US-Schlappe in Afghanistan immer deutlicher
Obamas Strategie der verstärkten zivilen Aufbaumaßnahmen ist vom Scheitern bedroht *
Die Bemühungen um den zivilen und institutionellen Wiederaufbau Afghanistans bleiben immer
weiter hinter den US-Vorgaben zurück.
Die »New York Times« (NYT) berichtete unter Berufung auf ranghohe
Behörden- und Militärvertreter, mit der Sicherheitslage verschlechtere sich auch die Lage vieler
Institutionen. Die NATO sprach derweil dem in der Kritik stehenden UNO-Afghanistangesandten Kai
Eide ihr Vertrauen aus.
Knapp sieben Monate nach der Ankündigung von US-Präsident Barack Obama, die zivilen
Aufbaumaßnahmen auszuweiten, um den Boden für eine geplante Aufstockung der US-Truppen um
17 000 Soldaten (derzeit rund 68 000) zu bereiten, sei es um viele zivile Institutionen in Afghanistan
schlecht bestellt, hieß es in dem NYT-Bericht. Beim Kampf gegen Korruption, beim Ausbau
funktionierender Regierungs- und Justizstrukturen und der Polizei drohe das Scheitern.
Den in dem Bericht zitierten Behördenvertretern zufolge ist die Lage in Afghanistan so gefährlich,
dass viele Mitarbeiter von Hilfsorganisationen nicht mehr aus Kabul in die Provinzen reisen können,
um Bauern zu beraten. Gerade die Beratung in der Landwirtschaft ist jedoch einer der Kernpunkte
der neuen Afghanistan-Strategie Obamas für den zivilen Aufbau, die im März mit seiner
Ankündigung einherging, Hunderte zusätzlicher Helfer in das Land zu schicken.
Im Justizwesen zeige sich, dass die neuen Strukturen so schwach seien, dass gerade die
Landbevölkerung wieder der islamischen Scharia-Justiz der Taliban zuneige, weil diese ihr vertraut
sei. »Der Präsident ist mit alldem nicht zufrieden«, zitierte das Blatt einen ranghohen US-Vertreter.
US-Außenministerin Hillary Clinton sagte der BBC in London, die Regierung unter Präsident Hamid
Karsai sei »in vielen Bereichen hilfreich« beim Staatsaufbau gewesen. Angesichts der noch immer
bestehenden Herausforderungen würden die seit 2001 in Afghanistan erzielten Fortschritte »oft
übersehen«. Sollte Karsai am Ende als Sieger aus der Präsidentenwahl hervorgehen, sei klar, dass
es »neue Beziehungen zwischen ihm und dem afghanischen Volk und zwischen seiner Regierung
und den Regierungen anderer Länder« geben müsse. Die Präsidentschaftswahlen am 20. August
waren von Beginn an durch Vorwürfe des Wahlbetrugs überschattet gewesen, der vor allem dem
Lager von Karsai zur Last gelegt wurde. Laut dem vorläufigen Ergebnis gewann der Amtsinhaber die
Wahl mit 54,6 Prozent der Stimmen; sein schärfster Herausforderer Abdullah Abdullah kam auf
knapp 28 Prozent. Die Endergebnisse des Votums werden für Ende der Woche erwartet.
Am Sonntag (11. Okt.) bestätigte die UNO erstmals einen größer angelegten Wahlbetrug. NATO-Generalsekretär
Anders Fogh Rasmussen stärkte UNO-Missionschef Eide den Rücken. Rasmussen
erklärte, die NATO unterstütze die UNO-Mission und habe »volles Vertrauen« in Eide, der sich
Vorwürfen seines Ex-Vizes Peter Galbraith erwehren muss, er habe das Ausmaß der
Wahlmanipulationen verschleiern wollen. Einer der beiden afghanischen Vertreter in der
Wahlbeschwerdekommission trat am Montag (12. Okt.) zurück. Mit diesem Schritt protestiere er dagegen,
dass die drei von der UNO ernannten Mitglieder der fünfköpfigen Kommission »von bestimmten
ausländischen Kreisen beeinflusst« seien, sagte Mustafa Bariksai, ein Richter am Obersten Gericht
in Kabul. Er sei bei wichtigen Entscheidungen übergangen worden, weil er »afghanische und
islamische Werte« vertrete.
* Aus: Neues Deutschland, 13. Oktober 2009
Scheitern auf ganzer Front
Von Olaf Standke **
Zwei Monate nach der Präsidentenwahl in Afghanistan hatte die UNO am Wochenende erstmals einen größer angelegten Wahlbetrug eingeräumt. Was kann man da vom Sieger erwarten? Die USA deutlich mehr als bisher, wie Außenministerin Hillary Clinton gestern erklärte. Washington will wohl an Hamid Karsai festhalten, so lange es irgend geht. Dabei gehört dieser Präsident zur Negativbilanz acht Jahre nach Beginn des Krieges am Hindukusch. Nicht nur militärisch droht den USA in Afghanistan eine Niederlage. Auch die Bemühungen um den zivilen und institutionellen Wiederaufbau bleiben immer weiter hinter den ohnehin unterbelichteten eigenen Vorgaben zurück, wie die »New York Times« jetzt von ranghohen Vertretern aus Politik und Pentagon erfuhr. Weder beim Ausbau funktionierender Regierungs- und Justizstrukturen und der Polizei noch beim Kampf gegen die wuchernde Korruption gibt es Fortschritte. Die von Barack Obama versprochene Entsendung hunderter zusätzlicher Helfer für die Bauern etwa greift nicht, weil sie erst gar nicht aus Kabul heraus aufs Land gelangen. Und dort fasst die islamischen Scharia-Justiz der Taliban wieder Fuß. Für den Präsidenten ist das eine weitere Schlappe seiner Afghanistan-Politik. Denn er hat immer versucht, den Kritikern nicht zuletzt in den eigenen Reihen die von ihm angeordnete Truppenaufstockung mit dem Hinweis auf gleichzeitig ausgeweitete zivile Aufbaumaßnahmen schmackhaft zu machen.
** Aus: Neues Deutschland, 13. Oktober 2009 (Kommentar)
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