Widerstand gegen Kriegsvorbereitung
Auf dem britischen Truppenübungsplatz in der Senne (bei Paderborn) wird die Aufstandsbekämpfung in Afghanistan geprobt
Auf dem britischen Truppenübungsplatz in der Senne (in der Nähe von Padxerborn) sind in den vergangenen Monaten für rund 1,5 Millionen Euro drei so genannte Kampf- und Übungshelfer entstanden, in den die Soldaten auf Kampfeinsätze in Afghanistan vorbereitet werden. In den Übungs-Dörfern werden die britischen Soldaten sieben bis zehn Monate vor ihrem Einsatz ausgebildet. Im Mittelpunkt steht das Training in kleinen Trupps und Gruppen. "Dadurch sollen die Soldaten ein erstes Gefühl für das fremde Land bekommen bekommen", sagte Oberstleutnant David Holt, Kommandeur aller britisch verwalteten Truppenübungsplätze in Deutschland, gegenüber der Neuen Westfälischen (online, 02.10.2010).
Gegen den Truppenübungsplatz regt sich Widerstand, nicht nur von Seiten der Friedensbewegung.
Im Folgenden dokumentieren wir zwei Artikel aus der Zeitung "Unsere Senne" des Widerstandsbündnisses "Freie Senne".
Krieg fängt mit Üben an
Von Hartmut Linne *
Die britische Armee will sich
nach eigenen Aussagen mit den
Übungen in der Senne "optimal" auf den Häuserkampf in
den Städten und Dörfern Afghanistans
vorbereiten. "Optimal"
heißt für die übenden Militärs:
Minimierung der eigenen Todeszahlen,
denn in der je eigenen
Bevölkerung wird der Einsatz
nicht mehr mitgetragen,
wenn zu viele Soldaten fallen. In
London z.B. sammeln die "Military
Families Against the War"
Unterschriften gegen den Krieg.
Diese Angehörigen britischer
Soldatinnen und Soldaten fordern
die britische Regierung auf,
die Truppen sofort aus Afghanistan
abzuziehen.
Für die gegnerischen Kräfte und
besonders für die Zivilbevölkerung
bedeutet Häuserkampf –
wie er in der Senne aber auch
vermehrt an vielen Stellen in
Deutschland von deutschen-,
amerikanischen- und anderen
NATO-Truppen geübt wird -
tausendfachen Tod. Das Ergebnis
ist eine weitgehende Zerstörung
von Städten und Dörfern.
Häuserkämpfe wie in Falludscha/
Irak haben dies sehr deutlich
gezeigt.
Was bedeutet das für die Kampfdörfer
in der Senne? Es ist zu erwarten,
dass das Üben auf dem
Truppenübungsplatz Senne
nicht nur kurzfristig für den
Krieg in Afghanistan geschehen
wird, sondern langfristig – für
weitere zukünftigeweltweiteMilitärinterventionen.
Der Krieg in
Städten als die Kriegsform der
Zukunft "sichert"« die kontinuierliche
Nutzung und "Auslastung" der Kampfdörfer in der
Senne.
"Krieg fängt mit Üben an", so
eine Parole der "Bombodrom"-
Gegner und "Hier bei uns sind
Sie mitten im Afghanistan-
Krieg", heißt es in einem Flugblatt
des Aktionskreises FREIE
SENNE. Vor Ort kann man über
Unterschriftenlisten und Meinungsbekundungen
in Umfragen
hinaus etwas gegen das Töten
in Afghanistan und anderswo
tun. Gemeinsam und
vernetztmit anderen Aktiven in
Deutschland – wie der Bürgerinitiative
OFFENe HEIDe gegen
den Truppenübungsplatz Altmark
oder den Gegnern des Militärflughafens
Leipzig, den die
NATO nutzt, um US-Soldaten
und Militärfracht in Kriegsgebiete
zu fliegen.
Reiner Leyken schreibt in einem
ZEIT-Bericht vom Juli 2005:
"Die Zerstörung begann am 30.
Oktober 2004 mit einem Bombardement
strategischer Gebäude
und vermuteter Waffenlager
durch die US Air Force. Amerikanische,
irakische und britische Landstreitkräfte legten einen
Belagerungsring um die Stadt. Am 8. November griffen
10.000 bis 15.000 GIs und zwischen 1.000 und 2.000 irakische
Soldaten Falludscha an ... Falludscha
ist keine große Stadt. Von
der östlichen Stadteinfahrt bis
zum Euphrat sind es nicht mehr
als drei Kilometer. Die Menschen
lebten überwiegend in zweigeschossigen grauen Häusern.
Die an engen Gassen gelegenen
Gebäude umschließen Innenhöfe,
in die man durch Toreinfahrten
gelangt. Als die Soldaten
einrückten, waren die meisten Hausfenster mit Jalousien
und Pappdeckeln verdunkelt und die Tore mit schweren
Schlössern verriegelt.
Das Marinekorps ging mit drei
Taktiken zu Werke, die in der
Diktion des Kriegshandwerks
»mechanisch«, »ballistisch« und
»explosiv« heißen. Die Hausmauern
und Tore wurden entwedermit
Panzern, gepanzerten
Geländewagen und Bulldozern
aufgebrochen, mit Maschinengewehren
aufgeschossen oder
mit Sprengkörpern aufgesprengt.
Schnelligkeit war das
oberste Ziel.
Als sie in die Häuser eindrangen,
folgten die Infanteristen
wiederum drei verschiedenen
Taktiken, die ihnen als 'dynamischer', 'tückischer' und
'verhaltener' Angriff beigebracht
worden waren. Der 'dynamische' Angriff wird von Anfang
bis Ende 'gewalttätig und
aggressiv' durchgeführt. Die
Soldaten schreien, schießen in
jede Tür und in jedes Fenster,
werfen Leuchtraketen und
Handgranaten in alle Räume.
Wenn sie 'tückisch' vorgehen,
versuchen sie den Gegner zu
verwirren, huschen durch das
Gebäude und flüstern sich Befehle
zu. Die 'verhaltene' Taktik
ist eine Mischung der beiden
Methoden. Das Ziel jeder Methode
ist das gleiche – 'den
Feind zu eliminieren und die eigenen Verluste möglichst
zu minimieren', wie es ein GI formuliert."
In Falludscha starben nach Angaben
des ZEIT-Reporters 71
amerikanische Soldaten, 621
wurden verwundet und 1.200
Aufständische seien getötet worden.
Tobias Pflüger von der Informationsstelle Militarisierung
Tübingen nennt die Zahl von
6.000 Zivilpersonen,die bei den
US-Angriffen auf Falludscha
insgesamt ums Leben kamen.
36.000 Häuser, 9.000 Läden, 65
Moscheen, 60 Schulen, die historische
Bibliothek der Stadt, alle Regierungsgebäude und praktisch
die gesamte Infrastruktur, inklusive aller Kraftwerke, Kommunikationssysteme, Wasserwerke und Kläranlagen seien
zerstört worden.
* Hartmut Linne, Paderborner Initiative gegen den Krieg
Senne-Wirtschaft: Und wenn das Militär abzieht?
Von Arno Klönne
Seitmehr als einhundert Jahren
ist die Senne Übungsplatz fürs
Militär. Und auch viele, die das
Kriegführen abscheulich finden,
sagen: Immerhin hat diese Nutzung
Arbeit und Brot gebracht; die Truppen sind ein »Standortfaktor
« für die Region, sie schaffenArbeitsplätze
und Einkünfte für Zivilisten in denAnrainergemeinden.
Aber Militärstandorte
sind wirtschaftlich Unsicherheitsfaktoren.
Die Bundeswehr wird demnächst umgestellt,welche Schritte die britische Armee im einzelnen vorhat, weiß niemand.
Und militärische Nutzung
bedeutet auch: Alternative
Möglichkeiten wirtschaftlicher
Entwicklung sind dadurch gehemmt,
werden oft nicht einmal
bedacht. Man findet sich ab,mit
dem, was ist, so als sei es Schicksal
auch für die Zukunft. Bisher
hat keine Behörde in der Region
durchgerechnet, welche wirtschaftlichen
Vorteile und Nachteile
der Truppenübungsplatz
mit sich bringt und welche
Chancen in einer zivilen Umnutzung
liegen würden, wenn
das Militär abzieht. Das ist kurzsichtig.
Angenommen, der Nationalpark
Senne kommt endlich
zustande – wie läßt sich daneben
umweltfreundlicher Tourismus
in dieser Landschaft entwickeln?
Welche Einrichtungen
für Freizeit und Erholung ließen
sich hier ansiedeln? Was wäre zu
tun, um die Sennelandschaft naturgeschichtlich,
siedlungsgeschichtlich
und sozialhistorisch
erlebbar zu machen? Ohne die
Problemkapitel der Politikgeschichte
in diesem Terrain auszusparen?
Eine »zivile Senne« kann ein
wirtschaftlicher Erfolg werden –
aber zu diesem Zweckmuß jetzt
endlich nachgeforscht, diskutiert
und geplant werden, nicht
nur in Amtsstuben, auch in der
Öffentlichkeit, alle Betroffenen
in der Region einbeziehend.
Unsere Frage an die
Verantwortlichen in
den Kreisen Paderborn,
Lippe und
Gütersloh sowie an die
Bezirksregierung:
Warum gibt es kein
öffentliches Forum
»Die Senne und ihre
Zukunft – zivil gedacht«?
Quelle: Beide Beiträge erschienen in der neuen Zeitung "Unsere Senne" ("Eine Zeitung, die kein Blatt vor den Mund nimmt"), 1. Ausgabe 2010.
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