Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Viel Kampf, wenig Ausbildung – das Partnering-Konzept der Bundeswehr, ein Etikettenschwindel?

Ein Beitrag von Christoph Heinzle aus der NDR-Sendung "Streitkräfte und Strategien"


Andreas Flocken (Moderation):
(Die Bundeswehr) will sich stärker als bisher auf die Ausbildung der afghanischen Streitkräfte konzentrieren. Anfang des Jahres hatte der Verteidigungsminister die Aufstellung von zwei Ausbildungs- und Schutzbataillonen angekündigt. Partnering - so heißt das neue Bundeswehr-Konzept. Doch funktioniert es auch? Christoph Heinzle hat Soldaten begleitet und mit ihnen gesprochen:

Manuskript Christoph Heinzle


O-Ton Czaplewski
„Mir kommt es darauf an, dass Sie die Objekte beobachten, dort aufklären können.“

Befehlsausgabe für einen Einsatz in unbekanntem Gelände. Verlassene Ort-schaften, unklare Straßenverhältnisse. Und wo ist der Feind? Die Aufklärungskompanie aus Lüneburg soll wichtige Informationen beschaffen: was erwartet die Truppe im Einsatzraum, wer hält sich dort auf? Die Aufklärung erfolgt durch Drohnen, mit Fernrohren an Bord der Panzerfahrzeuge, und zu Fuß:

O-Ton Marschbefehl
„Dann wünsche ich Ihnen allen noch einen erfolgreichen Kampftag, gute Aufklärungsergebnisse und fette Beute. Marsch!“

Die Fennek-Panzerspähwagen rücken aus – nicht in die Hügellandschaft Nordafghanistans, sondern in die Letzlinger Heide in Sachsen-Anhalt. Im Gefechtsübungszentrum des Heeres durchläuft das Ausbildungs- und Schutzbataillon, kurz ASB, die letzte Phase der Einsatzvorbereitung. Anfang Januar wird nach Kundus verlegt. Dort waren bereits viele der Soldaten. Doch diesmal haben sie einen etwas anderen Auftrag:

O-Ton Steinhaus
„Was sich nicht verändern wird ist die Tatsache, dass wir draußen im Raum operieren. Das haben wir als Infanteristen vorher getan, das werden wir jetzt auch tun. Aber die neue Qualität ist tatsächlich das gemeinsame Operieren mit den afghanischen Kräften, also hier für uns im Schwerpunkt mit der ANA.“

Oberstleutnant Andreas Steinhaus, Bataillonskommandeur der Fallschirmjäger in Zweibrücken, wird das 650-köpfige ASB führen. Sein Auftrag: Geländegewinne in den Talibanhochburgen Nordafghanistans, gerade rund um Kundus – damit später afghanische Sicherheitskräfte diese Gebiete ohne deutsche Hilfe möglichst dauerhaft halten können.

O-Ton Steinhaus
„Gemeinsam mit den Afghanen kommt es mit Sicherheit natürlich auch darauf an, gemeinsam eine Clear-Operation durchzuführen. Das heißt auch, gemeinsam aktiv gegen Aufständische vorzugehen. Das ist das, worauf wir uns jetzt hier in der Ausbildung auch einstellen.“

In der öffentlichen Darstellung des neuen „Partnering“ durch Verteidigungsministerium und Bundeswehrspitze klang das häufig defensiver. So sagte Minister Karl-Theodor zu Guttenberg bei der Präsentation des Konzepts Ende Januar:

O-Ton zu Guttenberg
„Mehr Schutz und Ausbildung, statt beispielsweise offensiv agierender Kampftruppen. Auch darin besteht ein ganz wesentlicher Strategiewechsel. Partnering bedeutet insbesondere Präsenz in der Fläche zu zeigen, und durch die Präsenz in der Fläche, die keine offensive Präsenz ist, Rückzugsräume für die Taliban zu minimieren.“

Die afghanischen Soldaten haben ihre Grundausbildung bereits hinter sich, wenn sie mit den Deutschen „partnern“. Sie melden Gefechtsbereitschaft und sollen dann zusammen mit Bundeswehreinheiten zu Operationen ausrücken. Lernen sollen die Afghanen durch gemeinsame Vorbereitung, so General Eberhard Zorn, Kommandeur der Luftlandebrigade 26 aus Saarlouis - und vor allem sollen sie in den Einsätzen mit den Deutschen lernen:

O-Ton Zorn
„Und das heißt also wirklich auch, die Gebiete frei zu räumen. Natürlich, wenn ich so eine Region gewinnen will, dann schließt das schon von der Begrifflichkeit ein, dass ich mich auf Kampf einstelle. Und wenn sich dort also Taliban oder Aufständische festgesetzt haben, dann muss ich mit Kampf rechnen und dann ist unser Ziel, das auch entsprechend freizukämpfen.“

Vor Ort und in der Einsatzvorbereitung fällt der wohl klingende Begriff „Ausbildungs- und Schutzbataillon“ deshalb immer seltener. In der Regel wird der Verband als „Task Force Kundus“ bezeichnet. Das wird auch international eher mit Kampfbereitschaft verbunden. Dass der neu konzipierte Einsatz defensiver wäre als der bisherige, glaubt vom Feldwebel bis zum General kaum jemand in der Einsatzvorbereitung. Bataillonskommandeur Steinhaus drückt es so aus:

O-Ton Steinhaus
„In der Gesamtoperation ist es sicherlich kein offensiver Ansatz. Aber um die Gesamtoperation zu ermöglichen, werden wir in Teilbereichen auch offensive Operationen führen müssen. Das ist richtig.“

Die Aufklärer aus Lüneburg haben einige Gebäude in einer Senke erreicht. Im gepanzerten Fennek auf einer Anhöhe beobachtet der Zugführer scheinbar leer stehende Häuschen und dirigiert seine Späher. Platzhalter für afghanische Soldaten gibt es in diesem Szenario nicht. Denn die Aufklärer werden in Kundus mit Afghanen wohl kaum zusammenarbeiten, sagen der Ausbildungsleiter und der Zugführer:

O-Ton Burkhardt
„Ich denke, in unserem Aufgabenbereich erst mal nicht. Das dann erst in einer Operation für die nachfolgenden Kräfte.“

Wer überhaupt wie ins „Partnering“ gehen soll, ist unklar an vielen Stellen in der Truppe.

O-Ton Oberleutnant Alex, Pionier
„Ich weiß, dass es diese Zusammenarbeit geben soll. Wie sie genau aussehen wird, das bleibt abzuwarten.“

Keinen direkten Kontakt mit der afghanischen Armee erwartet man auch beim Joint Fire Support Team, das Jagdbombern, Mörsern und Haubitzen den Weg ins Ziel weisen soll:

O-Ton Stabsfeldwebel Christian
„Das, was wir hier mittlerweile machen, ist erst mal für uns, damit wir in einer Notsituation uns erst mal selbst verteidigen können. Und wie die Integration der afghanischen Kräfte ist, das kann ich von hier aus nicht absehen. Da wüsste ich jetzt auch nicht wie das stattfinden soll.“

Dabei hatte Verteidigungsminister zu Guttenberg kurzerhand alle Soldaten der beiden Bataillone zu Ausbildern erklärt. So sagte er Ende September:

O-Ton zu Guttenberg
„Innerhalb der Zahl der 5.000 mandatierten Soldaten können wir wohl etwa bis zu 1500 Ausbilder nach Afghanistan entsenden. Wir sind gerade dabei das zweite Bataillon bis Ende Oktober entsprechend aufzubauen und sind da auf gutem Wege.“

Jeder im Bataillon also ein Ausbilder?

O-Ton Zorn
„Nee, das kann man so nicht sagen. Das würde jetzt unterstellen, dass praktisch jeder Mannschaftssoldat mit seinem Gegenüber auf der afghanischen Seite Ausbildung betreibt. Das ist nicht der Fall. Also das muss man schon auf der Dienstgradebene so betrachten und die Ausbildung erfolgt letzten Endes in den Führungsverfahren und in dem gemeinsamen Vorgehen.“

Nach Schätzung von General Zorn werden sich nur etwa fünf Prozent des ASB direkt mit den afghanischen Soldaten austauschen, also wohl kaum mehr als 30 Offiziere an der Spitze des Bataillons und der sechs Kompanien. Zentrale Ansprechpartner für die Bundeswehr bleiben die sogenannten OMLTs, die bisher schon existierenden Ausbilder- und Mentorenteams, die die Afghanen beraten, aber nicht aktiv kämpfen. Dazu ASB-Kommandeur Andreas Steinhaus:

O-Ton Steinhaus
„Rein handwerklich werden wir natürlich keine komplette Durchmischung machen. Wenn mir beispielsweise eine afghanische Kompanie beigegeben wird, die dann ja begleitet wird durch ein OMLT deutsch, dass man darüber auch eine Führbarkeit sicher stellen kann. Dann kann man auch gemeinsam operieren. Aber eine Ebene darunter ist eher schwierig vorstellbar. Das heißt, man würde gemeinsam mit den Afghanen einen Operationsplan entwickeln, hätte dann aber Gefechtsstreifen, die man beispielsweise festlegt, und würde dann eben festlegen, wer in welchen Gefechtsstreifen verantwortlich ist. Koordinieren würden wir das dann seitens des Bataillons.“

Doch die jetzige „Task Force Kundus“ hatte mit dem Partnering nach Beginn des Einsatzes im August deutliche Schwierigkeiten. Fast drei Monate lang erlebten die Bundeswehr-Soldaten immer wieder die Unzuverlässigkeit der Afghanen, warteten vergeblich auf einsatzbereite Partner-Einheiten, die auch aktiv mit den Deutschen ins Gefecht gehen sollten. Zwischenbilanz des stellvertretenden Bataillonskommandeurs Matthias L. in Kundus Ende Oktober:

O-Ton Matthias
„Wir stecken in den Anfängen. Die sind schwieriger als wir gedacht haben. Aber nichtsdestotrotz versuchen wir das natürlich weiter und werden das auch weiter vorantreiben.“

Kurz darauf begann mit der Operation „Halmasag“, zu Deutsch Blitz, die erste gemeinsame Offensive mit der afghanischen Armee, der ANA. Nach vier Tagen mit schweren Kämpfen meldete die Bundeswehr, man habe die Taliban aus einem Teil des Unruhedistrikts Char Darah bei Kundus verdrängt. Die Bundeswehr sprach von einem Erfolg. Doch einige grundlegende Probleme der Anfangsmonate sind damit wohl kaum gelöst:

O-Ton Matthias
„Die ANA ist sehr stark beschränkt, was ihre Kräfte hier vor Ort angeht. Das heißt, die haben auch einfach nicht die Möglichkeit, immer die Operationen oder die Aktionen, die wir vorhaben, mitzufahren. Weil ganz einfach keine Kräfte da sind. Dann muss das, was wir planen, natürlich auch immer in der Absicht der ANA liegen. Wenn wir jetzt etwas ausplanen und sagen, wir möchten gerne in Ortschaft XY tätig werden und die ANA ist der Meinung, das ist für sie nicht der Schwerpunkt, sondern eine andere Ortschaft oder zu dem Zeitpunkt nicht, dann findet so etwas nicht statt.“

Allzu eng ist auch der alltägliche Kontakt mit den ANA-Soldaten nicht. „Gemeinsame Lebensführung“ heißt es im Konzept. Doch die Bundeswehr teilt sich zwar manchen Standort außerhalb des Lagers mit den Afghanen, nicht aber Zelt und Tisch wie ein Oberleutnant in der Stellung auf der Höhe 432 in Char Darah erzählt:

O-Ton Oberleutnant Benjamin, Zugführer auf Höhe
„Die wohnen im Prinzip nebenan. Wirklich zusammen mit ihnen leben wir natürlich nicht. Man grenzt das deutlich ab. Es gab bei anderen Streitkräften auch Vorfälle, dass sich in deren Reihen auch Talibankämpfer befunden haben. Das ist einfach eine Eigenschutzmaßnahme, dass man da eine gewisse Abgrenzung hat zwischen diesen Teilen. Und man muss natürlich da auch die Belange der Bevölkerung hier abgrenzen gegen unsere. Man will ja den Anderen nicht auf die Füße treten. Deshalb ist es schon besser, dass man da getrennte Bereiche hat.“

Die Soldaten in der Einsatzvorbereitung in Deutschland hören die Berichte der Kameraden aus Nordafghanistan mit Interesse. Gegenüber dem Partner ANA sind die meisten offen, aber auch etwas unsicher, was sie von den afghanischen Soldaten erwarten können:

O-Ton OFw-Oliver, Rettungsassistent
„Ich habe jetzt gehört vom Kameraden, das sind hochmotivierte Leute. Natürlich habe ich lieber einen Fallschirmjäger rechts und links neben mir als einen afghanischen Soldaten. Denen vertraue ich, die kenn ich. Und von der ANA muss ich mich jetzt selber erst mal überraschen lassen.“

Anpirschen an das Unbekannte. Aber die Späher in der Gefechtsübung erleben keine allzu große Überraschung. Die halb verfallene Werkstatt ist menschenleer. Die beiden Aufklärer finden nur eine Kiste mit Teilen eines Sprengsatzes.

Im Einsatz in Afghanistan bleiben Überraschungen vorprogrammiert und beim neuen „Partnering“ viele Fragen offen. Wie lange und kontinuierlich wird die deutsche „Task Force Kundus“ mit ‚ihrem‘ afghanischen Partner-Bataillon zusammen sein können? Schließlich ersetzen die ASBs auch die bisherige QRF, die schnelle Einsatztruppe, die in Krisensituationen überall im Norden operieren muss. Und wird es Entlastung durch ein weiteres ASB geben – falls ja wann? Anfang des Jahres hatte Generalinspekteur Volker Wieker angekündigt, die Skandinavier würden ein drittes Bataillon aufstellen. Doch die Überlegungen dauern an. Eine Entscheidung soll es laut Bundesverteidigungsministerium erst im Dezember geben. Sicher ist derzeit nur: das Risiko für die Bundeswehrsoldaten ist mit dem „Partnering“ nicht gesunken – im Gegenteil, meint General Eberhard Zorn:

O-Ton Zorn
„Der Einsatz war bisher schon riskant und gefährlich. Und das wird natürlich, je stärker ich in die Fläche hineingehe und je stärker ich auch darum kämpfe, solche Bereich für mich zu halten, um so gefährlicher wird das. Das muss man klar so sehen.“

Und der designierte ASB-Kommandeur Steinhaus sagt:

O-Ton Steinhaus
„Alles das was in unserer Macht steht, dafür zu tun, dass wir alle heil wiederkommen, das werden wir machen. Aber ich sage auch offen, dass ich keinem von vornherein versprechen kann; ich bringe alle heil wieder zurück. Das wäre unredlich und das tue ich auch nicht.“

Wenn alle wieder gesund nach Hause kämen, wäre das ein großer Erfolg, sagt der Oberstleutnant, und wenn die afghanischen Soldaten ähnliche Operationen künftig alleine durchführen könnten.

* Aus: NDR Info; STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN; 20. November 2010; www.ndrinfo.de


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage