Von den Erinnerungen verfolgt
Afghanistan-Einsatz: Zwei Prozent der Bundeswehr-Soldaten kommen mit Trauma zurück *
Viele Soldaten leiden nach dem Kriegseinsatz in Afghanistan an einer sogenannten
Posttraumatischen Belastungsstörung. Zu diesem Ergebnis kommt eine am Mittwoch veröffentlichte
Studie der Technischen Universität Dresden.
Rund zwei Prozent der Bundeswehrsoldaten, die 2009 im Afghanistan-Einsatz
waren, sind mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) zurückgekehrt. Das entspreche
jährlich rund 300 Soldaten, wie aus einer am Mittwoch in Berlin veröffentlichten Untersuchung der
TU Dresden zu den Folgen von Auslandseinsätzen der Bundeswehr hervorgeht. Nur jeder zweite
Betroffene suchte bislang in den zwölf Monaten nach dem Einsatz professionelle Hilfe. Dies weist
nach Angaben der Wissenschaftler auf eine »nicht unerhebliche jährliche Dunkelziffer« hin.
Der Untersuchung zufolge haben Soldaten in den Afghanistan-Missionen der Bundeswehr im
Vergleich zu Kameraden ohne Auslandseinsatz ein sechs- bis zehnfach erhöhtes Risiko, an PTBS
zu erkranken. Im Vergleich mit den PTBS-Raten bei britischen und US-Soldaten, die in Irak oder in
Afghanistan im Einsatz waren, fallen die Erkrankungsraten der deutschen Soldaten allerdings
deutlich niedriger aus. Als Gründe dafür vermuten die Autoren der Studie die besseren
Auswahlkriterien der Bundeswehr für Auslandseinsätze, eine bessere Einsatzvorbereitung, die
kürzere Einsatzdauer von vier bis fünf Monaten und einen geringeren unmittelbaren Kontakt mit
Kampfsituationen.
Die scheinbar niedrige Rate von Traumata dürfe allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass die
Afghanistan-Einsätze »nahezu ausnahmslos bei allen Soldaten mit einem hohen Ausmaß von
Belastungen verbunden sind«, heißt es in der Untersuchung. Im Schnitt berichten die Soldaten
demnach von mehr als 20 belastenden Ereignissen, mit denen sie konfrontiert wurden, wie etwa
Kämpfe, Verletzungen und Todesfälle. Kampftruppen in Kundus waren nahezu doppelt so häufig
betroffen wie andere Truppenteile und Soldaten an anderen Standorten.
Insgesamt kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass die Größenordnung des Problems »zwar
erheblich, aber nicht so dramatisch erhöht ist, wie es gelegentlich in der Öffentlichkeit vermutet
wurde«. Die Psychologen der TU Dresden hoben zudem hervor, dass andere psychische Störungen
wie Angst, depressive Störungen sowie Erschöpfungssyndrome nicht ignoriert werden dürften. Diese
Störungen hätten ein »quantitativ sehr viel größeres Ausmaß«.
Zwar seien die Soldaten von Angststörungen oder Depressionen nicht häufiger betroffen als die
Durchschnittsbevölkerung. Aber auch bei ihnen würden sie häufig nicht frühzeitig erkannt und
adäquat behandelt, so die Experten. Zudem könnten unerkannte, vor den Auslandseinsätzen
bestehende Störungen ein zusätzlicher Risikofaktor für eine PTBS sein.
Für die Studie wurden per Zufallsprinzip rund 10 000 ISAF-Soldaten ausgewählt, die 2009 nach
Afghanistan entsendet worden waren. Die Auswertung der Daten ist noch nicht abgeschlossen.
* Aus: Neues Deutschland, 7. April 2011
Taube Ohren
Von Christian Klemm **
Der Krieg in Afghanistan ist für die Bundeswehr längst verloren. Dennoch wurde das Kontingent vor Ort in schöner Regelmäßigkeit erhöht. Mit schwerwiegenden Folgen, wie die TU Dresden in einer Studie festgestellt hat. Demnach kommen etwa 300 Soldaten pro Jahr mit einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) vom Einsatz für »Demokratie und Menschenrechte« wieder nach Hause. Im Vergleich zu Soldaten, die nicht am Hindukusch verheizt werden, sind das sechs- bis zehnmal so viele PTBS-Kranke. Britische oder US-amerikanische Soldaten, die zum Beispiel den Irak besetzt haben, sind laut Untersuchung noch schlimmer dran. Dort ist der Widerstand stärker, es gibt mehr Tote und Verletzte – und letztendlich auch mehr PTBS-Kranke.
Mittlerweile hat eine ganze Reihe von Büchern und Fernsehdokumentationen über die PTBS-Fälle in der Bundeswehr informiert. Selbst ein »Tatort«-Krimi zum Thema wurde vor einigen Monaten ausgestrahlt. Doch bei den Herrschenden stößt das »Jammern« nur auf taube Ohren: In Afghanistan sollen ganze drei Truppenpsychologen in Uniform im Einsatz sein. Bei einer Truppenstärke von rund 5000 Mann betreut dort ein Psychologe 1667 deutsche Soldaten – ein eklatantes Missverhältnis. Kein Wunder, dass so viele Soldaten mit einem Knacks zurückkehren.
** Aus: Neues Deutschland, 7. April 2011 (Kommentar)
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