Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

USA sehen Afghanistan auf dem "Weg für eine verantwortungsvolle Beendigung des Krieges" / China sticht Konkurrenten aus

Im Wortlaut: Rede von Hillary Clinton bei der Konferenz in Tokio (deutsch) / China nimmt strategische Investitionen vor


Im Folgenden dokumentieren wir die Rede von US-Außenministerin Hillary Rodham Clinton bei der Afghanistan-Konferenz im Prince Park Tower Hotel in Tokio vom 8. Juli 2012. Die Übersetzung besorgte der Amerika Dienst.
Über die Konferenz in Tokio haben wir hier berichtet: Auflagen für Afghanistan
Im Anschluss an den Redetext folt eine Artikel über die chinesische Afghanistan-Politik: Strategische Investionen in Afghanistan.
Die in der Rede erwähnten Dokumente können hier heruntergeladen werden:


Hillary Rodham Clinton:

Vielen Dank, Herr Außenminister. Wir danken auch dem Ministerpräsidenten und Frau Ogata sowie der japanischen Regierung für die herzliche Begrüßung, aber auch für die Großzügigkeit und die Führungsstärke, die Japan immer wieder dabei beweist, Afghanistan in dieser Zeit der Umgestaltung zu unterstützen. Wir möchten auch Generalsekretär Ban, Präsident Karsai, den afghanischen Ko-Vorsitzenden, Außenminister Rassoul und Finanzminister Zakhilwal sowie den hier anwesenden Vertretern der afghanischen Zivilgesellschaft danken, denn schließlich sprechen wir über die Zukunft der Männer, Frauen und Kinder in Afghanistan. Ich freue mich sehr, dass sie an dieser Konferenz teilnehmen.

Ich möchte auch all jenen danken, die die drei Prinzipien des Dokuments herausgearbeitet haben, angefangen mit der strategischen Vision für die Zeit des Übergangs mit dem Titel: Towards Self-Reliance. Ich möchte unseren afghanischen Freunden meine Anerkennung für diese hervorragende Arbeit aussprechen. Die Tokyo Declaration und das Tokyo Mutual Accountability Framework bringen unsere Ziele und Verpflichtungen auf einen Weg, den wir gemeinsam gehen können und auf dem wir einander Rechenschaft ablegen.

Diese Konferenz ist der Höhepunkt von zwei Jahren intensiver Arbeit. Angefangen im Jahr 2010 in Lissabon, dann in Istanbul im Herbst letzten Jahres, in Bonn im Dezember, in Chicago im Mai und in Kabul erst vor einigen Wochen haben Afghanistan und die internationalen Partner den Weg für eine verantwortungsvolle Beendigung des Krieges und die vollständige Übergabe der Verantwortung für die Sicherheit an Afghanistan aufgezeigt.

Gemeinsam haben wir Zusagen gemacht, um den Bedarf der Nationalen Afghanischen Sicherheitskräfte zu decken. Wie eine Reihe von anderer Länder auch, haben die Vereinigten Staaten und Afghanistan eine Vereinbarung über eine strategische Partnerschaft unterzeichnet, die vor vier Tagen in Kraft trat. Ich hatte also gestern Morgen das Vergnügen, mich mit Präsident Karsai in Kabul zu treffen, wo ich angekündigt habe, dass Afghanistan offiziell als Verbündeter der Vereinigten Staaten außerhalb der NATO gilt. Wie Präsident Karsai sagte, müssen wir die Sicherheitsgewinne und den Übergang unumkehrbar machen. Die Vereinigten Staaten verpflichten sich zu dieser dauerhaften Partnerschaft.

Hier in Tokio konzentrieren wir uns jetzt auf die wirtschaftliche Entwicklung und die Fortschritte bei der Regierungsführung, die wir zusammen zu machen hoffen. Denn wir wissen, die Sicherheit Afghanistans kann nicht nur an der Abwesenheit von Krieg gemessen werden, sie muss daran gemessen werden, ob die Menschen Arbeitsplätze und wirtschaftliche Chancen haben, ob sie meinen, dass ihre Regierung ihren Bedürfnissen gerecht wird, ob der Versöhnungsprozess fortgeführt wird und erfolgreich ist.

Und mithilfe der internationalen Gemeinschaft hat Afghanistan maßgebliche Fortschritte erzielt, wie Frau Ogata und andere bereits dargelegt haben. Jetzt müssen wir die stärkste mögliche Zusammenarbeit zwischen vier Gruppen gewährleisten, damit die Übergangsphase zu Ergebnissen führt: zunächst und vor allem zwischen der afghanischen Regierung und den Bürgern, der internationalen Gemeinschaft, den Nachbarn Afghanistans und dem Privatsektor. Diese Zusammenarbeit hängt von gegenseitiger Rechenschaftspflicht ab, und alle Seiten haben Aufgaben und Verantwortung zu übernehmen.

Wie Präsident Obama sagte: Wenn sich Afghanistan der Verantwortung stellt, ist es nicht alleine. Lassen Sie mich also kurz etwas zur Rolle der einzelnen Gruppen sagen.

Offensichtlich gehört die Zukunft Afghanistans dem afghanischen Volk. Ich begrüße die klare Vorstellung, die uns Präsident Karsai und die afghanische Regierung heute davon vermittelt haben, wie das wirtschaftliche Potenzial Afghanistans erschlossen werden kann, indem eine stabile, demokratische Zukunft erreicht wird. Dazu zählt die Bekämpfung von Korruption, die Verbesserung der Regierungsführung, die Stärkung der Rechtsstaatlichkeit, mehr Zugang zu wirtschaftlichen Chancen für alle Afghanen, insbesondere Frauen.

An diesem Punkt möchte ich nachdrücklich auf die Überzeugung der Vereinigten Staaten hinweisen, dass kein Land dauerhaften Frieden, Versöhnung, Stabilität und Wirtschaftswachstum erreichen kann, wenn die Hälfte der Bevölkerung keine Rechte hat. Alle Bürgerinnen und Bürger müssen die Chance haben, zum Fortschritt in Afghanistan beizutragen und davon zu profitieren, und die Vereinigten Staaten werden den Frauen Afghanistans weiterhin mit aller Kraft zur Seite stehen.

Präsident Karsai hat sich öffentlich zur Ausmerzung von Korruption, zur Umsetzung von wichtigen Reformen und zum Aufbau der Institutionen in Afghanistan bekannt. Wir werden ihn und die Regierung bei dem Unterfangen unterstützen, Afghanistan zu Selbständigkeit und weg von der Abhängigkeit von der Hilfe der Geberländer zu führen.

Während die Afghanen ihren Teil leisten, muss auch die internationale Gemeinschaft ihren Beitrag dazu leisten, indem sie konkrete Zusagen für wirtschaftliche Unterstützung macht und um zu gewährleisten, das Afghanistan seinen haushaltspolitischen Bedarf in der kritischen Zeit nach dem Übergang deckt.

Ich freue mich sehr, dass Ministerpräsident Noda bestätigt hat, dass die internationale Gemeinschaft bis 2015 16 Milliarden US-Dollar zur Verfügung stellt. Das ist eine langfristige wirtschaftliche Unterstützung, die Afghanistan dabei helfen wird, den Haushaltsbedarf auch bei abnehmenden Hilfsleistungen zu decken. Die Vereinigten Staaten werden bis 2017 Hilfsleistungen beim Kongress beantragen, die auf dem Niveau der letzten zehn Jahre liegen. Unsere Unterstützung wird Anreize bieten, der afghanischen Regierung beim Erreichen der gemeinsam abgesprochenen Reformziele behilflich zu sein.

Neben der internationalen Gemeinschaft spielen die Nachbarn Afghanistans eine besonders wichtige Rolle. Ich habe bereits von der Vision einer neuen Seidenstraße gesprochen, auf der Afghanistan fest in das florierende Wirtschaftsleben Süd- und Mittelasiens eingebunden ist. Nichts bietet eine glaubwürdigere Alternative zum Aufstand als die Arbeitsplätze und Chancen, die mit ausländischen Investitionen und der Erweiterung der Märkte einhergehen. Zunehmender regionaler Handel wird neue Quellen für Rohstoffe, Energie und landwirtschaftliche Erzeugnisse eröffnen – nicht nur für Afghanistan, sondern für alle Länder der Region. Wir freuen uns sehr darüber, dass diese Vision über den Prozess von Istanbul und verschiedene regionale Handels- und Transitvereinbarungen Wirklichkeit wird.

Die letzte wesentliche Zutat für Erfolg beim wirtschaftlichen Übergang und der Umgestaltung ist der Privatsektor, denn er wird eine Schlüsselrolle bei der Förderung von Wachstum, der Schaffung von Arbeitsplätzen und der Unterstützung der Art von Reformen spielen, die erforderlich sind, wenn all das von Dauer sein soll. Wir erwarten von der afghanischen Regierung, dass sie ihre Reformzusagen erfüllt, und wir erwarten von der internationalen Gemeinschaft, dass sie alles tut, um Unternehmen und Investitionen nach Afghanistan zu bringen. Vorigen Monat haben Hunderte von Unternehmen im Hinblick auf die heutige Konferenz an einem Investitionsgipfel in Neu Delhi teilgenommen.

Die Schlüsselelemente sind also vorhanden. Das Interesse des Privatsektors ist geweckt. Die afghanische Regierung hat sich zur Bekämpfung von Korruption und der Stärkung der Rechtsstaatlichkeit verpflichtet. Die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft ist – wie diese Konferenz zeigt – ebenfalls vorhanden. Auch die Partnerschaft zwischen Afghanistan und seinen Nachbarn wächst und gedeiht.

Wir müssen diese Verpflichtungen zusammenziehen, um eine Zukunft zu schaffen, die des Opfers der Afghaninnen und Afghanen und der vielen Nationen, die um diesen Tisch versammelt sind, würdig ist. Die Zukunft muss das sein, was die afghanischen Bürger für sich geschaffen haben, und wir müssen sicherstellen, dass wir alles in unserer Macht Stehende dafür tun.

Vielen herzlichen Dank.

Originaltext: Intervention at the Tokyo Conference on Afghanistan; siehe: http://www.state.gov/secretary/rm/2012/07/194672.htm

Herausgeber: US-Botschaft Berlin, Abteilung für öffentliche Angelegenheiten; http://blogs.usembassy.gov/amerikadienst/



Strategische Investionen in Afghanistan

Die VR China denkt dabei nicht an kurzfristige Gewinne und sticht alle Konkurrenten aus **

Afghanistan ist eines der ärmsten Länder der Erde, aber es sitzt auf einem Schatz - den die Chinesen jetzt heben wollen. Öl, Gas, Eisen, Kohle, Kupfer, Gold, Seltene Erden - Rohstoffe im Wert von optimistisch geschätzt drei Billionen Dollar schlummern in Afghanistans Boden. Das größte Kupferabbaugebiet liegt südöstlich Kabuls in Ainak und fiel an die staatseigene Metallurgical Corporation of China (M.C.C). Im Norden, im Verantwortungsbereich der deutschen ISAF-Truppen, liegt das Ölfeld des Amu-Darja-Beckens, das von der China National Petroleum Corporation (CNPC) zusammen mit der afghanischen Partnerfirma Watan Group ausgebeutet werden soll.

Die Ölreserven im Amu-Darja-Becken werden mit 87 Millionen Barrel (159 Liter) relativ gering geschätzt. Der Vertrag soll jedoch nach Einschätzung von Experten den Einstieg ins weitaus größere Geschäft im afghanisch-tadschikischen Becken erleichtern. Das wird taxiert auf 1,9 Milliarden Barrel Öl plus Gasvorkommen, die weiteren 1,5 Milliarden Barrel entsprechen.

Westliche Diplomaten in Kabul sind sich sicher, daß der chinesischen Führung klar ist, daß »die Investitionen keine kurzfristigen Gewinne abwerfen, sondern daß hier langfristig und mit strategischen Interessen operiert wird«. Die Ausschreibung für das Kupferminenprojekt Ainak gewann China im Jahr 2008 mit einem Angebot über 2,9 Milliarden Dollar. Das zweithöchste Gebot lag bei 2,4 Milliarden Dollar. Außerdem bietet China ein gigantisches Komplettpaket, denn fast alle Lagerstätten afghanischer Bodenschätze leiden unter der fehlenden Infrastruktur.

Deshalb will M.C.C. auch 800 Kilometer Eisenbahnlinien, ein 400 Megawatt-Elektrizitätskraftwerk, dafür eine eigene Kohlemine und eine Kupferhütte bauen. Damit verfügte es über die komplette Infrastruktur, um im energieintensiven Verhüttungsprozeß reines Kupfer zu gewinnen und es ins rohstoffhungrige China zu transportieren. Für die Gesamtinvestitionen rechnen die Chinesen mit 4,4 Milliarden Dollar.

China hat bei den nördlichen Nachbarn Afghanistans bereits ein Förder- und Pipelinenetz ausgebaut, um Öl in seine armen Westprovinzen zu pumpen. Ein Anschluß der afghanischen Ölfelder daran hätte deshalb strategische Bedeutung für das Reich der Mitte. Zwar schreibt die afghanische Regierung die Abbauverträge weltweit aus, doch die chinesischen Angebote klangen oft unschlagbar gut – die Frage ist, wann sich das auch für Afghanistan auzahlt. (dapd/jW)

** Aus: junge Welt, Montag, 9. Juli 2012




Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur USA-Seite

Zurück zur Homepage