sich nichts geändert. Der Deutsche Bundestag hat das ISAF-Mandat daher nicht nur verlängert, sondern auch auf Regionen jenseits von Kabul ausgeweitet. Die Bundesregierung hat die deutsche Verantwortung für die Zukunft Afghanistans nicht zuletzt im „Afghanistan Compact“ Anfang 2006 bestätigt.

Ressortübergreifend leistet Deutschland daher unermüdlich und mit umfangreichen finanziellen Mitteln einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Landes. Besonders hervorzuheben sind dabei die Ausbildung der afghanischen Polizei und insbesondere die beachtenswerten Programme und Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit. Deutsche Bundeswehrsoldaten kommen dabei weiter ihrem Mandat nach und sichern die Bemühungen der afghanischen Zivilbevölkerung und der internationalen Hilfskräfte ab. Nicht zuletzt durch die Einbeziehung der afghanischen Zivilgesellschaft und ziviler Hilfskräfte konnten deutsche Soldaten Vertrauen schaffen und dadurch nachhaltige Verbesserungen erreichen.

Das bisherige Auftreten der deutschen Bundeswehrsoldaten und der deutsche Ansatz der zivil-militärischen Zusammenarbeit haben sich bewährt.

Die Lage in Afghanistan hat sich in den letzten Monaten dramatisch verschlechtert; denn die Regierung Karzai ist nach wie vor schwach und weit davon entfernt, ihre Kontrolle auf das gesamte Land auszuweiten. Die Rückkehr der Taliban in das Sicherheitsvakuum im Süden Afghanistans bedroht daher den weiteren Entwicklungsprozess und die politische Stabilität des ganzen Landes.

Wir sehen in der Entsendung von Tornados keine qualitative Änderung des bisher von Deutschland verfolgten Kurses. Auch der Einsatz von Tornados zielt darauf ab, Afghanistan bei der Gewinnung und Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit zu unterstützen. Die Aufklärungsflüge dienen der Sicherheit der Menschen und internationalen Hilfskräfte und damit der Stabilität weit über den Süden Afghanistans hinaus.

Wir betrachten mit wachsender Sorge, dass Deutschland mit einer verfehlten Antiterrorpolitik identifiziert wird. Denn Deutschland hat stets betont, dass ein rein militärischer Ansatz, der nur auf die Verfolgung von Terroristen setzt, aber den zivilen Wiederaufbau vernachlässigt, zu kurz greift. Militärische Maßnahmen ohne flankierendes ziviles Engagement können nicht von nachhaltigem Erfolg gekrönt sein. Die dank der Bundesregierung auf dem NATO-Gipfel in Riga verabschiedeten Auflagen, auch die zivile Komponente des Engagements in Afghanistan zu verstärken, entsprechen dieser Einschätzung. Sie reichen aber nicht aus.

Wir begrüßen daher die intensive Debatte um den ISAF-Einsatz und die Tornado-Entsendung in den letzten Wochen, in der sich viele von uns umfangreich über die Situation in Afghanistan informiert haben. Eine grundlegende Überprüfung der Afghanistanstrategie sehen wir als Voraussetzung für die anstehende Verlängerung der Mandate von ISAF und Operation Enduring Freedom an. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie die verbleibende Zeit nutzt, um die begonnene Debatte im Bündnis weiterzuführen und intensiv mit dem Deutschen Bundestag abzustimmen. Wir haben dadurch die Basis für die Diskussion geschaffen, die wir im Hinblick auf die für den Herbst anstehende Entscheidung über die Verlängerung des ISAF-Mandats führen werden.

Die Entscheidung über die Entsendung von deutschen Tornados muss der Beginn einer ehrlichen Analyse der bisherigen NATO-Strategie in Afghanistan sein. Alle diejenigen, die unsere Kritik teilen, dass der Einsatz von Mitteln für militärische Zwecke im Vergleich zu den Investitionen in zivile Maßnahmen unverhältnismäßig hoch ist, bitten wir, gemeinsam mit uns dafür zu sorgen, dass in Zukunft in angemessenem Umfang Gelder für den zivilen Wiederaufbau von Afghanistan bereitgestellt werden.

Die SPD ist die Friedenspartei. Und eine umfassende Sicherheitspolitik ist aktive Friedenspolitik. Doch diese muss langfristig und vorausschauend geplant sein. Militärisches Engagement, für das wir uns in Afghanistan entschieden haben, kann nur dann ermöglicht werden, wenn man zu dauerhaften Verpflichtungen auch im flankierenden zivilen und entwicklungspolitischen Bereich bereit ist. Die zivil-militärische Zusammenarbeit steht dabei im Vordergrund. Im Oktober läuft das Mandat für den Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan aus. Spätestens bis dann gehört eine nachhaltige Strategie für einen stabilen Frieden auf die Tagesordnung.

Martin Gerster (SPD): Seit über fünf Jahren ist die Bundesrepublik Deutschland aktiv am Aufbau von staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen sowie in verschiedenen Bereichen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Afghanistan engagiert. Seit Ende 2001 war Deutschland führend am Prozess zum Aufbau rechtsstaatlicher und demokratischer Ordnung beteiligt und hat dazu drei internationale Afghanistankonferenzen organisiert.

Die Bundeswehr leistet seit Beginn des internationalen Engagements im Rahmen eines UN-Mandates, – ISAF – einen mit unserer zivilen Unterstützung vernetzten, wichtigen Beitrag zur militärischen Absicherung des ISAF-Stabilisierungs- und Wiederaufbauprozesses in Afghanistan.

Das bisherige, auf die beschriebene Weise vernetzte Engagement Deutschlands im Norden Afghanistans hat wesentlich zur Stabilisierung in Kabul und im Norden Afghanistans beigetragen und genießt hohe internationale Reputation. Dauerhafter Frieden und zuverlässige humanitäre Hilfe waren und sind für die deutsche Außenpolitik zwei Seiten derselben Medaille. Diese Verbindung unterstütze ich auch weiterhin.

Die deutsche Außenpolitik hat sich dabei auf sehr wohltuende Weise von der Politik anderer Nationen unterschieden. Anders als in der Außenpolitik anderer Länder wurde der Kampf gegen den Terrorismus nicht als Krieg betrachtet. Dass die „Kriegsstrategie“ bislang nicht aufgegangen ist, belegt nicht nur der Umstand, dass die Friedenssicherung im Osten und Süden Afghanistans nach dem Willen der dort verantwortlichen Nationen nun ebenfalls um eine zivile Begleitung mit höherem Gewicht ergänzt werden soll, die Deutschland im Norden Afghanistans bereits erfolgreich betreibt.

Dabei sollten wir nicht vergessen, dass selbst diese Korrektur der „Kriegsstrategie“ noch zu wenig sein könnte; denn eigentlich war die internationale Schutztruppe ISAF vor fünf Jahren mit 20 000 Soldatinnen und Soldaten angetreten, um den zügigen Aufbau eines physisch und moralisch zerstörten Landes zu garantieren. Die Reste der Taliban und von al-Qaida sollten von hochgerüsteten Truppen in wenigen Monaten besiegt sein. Die Realität, auf deren Grundlage der Antrag der Bundesregierung jetzt gestellt wird, sieht leider anders aus. Die Zahl der Anschläge auf militärische Ziele in Afghanistan ist von 2005 auf 2006 dramatisch gestiegen:
von 1 632 auf 5 338. Insgesamt waren 4 000 Tote zu beklagen. Das sind zehnmal so viele wie drei Jahre zuvor.

Angesichts dieser Entwicklung stelle ich mir die Frage, ob man diese Entwicklung beenden kann, indem deutsche Tornados mit Aufklärungsflügen den Bodentruppen den Weg weisen. Angesichts dieser Entwicklung – insbesondere der Fehlentscheidungen in Ost- und Südafghanistan, den Frieden dort vornehmlich mit militärischen Mitteln erreichen zu wollen – sind wir mehr denn je aufgerufen, alles zu tun, damit die Afghanen die Mitglieder fremder Nationen als ihre Unterstützer wahrnehmen und anerkennen. Jeder zusätzliche militärische Beitrag mit nahezu unvermeidlichen zusätzlichen Opfern aufseiten der Zivilbevölkerung birgt den Verdacht in sich, die Afghanen nicht als gleichberechtigte Partner anzuerkennen, sondern die Besatzungssituation perpetuieren zu wollen.

Mit der nun von der Bundesregierung beantragten Beteiligung an dem Einsatz einer internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe verbinde ich daher die Befürchtung, dass die bisherige fruchtbringende deutsche Außenpolitik anders als bisher wahrgenommen würde.

Gegenwärtig drohen die Kommandeure der Taliban damit, das Land zu irakisieren, mit funkgesteuerten Kleinstbomben zu agieren, die Selbstmordattentate zu erhöhen. Das Ganze könnte nicht trotz, sondern sogar wegen der Tornados geschehen. Dass dann der Ruf nach deutschen Bodentruppen im Osten und Süden Afghanistans noch stärker als bislang ertönen dürfte, ist für mich die militärisch logische und wahrscheinliche Konsequenz.

Deutschland könnte mit zunehmendem Zeitablauf nicht mehr vermitteln können, warum es nicht mit gleichem Risiko wie die anderen Nationen beteiligt ist. Dies gilt umso mehr, als die Tornado-Einsätze nun in die gerade anlaufende Frühjahrsoffensive der NATO und in die Operation Enduring Freedom – OEF – einbezogen werden sollen. Es besteht daher die Gefahr, dass deutsche Soldaten für Kriegsoperationen verantwortlich gemacht werden, auf deren Planung und Durchführung sie kaum Einfluss haben. Dies hätte letztlich Auswirkungen auf das gesamte deutsche ISAF-Kontingent. Deutsche Stellungen der ISAF-Truppe könnten zunehmend Ziel von Angriffen und Anschlägen werden und auch die erreichte Stabilisierung der Lage im Norden Afghanistans wäre gefährdet.

Der Einsatz deutscher Tornados wäre damit kein Beitrag zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan. Das Gegenteil wäre der Fall. Ich sehe daher in der Entsendung von Recce-Tornados nach Afghanistan ein nicht vertretbares Risiko für unsere deutschen Soldatinnen und Soldaten und für das Gelingen des ISAF-Einsatzes insgesamt und werde dem erweiterten Mandat daher nicht zustimmen.

Petra Hinz (Essen) (SPD):

Wie alle anderen Mitglieder des Deutschen Bundestages bin auch ich der Auffassung, dass die Situation in Afghanistan zutiefst beunruhigend ist und ein erneutes Erstarken der Taliban verhindert werden muss.

Wir entscheiden heute über den Einsatz von zusätzlich 500 deutschen Soldaten in Afghanistan für Aufklärungs- und Überwachungsmissionen aus der Luft. Wird dieser Einsatz heute vom Bundestag beschlossen, so befinden sich dann rund 8 000 deutsche Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätzen. Der Antrag erhöht nicht nur die Zahl der eingesetzten Soldaten, sondern erweitert auch den Auftrag und das Einsatzgebiet der Bundeswehr.

Zum ersten Mal seit Beginn des deutschen Engagements in Afghanistan im Jahr 2002 werden bewaffnete deutsche Streitkräfte im gesamten afghanischen Hoheitsgebiet eingesetzt und greifen aktiv in das Kampfgeschehen ein. Deshalb geht es heute nicht um einen Friedenseinsatz, sondern wir entscheiden über einen Kampfeinsatz. Eine gleichlautende Aussage traf auch der ehemalige Verteidigungsminister im Bonner „General- Anzeiger“.

Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang Schneiderhan, bestätigte, dass die eingesetzten Tornados nahezu alles und zu jeder Zeit fotografieren werden. Durch die Fotos können detaillierte Lagebilder über zivile Einrichtungen, Truppenbewegungen der ISAF und auch über mögliche Stellungen der Taliban erstellt werden.

Die Aufklärungsarbeit der deutschen Tornados ist demnach geeignet, um die Angriffspläne und die Taktik einer militärischen Offensive zu unterstützen. In der Begründung des Antrages wird von einer „restriktiven Übermittlung von Aufklärungsergebnissen“ an die Streitkräfte der Operation Enduring Freedom, OEF, gesprochen. Diese dürfen dann auch nur zur Sicherung der ISAF-Kräfte verwendet werden. Eine andere Nutzung der Erkenntnisse durch OEF kann aber nicht ausgeschlossen werden. Eine alleinige Verwendung der Fotos zum Schutz von Zivilisten, Aufbauhelfern und Soldaten der ISAF vor versehentlichen Angriffen ist zu begrüßen, kann aber nicht sichergestellt werden. Deutschland unterstützt damit direkt die Kampfhandlungen der OEF in Afghanistan. Darüber müssen sich alle Mitglieder des Deutschen Bundestages im Klaren sein.

Kurz: Die gewonnenen Lagebilder dienen nicht dem Wiederaufbau, sondern dienen dem Kampfeinsatz, auch wenn einige Kolleginnen und Kollegen das nicht gerne hören. Nach den Lagebildern werden die Bomben fallen. Es ist absehbar, dass unsere Soldatinnen und Soldaten in die Kämpfe einbezogen werden. Und schon jetzt ist klar, dass im Herbst weitere Einsatzbefehle für weitere Bodentruppen folgen werden. Dann steht die nächste Entscheidung an die heute noch bestritten wird.

Ich begrüße das zivile deutsche Engagement beim Wiederaufbau des Landes und seiner Sicherheitsstrukturen. Zuletzt hat Deutschland für die Ausbildung afghanischer Polizeieinheiten die Federführung übernommen. 42 deutsche Polizistinnen und Polizisten sind derzeit in Afghanistan tätig. Dem stehen derzeit 2 953 Bundeswehrsoldaten gegenüber. Anstatt zusätzlich in militärische Operationen zu investieren und den Einsatz von Soldatinnen und Soldaten auszudehnen, sollten wir die Ausbildung der Polizisten intensivieren. Damit unterstützen wir Afghanistan aktiv, in absehbarer Zeit die Sicherheit allein herstellen zu können.

Der Deutsche Bundestag hat noch immer keine Debatte über die zukünftige Ausrichtung der Deutschen Bundeswehr und die Schaffung entsprechender verfassungsrechtlicher Grundlagen geführt. Im Rahmen der Legitimierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr wird sich derzeit auf Art. 24 Abs. 2 GG bezogen. Dort wird lediglich die Beteiligung an multinationalen Sicherheitsinstitutionen ermöglicht. Nach meiner Auslegung beinhaltet dies nicht die Beteiligung an internationalen Militäroperationen. Für mich ist deshalb Art. 87 a Abs. 2 bindend. Danach definiert das Grundgesetz die Aufgabe der Bundeswehr in der Landesverteidigung. Ich zitiere Art. 87 a Abs. 2 GG: „Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.“ Eine solche Legitimation beinhaltet das Grundgesetz nicht, im Besonderen nicht für Kampfeinsätze.

Aufgrund der internationalen Verantwortung Deutschlands und der Einbindung in die Strukturen der Vereinten Nationen ist es an der Zeit, die Einsatzmöglichkeiten und -ziele der Bundeswehr im Ausland klar zu definieren. Eine Änderung des Grundgesetzes ist dabei unvermeidbar. Gleichzeitig muss auch über den Parlamentsvorbehalt diskutiert werden. Die Bundesregierung machte in der Vergangenheit immer wieder Zusagen zur Beteiligung an militärischen Auslandseinsätzen, ohne zuvor eine Entscheidung des Parlamentes abzuwarten. Wir müssen uns in diesem Zusammenhang fragen, welchen Zweck der Parlamentsvorbehalt hat, wenn wir uns jeweils mit vollendeten Tatsachen beschäftigen.

Solange das Parlament sich dieser Debatte nicht stellt und schlüssige Regelungen beschließt, ist es mir nicht möglich, Auslandseinsätzen deutscher Soldatinnen und Soldaten zuzustimmen. Vor allem kann ich den heute zur Abstimmung stehenden Kampfeinsatz der Bundeswehr in Afghanistan nicht mit meinem Gewissen vereinbaren. Ich stimme dem Antrag der Bundesregierung deshalb nicht zu.

Iris Hoffmann (Wismar) (SPD):

Ich unterstütze und befürworte ausdrücklich das bisherige zivile und militärische Engagement Deutschlands für den Wiederaufbau und die Stabilisierung Afghanistans. Die Bundeswehr leistet dabei einen wichtigen und hervorragenden Beitrag zur Absicherung dieses Prozesses im Norden Afghanistans. Insbesondere unterstütze ich den deutschen Ansatz der Verschränkung von zivilen und militärischen Maßnahmen.

Eine Beteiligung deutscher Soldaten an Kampfeinsätzen in Afghanistan lehne ich jedoch entschieden ab. Und ich habe die Befürchtung, dass mit der nun anstehenden Entscheidung über die Entsendung deutscher Tornado- Aufklärungsflugzeuge genau dieser Weg beschriften wird. Es kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass die Erkenntnisse aus den Aufklärungsflügen schon jetzt zur Vorbereitung und Durchführung von Kampfeinsätzen genutzt werden. Zudem wird eine Entsendung der Tornados den Druck auf Deutschland zur Entsendung von Bodentruppen für Kampfeinsätze im Süden und Osten Afghanistans verstärken. Dies erscheint als logischer nächster Schritt.

Die Strategie, Frieden und Stabilität in Afghanistan vornehmlich mit militärischen Mitteln erzwingen zu wollen, halte ich jedoch für grundlegend falsch. Sie fordert zu viele, vor allem zivile Opfer und ist insgesamt nicht zielführend, wie die Entwicklung im Süden des Landes eindrucksvoll zeigt.

Auch deshalb kann ich nicht erkennen, inwieweit die nun geplante Entsendung der Aufklärungsflugzeuge zur bisher verfolgten deutschen Strategie beitragen kann. Ich befürchte vielmehr, dass sie sich kontraproduktiv auswirken und die zumindest in Teilen Afghanistans erreichte Stabilisierung gefährden könnte. Damit verbunden wäre ein unvertretbares Risiko für die Sicherheit und Unversehrtheit unserer Soldaten.

Ich werde deshalb der Entsendung deutscher Tornado- Aufklärungsflugzeuge und der Erweiterung des ISAF-Mandates heute nicht zustimmen.

Manfred Kolbe (CDU/CSU):

Seit Beginn meiner Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 1990 habe ich aus innerer Überzeugung immer allen internationalen Einsätzen der Bundeswehr zugestimmt. Dem heute zur Beschlussfassung im Deutschen Bundestag anstehenden Tornado-Einsatz in Afghanistan kann ich jedoch aus den folgenden Gründen nicht zustimmen:

Erstens. Ähnlich wie im Irak gelingt es dem Westen offenbar nicht, ein demokratisches Staatswesen aufzubauen und die Menschen innerlich dafür zu gewinnen. Vielmehr hat sich die Sicherheitslage dramatisch verschlechtert, und Kriminalität, Korruption und Drogenanbau nehmen wieder zu; letzterer erreichte 2006 eine Allzeitrekordernte.

Zweitens. Die zunehmende Militarisierung führt zu einer wachsenden Anzahl von unschuldigen Opfern unter der Zivilbevölkerung, hauptsächlich durch Luftangriffe. Mittlerweile dürfte bei solchen sogenannten Kollateralschäden eine vielfache Anzahl an unschuldigen Menschen getötet worden sein, wie bei den schrecklichen Terrorangriffen vom 11. September 2001 auf New York, die Ausgangspunkt unseres Engagements waren. Mit jedem unschuldig getöteten Zivilisten bekämpfen wir nicht den Terror, sondern schaffen diesem neuen Zulauf.

Drittens. Mit dem Tornado-Aufklärungseinsatz und sich der daran anschließenden militärischen Verwendung dieser Aufklärungsergebnisse findet ein Kurswechsel von der zivilen Aufbauhilfe hin zu einem stärkeren Militäreinsatz statt. Die Tornados sind genau das falsche Symbol für den demokratischen Wiederaufbau Afghanistans.

Diesen Kurswechsel kann ich im Interesse Afghanistans, der Bundesrepublik Deutschlands sowie des gesamten Westens nicht mittragen. Wir brauchen vielmehr eine Grundsatzdebatte darüber, wie die Bundesrepublik Deutschland und der Westen insgesamt den Terror bekämpfen und Demokratie und Rechsstaatlichkeit in Afghanistan aufbauen können.

Jürgen Koppelin (FDP):

Der geplanten Mandatsausweitung des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan werde ich nicht zustimmen.

Der Bundesregierung fehlt in Afghanistan ein schlüssiges Konzept. Einerseits möchte die Bundesregierung ihrer Bündnisverpflichtung in der NATO Genüge tun – dann wäre die Entsendung lediglich von Aufklärungstornados der falsche, weil unzureichende Beitrag. Andererseits spricht sich die Bundesregierung auf dem NATO-Gipfel in Riga für eine Strategieänderung im Sinne einer politischen Stabilisierung aus. Auch in diesem Fall wäre die Entsendung der Tornados der falsche Beitrag. Diesen von der Bundesregierung selbst geschaffenen Widerspruch will sie mit der Entsendung von Tornados lösen.

Dabei hat selbst die Bundeskanzlerin noch im November 2006 im Deutschen Bundestag erklärt, dass ein Einsatz der Bundeswehr im Süden von Afghanistan nicht infrage komme. Gleichzeitig werden die Zustände in Afghanistan immer besorgniserregender. Trotz des ISAF-Einsatzes befinden sich Teile des Landes im Kriegszustand. Ebenso haben die Anschläge im gesamten Land sehr stark zugenommen. Auch bei der Reduzierung des Drogenanbaus konnten bisher keine Erfolge erzielt werden, im Gegenteil, der Anbau hat sich noch ausgeweitet. Die internationale Gemeinschaft hat daher bisher keines ihrer Ziele erreicht und muss sich nun fragen lassen, ob die Mittel, die sie einsetzt, geeignet sind, die Stabilisierung und Demokratisierung in der Zukunft zu erreichen.

Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt bezeichnet die Entwicklung in Afghanistan als „vorhersehbar chaotisch“ und sagt, „dass man sich nicht auf militärische Abenteuer einlässt, deren Ausgang vorhersehbar chaotisch – Interview im „Tagesspiegel“ vom 10. Dezember 2006 – seien.

Bei Gesprächen mit den Piloten der Tornados und weiteren Soldaten ist klar geworden, dass diese Maschinen technisch nicht optimal für einen Einsatz in solchen Klimaten ausgelegt sind. Die Bundeswehr hat für ein solches Engagement keine Erfahrungen gesammelt. Auch die Ausbildung der Piloten für derartige Einsätze ist nicht ausreichend. Ebenso ist die Versorgung mit Ersatzteilen aus verschrotteten Tornados nicht verantwortbar, da auch dieses Material bereits „Materialermüdungen“ zeigt. Das ist für die deutschen Soldaten ein nicht zumutbarer Zustand.

Abschließend ist nicht einmal die Chance eines Endes des Bundeswehreinsatzes und eine Verbesserung des Zustands der Verhältnisse in Afghanistan unter den gegenwärtigen Bedingungen in Sicht.

Katharina Landgraf (CDU/CSU):

Der Einsatz von deutschen Tornado-Aufklärungsflugzeugen in Afghanistan dient entsprechend des Antrages der Bundesregierung ausschließlich dem rechtzeitigen Erkennen möglicher Gefahren. Dadurch soll vor allem der Schutz der afghanischen Bevölkerung sowie der eingesetzten deutschen Soldaten und der Soldaten der Verbündeten vergrößert werden. Die nunmehr mögliche verbesserte Aufklärung dient nicht zuletzt dem Schutz von zivilen Entwicklungshelfern sowie gefährdeter Wiederaufbauprojekte. Der Antrag der Bundesregierung ist durch das bestehende Mandat der Vereinten Nationen begründet.

Er sieht eine Einbeziehung in aktive kriegerische Handlungen nicht vor. Dem Auftrag der Bundeswehr liegt die politische Grundüberzeugung „ohne Sicherheit keine Entwicklung“ zugrunde. Deshalb stimme ich dem Antrag zu. Ich verweise darauf, dass bei grundsätzlich veränderten Bedingungen die Beteiligung deutscher Soldaten an der internationalen Sicherheitstruppe ISAF mit entsprechenden Beschlussfassungen durch den Deutschen Bundestag eingeschränkt bzw. gestoppt werden sollte.

Jerzy Montag (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Afghanistan bedarf weit mehr als bisher der Unterstützung, gerade durch zivile Mittel. Ohne Strategiewechsel und deutlich mehr ziviles Engagement sind die Menschen in Afghanistan dauerhaft nicht für die Demokratie zu gewinnen. Afghanistan braucht eine politische und zivile Frühjahrsoffensive.

Zugleich können wir nicht übersehen, dass sich Afghanistan in einer Situation befindet, in der zivile Maßnahmen allein nicht zum Erfolg führen können. Besonders im Süden und Osten des Landes muss Stabilität auch mit militärischen Mitteln herbeigeführt werden, um zivilen Helfern ihren Einsatz überhaupt erst zu ermöglichen. Im ganzen Land ist militärischer Schutz und Absicherung des zivilen Aufbaus unverzichtbar. Hierin besteht der Auftrag der Tornado-Aufklärungsflugzeuge.

Ich stimme der Entsendung der Aufklärungsflugzeuge zu, weil ich die Notwendigkeit militärischer Flankierung der zivilen Maßnahmen anerkenne. Meine Zustimmung erkläre ich gleichzeitig mit der Aufforderung an die Bundesregierung, innerhalb der NATO auf einen Kurswechsel zu dringen. Nur als Teil einer effektiven Gesamtstrategie, die Gewalt eindämmt und Frieden schafft, ist der Einsatz der Tornados für den Aufbau Afghanistans aussichtsreich.

Für eine ausgewogene Afghanistanpolitik ist eine Vervielfachung der zivilen Mittel notwendig, die angekündigte Erhöhung um 20 Millionen Euro reicht nicht aus. Deutschland hat die Koordinierungsverantwortung für den Aufbau der Polizei in Afghanistan übernommen.

Um dies zum Erfolg zu führen, ist eine deutliche Aufstockung von Personal und Mitteln notwendig. Gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft müssen schlüssige Konzepte zur Drogenbekämpfung entwickelt und politischer Druck auf Pakistan ausgeübt werden, das die Reorganisation der Talibankräfte auf seinem Territorium duldet. Dazu fordere ich die Bundesregierung auf.

Gisela Piltz (FDP):

Der Einsatz deutscher Tornado- Aufklärungsflugzeuge in Afghanistan stellt aus meiner Sicht eine besondere Herausforderung für die deutsche Bundeswehr dar. Ich bin der Überzeugung, dass sich Deutschland an einer internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Führung der NATO beteiligt. Es ist dabei aber sicherzustellen, dass die Tornado-Aufklärungsflugzeuge auf dem technisch bestmöglichen Stand sind, um so die Besatzung der Aufklärungsflugzeuge mit den zurzeit besten Sicherheitsvorkehrungen auszustatten. Beispielsweise sind die Recce- Tornados nicht mit einem Notfunkgerät ausgestattet, das in einem Notfall über eine Databurst-Funktion gesichert deren Position und einen Code an einen Satelliten übermittelt. Dies stellt ein Beispiel der unzureichender Sicherheitstechnik der Tornados dar.

Außerdem kann es im äußersten Nordosten von Afghanistan aufgrund der Leistungsparameter der Recce- Tornados und der extremen geografischen Verhältnisse dazu kommen, dass eine Höhe von 3 800 Meter über Grund auch aus nichttaktischen Gründen unterschritten werden muss. Dabei kann es zu Situationen kommen, in der die Tornado-Aufklärungsflugzeuge in den Wirkungsbereich von Manpads gelangen, wodurch für die Besatzung der Tornado-Aufklärungsflugzeuge Gefahr für Leib und Leben besteht.

Weiterhin verfügen die Tornado-Aufklärungsflugzeuge nicht über eine Link-Fähigkeit und somit auch nicht über die Möglichkeit, grafische Lageinformationen während des Fluges zu empfangen. Dies ist technisch möglich. Die Tornado-Aufklärungsflugzeuge der deutschen Bundeswehr verfügen jedoch nicht über diese Link-Fähigkeit und entsprechen somit nicht den besten Sicherheitsstandards.

Zusammenfassend komme ich zu dem Schluss, dass Deutschland sich an einem Einsatz der internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter Leitung der NATO beteiligen muss. Nichtsdestoweniger bin ich der Auffassung, dass der Einsatz deutscher Tornado- Aufklärungsflugzeuge nur dann erfolgen kann, wenn sie mit den besten Sicherheitsvorkehrungen ausgestattet sind. Dies ist in den letzen Jahren versäumt worden. Aus den oben genannten Gründen enthalte ich mich meiner Stimme bei der namentlichen Abstimmung zu Tagesordnungspunkt 21 am 9. März 2007.

Maik Reichel (SPD):

Die Bundesrepublik Deutschland ist seit Ende 2001 aktiv am Aufbau staatlicher und gesellschaftlicher Strukturen beteiligt. Neben einer Befriedung der Verhältnisse in diesem Land hat sich Deutschland maßgeblich am Aufbau einer demokratischen und rechtsstaatlichen Ordnung beteiligt. Die dabei von Deutschland organisierten Afghanistankonferenzen sind markantes Zeichen dafür.

Unsere Bundeswehr leistet seitdem im Rahmen eines VN-Mandates einen wichtigen Beitrag zur militärischen Absicherung des Wiederaufbauprozesses, der durch Deutschland auch finanziell unterstützt wird. Dieses zweifache Engagement unseres Landes hat sicher dazu beigetragen, die Situation im Norden Afghanistans und auch in Kabul zu stabilisieren. Dauerhafter Frieden im Land und eine notwendige stetige humanitäre Unterstützung sind sehr wichtige Aspekte bei dieser Mission. Zu Beginn des ISAF-Mandates war das richtige Ansinnen, ein am Boden liegendes Land rasch wieder aufzubauen. Dazu sollten Tausende Soldaten die Grundvoraussetzung für einen solchen Aufbau schaffen, nämlich die Friedenssicherung leisten.

Doch leider haben wir es nicht erreicht, die Taliban und al-Quaida zu besiegen. Zunehmend mehr Anschläge – auch im Norden – sind zu verzeichnen. Die Befürchtung vieler, unsere direkte Hilfe bei militärischen Aktionen könnte unsere gute Arbeit im Norden diskreditieren, teile ich. Darüber hinaus fürchte ich, dass unsere gute und für Afghanistan nützliche friedenssichernde Außenpolitik Schaden nehmen könnte. Vielleicht provoziert der Einsatz von Tornados sogar mehr Anschläge im Norden.

Zum anderen werden die durch die Aufklärungsflugzeuge gewonnenen Daten nicht nur für ISAF, sondern eben auch für die Operation Enduring Freedom verwandt. Damit wird sicher eine Unterstützung der beginnenden Frühjahrsoffensive gegeben sein. Es besteht die Gefahr, dass deutsche Soldaten und damit unser Land für Kriegsoperationen und deren unabsehbare Folgen verantwortlich gemacht werden.

Zudem befürchte ich, dass die Operationen vor allem im Südosten Afghanistans, an der Grenze zu Pakistan, zu weiteren Komplikationen zwischen beiden Ländern führen werden, wo wir doch gerade im Rahmen der G-8- Präsidentschaft auf eine Stabilisierung der Beziehungen zwischen Pakistan und Afghanistan hinwirken wollen. Ich sehe im Einsatz deutscher Tornados folglich keinen Beitrag zur Stabilisierung der noch immer prekären Lage in Afghanistan. Ein Gelingen des ISAF-Einsatzes ist damit gefährdet. Deshalb stimme ich der Entsendung der Recce-Tornados nicht zu.

Dr. Rainer Stinner (FDP):

Ich stimme dem Antrag der Bundesregierung zur Entsendung von Aufklärungstornados nach Afghanistan zu.

ISAF ist ein Gesamteinsatz der NATO. Wir können und dürfen uns nicht auf die Position zurückziehen, die Lage im Süden ginge uns nichts an. Schon heute gilt: Im Norden ist es auch deswegen relativ ruhig, weil unsere NATO-Partner im Süden ein Vordringen von Talibankräften in den Norden aktiv verhindern. Als Teil der ISAF ist Deutschland mitverantwortlich für die Situation in Gesamtafghanistan. Deutschland ist das einzige Land der NATO, das derzeit mit seinen Recce-Tornados eine dringend notwendige Aufklärungsfähigkeit für den gemeinsam geplanten und durchgeführten ISAF-Einsatz in dieser Qualität zur Verfügung stellen kann. In dieser Situation können wir unseren Partnern die Solidarität nicht verweigern.

Die Aufklärungsergebnisse der Recce-Tornados werden selbstverständlich Folgen für die anschließende Operationsplanung – auch im Rahmen von OEF – haben. Sie können Kampfeinsätze hervorrufen. Sie können aber auch bereits geplante Einsätze verändern, oder sie können Einsätze verhindern. Ich bin davon überzeugt, dass eine bessere Aufklärung insgesamt dazu beiträgt, zielgenauer zu operieren und damit eventuell Kollateralschäden zu verhindern.

Ich erwarte von der Bundesregierung eine ehrliche Darstellung des Mandats: Aufklärung ist integraler Bestandteil von Kampfeinsätzen. Jede Beschönigung dieser Tatsache wäre unehrlich der Öffentlichkeit und den Soldaten gegenüber.

Gegner des Tornado-Einsatzes befürchten, dass durch die Zustimmung ein Automatismus für den Einsatz von Bodentruppen im Süden entsteht. Selbstverständlich kann niemand – weder der Bundestag noch die Bundesregierung – ausschließen, dass es zu weiteren Forderungen von NATO-Partnern an die Bundesrepublik Deutschland kommen wird. Dabei spielt die jetzt anstehende Entscheidung über den Einsatz der Tornados aber keine Rolle. Es gibt keinerlei Automatismus für weitere Entscheidungen, weder militärisch noch politisch. Ich habe, ebenso wie meine gesamte Fraktion, der Verlängerung des ISAF-Mandates im September 2006 unter der Erwartung zugestimmt, dass es in Afghanistan zu einem grundsätzlichen Strategiewechsel kommt.

Erste Ansätze für einen solchen Strategiewechsel sind erkennbar. Ob diese dauerhaft und ausreichend sein werden, ist noch offen. Deshalb ist es gerade jetzt entscheidend, dass die Bundesregierung mehr Einfluss auf die Gesamtstrategie und die Operationsplanung von ISAF einfordert und ausübt. In dieser Situation eine Unterstützungsanfrage abzulehnen, wäre für das Ziel des grundsätzlichen Strategiewechsels und der deutschen Einflussnahme kontraproduktiv.

Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Ich lehne den Antrag der Bundesregierung, Tornado- Flugzeuge der Bundeswehr auch im Süden Afghanistans einzusetzen, ab und stimme deshalb mit Nein. Mit dem geplanten Einsatz unterstützen die deutschen Tornado-Flugzeuge den schmutzigen Krieg der US-Streitkräfte im Süden Afghanistans; sie werden zumindest auch Ziele feststellen und zeitnah an das militärische Hauptquartier im Süden melden, die anschließend mit Raketen und Bomben aus der Luft angegriffen und zerstört werden. Bei zukünftigen Meldungen über zerstörte Häuser, Gehöfte und ganze Ortschaften steht dann zu befürchten, dass diese Ziele mit all den menschlichen Opfern mit deutscher Unterstützung vernichtet wurden.

Diese Art der Kriegsführung der USA im Süden Afghanistans hat in den letzten Jahren nicht dazu geführt, dass islamistischer Terrorismus wirksam bekämpft wird. Sie hat auch nicht dazu geführt, dass nur die Verantwortlichen für die Anschläge in New York und Washington vom 11. September 2001 zur Verantwortung gezogen und der Gerechtigkeit zugeführt wurden, „bring to justice“, wie es in der UN-Resolution als Grundlage des Militäreinsatzes festgelegt wurde. Diese Art der Kriegsführung war eher geeignet, Hass und Terrorismus weltweit zu schüren und hat in Afghanistan den Widerstand so gestärkt, dass er inzwischen den aus den Jahren seit 2001 bei weitem übertrifft.

Es gibt Alternativen: Die Strategie für Afghanistan muss grundlegend geändert werden. Eine neue Strategie muss daran ausgerichtet sein, statt immer mehr Krieg anzufachen, die Kriegshandlungen zu beenden, statt immer mehr Militär einzusetzen, die Truppenstärke zügig zu reduzieren und die Soldaten in einem absehbaren und verantwortbaren Zeitraum abzuziehen. Die verhängnisvolle Kriegsführung insbesondere der US-Streitkräfte muss sofort gestoppt werden. Es müssen Verhandlungen aufgenommen werden mit dem Ziel, einen Waffenstillstand auch im Süden Afghanistans zu erreichen – für das ganze Land oder auch nur für einzelne Teile, für Provinzen oder Teilprovinzen. Verhandlungspartner müssen dabei alle sein können, die bereit sind, über einen Waffenstillstand zu reden, das sind Stammesführer genauso wie Teile der Taliban oder bewaffnete Widerstandsgruppen.

Zaghafte Versuche, etwa der britischen Militärs in der jüngsten Vergangenheit, für einzelne Regionen Waffenstillstände zu vereinbaren, waren so lange erfolgreich, bis sie durch neue Kampfhandlungen der US-Streitkräfte zunichte gemacht wurden. Der Widerstand im Süden Afghanistans wird schon lange nicht mehr nur von Taliban organisiert, sondern auch von sehr unterschiedlichen anderen Gruppen, die sich zusammenfinden in der Ablehnung der fremden Truppen im Lande, häufig motiviert durch Verluste von Familienangehörigen infolge der Kriegsführung der US-Streitkräfte.

Darüber hinaus ist eine Waffenstillstandskonferenz mit allen Nachbarstaaten, nicht nur mit Pakistan sondern auch mit dem Iran, notwendig. Nur wenn die militärische Strategie in Richtung Schweigen der Waffen nachhaltig verändert wird, können auch zivile Wiederaufbauarbeiten durchgeführt und der Bevölkerung eine lebbare Alternative aufgezeigt werden. Die Waffenstillstandsstrategie muss ergänzt werden durch entschieden verstärkte zivile Aufbaumaßnahmen, vor allen Dingen der Infrastruktur, der Verwaltung und Justiz und jeglicher Förderung von Bildung und Ökonomie. Die Mittel für den zivilen Wiederaufbau müssen und können mindestens in der Höhe zur Verfügung gestellt werden wie derzeit für die Militäreinsätze.

Auch zur Lösung des Drogenproblems müssen radikal neue Wege geprüft und gegangen werden. So gibt es den Vorschlag, die gesamte Opiumernte vor Ort aufzukaufen und weltweit dem Roten Kreuz und anderen internationalen Organisationen zur wirksamen Schmerzbekämpfung auf der Grundlage ärztlicher Verordnung zur Verfügung zu stellen. Die Vernichtung verbleibender Reste der aufgekauften Ernte käme allemal billiger als der Kampf gegen den kriminellen Opium- bzw. Heroinhandel in Afghanistan und überall auf der Welt. Dem illegalen Opiumanbau und kriminellen Drogenhandel in Afghanistan, mit dem auch Milizen, Privatarmeen und Warlords bis hinein in die Regierung finanziert werden, würde damit von einem Tag auf den anderen die Grundlage entzogen. Insbesondere den Bauern und der Landwirtschaft könnte damit auch der Weg geöffnet werden für die Entwicklung einer Landwirtschaft, die der Ernährung der Bevölkerung dient und für die allmähliche Beendigung des Drogenanbaus sorgt.

Der bisherige Weg zum Ziel einer modernen, humanitären Zivilgesellschaft in Afghanistan hat sich als falsch erwiesen; Afghanistan steckt tiefer im Krieg als in den Jahren davor. Deshalb ist die Öffnung neuer Wege unverzichtbar. Ein „Weiter so“ mit immer mehr Militär darf es nicht geben.

Quelle: Plenarprotokoll 16/86: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 86. Sitzung, Berlin, Freitag, den 9. März 2007, S. 8761-8799


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