Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

"Die IALANA hält den so beschrittenen Weg für verhängnisvoll"

Dokumentation: Stellungnahme der Juristenvereinigung zum Tornado-Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Im Folgenden dokumentieren wir eine Stellungnahme von IALANA (International Association Of Lawyers Against Nuclear Arms - Deutsche Sektion) zum Tornado-Urteil des Bundesverfassungsgerichts. (Siehe auch "Der NATO-geführte ISAF-Einsatz in Afghanistan dient der Sicherheit des euro-atlantischen Raums".)



Zum Tornado-Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Ein Kommentar der IALANA

Das Bundesverfassungsgericht setzt mit seinem Urteil die Linie der Entscheidungen von 1994 (Out of Area) und 2001 (Neue NATO-Strategie) fort: Danach sind der NATO „Krisenreaktionseinsätze erlaubt, ohne dass dadurch der Charakter als Verteidigungsbündnis in Frage gestellt würde“. Allerdings verlangt das Verfassungsgericht, dass die Flugzeuge nur im Rahmen des ISAF-Mandats der Vereinten Nationen eingesetzt werden dürfen. Die Verwendung im Rahmen der Operation Enduring Freedom (OEF) ist offenbar nicht zulässig. Aber die Einsätze seien ja auch rechtlich wie institutionell voneinander getrennt.

Beides verlangt deutliche Kritik.

Leider lässt das Verfassungsgericht zunächst Zweifel an der völkerrechtlichen Legitimation von OEF nur anklingen mit den Worten: „… beruft sich die Operation Enduring Freedom für den Einsatz bewaffneter Gewalt auf das Recht auf kollektive Selbstverteidigung, wie es in Art. 51 der Satzung der Vereinten Nationen anerkannt wird.“

Aber: Zwar haben die USA die Anschläge vom 11. September 2001 als bewaffneten Angriff angesehen und sich für ihre Reaktion auf das Selbstverteidigungsrecht berufen. Der Präsident des UN-Sicherheitsrates hatte nach dem Anschlag auch auf Art. 51 der Charta hingewiesen.

Tatsächlich lag der Selbstverteidigungsfall aber nicht vor. Denn man konnte die Anschläge nicht als „armed attack“ im Sinne von Art. 51 UN-Charta ansehen. Auch war das Taliban-Regime nicht Urheber der Anschläge. Schließlich war der Staat Afghanistan für das Taliban-Regime nicht verantwortlich. Deswegen war OEF von Anfang an illegal. Selbst wenn man annehmen wollte, dass die Voraussetzungen des Selbstverteidigungsfalls seinerzeit vorgelegen haben, bestehen sie heute nicht mehr, nachdem der UN-Sicherheitsrat mit den Mandaten für ISAF die „erforderlichen Maßnahmen“ im Sinne von Art. 51 UN-Charta eingeleitet und autorisiert hat.

OEF (in Afghanistan, im Mittelmeer, am Horn von Afrika) verstößt daher gegen das völkerrechtliche Gewaltverbot des Art. 2 Ziff. 4 der UN-Charta.

Hier liegt der Grund für das Trennungsgebot des Bundesverfassungsgerichts. Kritisch bemerkt werden muss, dass sich das Bundesverfassungsgericht um eine klare Aussage herumdrückt. Denn die Trennung ist gar nicht praktizierbar: OEF und ISAF stehen unter dem Kommando ein und derselben Person, des US-Generals McNeill. Beide Missionen werden vom selben Hauptquartier aus organisiert. Diese Befehls- und Einsatzstrukturen von OEF und ISAF – wie die zahlreichen zivilen Opfer der letzten Monate belegen – gewährleisten nicht, dass die Anforderungen des humanitären Völkerrechts und der Genfer Konventionen zum Schutz der Zivilbevölkerung eingehalten werden. Das Bundesverfassungsgericht hat sich hier auf „Klarstellungen“ des Generals Schneiderhan verlassen. „Auf einer brüchigeren Tatsachengrundlage dürfte kaum je ein deutsches Gericht einen Fall entschieden haben“, so mit Recht Christian Bommarius in der Berliner Zeitung.

Das Tornado-Urteil hat einen unrühmlichen Vorläufer: Den Beschluss vom 25.03.1999, mit dem das Verfassungsgericht einen Antrag der PDS-Fraktion zur Untersagung der deutschen Beteiligung am Krieg der NATO gegen Jugoslawien verworfen hat. Das Bundesverfassungsgericht teilt in dem Beschluss nämlich mit, dass der Bundestag am 16.10.1998 „dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte zur Abwendung einer humanitären Katastrophe“ zugestimmt habe. Jedoch fehlte jedes Wort dazu, dass nach der herrschenden Auffassung im Völkerrecht die sogenannte „humanitäre Intervention“ gegen das Gewaltverbot der UN-Charta verstößt, sofern kein Mandat des Sicherheitsrates vorliegt – wie hier. Zwar war der Beschluss prozessual in Ordnung, weil der PDS-Fraktion nach Auffassung des Verfassungsgerichts die Klagebefugnis fehlte. Aber durfte das Bundesverfassungsgericht sich tatsächlich derart zurücklehnen, obwohl Art. 26 GG den Angriffskrieg verbietet und der Zwei-plus-Vier-Vertrag sagt, dass von deutschem Boden nie mehr Krieg ausgehen dürfe? Der eigentliche Sündenfall geschah aber mit dem Out-of-Area-Urteil vom 12.07.1994, in dem es neben Einsätzen auf Basis von UN-Mandaten um eine Aktion der NATO und der WEU zur Überwachung eines von den Vereinten Nationen gegen Jugoslawien verhängten Embargos ging. Die Missionen auf Basis eines UN-Mandats seien verfassungsmäßig, weil die Vereinten Nationen ein „System gegenseitiger kollektiver Sicherheit“ im Sinne des Art. 24 Abs. 2 GG seien. Für die NATO, die bekanntlich ein Verteidigungsbündnis zur „kollektiven Selbstverteidigung“ ist, gilt das gerade nicht. Vier Richter sahen Maßnahmen zur Friedenserhaltung und Krisenbewältigung fälschlich noch als vom Vertragstext gedeckt. Auch habe kein Mitgliedstaat ein formelles Verfahren zur Vertragsänderung eingeleitet.

Damit war der Weg frei für weltweite Kriegseinsätze unter deutscher Beteiligung, wenn sie nur der „Friedenserhaltung“ und „Krisenbewältigung“ dienten; was letztlich eine Frage der Rhetorik ist. Diese Linie wurde mit dem Urteil vom 22.11.2001 zur neuen NATO-Strategie – und jetzt mit dem Tornado-Urteil – fortgesetzt.

Die IALANA hält den so beschrittenen Weg für verhängnisvoll. Mit militärischen Maßnahmen, mögen sie auch als „Friedenssicherung“ getarnt sein, sind nachhaltige Konfliktlösungen nicht zu erreichen. Vielmehr ordnet sich Deutschland Strategien der USA unter, die auf illegalen militärischen Regimesturz abzielen, wie in Jugoslawien und in Afghanistan (natürlich auch im Irak, freilich nur mit „inoffizieller“ deutscher Beteiligung, wie das Bundesverwaltungsgericht im sogenannten Pfaff-Urteil festgestellt hat) und auf die Umzingelung Russlands mit neuen amerikanischen Militärbasen, wie im Kosovo (Camp Bondsteel) und in Afghanistan geschehen. Hier dürfte auch die eigentliche Funktion der geplanten „Raketenabwehr“ in Polen und Tschechien liegen. Was Afghanistan aber wirklich braucht, ist nicht die Beteiligung an einem aussichtslosen Krieg gegen die Taliban, sondern nachdrückliche Hilfen beim Aufbau einer zivilen rechtsstaatlichen Infrastruktur: Deutschland hat sich deswegen im Aufbau und in der Ausbildung der Polizei und in zivil-militärischen Wiederaufbau-Teams oder gar im Straßenbau engagiert (was nicht reicht).

Die bisherigen Entscheidungen des Bundestags zur Afghanistan-Mission werden dieser Komplexität nicht gerecht. Wie bei anderen Missionen auch, entscheidet das Parlament über den Einsatz des Militärs in Krisenregionen. Die zivilen Komponenten, die für den nachhaltigen Erfolg viel entscheidender sind, fehlen. Das Militär mag vielleicht kurzfristig eingesetzt werden, um Blutvergießen zwischen verfeindeten Stämmen zu stoppen. Aufgabe deutscher Außenpolitik kann aber nicht die Parteinahme in jahrelangen bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen sein.

Die IALANA wendet sich deshalb erneut mit der Forderung an die Angeordneten des deutschen Bundestages, einer Verlängerung der Mandate für die Bundeswehr im September/Oktober nicht zuzustimmen. Der Deutsche Bundestag muss sich nicht nur mit den militärischen, sondern auch mit den zivilen Komponenten einer Mission befassen. Diese Aufgabe ist neu und bedarf geeigneter Grundlegung. Diese könnte mit einem „Weißbuch für Friedensmissionen“ nach südafrikanischem Vorbild geschaffen werden.

Es muss vor allem die folgenden Fragen beleuchten:
  • eine unzweideutige Definition, was unter Friedensmaßnahmen zu verstehen ist,
  • eine Prioritätensetzung zugunsten von Konfliktmanagement,
  • die Bestimmung deutscher Interessen als Voraussetzung für eine Beteiligung,
  • die Bestimmung des voraussichtlichen Beitrags des Landes und
  • die Funktionen und Abläufe von Friedensmissionen.
Mit einem solchen Weißbuch könnte sich Deutschland auch aus der verhängnisvollen Bevormundung der NATO unter ihrer Führungsmacht USA befreien. Der Weg wäre frei für eine Neubestimmung der Rolle des Militärs, dem allenfalls eine interimistische, sichernde Aufgabe zukommen kann. Eine solche veränderte Rolle des Militärs erfordert allerdings einen logistischen Umbau und vor allem ein anderes Selbstverständnis: Das Denken und Agieren im Rahmen der NATO, wie es das derzeitige Weißbuch für Sicherheitspolitik exemplarisch vorführt, muss überwunden werden.

Die NATO ist keine Einrichtung für Krisenmanagement“, sondern ein Verteidigungsbündnis.

Friedensmissionen, die das Gebot der Friedensstaatlichkeit in der Verfassung und das Völkerrecht beachten, müssen hingegen den Vorrang der zivilen Konfliktbearbeitung beachten. Eine Grundlage steht im Konzept der Bundesregierung „Zivile Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung“ zur Verfügung.

Die IALANA hat sich mit den Fragestellungen in ihrem Memorandum „Die staatliche friedenspolitische Infrastruktur stärken!“ befasst. Das Memorandum ist erhältlich über die Website der IALANA: www.ialana.de, kann aber auch bei ihren Geschäftsstellen angefordert werden (Glinkastraße 5, 10117 Berlin, Tel. 030 2065-4857; Wilhelm-Roser- Straße 25, 35037 Marburg, Tel. 06421 16896-0).

Marburg/Berlin, 05. Juli 2007




Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zur Seite "Friedensbewegung"

Zurück zur Homepage