"Daher lehnen wir die Entsendung von acht Recce-Tornados nach Afghanistan und deren Einsatz ab"
Im Wortlaut: Alle 22 Persönlichen Erklärungen nach der Abstimmung im Deutschen Bundestag
Unter Tagesordnungspunkt 21 beriet der Deutsche Bundestag am 9. März 2006 über den Antrag der Bundesregierung, sechs Tornado-Aufklärungsflugzeuge nach Afghanistan zu entsenden. Wir haben die Debatte und das Ergebnis der namentlichen Abstimmung hier dokumentiert: Bundestag beschließt Tornado-Einsatz.
Im Anschluss an die Debatte am 9. März sind zahlreiche (insgesamt 22) Persönliche Erklärungen zu Protokoll abgegeben worden, die wir im Folgenden dokumentieren. Es sind sowohl Begründungen gegen (überwiegend) als auch für den Tornadoeinsatz. Die Erklärungen geben Auskunft über die persönliche Meinung der Abgeordneten und begründen ihr Abstimmungsverhalten. Dabei werden sehr viele Argumente vorgetragen, die in der Sitzung selbst nicht zum Zug kamen. Insofern sind diese Erklärungen ein wichtiges Dokument parlamentarischer Demokratie.
Wir halten uns an die Reihenfolge, wie sie im Stenografischen Protokoll des Bundestags eingehalten wird (Anlage 5-14):
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Ortwin Runde, Renate
Schmidt (Nürnberg), Elke Ferner, Dr. Ernst
Dieter Rossmann, Lothar Mark, Petra Merkel
(Berlin), Marlene Rupprecht (Tuchenbach),
Ulla Burchardt, Dirk Manzewski, Christian
Kleiminger, Marko Mühlstein, Dr. Margrit
Spielmann, Sönke Rix, Dr. Rainer Tabillion,
Reinhold Hemker, Angelika Krüger-Leißner,
Frank Hofmann (Volkach), Mechthild Rawert,
Renate Gradistanac, Hilde Mattheis, Wolfgang
Spanier, Martin Burkert, Ute Kumpf, Gabriele
Hiller-Ohm, Jürgen Kucharczyk und Christel
Humme (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung
über die Beschlussempfehlung zu dem
Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an dem Einsatz
einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
in Afghanistan unter Führung der
NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386
(2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003),
1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt
21 a)
Seit über fünf Jahren ist die Bundesrepublik Deutschland
aktiv am Aufbau von staatlichen und gesellschaftlichen
Strukturen sowie in verschiedenen Bereichen der
wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Afghanistan engagiert.
Seit Ende 2001 war Deutschland führend am Prozess
zum Aufbau rechtsstaatlicher und demokratischer
Ordnung beteiligt und hat dazu drei internationale Afghanistankonferenzen
organisiert. Die Bundeswehr leistet
seit Beginn des internationalen Engagements im Rahmen
eines UN-Mandat – ISAF – einen mit unserer
zivilen Unterstützung vernetzten, wichtigen Beitrag zur
militärischen Absicherung des Stabilisierungs- und Wiederaufbauprozesses
in Afghanistan.
Das bisherige, auf die beschriebene Weise vernetzte
Engagement Deutschlands im Norden Afghanistans hat
wesentlich zur Stabilisierung in Kabul und im Norden
Afghanistans beigetragen und genießt hohe internationale
Reputation. Dauerhafter Frieden und zuverlässige
humanitäre Hilfe waren und sind für die deutsche Außenpolitik
zwei Seiten derselben Medaille. Diese Verbindung
unterstütze ich auch weiterhin.
Die deutsche Außenpolitik hat sich dabei auf sehr
wohltuende Weise von der Politik anderer Nationen unterschieden.
Anders als in der Außenpolitik anderer Länder
wurde der Kampf gegen den Terrorismus nicht als
Krieg betrachtet. Dass die „Kriegsstrategie“ bislang
nicht aufgegangen ist, belegt nicht nur der Umstand,
dass die Friedenssicherung im Osten und Süden Afghanistans
nach dem Willen der dort verantwortlichen Nationen
nun ebenfalls um eine zivile Begleitung mit höherem
Gewicht ergänzt werden soll, die Deutschland im
Norden Afghanistans bereits erfolgreich betreibt.
Dabei sollten wir nicht vergessen, dass selbst diese
Korrektur der „Kriegsstrategie“ noch zu wenig sein
könnte: Denn eigentlich war die internationale Schutztruppe
ISAF vor fünf Jahren mit 20 000 Soldatinnen und
Soldaten angetreten, um den zügigen Aufbau eines physisch
und moralisch zerstörten Landes zu garantieren.
Die Reste der Taliban und von al-Qaida sollten von
hochgerüsteten Truppen in wenigen Monaten besiegt
sein. Die Realität, auf deren Grundlage der Antrag der
Bundesregierung jetzt gestellt wird, sieht leider anders
aus. Die Zahl der Anschläge auf militärische Ziele in
Afghanistan ist von 2005 auf 2006 dramatisch gestiegen:
von 1 632 auf 5 338. Insgesamt waren 4 000 Tote zu beklagen.
Das sind zehnmal so viele wie drei Jahre zuvor.
Angesichts dieser Entwicklung stellen wir uns die
Frage, ob man diese Entwicklung beenden kann, indem
deutsche Tornados mit Aufklärungsflügen den Bodentruppen
den Weg weisen. Angesichts dieser Entwicklung
– insbesondere der Fehlentscheidungen in Ost- und Südafghanistan,
den Frieden dort vornehmlich mit militärischen
Mitteln erreichen zu wollen – sind wir mehr denn
je aufgerufen, alles zu tun, damit die Afghanen die Mitglieder
fremder Nationen als ihre Unterstützer wahrnehmen
und anerkennen. Jeder zusätzliche militärische Beitrag
mit nahezu unvermeidlichen zusätzlichen Opfern
aufseiten der Zivilbevölkerung birgt den Verdacht in
sich, die Afghanen nicht als gleichberechtigte Partner
anzuerkennen, sondern die Besatzungssituation perpetuieren
zu wollen.
Mit der nun von der Bundesregierung beantragten Beteiligung
an dem Einsatz einer internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
verbinden wir daher die Befürchtung,
dass die bisherige, fruchtbringende deutsche
Außenpolitik anders als bisher wahrgenommen würde.
Gegenwärtig drohen die Kommandeure der Taliban
damit, das Land zu irakisieren, mit funkgesteuerten
Kleinstbomben zu agieren, die Selbstmordattentate zu
erhöhen. Das Ganze könnte nicht trotz, sondern sogar
wegen der Tornados geschehen. Dass dann der Ruf nach
deutschen Bodentruppen im Osten und Süden Afghanistans
noch stärker als bislang ertönen dürfte, ist für uns
die militärisch logische und wahrscheinliche Konsequenz.
Deutschland könnte mit zunehmendem Zeitablauf
nicht mehr vermitteln können, warum es nicht mit
gleichem Risiko wie die anderen Nationen beteiligt ist.
Dies gilt umso mehr, als die Tornado-Einsätze nun in
die gerade anlaufende Frühjahrsoffensive der NATO und
in die Operation Enduring Freedom, OEF, einbezogen
werden sollen. Es besteht daher die Gefahr, dass deutsche
Soldaten für Kriegsoperationen verantwortlich gemacht
werden, auf deren Planung und Durchführung sie
kaum Einfluss haben. Dies hätte letztlich Auswirkungen
auf das gesamte deutsche ISAF-Kontingent. Deutsche
Stellungen der ISAF-Truppe könnten zunehmend Ziel
von Angriffen und Anschlägen werden, und auch die erreichte
Stabilisierung der Lage im Norden Afghanistans
wäre gefährdet.
Der Einsatz deutscher Tornados wäre damit kein Beitrag
zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan. Das Gegenteil
wäre der Fall. Wir sehen daher in der Entsendung
von „Recce-Tornados“ nach Afghanistan ein nicht vertretbares
Risiko für unsere deutschen Soldatinnen und
Soldaten und für das Gelingen des ISAF-Einsatzes insgesamt
und werden daher dem erweiterten Mandat nicht
zustimmen.
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Heinz Schmitt (Landau),
Angelika Graf (Rosenheim), Dr. Marlies
Volkmer, Detlef Müller (Chemnitz), Waltraud
Lehn, Christel Riemann-Hanewinckel, Dr.
Bärbel Kofler, Dr. Wolfgang Wodarg, Christine
Lambrecht und Elvira Drobinski-Weiß (alle
SPD) zur namentlichen Abstimmung über die
Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung:
Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen
Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan unter Führung der NATO auf
Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413
(2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004),
1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt
21 a)
Die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe,
ISAF, soll einen Beitrag für Sicherheit, Recht und Ordnung
und damit für eine friedliche politische Entwicklung
in Afghanistan leisten. ISAF hat beim Wiederaufbau
Afghanistans Erfolge vorzuweisen. Insbesondere die
deutsche Bundeswehr hat in ihrem Verantwortungsbereich
zu einer Stabilisierung im afghanischen Norden
beigetragen. Das ISAF-Mandat beinhaltet das Recht der
Soldaten auf Selbstverteidigung. Militärische Gewalt ist
auch zulässig, wenn es darum geht, die Regierung und
die Menschen in Afghanistan zu schützen.
ISAF ist klar abzugrenzen von der Operation Enduring
Freedom, OEF, welche die Bekämpfung des internationalen
Terrorismus zum Ziel hat. Die bisherige relative
Sicherheit deutscher Soldaten beruht nicht zuletzt
auf der erkennbaren Trennung beider Operationen.
Unter dieser Prämisse haben die Unterzeichnenden
bisher Einsätzen deutscher Soldaten in Afghanistan zugestimmt.
Der jetzt geplante Einsatz von Tornados der
Bundeswehr über ganz Afghanistan führt zu erheblichen
Unschärfen bei der Aufgabenteilung von ISAF und OEF.
Die Luftaufklärung der Bundeswehrtornados dient
nach Aussage des Bundesverteidigungsministers
Dr. Franz Josef Jung dem „Schutz der ISAF-Truppen“
und der „Zielaufklärung vermuteter Stellungen militanter
Widerstandgruppen“ (OEF).
Wir bezweifeln, dass es gelingen wird, die Einsatzbedingungen
– insbesondere hinsichtlich der Zusammenarbeit
zwischen ISAF und OEF – detailliert zu regeln. Es
steht also zu befürchten, dass Widerstandsgruppen in Afghanistan
eine solche Differenzierung nicht nachvollziehen
werden und die deutschen Tornados als Flugzeuge
im Kampfeinsatz bewerten. Deutsche Soldaten könnten
damit für Kriegsoperationen verantwortlich gemacht
werden, auf deren Planung und Durchführung sie keinerlei
Einfluss haben. Als Folge von Einsätzen der Amerikaner
sind fast jeden Tag Opfer unter der afghanischen
Zivilbevölkerung zu beklagen, zuletzt zum Beispiel am
Sonntag, 4. März 2007. Mit dem Einsatz der deutschen
Tornados wären wir – zumindest in der Wahrnehmung
der Afghaninnen und Afghanen – in diese verhängnisvolle
Kette von Gewalt hineingezogen.
Dies hätte letztlich Auswirkungen auf das gesamte
deutsche ISAF-Kontingent. Deutsche Stellungen der
ISAF-Truppe könnten zunehmend Ziel von Angriffen
und Anschlägen werden. Der Einsatz deutscher Tornados
wäre damit kein Beitrag zur Stabilisierung der Lage
in Afghanistan. Das Gegenteil wäre der Fall.
In dieser Einschätzung fühlen wir uns bestärkt durch
Warnungen von in Afghanistan tätigen NGOs wie Medica
Mondiale. Diese zivile deutsche Organisation, die
in Kabul, Herat, Mazar-i-Sharif und Kandahar hervorragende
Arbeit zum Thema „Gewalt gegen Frauen“ leistet,
befürchtet, dass sich die Gefahr für Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen
vor Ort durch einen Einsatz von Bundeswehrtornados
stark erhöhen würde. Bei einer weiteren
Militarisierung der Lage würden sich immer weniger zivile
Fachkräfte imstande sehen, sich dem erhöhten Sicherheitsrisiko
auszusetzen.
Wir teilen die Ansicht, dass nur eine weitere Stärkung
der Zivilgesellschaft und eine Fortsetzung der sinnvollen
Wiederaufbauhilfe, die Deutschland in der Vergangenheit
geleistet hat, ein Gegengewicht zu einer weiteren
Eskalierung militärischer Gewalt bilden kann.
Die Unterzeichnenden sehen daher in der Entsendung
von Recce-Tornados nach Afghanistan ein nicht vertretbares Risiko für unsere deutschen Soldaten, für das Gelingen
des ISAF-Einsatzes insgesamt und für die Arbeit
von NGOs in Afghanistan.
Daher lehnen wir die Entsendung von acht Recce-
Tornados nach Afghanistan und deren Einsatz ab.
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Andrea Nahles, Niels Annen,
Gerold Reichenbach, Monika Griefahn, Ursula
Mogg, Garrelt Duin, Anette Kramme, Nicolette
Kressl und Kerstin Griese (alle SPD) zur
namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung
zu dem Antrag der Bundesregierung:
Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte
an dem Einsatz einer Internationalen
Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan
unter Führung der NATO auf Grundlage der
Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444
(2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005)
und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen (Tagesordnungspunkt 21 a)
2001 haben die Mitglieder des Deutschen Bundestages
und mit ihnen die Abgeordneten der SPD eine
Grundsatzentscheidung getroffen. Deutschland ist der
Bitte der afghanischen Regierung nachgekommen, sich
an einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe,
ISAF, zu beteiligen. Durch diesen Einsatz auf Grundlage
von Kapitel VII der UN-Charta wollten wir Afghanistan
auf seinem Weg des Wiederaufbaus begleiten und stabilisieren.
Den vorläufigen Staatsorganen Afghanistans
sollte die Vorbereitung und Durchführung von demokratischen
Wahlen in sicherem Umfeld ermöglicht werden.
Der Bevölkerung Afghanistans sollte mit Unterstützung
der Vereinten Nationen und zahlreicher internationaler
Hilfskräfte eine Chance auf einen Neuanfang in Sicherheit
und politischer Selbstbestimmung gegeben werden.
Wir haben Afghanistan und seiner Bevölkerung damit
Unterstützung zugesagt, sich vor der erneuten Kontrolle
durch extremistische und terroristische Kräfte und vor
der Ausbeutung von Land und Leuten zu schützen.
An diesen grundsätzlichen Zielen hat sich nichts geändert.
Der Deutsche Bundestag hat das ISAF-Mandat
daher nicht nur verlängert, sondern auch auf Regionen
jenseits von Kabul ausgeweitet. Die Bundesregierung
hat die deutsche Verantwortung für die Zukunft Afghanistans
nicht zuletzt im Afghanistan-Compact Anfang
2006 bestätigt. Ressortübergreifend leistet Deutschland
daher unermüdlich und mit umfangreichen finanziellen
Mitteln einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des
Landes. Besonders hervorzuheben sind dabei die Ausbildung
der afghanischen Polizei und insbesondere die beachtenswerten
Programme und Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit.
Deutsche Bundeswehrsoldaten
kommen dabei weiter ihrem Mandat nach und sichern
die Bemühungen der afghanischen Zivilbevölkerung und
der internationalen Hilfskräfte ab. Nicht zuletzt durch
die Einbeziehung der afghanischen Zivilgesellschaft und
ziviler Hilfskräfte konnten deutsche Soldaten Vertrauen
schaffen und dadurch nachhaltige Verbesserungen erreichen.
Das bisherige Auftreten der deutschen Bundeswehrsoldaten
und der deutsche Ansatz der zivil-militärischen
Zusammenarbeit haben sich bewährt.
Die Lage in Afghanistan hat sich in den letzten Monaten
dramatisch verschlechtert, denn die Regierung
Karzai ist nach wie vor schwach und weit davon entfernt,
ihre Kontrolle auf das gesamte Land auszuweiten.
Die Rückkehr der Taliban in das Sicherheitsvakuum im
Süden Afghanistans bedroht daher den weiteren Entwicklungsprozess
und die politische Stabilität des ganzen
Landes.
Wir sehen in der Entsendung von Tornados keine qualitative
Änderung des bisher von Deutschland verfolgten
Kurses. Auch der Einsatz von Tornados zielt darauf ab,
Afghanistan bei der Gewinnung und Aufrechterhaltung
der inneren Sicherheit zu unterstützen. Die Aufklärungsflüge
dienen der Sicherheit der Menschen und internationalen
Hilfskräfte und damit der Stabilität weit über den
Süden Afghanistans hinaus.
Wir betrachten mit wachsender Sorge, dass Deutschland
mit einer verfehlten Antiterrorpolitik identifiziert
wird. Denn Deutschland hat stets betont, dass ein rein
militärischer Ansatz, der nur auf die Verfolgung von
Terroristen setzt, aber den zivilen Wiederaufbau vernachlässigt,
zu kurz greift. Militärische Maßnahmen
ohne flankierendes ziviles Engagement können nicht
von nachhaltigem Erfolg gekrönt sein. Die dank der
Bundesregierung auf dem NATO-Gipfel in Riga verabschiedeten
Auflagen, auch die zivile Komponente des
Engagements in Afghanistan zu verstärken, entsprechen
dieser Einschätzung. Sie reichen aber nicht aus.
Wir begrüßen daher die intensive Debatte um den
ISAF-Einsatz und die Tornado-Entsendung in den letzten
Wochen, in denen sich viele von uns umfangreich
über die Situation in Afghanistan informiert haben.
Eine grundlegende Überprüfung der Afghanistanstrategie
sehen wir als Voraussetzung für die anstehende
Verlängerung der Mandate von ISAF und Operation
Enduring Freedom an. Wir erwarten von der Bundesregierung,
dass sie die verbleibende Zeit nutzt, um die begonnene
Debatte im Bündnis weiterzuführen und intensiv
mit dem Deutschen Bundestag abzustimmen.
Wir haben dadurch die Basis für die Diskussion geschaffen,
die wir im Hinblick auf die für den Herbst anstehende
Entscheidung über die Verlängerung des ISAFMandats
führen werden.
Die Entscheidung über die Entsendung von deutschen
Tornados muss der Beginn einer ehrlichen Analyse der
bisherigen NATO-Strategie in Afghanistan sein. All diejenigen,
die unsere Kritik teilen, dass der Einsatz von
Mitteln für militärische Zwecke im Vergleich zu den Investitionen
in zivile Maßnahmen unverhältnismäßig
hoch ist, bitten wir, gemeinsam mit uns dafür zu sorgen,
dass in Zukunft in angemessenem Umfang Gelder für
den zivilen Wiederaufbau von Afghanistan bereitgestellt
werden.
Die SPD ist die Friedenspartei. Eine umfassende Sicherheitspolitik
ist aktive Friedenspolitik. Doch diese
muss langfristig und vorausschauend geplant sein. Militärisches
Engagement, für das wir uns in Afghanistan
entschieden haben, kann nur dann ermöglicht werden,
wenn man zu dauerhaften Verpflichtungen auch im flankierenden
zivilen und entwicklungspolitischen Bereich
bereit ist. Die zivil-militärische Zusammenarbeit steht
dabei im Vordergrund. Im Oktober läuft das Mandat für
den Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan aus. Spätestens
bis dann gehört eine nachhaltige Strategie für einen
stabilen Frieden auf die Tagesordnung.
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Alexander Bonde, Winfried
Nachtwei, Jürgen Trittin, Ute Koczy, Volker
Beck (Köln), Dr. Gerhard Schick, Thilo Hoppe
und Bärbel Höhn (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN) zur namentlichen Abstimmung über die
Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung:
Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen
Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan unter Führung der NATO auf
Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413
(2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004),
1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt
21 a)
Wir lehnen den Antrag der Bundesregierung zur Entsendung
deutscher Tornados ab.
Der Stabilisierungs- und Aufbauprozess in Afghanistan
durchläuft in diesem Jahr eine besonders kritische
Phase. Nach der Verschärfung der Lage im Vorjahr muss
die internationale Gemeinschaft in den nächsten Monaten
die Wende zum Besseren schaffen. Für uns bleibt die
nach Kap. VIl der VN-Charta mandatierte ISAF-Schutztruppe
weiterhin sinnvoll und notwendig. Ohne die militärische
Friedenssicherung durch ISAF hätte es die bisherigen
Teilerfolge in Afghanistan nicht gegeben. Wer
jetzt zu einem Abzug der Bundeswehr und der ISAFTruppen
insgesamt aufruft, nimmt die Rückkehr der Taliban
an die Macht und den Zusammenbruch des Friedensprozesses
in Kauf. Für die Stabilisierung und den
Wiederaufbau Afghanistans ist das militärische Engagement
der Staatengemeinschaft eine unverzichtbare Voraussetzung.
Unsere Ablehnung des Tornado-Einsatzes erfolgt
nach sorgfältiger Abwägung. Die Aufklärungstornados
können nicht nur Aufklärungsmaterial zur Absicherung
der Stabilisierungsoperationen von ISAF liefern. Sie tragen
vor allem auch zur Kampfunterstützung in den umkämpften
Provinzen im Süden bei. Seriösen Quellen ist
zu entnehmen, dass im Süden und Osten vielfach militärisch
undifferenziert und unverhältnismäßig gegen Aufständische
vorgegangen und zugleich der Aufbau vernachlässigt
wurde. Eine auf Felderzerstörung fixierte Art
der Drogenbekämpfung tat das Ihre zur Konfliktverschärfung.
Dass dadurch mehr Feinde produziert und
Freunde verloren wurden, ignoriert die Bundesregierung
bisher. Es besteht also die akute Gefahr, dass Aufklärungstornados
zu einer kontraproduktiven und opferreichen
Militärstrategie und Operationsführung beitragen.
Seit Monaten wird auf allen Ebenen der Staatengemeinschaft
betont, dass die Konflikte in Afghanistan
nicht militärisch zu lösen seien und dass es eines Strategiewandels
sowie forcierter und effizienterer Aufbauanstrengungen
bedürfe. Bisher bleiben die Taten weit hinter
den richtigen Worten zurück. Das gilt für die
Staatengemeinschaft insgesamt, wo eine deutliche Diskrepanz
zwischen der proklamierten Revision der Stabilisierungsstrategie
und dem tatsächlichen Forcieren einer
primär militärischen Bekämpfung aufständischer Gruppen
besteht. Das gilt insbesondere auch für die Bundesrepublik,
die wohl seit fünf Jahren einen konzeptionell
vorbildlichen Ansatz ziviler, polizeilicher und militärischer
Maßnahmen vertritt, aber mit dem Tornado-Einsatz
ihre militärischen Anstrengungen verstärkt und viel
zu wenig für die weitaus dringlicheren zivilen Bemühungen
tut. Wenn nun für die Tornados ungefähr so viele
Millionen Euro in einem Jahr ausgegeben werden sollen
wie für die deutsche Hilfe zum Polizeiaufbau in fünf
Jahren – circa 70 Millionen – und wenn die deutsche Polizeihilfe
trotz des drängenden Bedarfs weitgehend unverändert
bleibt, dann ist das kurzsichtig und halbherzig.
Das bisherige Missverhältnis zwischen militärischem
und zivilem Engagement wird somit vertieft statt überwunden.
Ohne mehr und besseren Aufbau bleibt jede
militärische Anstrengung aussichtslos. Deshalb fordern
wir eine „zivile Frühjahrsoffensive“.
Das Nein zum Tornado-Einsatz ist ausdrücklich kein
Aufruf zum Ausstieg aus dem multilateralen Projekt von
Gewalteindämmung, State-Bildung und Friedensförderung,
sondern ein Aufruf für eine Erfolgsstrategie in Afghanistan
und ein dringender Warnruf, das schmale Zeitfenster
für die Veränderung der Militärstrategie und der
zivilen Anstrengungen jetzt zu nutzen. Seit Juli 2006 haben
wir immer wieder gegenüber der Bundesregierung
darauf gedrängt. Eine praktische Wirkung blieb weitgehend
aus.
Wir unterstützen die Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr, die in Afghanistan eingesetzt werden, genauso
wie die Polizistinnen und Polizisten, Zivilexpertinnen
und Zivilexperten sowie Helferinnen und Helfer.
Wir werden deren Einsatz kritisch-konstruktiv begleiten
und uns weiterhin dafür einsetzen, dass das in Afghanistan
gutangesehene Deutschland dort seiner besonderen
Verantwortung auch bestmöglich gerecht wird: im Einsatz
für eine glaubwürdige, ausgewogene und wirklich
hilfreiche Politik der internationalen Gemeinschaft.
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Katrin Göring-Eckardt,
Kerstin Andreae, Christine Scheel, Elisabeth
Scharfenberg, Dr. Thea Dückert, Margareta
Wolf (Frankfurt) und Brigitte Pothmer (alle
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu
dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung
bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz
einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
in Afghanistan unter Führung der
NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386
(2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003),
1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt
21 a)
Afghanistan bedarf weit mehr als bisher der Unterstützung,
gerade durch zivile Mittel. Ohne Strategiewechsel
und deutlich mehr ziviles Engagement sind die
Köpfe und Herzen der Menschen in Afghanistan dauerhaft
nicht für die Demokratie zu gewinnen. Afghanistan
braucht eine politische und zivile Frühjahrsoffensive.
Zugleich können wir nicht übersehen, dass sich Afghanistan
in einer Situation befindet, in der zivile Maßnahmen
allein nicht zum Erfolg führen können. Besonders
im Süden und Osten des Landes muss Stabilität
auch mit militärischen Mitteln herbeigeführt werden, um
zivilen Helfern ihren Einsatz überhaupt erst zu ermöglichen.
Im ganzen Land ist militärischer Schutz und Absicherung
des zivilen Aufbaus unverzichtbar. Hierin besteht
der Auftrag der Tornado-Aufklärungsflugzeuge.
Ich stimme der Entsendung der Aufklärungsflugzeuge
zu, weil ich die Notwendigkeit militärischer Flankierung
der zivilen Maßnahmen anerkenne. Meine Zustimmung
ist jedoch untrennbar verbunden mit der
Aufforderung an die Bundesregierung, innerhalb der
NATO auf einen Kurswechsel zu dringen. Nur als Teil
einer tatsächlich gewalteindämmenden Militärstrategie
ist der Einsatz der Tornados für den Aufbau Afghanistans
aussichtsreich.
Für eine ausgewogenen Afghanistanpolitik ist eine
Vervielfachung der zivilen Mittel notwendig, die angekündigte
Erhöhung um 20 Millionen Euro reicht nicht
aus. Deutschland hat die Koordinierungsverantwortung
für den Aufbau der Polizei in Afghanistan übernommen.
Um dies zum Erfolg zu führen, ist eine deutliche Aufstockung
von Personal und Mitteln notwendig. Gemeinsam
mit der internationalen Gemeinschaft müssen schlüssige
Konzepte zur Drogenbekämpfung entwickelt und politischer
Druck auf Pakistan ausgeübt werden, das die Reorganisation
der Talibankräfte auf seinem Territorium duldet.
Dazu fordere ich die Bundesregierung auf.
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Winfried Hermann, Peter
Hettlich, Dr. Anton Hofreiter, Dr. Harald Terpe,
Sylvia Kotting-Uhl und Monika Lazar (alle
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen
Abstimmung über die Beschlussempfehlung zu
dem Antrag der Bundesregierung: Beteiligung
bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz
einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
in Afghanistan unter Führung der
NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386
(2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003),
1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt
21 a)
Heute entscheidet der Deutsche Bundestag über die
Entsendung von Tornado-Aufklärungsflugzeugen nach
Afghanistan. Diese Flugzeuge können im gesamten
ISAF-Bereich eingesetzt werden, also auch in den umkämpften
Regionen im Süden und Osten. Sie sollen zu
mehr Sicherheit beitragen. Doch zum Aufspüren von
Selbstmordattentätern, deren Anschläge die Sicherheit
zunehmend bedrohen, sind Tornados weder gedacht
noch geeignet. Die hochmodernen Aufklärungsflugzeuge
ersetzen britische Aufklärungs- und Kampflieger,
die sich ohne Aufklärungsarbeit ganz auf den Kampf aus
der Luft konzentrieren werden. Deutsche Tornados haben
vor allem die Aufgabe, genaue Bilder von „aufständischen
(Taliban-)Kämpfern“ für anschließende Bombardements
zu liefern.
Die NATO-Partner erwarten, dass Deutschland sich
endlich am schwierigen und schmutzigen Kampf gegen
den Widerstand im Süden Afghanistans beteiligt. Tornados
sind dazu die elegante Lösung. Deutsche Soldaten
müssen – noch – nicht im direkten Kampf ihr Leben riskieren,
dafür liefern deutsche Flugzeuge die Infobilder
zur blutigen Bekämpfung und Zerstörung. Faktisch wird
mit dem Tornadoeinsatz die bisherige Linie des deutschen
ISAF-Einsatzes verlassen, der sehr darauf bedacht
war, im Norden Afghanistans möglichst zivilpolizeilich
die Aufbauprojekte zu sichern. Ganz anders als die
NATO im Süden, die sich immer wieder als martialische
Besatzungsarmee aufspielt.
Das relativ gute Ansehen der Bundeswehr vor Ort,
das wesentlich mit dieser eher zivilen Strategie zusammenhängt,
wird bald blutbeschädigt sein. Und auch in
Afghanistan wird sich herumsprechen, dass deutsche
Flugzeuge die Bombardements der NATO vorbereitet
haben. Der scheinbar harmlose Bundeswehreinsatz mit
sechs Aufklärungstornados könnte die Rolle der Bundeswehr
in Afghanistan entscheidend verändern: von der
Aufbauschutztruppe zur gewaltsamen Besatzungsarmee.
Aber mit noch so viel militärischer Gewalt wird man
ein Volk nicht „überzeugen“ und auch keine „Herzen gewinnen“.
Und mit noch so viel Waffengewalt und Krieg
kann auch Demokratie nicht durchgesetzt werden.
Die Tornados werden den Friedensprozess sicher
nicht beschleunigen, wohl aber eine neue militärische
Eskalationsstrategie einleiten. Wir befürchten eine Ausweitung
und Brutalisierung des Krieges wie die Mehrzahl
der Menschen in Deutschland. Afghanistan braucht
keine militärische, wohl aber eine zivile Frühjahrsoffensive.
Der Einfluss der Taliban kann allenfalls mit zivilen
Mitteln zurückgedrängt werden. Sinnvoller wäre es, die
35 Millionen Euro für den Tornadoeinsatz in den zivilen
Wiederaufbau einzusetzen. Deshalb und aufgrund weiterer
grundsätzlicher Bedenken sagen wir Nein zu deutschen
Tornados in Afghanistan.
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Hans-Josef Fell und Wolfgang
Wieland (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung
zu dem Antrag der Bundesregierung:
Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen
Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan
unter Führung der NATO auf Grundlage
der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444
(2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005) und
1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen (Tagesordnungspunkt 21 a)
Der Antrag der Bundesregierung auf Beteiligung an
der NATO-geführten Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
in Afghanistan – ISAF – mit sechs bis
acht Tornados zur Aufklärung und Überwachung aus der
Luft ist zum Teil plausibel.
Die Sicherungsunterstützungstruppe – ISAF – ist Teil
der auch von den Grünen in der Vergangenheit massiv
eingeklagten und unterstützten Verbindung von zivilem
Aufbau auf der einen und militärischer Absicherung auf
der anderen Seite. Dieser Einsatz ist vom Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen mehrfach legitimiert und in dem
sogenannten Petersberger Prozess mit der Verpflichtung
der Staatengemeinschaft konkretisiert worden. Die Grünen,
insbesondere das grün geführte Auswärtige Amt,
waren in diesem Prozess immer eine treibende Kraft. Es
war und ist unser erklärtes Ziel, das geschundene Afghanistan
nach 25 Jahren Bürgerkrieg in einer langfristig angelegten
Entwicklung des zivilen Wiederaufbaus und
des Nation Building wieder zur Ruhe kommen zu lassen.
Es war und ist unsere Überzeugung, dass dieser Prozess
noch auf absehbare Zeit der militärischen Absicherung
bedarf.
Gerade weil die Grünen im November 2006 zum ersten
Mal einer Verlängerung des Antiterrormandats Operation
Enduring Freedom – OEF – nicht zugestimmt haben,
stehen wir bei der realistischen Ausgestaltung des
ISAF-Mandats in einer besonderen Verantwortung.
Auch in der Öffentlichkeit und in der politischen Diskussion
der NATO wird zunehmend ein Strategiewechsel
angestrebt, der eine Stärkung und Beschleunigung des
zivilen Aufbaus unter dem Schutz von ISAF zum Inhalt
hat.
Angesichts der schwierigen Lage in Afghanistan, die
sich im Laufe des Jahres 2006 weiter verschlechtert
hat, muss die Sicherungsunterstützungstruppe allerdings
auch mit den nötigen militärischen Kapazitäten
ausgestattet werden. Insofern ist der Antrag der Bundesregierung
plausibel. Mit den Aufklärungsflugzeugen
vom Typ Tornado Recce wird die Fähigkeit von
ISAF deutlich verbessert, sich ein Lagebild vom gesamten
Verantwortungsbereich zu machen. Diese Fähigkeit
kommt unmittelbar der Sicherheit der Soldaten
und der zivilen Helfer zugute. Die Aufklärung kann die
Führungsfähigkeit der Operation ISAF verbessern und
die Effizienz der ISAF Stabilisierungs- und Sicherheitsoperationen
steigern. Verbesserte Aufklärungsfähigkeit
von ISAF kann zu verbesserter, angemessener
und verhältnismäßiger Reaktion von ISAF führen.
Deutschland steht hier auch in einer Gesamtverantwortung
und Bündnisverpflichtung für alle Teilnehmerländer
der Schutztruppe. Diese Verpflichtungen erlauben
es nur in extremen Ausnahmefällen, Bündnisanfragen
abzulehnen, obwohl die Kapazitäten vorhanden sind.
Deshalb können wir den Antrag der Bundesregierung
nicht ablehnen.
Allerdings: Die Aufklärungsergebnisse der Tornados
können auch zu Zwecken missbraucht werden, die mit
den Zielen des zivilen Wiederaufbaus nicht im Einklang
stehen. Unsere Kritik an Teilen der OEF-Operationen,
die im Ergebnis eher den Taliban die Anhänger in die
Arme getrieben haben, verweist auf Zweifel an der Führung
der künftigen Gesamtoperation und auf die Tatsache,
dass der angekündigte Strategiewechsel noch nicht
umgesetzt ist. Hierzu gehört insbesondere die Kritik an
Bombardierungen, die hauptsächlich Zivilpersonen in
Mitleidenschaft nehmen. Die Versicherung des Bundesministers
der Verteidigung, der Tornado-Einsatz vermindere
die Zahl der Kolateralschäden, ist solange nicht
glaubhaft, wie die Ergebnisse der Luftaufklärung – wenn
auch restriktiv – für die OEF zu Verfügung gestellt werden.
Auch hat für uns die Unterstützung des zivilen Aufbaus
höchste Priorität. Wir müssen leider beobachten,
wie die schwarz-rote Bundesregierung die Finanzierung
der zivilen Komponente gegenüber der militärischen Sicherung
nicht mit dem gleichen Einsatz verfolgt. Militär
darf nicht zum Ersatz von zivilen politischen Maßnahmen
werden. Deshalb können wir dem Antrag der Bundesregierung
nicht zustimmen.
Da der geplante Tornado-Einsatz deshalb zum einen
sinnvoll für eine Absicherung von ISAF ist, zum anderen
aber Grundlage für eine falsche Strategie im Rahmen
von OEF sein kann – beide Funktionen sind untrennbar
miteinander verwoben –, werden wir uns der Stimme
enthalten.
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Britta Haßelmann und
Ulrike Höfken (beide BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN) zur namentlichen Abstimmung über die
Beschlussempfehlung zu dem Antrag der Bundesregierung:
Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen
Sicherheitsunterstützungstruppe in
Afghanistan unter Führung der NATO auf
Grundlage der Resolutionen 1386 (2001), 1413
(2002), 1444 (2002), 1510 (2003), 1563 (2004),
1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt
21 a)
Die Bundesregierung hat einen Antrag auf Entsendung
von sechs bis acht deutschen Tornados zur Ergänzung der UN-mandatierten ISAF-Mission in Afghanistan
in den Deutschen Bundestag eingebracht, über den
das Parlament heute entscheidet. Diese Tornados sollen
zur luftgestützten Aufklärung in ganz Afghanistan dienen.
Hier geht es für jede und jeden von uns darum, den
Nutzen eines solchen Einsatzes gegen die Risiken abzuwägen.
Ich unterstütze weiterhin die Stabilisierung
Afghanistans, weil ein Scheitern der internationalen Gemeinschaft
für die Menschen in Afghanistan und die internationale
Gemeinschaft fatal wäre.
Die ISAF (International Security Assistance Force)
als Verbindung von militärischer Sicherheit auf der einen
Seite und zivilem Aufbau und Nation-Building auf der
anderen Seite sollte die Umsetzung der Ziele Sicherheit
und Stabilisierung gewährleisten. Dieser Einsatz ist vom
Sicherheitsrat der Vereinten Nationen mehrfach legitimiert
und in dem sogenannten Petersberger Prozess mit
der Verpflichtung der Staatengemeinschaft konkretisiert
worden. Der Kampf gegen Gewalt und terrorbereite
Kräfte macht den Einsatz von Polizei- und Streitkräften
erforderlich, denn ohne eine Mindestmaß an Sicherheit
ist der Aufbau staatlicher und zivilgesellschaftlicher
Strukturen nicht möglich. Aus meiner Sicht muss es um
eine Gesamtstrategie gehen, die eine Stabilisierung
stützt und nicht gefährdet. Bei der Ablehnung von OEF
(Operation Enduring Freedom) im November 2006 haben
wir Grüne gleichzeitig gefordert, dass ISAF als internationale
Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan
unter Führung der NATO gestärkt werden muss.
Heute sind die Risiken und Chancen der Bereitstellung
von Tornado-Aufklärungsflugzeugen zu bewerten.
ISAF braucht sicher zur Erfüllung des Stabilisierungsauftrags
eine robuste Komponente und, da die Partner
wechselseitig aufeinander angewiesen sind, ergeben sich
aus einem gemeinsamen Vorgehen der internationalen
Gemeinschaft auch bündnispolitische Verpflichtungen.
Die Aufklärungsergebnisse allerdings sind in mehrfacher
Hinsicht nutzbar. Sie können zum Schutz und zur
Stabilisierung eingesetzt werden, könnten aber auch zu
Zwecken missbraucht werden, die mit den Zielen des zivilen
Wiederaufbaus nicht im Einklang stehen.
Die im Laufe des Jahres 2006 verschlechterte Lage in
Afghanistan erfordert aus meiner Sicht einen grundlegenden
Strategiewechsel, der die klare Priorität auf einen
zivilen Aufbau legt und zu einer nachhaltigen Stabilisierung
des Landes führt. Wir brauchen eine zivile und
politische Offensive und eine Verstärkung der zivilen
Anstrengung.
Ich bin der Auffassung, dass die Bundesregierung einen
größeren Beitrag für einen Strategiewechsel der
NATO leisten muss. Zu diesem Zeitpunkt ist für mich
nicht erkennbar, in welcher Weise die Bundesregierung
durch ihr nationales Engagement und durch internationale
Bemühungen auf der Ebene der EU und der NATO
diesen Strategiewechsel wirklich im Sinne einer Gesamtstrategie
voranbringen will. Deshalb kann ich dem
Antrag der Bundesregierung nicht zustimmen und werde
ich mich bei dieser Entscheidung enthalten.
Erklärung nach § 31 GO
der Abgeordneten Ernst Kranz und Frank
Schwabe (beide SPD) zur namentlichen Abstimmung
über die Beschlussempfehlung zu dem
Antrag der Bundesregierung: Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an dem Einsatz
einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
in Afghanistan unter Führung der
NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386
(2001), 1413 (2002), 1444 (2002), 1510 (2003),
1563 (2004), 1623 (2005) und 1707 (2006) des Sicherheitsrates
der Vereinten Nationen (Tagesordnungspunkt
21 a)
Die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe,
ISAF, soll einen Beitrag für Sicherheit, Recht und Ordnung
und damit für eine friedliche politische Entwicklung
in Afghanistan leisten. ISAF hat beim Wiederaufbau
Afghanistans Erfolge vorzuweisen. Insbesondere die
deutsche Bundeswehr hat in ihrem Verantwortungsbereich
zu einer Stabilisierung im afghanischen Norden
beigetragen. Das ISAF-Mandat beinhaltet das Recht der
Soldaten auf Selbstverteidigung. Militärische Gewalt ist
auch zulässig, wenn es darum geht, die Regierung und
die Menschen in Afghanistan zu schützen.
ISAF ist klar abzugrenzen von der Operation Enduring
Freedom, OEF, welche die Bekämpfung des internationalen
Terrorismus zum Ziel hat. Die bisherige relative
Sicherheit deutscher Soldaten beruht nicht zuletzt
auf der erkennbaren Trennung beider Operationen. Der
jetzt geplante Einsatz von Tornados der Bundeswehr
über ganz Afghanistan führt zu erheblichen Unschärfen
bei der Aufgabenteilung von ISAF und OEF. Die
Luftaufklärung der Bundeswehr-Tornados dient nach
Aussage des Bundesverteidigungsministers Dr. Franz
Josef Jung dem Schutz der ISAF-Truppen und der
„Zielaufklärung vermuteter Stellungen militanter Widerstandgruppen“,
OEF.
Ich bezweifle, dass es gelingen wird, die Einsatzbedingungen
– insbesondere hinsichtlich der Zusammenarbeit
zwischen ISAF und OEF – detailliert zu regeln. Es
steht also zu befürchten, dass Widerstandsgruppen in
Afghanistan eine solche Differenzierung nicht nachvollziehen
werden und die deutschen Tornados als Flugzeuge
im Kampfeinsatz bewerten. Deutsche Soldaten
könnten damit für Kriegsoperationen verantwortlich gemacht
werden, auf deren Planung und Durchführung sie
keinerlei Einfluss haben. Als Folge von Einsätzen der
Amerikaner sind jeden Tag Opfer unter der afghanischen
Zivilbevölkerung zu beklagen, zuletzt zum Beispiel am
Sonntag, 4. März 2007. Mit dem Einsatz der deutschen
Tornados wären wir – zumindest in der Wahrnehmung
der Afghaninnen und Afghanen – in diese verhängnisvolle
Kette von Gewalt hineingezogen. Dies hätte letztlich
Auswirkungen auf das gesamte deutsche ISAF-Kontingent.
Deutsche Stellungen der ISAF-Truppe könnten
zunehmend Ziel von Angriffen und Anschlägen werden.
Der Einsatz deutscher Tornados wäre damit kein Beitrag
zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan. Das Gegenteil
wäre der Fall.
In dieser Einschätzung fühle ich mich bestärkt durch
Warnungen von in Afghanistan tätigen NGOs wie
Medica Mondiale. Diese zivile deutsche Organisation,
die in Kabul, Herat, Masar-i-Scharif und Kandahar hervorragende
Arbeit zum Thema „Gewalt gegen Frauen“
leistet, befürchtet, dass sich die Gefahr für Mitarbeiter
und Mitarbeiterinnen vor Ort durch einen Einsatz von
Bundeswehr-Tornados stark erhöhen würde. Bei einer
weiteren Militarisierung der Lage würden sich immer
weniger zivile Fachkräfte imstande sehen, sich dem erhöhten
Sicherheitsrisiko auszusetzen.
Ich bin der Ansicht, dass nur eine weitere Stärkung
der Zivilgesellschaft und eine Fortsetzung der sinnvollen
Wiederaufbauhilfe, die Deutschland in der Vergangenheit
geleistet hat, ein Gegengewicht zu einer weiteren
Eskalierung militärischer Gewalt bilden kann. Ich sehe
daher in der Entsendung von Recce-Tornados nach Afghanistan
ein nicht vertretbares Risiko für unsere deutschen
Soldaten, für das Gelingen des ISAF-Einsatzes
insgesamt und für die Arbeit von NGOs in Afghanistan.
Daher lehne ich die Entsendung von acht Recce-Tornados
und deren Einsatz in Afghanistan ab.
Anlage 14
Erklärungen nach § 31 GO
zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung
zu dem Antrag der Bundesregierung:
Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen
Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan
unter Führung der NATO auf Grundlage
der Resolutionen 1386 (2001), 1413 (2002), 1444
(2002), 1510 (2003), 1563 (2004), 1623 (2005)
und 1707 (2006) des Sicherheitsrates der Vereinten
Nationen (Tagesordnungspunkt 21 a)
Zunächst ist festzustellen,
dass ich dem Antrag auf Einsatz von Recce-
Tornados zur Verstärkung des Bundeswehreinsatzes in
Afghanistan im Rahmen von ISAF nur unter größten
Vorbehalten zustimme.
Das Grundmandat wurde 2001 von der damaligen rotgrünen
Bundesregierung befürwortet und mit entsprechenden
Mehrheiten beschlossen. Ich war damals noch
nicht Mitglied des Deutschen Bundestages und würde unter
heutigen Bedingungen für einen verstärkt auf militärische
Präsenz ausgerichteten Auftrag keine Zustimmung
geben. Der jetzt geplante Einsatz der Tornado-Aufklärungsflugzeuge
ist keine solche Grundsatzentscheidung,
sondern eine Ergänzung, die wegen unserer Bündnisverpflichtungen
und aus Sicherheitsgründen – für den Schutz
unserer Soldaten, der zivilen Entwicklungshelfer sowie
gefährdeter Wiederaufbauprojekte – notwendig erscheint.
Mit den Aufklärungsflügen soll es besser als jetzt möglich
sein, Gefahren rechtzeitig zu erkennen, insbesondere
hinsichtlich der fragilen Sicherheitslage im Südosten
Afghanistans.
Insgesamt aber sollte Deutschland innerhalb der
NATO und der EU darauf drängen, eine grundlegende
Überprüfung der Strategie hinsichtlich der Aufwertung
der UN-Mission im Sinne einer Verstärkung der wirtschaftlichen
und politischen Hilfe zu erreichen. Diese
umfassende politische Stabilisierung Afghanistans
wurde bereits auf dem NATO-Gipfel im November 2006
angemahnt. Mit der derzeitigere Befristung des Einsatzes
der Tornado-Aufklärer bis Oktober dieses Jahres ist
eine Möglichkeit der Überprüfung dieses Strategiewechsels
gegeben.
Nur unter der Bedingung dieser Befristung, des beabsichtigten
Strategiewechsels und der großen Befürchtung
um die afghanische Bevölkerung, insbesondere um
Frauen und Mädchen, stimme ich zu. Ein Erstarken der
Taliban ist unter allen Umständen zu verhindern, da ansonsten
der Wiederaufbau des Landes und die Rechte
und Freiheiten der Bevölkerung gefährdet würden.
Dr. Axel Berg (SPD): Die Internationale Sicherheitsbeistandtruppe
unterstützt die Regierung Afghanistans
bei ihrer Aufgabe, für Sicherheit, Recht und Ordnung im
ganzen Land zu sorgen. ISAF soll eine friedliche politische
Entwicklung Afghanistans gewährleisten. ISAF hat
beim Wiederaufbau Afghanistans Erfolge vorzuweisen.
Insbesondere die deutsche Bundeswehr hat in ihrem Verantwortungsbereich
zu einer Stabilisierung des Nordens
Afghanistans beigetragen.
Das ISAF-Mandat beinhaltet das Recht der ISAF-Soldaten
auf Selbstverteidigung. Militärische Gewalt ist
auch dann zulässig, wenn es darum geht, die Regierung
und die Menschen in Afghanistan zu schützen.
ISAF ist dabei klar abzugrenzen von der Operation
Enduring Freedom, die die Bekämpfung des internationalen
Terrorismus zum Ziel hat. Die Sicherheit deutscher
Soldaten bisher beruht nicht zuletzt auf der relativ
klaren Trennung beider Operationen. Unter dieser Prämisse
habe ich bisher allen Einsätzen deutscher Soldaten
in Afghanistan zugestimmt.
Der jetzt geplante Einsatz von Tornados der Bundeswehr
über ganz Afghanistan führt zu erheblichen Unschärfen
bei der Aufgabenteilung von ISAF und OEF.
Die Luftaufklärung der Bundeswehrtornados dient nach
Aussage des Bundesverteidigungsministers Dr. Franz
Josef Jung dem Schutz der ISAF-Truppen und der
Zielaufklärung vermuteter Stellungen militanter Widerstandgruppen.
Ich bezweifle, dass es gelingen wird, die Einsatzbedingungen
– insbesondere hinsichtlich der Zusammenarbeit
zwischen ISAF und OEF – detailliert zu regeln. Es
steht also zu befürchten, dass Widerstandsgruppen in Afghanistan
eine solche Differenzierung nicht nachvollziehen
werden und die deutschen Tornados als Flugzeuge
im Kampfeinsatz bewerten.
Die Recce-Tornados könnten sowohl die ISAF – als
auch die OEF-Operationen in ihrer ganzen Breite unterstützen
und haben insofern einen doppelten Verwendungszweck
die Stabilisierungsoperationen vor allem in
Nord-, West- und Zentralafghanistan und die zum Teil
hochintensiven Kampfoperationen bei der Aufstandsbekämpfung
im Süden und Osten. Es geht also weder nur
um Schutz, noch nur um Kampf, sondern sowohl um
Stabilisierungs- als auch um Kampfunterstützung.
Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Maschinen
zur Überwachung der bergigen afghanischpakistanischen
Grenze sowie zur Erkundung von Schlafmohnfeldern
eingesetzt werden. Die bisherige Drogenbekämpfung
war, trotz positiver Einzelfälle, insgesamt
erfolglos. Feldzerstörungen trafen in einem Umfeld fehlender
Alternativen oder nicht eingehaltener Zusagen
vor allem die ärmsten Bauern. Auch dies fördert Entfremdung
– und den Zulauf zu den Taliban. Für dieses
Jahr ist eine massive Ausweitung der Eradication angekündigt.
Die afghanische Regierung konnte bisher noch
dem massiven US-Druck für einen Herbizideinsatz widerstehen.
Auch die präzisere Aufklärung durch Tornados kann
das hohe Risiko ziviler Opfer nicht entscheidend reduzieren,
da Kombattanten und Zivilbevölkerung angesichts
landesüblicher Kleidung und Bewaffnung kaum
zu unterscheiden sind. Zur Praxis und Operationsführung
im Süden liegen kaum verlässliche Angaben vor.
Da dort vorrangig die Strategie verfolgt wird, die Aufständischen
zu bekämpfen, werden nicht nur eigene Soldaten
einem erhöhten Risiko ausgesetzt, sondern auch
die Zivilbevölkerung massiv in Mitleidenschaft gezogen
und Nothilfe und Aufbau vernachlässigt.
Deutsche Soldaten könnten damit für Kriegsoperationen
verantwortlich gemacht werden, auf deren Planung
und Durchführung sie keinerlei Einfluss haben. Jeden
Tag sind als Folge von Einsätzen der Amerikaner Opfer
unter der afghanischen Zivilbevölkerung zu beklagen,
zuletzt am Sonntag, dem 4. März 2007. Mit dem Einsatz
der deutschen Tornados wären wir zumindest in der
Wahrnehmung der Afghaninnen und Afghanen in diese
verhängnisvolle Kette von Gewalt hineingezogen. Dies
hätte letztlich Auswirkungen auf das gesamte deutsche
ISAF-Kontingent. Deutsche Stellungen der ISAFTruppe
könnten zunehmend Ziel von Angriffen und Anschlägen
werden. Der Einsatz deutscher Tornados wäre
damit kein Beitrag zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan.
Das Gegenteil wäre der Fall.
In dieser Einschätzung fühle ich mich bestärkt durch
Warnungen von in Afghanistan tätigen NGOs wie
Medica Mondiale. Diese zivile deutsche Organisation,
die in Kabul, Herat, Mazar-i-Sharif und Kandahar hervorragende
Arbeit zum Thema Gewalt gegen Frauen
leistet, befürchtet, dass sich die Gefahr für Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter vor Ort durch einen Einsatz von
Bundeswehrtornados stark erhöhen würde. Bei einer
weiteren Militarisierung der Lage würden sich immer
weniger zivile Fachkräfte imstande sehen, sich dem erhöhten
Sicherheitsrisiko auszusetzen.
Ich teile die Meinung von Medica Mondiale, dass nur
eine weitere Stärkung der Zivilgesellschaft und eine
Fortsetzung der sinnvollen Wiederaufbauhilfe, die
Deutschland in der Vergangenheit geleistet hat, ein Gegengewicht
zu einer weiteren Eskalierung militärischer
Gewalt bilden kann. Der Einsatz von sechs Tornados
wird für die nächsten sechs Monate auf 35 Millionen
Euro taxiert. Das deutsche Jahresbudget für bilaterale
Aufbauhilfe in Afghanistan betrug bisher lediglich
80 Millionen Euro.
Wenn der Aufbau im bisherigen Tempo fortgesetzt
wird, wären in fünf Jahren vielleicht 10 Prozent der Zerstörungen
von 26 Jahren Krieg wieder aufgebaut. Afghanische
Polizisten und Soldaten erhalten 50 bis 60 USDollar
im Monat, Taliban-Söldner 200 bis 600 Dollar.
Die Forderungen nach einer Forcierung des zivilen Aufbaus
fanden bisher nur ein unzureichendes Echo. Es ist
zu hoffen, dass die beschlossene Polizeimission der Europäischen
Union mit einer deutlichen Verstärkung der
Kapazitäten einhergeht.
Der Einsatz von Recce-Tornados kann neben dem positiven
Teilnutzen für die Stabilisierungsoperationen auf
die Unterstützung einer falschen Strategie hinauslaufen,
in jedem Fall würde sie die militärisch-zivile Unausgewogenheit
des deutschen Engagements verstärken.
Ich sehe daher in der Entsendung von Recce-Tornados
nach Afghanistan ein nicht vertretbares Risiko für
unsere deutschen Soldaten, für das Gelingen des ISAFEinsatzes
insgesamt und für die Arbeit von NGOs in Afghanistan
und lehne den Einsatz ab.
Nachfolgend deute ich den
Abwägungsprozess für meine unten angefügte Entscheidung
an. Dabei greife ich in einigen Fällen wortgleich
auf Informationen der Bundesregierung bzw. einiger
Kollegen aus der SPD-Fraktion zurück.
Seit über fünf Jahren ist die Bundesrepublik Deutschland
aktiv am Aufbau von staatlichen und gesellschaftlichen
Strukturen sowie in verschiedenen Bereichen der
wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Afghanistan engagiert.
Seit Ende 2001 war Deutschland führend am Prozess
zum Aufbau rechtsstaatlicher und demokratischer
Ordnung beteiligt und hat dazu drei internationale Afghanistankonferenzen
organisiert. Die Bundeswehr leistet
seit Beginn des internationalen Engagements im Rahmen
eines UN-Mandates – ISAF – einen mit unserer
zivilen Unterstützung vernetzten wichtigen Beitrag zur
militärischen Absicherung des Stabilisierungs- und Wiederaufbauprozesses
in Afghanistan.
Bisher habe ich allen Afghanistaneinsätzen in enger
Abstimmung mit meinen afghanischen Freunden zugestimmt.
Unser Konzept ist darauf orientiert, in Afghanistan
zivile Aufbauprozesse zu ermöglichen und einen
Rahmen zu schaffen, der Terrorismus stetig weiter einengt.
Durch bessere Bildungschancen, durch Stärkung
der Frauenrechte, durch Ausweitung der zivilgesellschaftlichen
Entfaltungsmöglichkeiten, den Aufbau
wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Infrastruktur
usw. soll jeglichem Terrorismus der Boden entzogen
werden. Soweit eine – meine – Idealvorstellung. In der
Praxis stellt sich diese Aufgabe aber als sehr risikoreich
dar und erfordert schon aus Gründen einer eventuell notwendigen
Selbstverteidigung über rein zivile Vorerfahrungen
hinausgehende Erfahrungen – militärische Präsenz
war und ist heute noch erforderlich und auch von
Afghanistan erwünscht. An dieser Aufgabe – Aufbau
des Landes und Schutz vor terroristischen Übergriffen –
möchte ich solange festhalten, bis Afghanistan selbst
diese Aufgabe übernehmen kann.
Diese Aufgabe hat die Bundeswehr bisher im Norden
sehr gut erfüllt. Natürlich gab es Rückschläge, aber in
noch immer tribalen Strukturen und einem Land, das
maßgeblich vom Drogenanbau dominiert wird, müssen
die Maßstäbe für die oben genannten Ziele entsprechend
transformiert werden. Insgesamt sind die Entwicklungen
im Norden Afghanistans, also dem Einsatzgebiet der
Bundeswehr, ein Erfolg deutscher Außenpolitik. Eine
der Voraussetzungen für diesen Erfolg war sicherlich einerseits
die räumliche Begrenzung, andererseits die Arbeitsteilung
zwischen den verschiedenen Nationen. So
konnten unterschiedliche Konzepte zur Anwendung
kommen und die Aufträge für die Bundeswehr – einer
„Parlamentsarmee“ – entsprechend definiert werden.
Soldaten der Bundeswehr waren in der Vergangenheit
an verschiedenen Auslandseinsätzen im Rahmen der
kollektiven Bündnisse der Vereinten Nationen und der
NATO beteiligt. In einer Entscheidung vom 12. Juli
1994 hat das Bundesverfassungsgericht bekräftigt, dass
Art. 24 Abs. 2 Grundgesetz im Zusammenwirken mit
Art. 87 a Abs. 2 Grundgesetz die verfassungsrechtliche
Grundlage für die Einordnung der Bundesrepublik
Deutschland in ein System gegenseitiger kollektiver Sicherheit
zur Wahrung des Friedens darstellt. Als Abgeordneter
muss ich bei meiner Entscheidung berücksichtigen,
dass die Bundesrepublik als Mitglied in der NATO
Verantwortung für deutsche Soldatinnen und Soldaten
und auch für alle Soldaten der NATO-Vertragsstaaten
übernimmt und Verpflichtungen eingeht.
Die Verpflichtungen, die sich aus der NATO-Mitgliedschaft
ergeben, erfordern außenpolitische Verlässlichkeit
als Bündnispartner. Diese setzt innenpolitische
Unterstützung der Bundesregierung durch die sie tragenden
Koalitionsfraktionen voraus. Denn jede letztgültige
Entscheidung muss von innen bestimmt und nach außen
vertreten werden.
Die angeforderte und auch erforderliche Bündnistreue
steht in Konflikt mit der Entscheidungs- und Gewissensfreiheit
als Abgeordneter. Die NATO-Mitgliedschaft begründet
keinen Automatismus; denn die Letztentscheidung
über einen Einsatz unserer Soldatinnen und
Soldaten obliegt dem Bundestag. Dieser Parlamentsvorbehalt
ist eng mit dem freien Mandat und der Gewissensfreiheit
des Abgeordneten verbunden. Er genießt Vorrang
gegenüber den außenpolitischen Erfordernissen und
ist zusätzlich begründet durch die besondere historische
Verantwortung Deutschlands.
Dies gilt umso mehr, als der Abgeordnete eines nationalen
Parlaments am Entscheidungsprozess der NATO,
der zu bestimmten Anforderungen führt, nicht immer
hinreichend beteiligt ist. Dies gilt gleichermaßen für die
Abgeordneten anderer nationaler Parlamente.
Im Falle einer Koalitionsmehrheit muss die Gewissensfreiheit
abgewogen werden gegen die Handlungsfähigkeit
der gesamten Regierung in allen Politikfeldern –
eine schwierige Entscheidungssituation für jeden einzelnen
Abgeordneten, auch für mich.
Mit dem Beitritt Deutschlands zu den Vereinten Nationen
und zur NATO wurden auch Einsätze der Bundeswehr
im Rahmen und nach den Regeln von VN und
NATO möglich; mit Blick auf die wechselseitigen Verpflichtungen,
die man in Bündnissen eingeht, sind solche
Einsätze vielleicht sogar nötig. Allerdings ist für mich
Bündnistreue allein kein hinreichender Grund, für Einsätze
der Bundeswehr zu stimmen. Art und Ziel des Einsatzes
dominieren meine Entscheidung.
Auslöser der aktuellen Entscheidung über eine Entsendung
von Tornados nach Afghanistan war eine Anfrage
der NATO. Die Bundesregierung hat nach Prüfung
dieser Anfrage über die Ergänzung des vom Bundestag
am 26. September vergangenen Jahres verlängerten
ISAF-Mandates einen Beschluss gefasst, wonach zeitlich
befristet Aufklärungsflugzeuge des Typs Recce-Tornado
nach Afghanistan verlegt werden sollen.
Die Bundesregierung hat wichtige Beschränkungen
für den Einsatz der Tornados vorgesehen. Sie dürfen nur
zum Zwecke der Aufklärung und Überwachung aus der
Luft eingesetzt werden. Wie die Bundesregierung in ihrer
Mandatsbegründung ausführt, sieht der ISAF-Operationsplan
eine restriktive Übermittlung von Aufklärungsergebnisse an die internationale Operation Enduring Freedom vor. Die Übermittlung von Aufklärungsdaten
darf nur erfolgen, wenn dies zur erfolgreichen
Durchführung der ISAF-Operation oder für die
Sicherheit von ISAF-Kräften erforderlich ist. Die Aufklärungsflugzeuge
sollen nicht zur Luftnahunterstützung eingesetzt
werden. Die Erkenntnisse werden von ISAF für
Schutzmaßnahmen genutzt, aber auch zur Bekämpfung
der Taliban und anderer oppositioneller militanter
Kräfte.
Neben der Bitte um eine Ausweitung des militärischen
Engagements und die aktive Beteiligung deutscher
Soldaten an Kampfeinsätzen steht das Bemühen seitens
der NATO, die Europäische Union und weitere internationale
Organisationen wie Weltbank und Vereinte Nationen
zu einem verstärkten Engagement in Afghanistan
aufzurufen. Der NATO-Generalsekretär de Hoop
Scheffer kritisierte in diesem Zusammenhang bereits die
Einsatzbeschränkungen für mehrere Kontingente der aus
verschiedenen Ländern stammenden internationalen Afghanistanschutztruppe
ISAF.
Auch der Bundestag hat im Rahmen des Stabilisierungsmandates
der Vereinten Nationen in Afghanistan,
– kurz ISAF – solche Beschränkungen hinsichtlich des
geografischen Einsatzgebietes in Afghanistan und der
Beteiligung deutscher Soldaten an Kampfhandlungen
definiert, die meine volle Unterstützung hatten und haben.
Das Parlament hat einer Verlängerung dieses Engagements
der Bundeswehr am 28. September 2006 zugestimmt.
Dieses Mandat erlaubt den Einsatz von maximal
3 000 Soldaten in Afghanistan. Gegenwärtig sind etwa
2 850 dort stationiert. Das Mandat sieht einen Einsatz
nicht im Süden des Landes, sondern nur im Norden vor.
Im Rahmen des Selbstverteidigungs- und Nothilferechts
darf die Truppe alle zum Schutz der Regierung und der
Zivilbevölkerung erforderlichen Maßnahmen ergreifen.
Darüber hinaus dürfen die deutschen Streitkräfte aber
nicht zu Kampfhandlungen eingesetzt werden. In anderen
Regionen des Landes, in denen Militäreinheiten unserer
Bündnispartner seit Sommer verstärkte Offensiven
gegen die bewaffnete Opposition in Afghanistan durchführen,
wird ein Einsatz wie bisher nur für zeitlich und
im Umfang begrenzte Unterstützungsleistungen ermöglicht.
Forderungen unserer NATO-Partner nach einem
direkten Einsatz der Bundeswehr, insbesondere von Einheiten
des Kommandos Spezialkräfte – KSK –, bei der
aktiven Bekämpfung des Drogenanbaus und -handels
waren von der Bundesregierung zurückgewiesen worden.
In einer Protokollnotiz hatte die Bundesregierung
im Oktober 2003 klargestellt, dass „die Drogenbekämpfung
nicht im Mandat des Bundeswehreinsatzes enthalten
ist“.
Gegenwärtig drohen die Kommandeure der Taliban
damit, das Land zu irakisieren, mit funkgesteuerten
Kleinstbomben zu agieren, die Selbstmordattentate zu
erhöhen. Das Ganze könnte nicht trotz, sondern sogar
wegen der Tornados geschehen. Dass dann der Ruf nach
deutschen Bodentruppen im Osten und Süden Afghanistans
noch stärker als bislang ertönen dürfte, ist für uns
die militärisch logische und wahrscheinliche Konsequenz.
Deutschland könnte mit zunehmendem Zeitablauf
nicht mehr vermitteln können, warum es nicht mit
gleichem Risiko wie die anderen Nationen beteiligt ist.
Diese Weigerung, sich an Kampfeinsätzen zu beteiligen,
halte ich für die richtige Entscheidung, die ich auch
zur Grundlage meiner gegenwärtigen Einschätzung der
politischen Situation mache. Denn die Erfahrungen mit
bisherigen Militärmissionen, die unter dem Mandat der
VN oder der NATO standen, zeigt, dass Truppen oftmals
zahlreiche eigene Todesopfer zu beklagen hatten und
eine Beteiligung in engster Kooperation schnell an
Selbstbestimmung verliert. Das ist ein in der Praxis nicht
kalkulierbares Risiko. Das Wissen um diese möglichen
Konsequenzen meiner Entscheidung für die betroffenen
Bundeswehrsoldaten und ihre Angehörigen stellt eine
schwere moralische Bürde dar.
Meine Entscheidung bespreche ich auch mit afghanischen
Freunden, die mir ein genaues und lebensnahes
Bild von der Lage im Land zeichnen und deren Friedensorientierung
für mich zweifelsfrei feststeht. Gegenwärtig
werde die Aufbauarbeit durch die afghanische Regierung
in der Öffentlichkeit nicht genug sichtbar; die Regierung
gilt als schwach. Militärische Präsenz dagegen
werde viel deutlicher sichtbar. Statt ziviler Projekte, deren
Lebensdauer oft auf wenige Monate begrenzt ist, sei
der Schwerpunkt des Engagements umzulenken von militärischen
Aktivitäten in zivilen Aufbau. Meine Aufgabe
ist es, die verschiedenen Aspekte der Auslandseinsätze
und der Terrorismusbekämpfung sensibel zu
betrachten und Handlungsalternativen besonnen gegeneinander
abzuwägen. Entscheidungen wie die, Soldatinnen
und Soldaten in ein militärisches Krisengebiet zu
schicken, sind schwierige Gewissensfragen für mich.
Dies gilt genauso für Kolleginnen und Kollegen, die
anders abstimmen. Für sie gibt es mit Blick auf die Hilfe
und Unterstützung anderer Einsatztruppen auch Gründe,
für den Einsatz zu stimmen. Hier gilt es, wechselseitig
die Ernsthaftigkeit der Abwägungsprozesse mit unterschiedlichen
Ergebnissen zu respektieren. Die Unberechenbarkeit
in terroristischem Umfeld führt bei allen
Handlungsoptionen zu Restzweifeln über „die richtige“
Entscheidung.
Zudem befürchte ich, dass sich unsere Weigerung,
Bodentruppen für einen möglichen Kampfeinsatz zu entsenden,
angesichts drohender Verluste anderer Truppenteile
nicht aufrechterhalten lassen wird, wenn wir der
Entsendung von Tornado-Flugzeugen zugestimmt und
damit unsere Bereitschaft zu Kampfeinsätzen signalisiert
haben. Der Tornado-Einsatz liegt zwischen den bisher
getroffenen Entscheidungen und weiteren Erwartungen
bestimmter Bündnispartner, deren Schwelle zu militärischen
Kampfeinsätzen sehr viel niedriger ist.
Ich möchte auch die Leistungsfähigkeit unserer Soldaten
und Soldatinnen nicht aus den Augen verlieren.
Die Belastungsgrenze ist angesichts deutscher Beteiligung
an vielen Missionen in der Welt erreicht.
Die Pläne der Regierung hatten zunächst vorgesehen,
die lange geplante Rückverlegung von Soldaten aus
Mazar-i-Sharif in Nordafghanistan und das damit verbundene
Freiwerden eines Truppenkontingentes von
400 Mann dazu zu nutzen, um 250 Soldaten der Luftwaffe
mit den Tornados nach Afghanistan zu schicken.
Damit hätte man sich im Rahmen des laufenden Bundestagsmandates
bewegt, das eine Obergrenze von 3 000
Soldaten für den Einsatz vorsieht; aus formalrechtlicher
Sicht wäre damit eine Debatte um das Mandat und eine
Entscheidung des Bundestages vermieden worden. Da
meines Erachtens mit der aktiven Beteiligung der Bundeswehr
an Kampfeinsätzen in Süd- und Ostafghanistan
allerdings eine inhaltliche Neuausrichtung des Mandates
einhergeht, halte ich eine Entscheidung im Bundestag
für erforderlich.
Den Vorschlag aus den Reihen unseres Koalitionspartners,
der Bundestag solle die Bundesregierung zu
Beginn einer Legislaturperiode ermächtigen, internationalen
Organisationen Truppen anzubieten, den konkreten
Marschbefehl vom Bundeskabinett erteilen zu lassen
und dem Parlament lediglich ein Rückholrecht innerhalb
von 90 Tagen zuzugestehen, halte ich unter dem Aspekt
der zivilen Kontrolle der Streitkräfte für nicht sinnvoll
und praktikabel. Gerade bei solch schwierigen Entscheidungen
darf ein Parlament vor der Verantwortung nicht
zurückschrecken.
Außerdem gilt für die Entscheidung über den Einsatz
bewaffneter deutscher Streitkräfte der wehrverfassungsrechtliche
Vorbehalt des Parlaments. Dieser verpflichtet
die Bundesregierung, grundsätzlich im Voraus die Zustimmung
des Bundestages zu Einsätzen einzuholen. Mit
Inkrafttreten des neuen Gesetzes über die parlamentarische
Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz
bewaffneter Streitkräfte im Ausland – dem Parlamentsbeteiligungsgesetz
vom 24. März 2005 – werden diese Mitwirkungsrechte des Deutschen Bundestages konkretisiert.
Zu den Befugnissen gehören insbesondere das
Rückholrecht der Soldaten im Kampfeinsatz und die
Verpflichtung der Regierung zur Unterrichtung des Parlaments.
Neben diesen gesetzlichen Schranken gegen einen
Missbrauch militärischen Engagements hat auch der einzelne
Abgeordnete einen wichtigen Anteil an der Kontrolle
über die Streitkräfte. Denn es handelt sich bei der
Bundeswehr um eine Parlamentsarmee, und die Angehörigen
unserer Streitkräfte müssen darauf vertrauen können,
dass die Abgeordneten das Für und Wider eines
Einsatzes genau abwägen.
Die jüngere Vergangenheit hat deutlich gemacht, dass
die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sich ihrer
Verantwortung, die mit einem Einsatz deutscher Truppen
im Ausland verbunden ist, bewusst sind und ihre Entscheidungen
erst nach reiflicher Überlegung und sorgfältiger
Gewissensprüfung getroffen haben. In diesem
Zusammenhang erinnere ich daran, dass ich dem Libanoneinsatz
der Bundeswehr im Rahmen der UNIFILMission
nicht zugestimmt habe.
Deshalb plädiere ich dafür, bei der Analyse unserer
Vorgehensweise und der Suche nach Wegen zu Befriedung
und Wiederaufbau in Afghanistan behutsam zu argumentieren,
auch wenn man damit Gefahr läuft, keine
einfachen Auswege aus dem Dilemma anbieten zu können.
Momentan sehe ich keine vernünftige Alternative
zur Wiederherstellung und Aufrechterhaltung von Sicherheit
und Ordnung durch militärische Präsenz in Nordafghanistan
und bin mir dabei durchaus des Dilemmas
der Erzwingung von Ruhe und Frieden bewusst. Allerdings
habe ich auch keine befriedigende Antwort auf die
Frage gefunden, in welchem Zustand sich Afghanistan
ohne den militärischen Schutz der internationalen Truppen,
die im Rahmen der Mandate Operation Enduring
Freedom – ORF – und International Security Assistance
Force – ISAF – operieren, befände.
Aufgabe der OEF ist der Kampf gegen den internationalen
Terrorismus und seine Unterstützer auf der Grundlage
von Art. 51 der VN-Satzung, der das Recht auf
Selbstverteidigung festschreibt, und den Resolutionen
1368 (2001) und 1373 (2001) des Sicherheitsrates der
Vereinten Nationen sowie Art. 5 des Nordatlantikvertrages.
Die OEF besteht derzeit aus zwei weitgehend unabhängigen
Teiloperationen: Eine wird in Afghanistan, die
andere im Seegebiet am Horn von Afrika durchgeführt.
Die Bundeswehr war an den Kampfeinsätzen zur Terrorismusbekämpfung
im Rahmen der OEF nur mit kleinen
Einheiten des Kommandos Spezialkräfte – KSK – beteiligt.
Nach Angaben von Verteidigungsminister Franz
Josef Jung (CDU) hat es seit dem Regierungswechsel
keine KSK-Einsätze in Afghanistan mehr gegeben. Der
letzte Beitrag wurde im Mai 2005 beendet, und im Oktober
2005 wurde die Rückverlegung aller deutschen
KSK-Kräfte nach Deutschland abgeschlossen. Hier ist
gut zu erkennen, wie sensibel Regierung und Parlament
mit diesen Fragen umgehen, und dass eine digital reduzierte
Beurteilung – ja/nein, gut/böse, richtig/falsch – an
friedensorientierten Lösungen vorbeiführt.
Innerhalb der NATO-geführten internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
– ISAF – sollen unsere
Bundeswehrsoldaten in Afghanistan den Frieden sichern
und den Wiederaufbau unterstützen. Nach den terroristischen
Anschlägen vom 11. September 2001 in den USA
und dem Sturz des Talibanregimes hatten sich Vertreter
unterschiedlicher politischer Kräfte Afghanistans Ende
2001 anlässlich der Petersberger Konferenz in Bonn auf
eine „Vereinbarung über provisorische Regelungen in
Afghanistan“ bis zum Wiederaufbau dauerhafter
Regierungsinstitutionen geeinigt. Mit dieser sogenannten
Bonner Vereinbarung war die politische Grundlage
für die NATO-geführte International Security Assistance
Force – ISAF – geschaffen, deren Aufstellung der UNSicherheitsrat
am 20. Dezember 2001 mit der Resolution
1386 beschlossen hat. Mit der am 5. Oktober 2006 erfolgten
Ausdehnung des Einsatzgebiets der NATO-geführten
Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
– ISAF – auf ganz Afghanistan besteht die Hoffnung,
dass es mit dem auch stärker an zivilen Erfordernissen
orientierten Ansatz von ISAF gelingen kann, die Regierungsgewalt
der Zentralregierung und damit auch die
Aufbaubemühungen auf diese bislang vernachlässigten
Regionen auszuweiten.
Meine Auffassung ist, dass die Bekämpfung des Terrorismus
in erster Linie keine militärische, sondern eine
politische Aufgabe ist. OEF und ISAF sind daher als ein
Element einer Gesamtstrategie zu sehen, die Maßnahmen
auch und gerade in zahlreichen anderen nichtmilitärischen
Bereichen umfasst. Sie kann dabei auf militärischen
Schutz nicht verzichten. Afghanistan ist trotz
eines insgesamt erfolgreich verlaufenden Stabilisierungsprozesses
weiterhin auf die Unterstützung der internationalen
Gemeinschaft angewiesen, sodass eine
Fortsetzung der Anwesenheit internationaler Sicherheitskräfte
unbedingt erforderlich bleibt. Militärische
Mittel sind bei der Bekämpfung des Terrorismus nur ein
– allerdings unerlässliches – Element, das von polizeilichen,
politischen, wirtschaftlichen, entwicklungspolitischen
und zivilgesellschaftlichen Maßnahmen begleitet
werden muss. Daher begrüße ich die Aufstockung der finanziellen
Mittel um 20 Millionen auf 100 Millionen
Euro, die das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung am vergangenen Mittwoch
bekanntgegeben hat. Die deutsche Aufbauhilfe
konzentriert sich auf die Bereiche Energie- und Wasserversorgung
sowie die Bildungsförderung in Groß- und
Kleinprojekten und soll auch auf den Süden des Landes
ausgeweitet werden, um diese Krisenregion weiter zu
stabilisieren.
Seit fast fünf Jahren ist die Bundesrepublik Deutschland
aktiv am Aufbau von staatlichen Strukturen und in
verschiedenen Bereichen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit
engagiert. Dazu wurden im November 2003
und im September 2004 je ein „Provincial Reconstruction
Team“, das heißt ein regionales Wiederaufbauteam,
in Kunduz und Faisabad aufgestellt, die mit ihrer zivilen
Ausrichtung die Autorität der Zentralregierung in den
Provinzen stärken und die Wiederaufbaubemühungen
unterstützen sollen. Zentrale Aufgabe der deutschen
Wiederaufbauteams war „die Schaffung eines Klimas
der Sicherheit, in dem afghanische Kräfte zur Drogenbekämpfung
ausgebildet werden“. Deutsche Soldaten sollen
deshalb, wie bisher, nur logistische Unterstützung leisten.
Deutschland hat bis 2010 weitere 400 Millionen Euro
für den Wiederaufbau zugesagt. Das BMZ hat im November
2006 ein Pilotprojekt für die Provinzen Paklia
und Khost im Südosten begonnen. Weitere Aktivitäten
im Süden sind nötig, um den Menschen zu zeigen, dass
die internationale Präsenz ihren Interessen dient. Die EU
hat zu diesem Zweck Ende Januar weitere 600 Millionen
Euro für zivile Entwicklung bereitgestellt. Darüber hinaus
wurde im Februar eine ESVP-Mission beschlossen,
die 160 Kräfte für den Polizeiaufbau und 70 Berater für
die Reform der Justiz umfassen soll. Da der Nachschub
aus den paschtunischen Stammesgebieten Pakistans eine
zentrale Rolle für die Stärke der afghanischen Taliban
spielt, setzt sich Deutschland zusammen mit seinen Verbündeten
für eine bessere Kooperation der pakistanischen
Regierung mit den afghanischen Nachbarn ein.
Bei einem Treffen der EU-Troika mit Pakistan konnten
Anfang Februar 2007 gemeinsame Anstrengungen zur
Sicherung der Grenze vereinbart werden. Dafür stellt die
EU wiederum 200 Millionen Euro bereit.
Deutschland ist in Afghanistan weiterhin ein anerkannter
und angesehener Partner und leistet einen unverzichtbaren
Beitrag zur notwendigen militärischen
Absicherung des Stabilisierungsprozesses in Afghanistan.
Allerdings sind 23 Jahre Bürgerkrieg und Talibanherrschaft
nicht kurzfristig zu überwinden. Die fortbestehende
Gefährdungslage erfordert von der Allianz
weiterhin die Bereitstellung ausgewählter militärischer
Fähigkeiten für die Bekämpfung des Terrorismus. Die
militante Opposition, sowie die lokalen und regionalen
Machthaber und die organisierte Kriminalität sind immer
noch bestimmende Faktoren für die Sicherheitslage
Afghanistans. Besonders im Süden und Osten stellen
diese Faktoren eine wesentliche Bedrohung
afghanischer und internationaler Sicherheitskräfte, aber
auch der gesellschaftlichen, sozialen und ökonomischen
Entwicklung dar. Es bedarf hier weiterhin der aktiven
Terrorismusbekämpfung durch OEF, bis die afghanischen
Sicherheitskräfte eigenständig in der Lage
sind, die Sicherheit im eigenen Lande zu gewährleisten.
Die Bundesrepublik leistet hierzu ihren Beitrag mit
der Ausbildung von Sicherheitskräften, der Bereitstellung
logistischer Unterstützung und der Bewahrung eines
Raums relativer Sicherheit und Ruhe im Norden.
In Abwägung all dieser Aspekte trete ich für die Beibehaltung
der bisherigen Präsenz deutscher Soldaten in
Afghanistan ein, lehne aber eine Erweiterung der bisherigen
Aufgabe und die Entsendung von Aufklärungsflugzeugen
des Typs Recce-Tornado nach Afghanistan
ab.
2001 haben die Mitglieder
des Deutschen Bundestages und mit ihnen die Abgeordneten
der SPD eine Grundsatzentscheidung getroffen.
Deutschland ist der Bitte der afghanischen Regierung
nachgekommen, sich an einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
– ISAF – zu beteiligen. Durch
diesen Einsatz auf Grundlage von Kapitel VII der UNCharta
wollten wir Afghanistan auf seinem Weg des
Wiederaufbaus begleiten und stabilisieren. Den vorläufigen
Staatsorganen Afghanistans sollte die Vorbereitung
und Durchführung von demokratischen Wahlen in sicherem
Umfeld ermöglicht werden. Der Bevölkerung
Afghanistans sollte mit Unterstützung der Vereinten Nationen
und zahlreicher internationaler Hilfskräfte eine
Chance auf einen Neuanfang in Sicherheit und politischer
Selbstbestimmung gegeben werden. Wir haben Afghanistan
und seiner Bevölkerung damit Unterstützung
zugesagt, sich vor der erneuten Kontrolle durch extremistische
und terroristische Kräfte und vor der Ausbeutung
von Land und Leuten zu schützen.
An diesen grundsätzlichen Zielen hat sich nichts geändert.
Der Deutsche Bundestag hat das ISAF-Mandat
daher nicht nur verlängert, sondern auch auf Regionen
jenseits von Kabul ausgeweitet. Die Bundesregierung
hat die deutsche Verantwortung für die Zukunft Afghanistans
nicht zuletzt im „Afghanistan Compact“ Anfang
2006 bestätigt.
Ressortübergreifend leistet Deutschland daher unermüdlich
und mit umfangreichen finanziellen Mitteln einen
wichtigen Beitrag zur Stabilisierung des Landes.
Besonders hervorzuheben sind dabei die Ausbildung der
afghanischen Polizei und insbesondere die beachtenswerten
Programme und Projekte in der Entwicklungszusammenarbeit.
Deutsche Bundeswehrsoldaten kommen
dabei weiter ihrem Mandat nach und sichern die Bemühungen
der afghanischen Zivilbevölkerung und der internationalen
Hilfskräfte ab. Nicht zuletzt durch die Einbeziehung
der afghanischen Zivilgesellschaft und ziviler
Hilfskräfte konnten deutsche Soldaten Vertrauen schaffen
und dadurch nachhaltige Verbesserungen erreichen.
Das bisherige Auftreten der deutschen Bundeswehrsoldaten
und der deutsche Ansatz der zivil-militärischen
Zusammenarbeit haben sich bewährt.
Die Lage in Afghanistan hat sich in den letzten Monaten
dramatisch verschlechtert; denn die Regierung
Karzai ist nach wie vor schwach und weit davon entfernt,
ihre Kontrolle auf das gesamte Land auszuweiten.
Die Rückkehr der Taliban in das Sicherheitsvakuum im
Süden Afghanistans bedroht daher den weiteren Entwicklungsprozess
und die politische Stabilität des ganzen
Landes.
Wir sehen in der Entsendung von Tornados keine qualitative
Änderung des bisher von Deutschland verfolgten
Kurses. Auch der Einsatz von Tornados zielt darauf ab,
Afghanistan bei der Gewinnung und Aufrechterhaltung
der inneren Sicherheit zu unterstützen. Die Aufklärungsflüge
dienen der Sicherheit der Menschen und internationalen
Hilfskräfte und damit der Stabilität weit über den
Süden Afghanistans hinaus.
Wir betrachten mit wachsender Sorge, dass Deutschland
mit einer verfehlten Antiterrorpolitik identifiziert
wird. Denn Deutschland hat stets betont, dass ein rein
militärischer Ansatz, der nur auf die Verfolgung von Terroristen
setzt, aber den zivilen Wiederaufbau vernachlässigt,
zu kurz greift. Militärische Maßnahmen ohne
flankierendes ziviles Engagement können nicht von
nachhaltigem Erfolg gekrönt sein. Die dank der Bundesregierung
auf dem NATO-Gipfel in Riga verabschiedeten
Auflagen, auch die zivile Komponente des Engagements
in Afghanistan zu verstärken, entsprechen
dieser Einschätzung. Sie reichen aber nicht aus.
Wir begrüßen daher die intensive Debatte um den
ISAF-Einsatz und die Tornado-Entsendung in den letzten
Wochen, in der sich viele von uns umfangreich über
die Situation in Afghanistan informiert haben. Eine
grundlegende Überprüfung der Afghanistanstrategie sehen
wir als Voraussetzung für die anstehende Verlängerung
der Mandate von ISAF und Operation Enduring
Freedom an. Wir erwarten von der Bundesregierung,
dass sie die verbleibende Zeit nutzt, um die begonnene
Debatte im Bündnis weiterzuführen und intensiv mit
dem Deutschen Bundestag abzustimmen. Wir haben dadurch
die Basis für die Diskussion geschaffen, die wir
im Hinblick auf die für den Herbst anstehende Entscheidung
über die Verlängerung des ISAF-Mandats führen
werden.
Die Entscheidung über die Entsendung von deutschen
Tornados muss der Beginn einer ehrlichen Analyse der
bisherigen NATO-Strategie in Afghanistan sein. Alle
diejenigen, die unsere Kritik teilen, dass der Einsatz von
Mitteln für militärische Zwecke im Vergleich zu den Investitionen
in zivile Maßnahmen unverhältnismäßig
hoch ist, bitten wir, gemeinsam mit uns dafür zu sorgen,
dass in Zukunft in angemessenem Umfang Gelder für
den zivilen Wiederaufbau von Afghanistan bereitgestellt
werden.
Die SPD ist die Friedenspartei. Und eine umfassende
Sicherheitspolitik ist aktive Friedenspolitik. Doch diese
muss langfristig und vorausschauend geplant sein. Militärisches
Engagement, für das wir uns in Afghanistan
entschieden haben, kann nur dann ermöglicht werden,
wenn man zu dauerhaften Verpflichtungen auch im flankierenden
zivilen und entwicklungspolitischen Bereich
bereit ist. Die zivil-militärische Zusammenarbeit steht
dabei im Vordergrund. Im Oktober läuft das Mandat für
den Einsatz deutscher Truppen in Afghanistan aus. Spätestens
bis dann gehört eine nachhaltige Strategie für einen
stabilen Frieden auf die Tagesordnung.
Martin Gerster (SPD): Seit über fünf Jahren ist die
Bundesrepublik Deutschland aktiv am Aufbau von staatlichen
und gesellschaftlichen Strukturen sowie in verschiedenen
Bereichen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit
in Afghanistan engagiert. Seit Ende 2001 war
Deutschland führend am Prozess zum Aufbau rechtsstaatlicher
und demokratischer Ordnung beteiligt und hat
dazu drei internationale Afghanistankonferenzen organisiert.
Die Bundeswehr leistet seit Beginn des internationalen
Engagements im Rahmen eines UN-Mandates,
– ISAF – einen mit unserer zivilen Unterstützung vernetzten,
wichtigen Beitrag zur militärischen Absicherung
des ISAF-Stabilisierungs- und Wiederaufbauprozesses
in Afghanistan.
Das bisherige, auf die beschriebene Weise vernetzte
Engagement Deutschlands im Norden Afghanistans hat
wesentlich zur Stabilisierung in Kabul und im Norden
Afghanistans beigetragen und genießt hohe internationale
Reputation. Dauerhafter Frieden und zuverlässige
humanitäre Hilfe waren und sind für die deutsche Außenpolitik
zwei Seiten derselben Medaille. Diese Verbindung
unterstütze ich auch weiterhin.
Die deutsche Außenpolitik hat sich dabei auf sehr
wohltuende Weise von der Politik anderer Nationen unterschieden.
Anders als in der Außenpolitik anderer Länder
wurde der Kampf gegen den Terrorismus nicht als
Krieg betrachtet. Dass die „Kriegsstrategie“ bislang
nicht aufgegangen ist, belegt nicht nur der Umstand,
dass die Friedenssicherung im Osten und Süden Afghanistans
nach dem Willen der dort verantwortlichen Nationen
nun ebenfalls um eine zivile Begleitung mit höherem
Gewicht ergänzt werden soll, die Deutschland im
Norden Afghanistans bereits erfolgreich betreibt.
Dabei sollten wir nicht vergessen, dass selbst diese
Korrektur der „Kriegsstrategie“ noch zu wenig sein
könnte; denn eigentlich war die internationale Schutztruppe
ISAF vor fünf Jahren mit 20 000 Soldatinnen und
Soldaten angetreten, um den zügigen Aufbau eines physisch
und moralisch zerstörten Landes zu garantieren.
Die Reste der Taliban und von al-Qaida sollten von
hochgerüsteten Truppen in wenigen Monaten besiegt
sein. Die Realität, auf deren Grundlage der Antrag der
Bundesregierung jetzt gestellt wird, sieht leider anders
aus. Die Zahl der Anschläge auf militärische Ziele in Afghanistan
ist von 2005 auf 2006 dramatisch gestiegen:
von 1 632 auf 5 338. Insgesamt waren 4 000 Tote zu beklagen.
Das sind zehnmal so viele wie drei Jahre zuvor.
Angesichts dieser Entwicklung stelle ich mir die
Frage, ob man diese Entwicklung beenden kann, indem
deutsche Tornados mit Aufklärungsflügen den Bodentruppen
den Weg weisen. Angesichts dieser Entwicklung
– insbesondere der Fehlentscheidungen in Ost- und Südafghanistan,
den Frieden dort vornehmlich mit militärischen
Mitteln erreichen zu wollen – sind wir mehr denn
je aufgerufen, alles zu tun, damit die Afghanen die Mitglieder
fremder Nationen als ihre Unterstützer wahrnehmen
und anerkennen. Jeder zusätzliche militärische Beitrag
mit nahezu unvermeidlichen zusätzlichen Opfern
aufseiten der Zivilbevölkerung birgt den Verdacht in
sich, die Afghanen nicht als gleichberechtigte Partner
anzuerkennen, sondern die Besatzungssituation perpetuieren
zu wollen.
Mit der nun von der Bundesregierung beantragten Beteiligung
an dem Einsatz einer internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
verbinde ich daher die Befürchtung,
dass die bisherige fruchtbringende deutsche
Außenpolitik anders als bisher wahrgenommen würde.
Gegenwärtig drohen die Kommandeure der Taliban
damit, das Land zu irakisieren, mit funkgesteuerten
Kleinstbomben zu agieren, die Selbstmordattentate zu
erhöhen. Das Ganze könnte nicht trotz, sondern sogar
wegen der Tornados geschehen. Dass dann der Ruf nach
deutschen Bodentruppen im Osten und Süden Afghanistans
noch stärker als bislang ertönen dürfte, ist für mich
die militärisch logische und wahrscheinliche Konsequenz.
Deutschland könnte mit zunehmendem Zeitablauf
nicht mehr vermitteln können, warum es nicht mit
gleichem Risiko wie die anderen Nationen beteiligt ist.
Dies gilt umso mehr, als die Tornado-Einsätze nun in
die gerade anlaufende Frühjahrsoffensive der NATO und
in die Operation Enduring Freedom – OEF – einbezogen
werden sollen. Es besteht daher die Gefahr, dass deutsche
Soldaten für Kriegsoperationen verantwortlich gemacht
werden, auf deren Planung und Durchführung sie
kaum Einfluss haben. Dies hätte letztlich Auswirkungen
auf das gesamte deutsche ISAF-Kontingent. Deutsche
Stellungen der ISAF-Truppe könnten zunehmend Ziel
von Angriffen und Anschlägen werden und auch die erreichte
Stabilisierung der Lage im Norden Afghanistans
wäre gefährdet.
Der Einsatz deutscher Tornados wäre damit kein Beitrag
zur Stabilisierung der Lage in Afghanistan. Das Gegenteil
wäre der Fall. Ich sehe daher in der Entsendung
von Recce-Tornados nach Afghanistan ein nicht vertretbares
Risiko für unsere deutschen Soldatinnen und Soldaten
und für das Gelingen des ISAF-Einsatzes insgesamt
und werde dem erweiterten Mandat daher nicht
zustimmen.
Wie alle anderen Mitglieder
des Deutschen Bundestages bin auch ich der Auffassung,
dass die Situation in Afghanistan zutiefst beunruhigend
ist und ein erneutes Erstarken der Taliban
verhindert werden muss.
Wir entscheiden heute über den Einsatz von zusätzlich
500 deutschen Soldaten in Afghanistan für Aufklärungs-
und Überwachungsmissionen aus der Luft. Wird
dieser Einsatz heute vom Bundestag beschlossen, so befinden
sich dann rund 8 000 deutsche Soldatinnen und
Soldaten in Auslandseinsätzen. Der Antrag erhöht nicht
nur die Zahl der eingesetzten Soldaten, sondern erweitert
auch den Auftrag und das Einsatzgebiet der Bundeswehr.
Zum ersten Mal seit Beginn des deutschen Engagements
in Afghanistan im Jahr 2002 werden bewaffnete
deutsche Streitkräfte im gesamten afghanischen
Hoheitsgebiet eingesetzt und greifen aktiv in das Kampfgeschehen
ein. Deshalb geht es heute nicht um einen
Friedenseinsatz, sondern wir entscheiden über einen
Kampfeinsatz. Eine gleichlautende Aussage traf auch
der ehemalige Verteidigungsminister im Bonner „General-
Anzeiger“.
Der Generalinspekteur der Bundeswehr, Wolfgang
Schneiderhan, bestätigte, dass die eingesetzten Tornados
nahezu alles und zu jeder Zeit fotografieren werden.
Durch die Fotos können detaillierte Lagebilder über zivile
Einrichtungen, Truppenbewegungen der ISAF und
auch über mögliche Stellungen der Taliban erstellt werden.
Die Aufklärungsarbeit der deutschen Tornados ist
demnach geeignet, um die Angriffspläne und die Taktik
einer militärischen Offensive zu unterstützen.
In der Begründung des Antrages wird von einer „restriktiven
Übermittlung von Aufklärungsergebnissen“ an
die Streitkräfte der Operation Enduring Freedom, OEF,
gesprochen. Diese dürfen dann auch nur zur Sicherung
der ISAF-Kräfte verwendet werden. Eine andere Nutzung
der Erkenntnisse durch OEF kann aber nicht ausgeschlossen
werden. Eine alleinige Verwendung der Fotos
zum Schutz von Zivilisten, Aufbauhelfern und Soldaten
der ISAF vor versehentlichen Angriffen ist zu begrüßen,
kann aber nicht sichergestellt werden. Deutschland unterstützt
damit direkt die Kampfhandlungen der OEF in
Afghanistan. Darüber müssen sich alle Mitglieder des
Deutschen Bundestages im Klaren sein.
Kurz: Die gewonnenen Lagebilder dienen nicht dem
Wiederaufbau, sondern dienen dem Kampfeinsatz, auch
wenn einige Kolleginnen und Kollegen das nicht gerne
hören. Nach den Lagebildern werden die Bomben fallen.
Es ist absehbar, dass unsere Soldatinnen und Soldaten in
die Kämpfe einbezogen werden. Und schon jetzt ist klar,
dass im Herbst weitere Einsatzbefehle für weitere Bodentruppen
folgen werden. Dann steht die nächste Entscheidung
an die heute noch bestritten wird.
Ich begrüße das zivile deutsche Engagement beim
Wiederaufbau des Landes und seiner Sicherheitsstrukturen.
Zuletzt hat Deutschland für die Ausbildung afghanischer
Polizeieinheiten die Federführung übernommen.
42 deutsche Polizistinnen und Polizisten sind derzeit in
Afghanistan tätig. Dem stehen derzeit 2 953 Bundeswehrsoldaten
gegenüber. Anstatt zusätzlich in militärische
Operationen zu investieren und den Einsatz von
Soldatinnen und Soldaten auszudehnen, sollten wir die
Ausbildung der Polizisten intensivieren. Damit unterstützen
wir Afghanistan aktiv, in absehbarer Zeit die Sicherheit
allein herstellen zu können.
Der Deutsche Bundestag hat noch immer keine Debatte
über die zukünftige Ausrichtung der Deutschen
Bundeswehr und die Schaffung entsprechender verfassungsrechtlicher
Grundlagen geführt. Im Rahmen der
Legitimierung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr
wird sich derzeit auf Art. 24 Abs. 2 GG bezogen. Dort
wird lediglich die Beteiligung an multinationalen Sicherheitsinstitutionen
ermöglicht. Nach meiner Auslegung
beinhaltet dies nicht die Beteiligung an internationalen
Militäroperationen. Für mich ist deshalb Art. 87 a Abs. 2
bindend. Danach definiert das Grundgesetz die Aufgabe
der Bundeswehr in der Landesverteidigung. Ich zitiere
Art. 87 a Abs. 2 GG: „Außer zur Verteidigung dürfen die
Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz
es ausdrücklich zulässt.“ Eine solche Legitimation
beinhaltet das Grundgesetz nicht, im Besonderen
nicht für Kampfeinsätze.
Aufgrund der internationalen Verantwortung Deutschlands
und der Einbindung in die Strukturen der Vereinten
Nationen ist es an der Zeit, die Einsatzmöglichkeiten
und -ziele der Bundeswehr im Ausland klar zu definieren.
Eine Änderung des Grundgesetzes ist dabei unvermeidbar.
Gleichzeitig muss auch über den Parlamentsvorbehalt
diskutiert werden. Die Bundesregierung
machte in der Vergangenheit immer wieder Zusagen zur
Beteiligung an militärischen Auslandseinsätzen, ohne
zuvor eine Entscheidung des Parlamentes abzuwarten.
Wir müssen uns in diesem Zusammenhang fragen, welchen
Zweck der Parlamentsvorbehalt hat, wenn wir uns
jeweils mit vollendeten Tatsachen beschäftigen.
Solange das Parlament sich dieser Debatte nicht stellt
und schlüssige Regelungen beschließt, ist es mir nicht
möglich, Auslandseinsätzen deutscher Soldatinnen und
Soldaten zuzustimmen. Vor allem kann ich den heute zur
Abstimmung stehenden Kampfeinsatz der Bundeswehr
in Afghanistan nicht mit meinem Gewissen vereinbaren.
Ich stimme dem Antrag der Bundesregierung deshalb
nicht zu.
Ich unterstütze und
befürworte ausdrücklich das bisherige zivile und militärische
Engagement Deutschlands für den Wiederaufbau
und die Stabilisierung Afghanistans. Die Bundeswehr
leistet dabei einen wichtigen und hervorragenden Beitrag
zur Absicherung dieses Prozesses im Norden
Afghanistans. Insbesondere unterstütze ich den deutschen
Ansatz der Verschränkung von zivilen und militärischen
Maßnahmen.
Eine Beteiligung deutscher Soldaten an Kampfeinsätzen
in Afghanistan lehne ich jedoch entschieden ab. Und
ich habe die Befürchtung, dass mit der nun anstehenden
Entscheidung über die Entsendung deutscher Tornado-
Aufklärungsflugzeuge genau dieser Weg beschriften
wird. Es kann zumindest nicht ausgeschlossen werden,
dass die Erkenntnisse aus den Aufklärungsflügen schon
jetzt zur Vorbereitung und Durchführung von Kampfeinsätzen
genutzt werden. Zudem wird eine Entsendung der
Tornados den Druck auf Deutschland zur Entsendung
von Bodentruppen für Kampfeinsätze im Süden und Osten
Afghanistans verstärken. Dies erscheint als logischer
nächster Schritt.
Die Strategie, Frieden und Stabilität in Afghanistan
vornehmlich mit militärischen Mitteln erzwingen zu
wollen, halte ich jedoch für grundlegend falsch. Sie fordert
zu viele, vor allem zivile Opfer und ist insgesamt
nicht zielführend, wie die Entwicklung im Süden des
Landes eindrucksvoll zeigt.
Auch deshalb kann ich nicht erkennen, inwieweit die
nun geplante Entsendung der Aufklärungsflugzeuge zur
bisher verfolgten deutschen Strategie beitragen kann. Ich
befürchte vielmehr, dass sie sich kontraproduktiv auswirken
und die zumindest in Teilen Afghanistans erreichte
Stabilisierung gefährden könnte. Damit verbunden
wäre ein unvertretbares Risiko für die Sicherheit und
Unversehrtheit unserer Soldaten.
Ich werde deshalb der Entsendung deutscher Tornado-
Aufklärungsflugzeuge und der Erweiterung des
ISAF-Mandates heute nicht zustimmen.
Seit Beginn meiner
Mitgliedschaft im Deutschen Bundestag 1990 habe ich
aus innerer Überzeugung immer allen internationalen
Einsätzen der Bundeswehr zugestimmt. Dem heute zur
Beschlussfassung im Deutschen Bundestag anstehenden
Tornado-Einsatz in Afghanistan kann ich jedoch aus den
folgenden Gründen nicht zustimmen:
Erstens. Ähnlich wie im Irak gelingt es dem Westen
offenbar nicht, ein demokratisches Staatswesen aufzubauen
und die Menschen innerlich dafür zu gewinnen.
Vielmehr hat sich die Sicherheitslage dramatisch verschlechtert,
und Kriminalität, Korruption und Drogenanbau
nehmen wieder zu; letzterer erreichte 2006 eine Allzeitrekordernte.
Zweitens. Die zunehmende Militarisierung führt zu
einer wachsenden Anzahl von unschuldigen Opfern unter
der Zivilbevölkerung, hauptsächlich durch Luftangriffe.
Mittlerweile dürfte bei solchen sogenannten Kollateralschäden
eine vielfache Anzahl an unschuldigen
Menschen getötet worden sein, wie bei den schrecklichen
Terrorangriffen vom 11. September 2001 auf New
York, die Ausgangspunkt unseres Engagements waren.
Mit jedem unschuldig getöteten Zivilisten bekämpfen
wir nicht den Terror, sondern schaffen diesem neuen Zulauf.
Drittens. Mit dem Tornado-Aufklärungseinsatz und
sich der daran anschließenden militärischen Verwendung
dieser Aufklärungsergebnisse findet ein Kurswechsel
von der zivilen Aufbauhilfe hin zu einem stärkeren Militäreinsatz
statt. Die Tornados sind genau das falsche
Symbol für den demokratischen Wiederaufbau Afghanistans.
Diesen Kurswechsel kann ich im Interesse Afghanistans,
der Bundesrepublik Deutschlands sowie des
gesamten Westens nicht mittragen. Wir brauchen vielmehr
eine Grundsatzdebatte darüber, wie die Bundesrepublik
Deutschland und der Westen insgesamt den Terror
bekämpfen und Demokratie und Rechsstaatlichkeit
in Afghanistan aufbauen können.
Der geplanten Mandatsausweitung
des Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan
werde ich nicht zustimmen.
Der Bundesregierung fehlt in Afghanistan ein schlüssiges
Konzept. Einerseits möchte die Bundesregierung
ihrer Bündnisverpflichtung in der NATO Genüge tun –
dann wäre die Entsendung lediglich von Aufklärungstornados
der falsche, weil unzureichende Beitrag. Andererseits
spricht sich die Bundesregierung auf dem
NATO-Gipfel in Riga für eine Strategieänderung im
Sinne einer politischen Stabilisierung aus. Auch in diesem
Fall wäre die Entsendung der Tornados der falsche
Beitrag. Diesen von der Bundesregierung selbst geschaffenen
Widerspruch will sie mit der Entsendung von Tornados
lösen.
Dabei hat selbst die Bundeskanzlerin noch im November
2006 im Deutschen Bundestag erklärt, dass ein
Einsatz der Bundeswehr im Süden von Afghanistan
nicht infrage komme. Gleichzeitig werden die Zustände
in Afghanistan immer besorgniserregender. Trotz des
ISAF-Einsatzes befinden sich Teile des Landes im
Kriegszustand. Ebenso haben die Anschläge im gesamten
Land sehr stark zugenommen. Auch bei der Reduzierung
des Drogenanbaus konnten bisher keine Erfolge erzielt werden, im Gegenteil, der Anbau hat sich noch
ausgeweitet. Die internationale Gemeinschaft hat daher
bisher keines ihrer Ziele erreicht und muss sich nun fragen
lassen, ob die Mittel, die sie einsetzt, geeignet sind,
die Stabilisierung und Demokratisierung in der Zukunft
zu erreichen.
Der ehemalige Bundeskanzler Helmut Schmidt bezeichnet
die Entwicklung in Afghanistan als „vorhersehbar
chaotisch“ und sagt, „dass man sich nicht auf militärische
Abenteuer einlässt, deren Ausgang vorhersehbar
chaotisch – Interview im „Tagesspiegel“ vom 10. Dezember
2006 – seien.
Bei Gesprächen mit den Piloten der Tornados und
weiteren Soldaten ist klar geworden, dass diese Maschinen
technisch nicht optimal für einen Einsatz in solchen
Klimaten ausgelegt sind. Die Bundeswehr hat für ein
solches Engagement keine Erfahrungen gesammelt.
Auch die Ausbildung der Piloten für derartige Einsätze
ist nicht ausreichend. Ebenso ist die Versorgung mit Ersatzteilen
aus verschrotteten Tornados nicht verantwortbar,
da auch dieses Material bereits „Materialermüdungen“
zeigt. Das ist für die deutschen Soldaten ein nicht
zumutbarer Zustand.
Abschließend ist nicht einmal die Chance eines Endes
des Bundeswehreinsatzes und eine Verbesserung des Zustands
der Verhältnisse in Afghanistan unter den gegenwärtigen
Bedingungen in Sicht.
Der Einsatz von
deutschen Tornado-Aufklärungsflugzeugen in Afghanistan
dient entsprechend des Antrages der Bundesregierung
ausschließlich dem rechtzeitigen Erkennen möglicher
Gefahren. Dadurch soll vor allem der Schutz der
afghanischen Bevölkerung sowie der eingesetzten deutschen
Soldaten und der Soldaten der Verbündeten vergrößert
werden. Die nunmehr mögliche verbesserte Aufklärung
dient nicht zuletzt dem Schutz von zivilen
Entwicklungshelfern sowie gefährdeter Wiederaufbauprojekte.
Der Antrag der Bundesregierung ist durch das
bestehende Mandat der Vereinten Nationen begründet.
Er sieht eine Einbeziehung in aktive kriegerische Handlungen
nicht vor. Dem Auftrag der Bundeswehr liegt die
politische Grundüberzeugung „ohne Sicherheit keine
Entwicklung“ zugrunde. Deshalb stimme ich dem Antrag
zu. Ich verweise darauf, dass bei grundsätzlich veränderten
Bedingungen die Beteiligung deutscher Soldaten
an der internationalen Sicherheitstruppe ISAF mit
entsprechenden Beschlussfassungen durch den Deutschen
Bundestag eingeschränkt bzw. gestoppt werden
sollte.
Afghanistan bedarf weit mehr als bisher der Unterstützung,
gerade durch zivile Mittel. Ohne Strategiewechsel
und deutlich mehr ziviles Engagement sind die Menschen
in Afghanistan dauerhaft nicht für die Demokratie
zu gewinnen. Afghanistan braucht eine politische und
zivile Frühjahrsoffensive.
Zugleich können wir nicht übersehen, dass sich Afghanistan
in einer Situation befindet, in der zivile Maßnahmen
allein nicht zum Erfolg führen können. Besonders
im Süden und Osten des Landes muss Stabilität
auch mit militärischen Mitteln herbeigeführt werden, um
zivilen Helfern ihren Einsatz überhaupt erst zu ermöglichen.
Im ganzen Land ist militärischer Schutz und Absicherung
des zivilen Aufbaus unverzichtbar. Hierin besteht
der Auftrag der Tornado-Aufklärungsflugzeuge.
Ich stimme der Entsendung der Aufklärungsflugzeuge
zu, weil ich die Notwendigkeit militärischer Flankierung
der zivilen Maßnahmen anerkenne. Meine Zustimmung
erkläre ich gleichzeitig mit der Aufforderung
an die Bundesregierung, innerhalb der NATO auf einen
Kurswechsel zu dringen. Nur als Teil einer effektiven
Gesamtstrategie, die Gewalt eindämmt und Frieden
schafft, ist der Einsatz der Tornados für den Aufbau
Afghanistans aussichtsreich.
Für eine ausgewogene Afghanistanpolitik ist eine
Vervielfachung der zivilen Mittel notwendig, die angekündigte
Erhöhung um 20 Millionen Euro reicht nicht
aus. Deutschland hat die Koordinierungsverantwortung
für den Aufbau der Polizei in Afghanistan übernommen.
Um dies zum Erfolg zu führen, ist eine deutliche Aufstockung
von Personal und Mitteln notwendig. Gemeinsam
mit der internationalen Gemeinschaft müssen
schlüssige Konzepte zur Drogenbekämpfung entwickelt
und politischer Druck auf Pakistan ausgeübt werden, das
die Reorganisation der Talibankräfte auf seinem Territorium
duldet. Dazu fordere ich die Bundesregierung auf.
Der Einsatz deutscher Tornado-
Aufklärungsflugzeuge in Afghanistan stellt aus meiner
Sicht eine besondere Herausforderung für die deutsche
Bundeswehr dar. Ich bin der Überzeugung, dass sich
Deutschland an einer internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe
in Afghanistan unter Führung der
NATO beteiligt. Es ist dabei aber sicherzustellen, dass
die Tornado-Aufklärungsflugzeuge auf dem technisch
bestmöglichen Stand sind, um so die Besatzung der Aufklärungsflugzeuge
mit den zurzeit besten Sicherheitsvorkehrungen
auszustatten. Beispielsweise sind die Recce-
Tornados nicht mit einem Notfunkgerät ausgestattet, das
in einem Notfall über eine Databurst-Funktion gesichert
deren Position und einen Code an einen Satelliten übermittelt.
Dies stellt ein Beispiel der unzureichender Sicherheitstechnik
der Tornados dar.
Außerdem kann es im äußersten Nordosten von Afghanistan
aufgrund der Leistungsparameter der Recce-
Tornados und der extremen geografischen Verhältnisse
dazu kommen, dass eine Höhe von 3 800 Meter über
Grund auch aus nichttaktischen Gründen unterschritten
werden muss. Dabei kann es zu Situationen kommen, in
der die Tornado-Aufklärungsflugzeuge in den Wirkungsbereich
von Manpads gelangen, wodurch für die Besatzung
der Tornado-Aufklärungsflugzeuge Gefahr für
Leib und Leben besteht.
Weiterhin verfügen die Tornado-Aufklärungsflugzeuge
nicht über eine Link-Fähigkeit und somit auch
nicht über die Möglichkeit, grafische Lageinformationen
während des Fluges zu empfangen. Dies ist technisch
möglich. Die Tornado-Aufklärungsflugzeuge der deutschen Bundeswehr verfügen jedoch nicht über diese
Link-Fähigkeit und entsprechen somit nicht den besten
Sicherheitsstandards.
Zusammenfassend komme ich zu dem Schluss, dass
Deutschland sich an einem Einsatz der internationalen
Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan unter
Leitung der NATO beteiligen muss. Nichtsdestoweniger
bin ich der Auffassung, dass der Einsatz deutscher Tornado-
Aufklärungsflugzeuge nur dann erfolgen kann,
wenn sie mit den besten Sicherheitsvorkehrungen ausgestattet
sind. Dies ist in den letzen Jahren versäumt worden.
Aus den oben genannten Gründen enthalte ich mich
meiner Stimme bei der namentlichen Abstimmung zu
Tagesordnungspunkt 21 am 9. März 2007.
Die Bundesrepublik Deutschland
ist seit Ende 2001 aktiv am Aufbau staatlicher und
gesellschaftlicher Strukturen beteiligt. Neben einer Befriedung
der Verhältnisse in diesem Land hat sich
Deutschland maßgeblich am Aufbau einer demokratischen
und rechtsstaatlichen Ordnung beteiligt. Die dabei
von Deutschland organisierten Afghanistankonferenzen
sind markantes Zeichen dafür.
Unsere Bundeswehr leistet seitdem im Rahmen eines
VN-Mandates einen wichtigen Beitrag zur militärischen
Absicherung des Wiederaufbauprozesses, der durch
Deutschland auch finanziell unterstützt wird. Dieses
zweifache Engagement unseres Landes hat sicher dazu
beigetragen, die Situation im Norden Afghanistans und
auch in Kabul zu stabilisieren. Dauerhafter Frieden im
Land und eine notwendige stetige humanitäre Unterstützung
sind sehr wichtige Aspekte bei dieser Mission.
Zu Beginn des ISAF-Mandates war das richtige Ansinnen,
ein am Boden liegendes Land rasch wieder aufzubauen.
Dazu sollten Tausende Soldaten die Grundvoraussetzung
für einen solchen Aufbau schaffen, nämlich
die Friedenssicherung leisten.
Doch leider haben wir es nicht erreicht, die Taliban
und al-Quaida zu besiegen. Zunehmend mehr Anschläge
– auch im Norden – sind zu verzeichnen. Die Befürchtung
vieler, unsere direkte Hilfe bei militärischen Aktionen
könnte unsere gute Arbeit im Norden diskreditieren,
teile ich. Darüber hinaus fürchte ich, dass unsere gute
und für Afghanistan nützliche friedenssichernde Außenpolitik
Schaden nehmen könnte. Vielleicht provoziert
der Einsatz von Tornados sogar mehr Anschläge im Norden.
Zum anderen werden die durch die Aufklärungsflugzeuge
gewonnenen Daten nicht nur für ISAF, sondern
eben auch für die Operation Enduring Freedom
verwandt. Damit wird sicher eine Unterstützung der beginnenden
Frühjahrsoffensive gegeben sein. Es besteht
die Gefahr, dass deutsche Soldaten und damit unser
Land für Kriegsoperationen und deren unabsehbare Folgen
verantwortlich gemacht werden.
Zudem befürchte ich, dass die Operationen vor allem
im Südosten Afghanistans, an der Grenze zu Pakistan, zu
weiteren Komplikationen zwischen beiden Ländern führen
werden, wo wir doch gerade im Rahmen der G-8-
Präsidentschaft auf eine Stabilisierung der Beziehungen
zwischen Pakistan und Afghanistan hinwirken wollen.
Ich sehe im Einsatz deutscher Tornados folglich keinen
Beitrag zur Stabilisierung der noch immer prekären
Lage in Afghanistan. Ein Gelingen des ISAF-Einsatzes
ist damit gefährdet. Deshalb stimme ich der Entsendung
der Recce-Tornados nicht zu.
Ich stimme dem Antrag
der Bundesregierung zur Entsendung von Aufklärungstornados
nach Afghanistan zu.
ISAF ist ein Gesamteinsatz der NATO. Wir können
und dürfen uns nicht auf die Position zurückziehen, die
Lage im Süden ginge uns nichts an. Schon heute gilt: Im
Norden ist es auch deswegen relativ ruhig, weil unsere
NATO-Partner im Süden ein Vordringen von Talibankräften
in den Norden aktiv verhindern. Als Teil der
ISAF ist Deutschland mitverantwortlich für die Situation
in Gesamtafghanistan. Deutschland ist das einzige Land
der NATO, das derzeit mit seinen Recce-Tornados eine
dringend notwendige Aufklärungsfähigkeit für den gemeinsam
geplanten und durchgeführten ISAF-Einsatz in
dieser Qualität zur Verfügung stellen kann. In dieser Situation
können wir unseren Partnern die Solidarität nicht
verweigern.
Die Aufklärungsergebnisse der Recce-Tornados werden
selbstverständlich Folgen für die anschließende
Operationsplanung – auch im Rahmen von OEF – haben.
Sie können Kampfeinsätze hervorrufen. Sie können
aber auch bereits geplante Einsätze verändern, oder sie
können Einsätze verhindern. Ich bin davon überzeugt,
dass eine bessere Aufklärung insgesamt dazu beiträgt,
zielgenauer zu operieren und damit eventuell Kollateralschäden
zu verhindern.
Ich erwarte von der Bundesregierung eine ehrliche
Darstellung des Mandats: Aufklärung ist integraler Bestandteil
von Kampfeinsätzen. Jede Beschönigung dieser
Tatsache wäre unehrlich der Öffentlichkeit und den Soldaten
gegenüber.
Gegner des Tornado-Einsatzes befürchten, dass durch
die Zustimmung ein Automatismus für den Einsatz von
Bodentruppen im Süden entsteht. Selbstverständlich
kann niemand – weder der Bundestag noch die Bundesregierung
– ausschließen, dass es zu weiteren Forderungen
von NATO-Partnern an die Bundesrepublik
Deutschland kommen wird. Dabei spielt die jetzt anstehende
Entscheidung über den Einsatz der Tornados aber
keine Rolle. Es gibt keinerlei Automatismus für weitere
Entscheidungen, weder militärisch noch politisch.
Ich habe, ebenso wie meine gesamte Fraktion, der
Verlängerung des ISAF-Mandates im September 2006
unter der Erwartung zugestimmt, dass es in Afghanistan
zu einem grundsätzlichen Strategiewechsel kommt.
Erste Ansätze für einen solchen Strategiewechsel sind
erkennbar. Ob diese dauerhaft und ausreichend sein werden,
ist noch offen. Deshalb ist es gerade jetzt entscheidend,
dass die Bundesregierung mehr Einfluss auf die
Gesamtstrategie und die Operationsplanung von ISAF
einfordert und ausübt. In dieser Situation eine Unterstützungsanfrage abzulehnen, wäre für das Ziel des grundsätzlichen
Strategiewechsels und der deutschen Einflussnahme
kontraproduktiv.
Ich lehne den Antrag der Bundesregierung, Tornado-
Flugzeuge der Bundeswehr auch im Süden Afghanistans
einzusetzen, ab und stimme deshalb mit Nein.
Mit dem geplanten Einsatz unterstützen die deutschen
Tornado-Flugzeuge den schmutzigen Krieg der US-Streitkräfte
im Süden Afghanistans; sie werden zumindest
auch Ziele feststellen und zeitnah an das militärische
Hauptquartier im Süden melden, die anschließend
mit Raketen und Bomben aus der Luft angegriffen und
zerstört werden. Bei zukünftigen Meldungen über zerstörte
Häuser, Gehöfte und ganze Ortschaften steht dann
zu befürchten, dass diese Ziele mit all den menschlichen
Opfern mit deutscher Unterstützung vernichtet wurden.
Diese Art der Kriegsführung der USA im Süden Afghanistans
hat in den letzten Jahren nicht dazu geführt,
dass islamistischer Terrorismus wirksam bekämpft wird.
Sie hat auch nicht dazu geführt, dass nur die Verantwortlichen
für die Anschläge in New York und Washington
vom 11. September 2001 zur Verantwortung gezogen
und der Gerechtigkeit zugeführt wurden, „bring to justice“,
wie es in der UN-Resolution als Grundlage des
Militäreinsatzes festgelegt wurde. Diese Art der Kriegsführung
war eher geeignet, Hass und Terrorismus weltweit
zu schüren und hat in Afghanistan den Widerstand
so gestärkt, dass er inzwischen den aus den Jahren seit
2001 bei weitem übertrifft.
Es gibt Alternativen: Die Strategie für Afghanistan
muss grundlegend geändert werden. Eine neue Strategie
muss daran ausgerichtet sein, statt immer mehr Krieg anzufachen,
die Kriegshandlungen zu beenden, statt immer
mehr Militär einzusetzen, die Truppenstärke zügig zu reduzieren
und die Soldaten in einem absehbaren und verantwortbaren
Zeitraum abzuziehen. Die verhängnisvolle
Kriegsführung insbesondere der US-Streitkräfte muss
sofort gestoppt werden. Es müssen Verhandlungen aufgenommen
werden mit dem Ziel, einen Waffenstillstand
auch im Süden Afghanistans zu erreichen – für das
ganze Land oder auch nur für einzelne Teile, für Provinzen
oder Teilprovinzen. Verhandlungspartner müssen dabei
alle sein können, die bereit sind, über einen Waffenstillstand
zu reden, das sind Stammesführer genauso wie
Teile der Taliban oder bewaffnete Widerstandsgruppen.
Zaghafte Versuche, etwa der britischen Militärs in der
jüngsten Vergangenheit, für einzelne Regionen Waffenstillstände
zu vereinbaren, waren so lange erfolgreich,
bis sie durch neue Kampfhandlungen der US-Streitkräfte
zunichte gemacht wurden. Der Widerstand im Süden Afghanistans
wird schon lange nicht mehr nur von Taliban
organisiert, sondern auch von sehr unterschiedlichen anderen
Gruppen, die sich zusammenfinden in der Ablehnung
der fremden Truppen im Lande, häufig motiviert
durch Verluste von Familienangehörigen infolge der
Kriegsführung der US-Streitkräfte.
Darüber hinaus ist eine Waffenstillstandskonferenz
mit allen Nachbarstaaten, nicht nur mit Pakistan sondern
auch mit dem Iran, notwendig. Nur wenn die militärische
Strategie in Richtung Schweigen der Waffen nachhaltig
verändert wird, können auch zivile Wiederaufbauarbeiten
durchgeführt und der Bevölkerung eine lebbare
Alternative aufgezeigt werden. Die Waffenstillstandsstrategie
muss ergänzt werden durch entschieden verstärkte
zivile Aufbaumaßnahmen, vor allen Dingen der
Infrastruktur, der Verwaltung und Justiz und jeglicher
Förderung von Bildung und Ökonomie. Die Mittel für
den zivilen Wiederaufbau müssen und können mindestens
in der Höhe zur Verfügung gestellt werden wie derzeit
für die Militäreinsätze.
Auch zur Lösung des Drogenproblems müssen radikal
neue Wege geprüft und gegangen werden. So gibt es
den Vorschlag, die gesamte Opiumernte vor Ort aufzukaufen
und weltweit dem Roten Kreuz und anderen internationalen
Organisationen zur wirksamen Schmerzbekämpfung
auf der Grundlage ärztlicher Verordnung zur
Verfügung zu stellen. Die Vernichtung verbleibender
Reste der aufgekauften Ernte käme allemal billiger als
der Kampf gegen den kriminellen Opium- bzw. Heroinhandel
in Afghanistan und überall auf der Welt. Dem illegalen
Opiumanbau und kriminellen Drogenhandel in
Afghanistan, mit dem auch Milizen, Privatarmeen und
Warlords bis hinein in die Regierung finanziert werden,
würde damit von einem Tag auf den anderen die Grundlage
entzogen. Insbesondere den Bauern und der Landwirtschaft
könnte damit auch der Weg geöffnet werden
für die Entwicklung einer Landwirtschaft, die der Ernährung
der Bevölkerung dient und für die allmähliche Beendigung
des Drogenanbaus sorgt.
Der bisherige Weg zum Ziel einer modernen, humanitären
Zivilgesellschaft in Afghanistan hat sich als falsch
erwiesen; Afghanistan steckt tiefer im Krieg als in den
Jahren davor. Deshalb ist die Öffnung neuer Wege unverzichtbar.
Ein „Weiter so“ mit immer mehr Militär darf
es nicht geben.
Quelle: Plenarprotokoll 16/86: Deutscher Bundestag, Stenografischer Bericht, 86. Sitzung, Berlin, Freitag, den 9. März 2007, S. 8761-8799
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