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"Ein Angebot mit Bedingungen" machte Verteidigungsminister de Maizière seinem Amtskollegen im Pentagon

Über Kampfdrohnen herrscht dagegen beredtes Schweigen / "Töten per Mausklick können auch Feiglinge"


"Ein Angebot mit Bedingungen" überschreibt das Presse- und Informationsamt der Bundesregierungnennt eine Erklärung zum Besuch des deutschen Außenministers Thomas de Maizière bei seinem Amtskollegen Chuck Hagel in Washington. Unter bestimmten "Bedingungen", so die Botschaft, sei Deutschland bereit, den Afghanistankrieg auch über 2014 hinaus fortzusetzen. Wegen der - zugegeben: geringen - Bedeutung dieses Themas und des sehr viel wichtigeren Themas "Beschaffung von Kampfdrohnen" dokumentieren wir im Folgenden die Pressemeldung der Bundesregierung und anschließend einen Kommentar von Peter Strutynski.


"Ein Angebot mit Bedingungen"

USA-Reise de Maizière *

Deutschland ist bereit, ab 2015 für zunächst zwei Jahre bis zu 800 Soldatinnen und Soldaten für eine Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission der NATO in Afghanistan zur Verfügung zu stellen. Dieses Angebot erläuterte Verteidigungsminister Thomas de Maizière in Washington.

De Maizière war der erste Verteidigungsminister der NATO, den Chuck Hagel nach seiner Ernennung zum amerikanischen Verteidigungsminister zu einem Gespräch traf. Im Pentagon standen neben den bilateralen Beziehungen die Planungen für Afghanistan und die Lage im Nahen Osten im Vordergrund.

Den deutschen Ansatz für die Fortsetzung des Engagements in Afghanistan nach dem Ende der ISAF-Mission 2014 hatten de Maizière und Außenminister Guido Westerwelle vor zwei Wochen gemeinsam bekannt gegeben. Die Bundeswehr könne sich für zunächst zwei Jahre mit insgesamt etwa 600 bis etwa 800 Soldatinnen und Soldaten sowohl in der Hauptstadt Kabul als auch in Mazar-e Sharif für die nördliche Region beteiligen. Danach soll sich der Einsatz auf die Region Kabul konzentrieren. Dieser deutsche Beitrag in Kabul soll dann rund 200 bis 300 Soldatinnen und Soldaten umfassen.

Hochwertausbildung für Sicherheitskräfte Die Größenordnung von zunächst bis zu 800 Soldatinnen und Soldaten insgesamt orientiert sich an den für die neue Mission geforderten Fähigkeiten. Eine dieser Fähigkeiten ist Hochwertausbildung und -beratung für die afghanischen Sicherheitskräfte. Darüber hinaus sind die Fähigkeiten vorzuhalten, die für eigene Soldatinnen und Soldaten als auch für die anderer Truppensteller bereitgestellt werden müssen. Dies sind beispielsweise Logistik, sanitätsdienstliche Leistungen, Transport und Schutz.

Die internationale Gemeinschaft wird Afghanistan auch nach Ende des derzeitigen ISAF-Einsatzes 2014 militärisch unterstützen. Die NATO erarbeitet derzeit die Pläne für eine Ausbildungs-, Beratungs- und Unterstützungsmission in Afghanistan (Resulte Support) ab 2015.

Diese im Charakter neu ausgerichtete Mission wird keinen Kampfauftrag haben. Die gegenwärtigen NATO-Planungen sehen einen Personalkorridor von rund 8.000 bis 12.000 Soldatinnen und Soldaten vor. Bei diesem sogenannten Speichenmodell ("Hub and Spoke Model") sollen sich die "Nabe" in Kabul und die vier "Speichen" in den bevölkerungsreichen Gebieten (Nord, West, Süd und Ost) befinden. Bedingungen zur Beteiligung an der Mission Resolute Support Der deutsche Minister erläuterte seinem Amtskollegen auch die Voraussetzungen, an die die Beteiligung der Bundeswehr an der Mission Resolute Support geknüpft ist: eine formelle Einladung der afghanischen Regierung eine Resolution des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen ein zwischen Afghanistan und Deutschland vereinbartes Truppenstatut und eine hinreichende Sicherheitslage. Zudem ist eine angemessene Beteiligung der Partner unerlässlich. Daher strebt Deutschland in der Folge an, dass die internationalen Partner nun ihre Beiträge für den Norden Afghanistans einbringen. Hagel unterstrich, dass die letzten Entscheidungen der US-Administration zu dieser Mission noch ausstehen. Die deutsche und die US-Positionen stimmten überein. Derzeit verhandeln die USA mit den afghanischen Behörden insbesondere über den künftigen offiziellen Status ihrer Truppen.

Beim Treffen der NATO-Verteidigungsminister im Juni diesen Jahres soll mit allen ISAF-Truppenstellern über das neue Operationskonzept beraten werden.

Schwierige Lage in Nahost

Beide waren sich einig, dass die Lage in Syrien und dem Nahen Osten ungewöhnlich kompliziert und schwierig sei. Trotz eines angeblichen Giftgas-Einsatzes in Syrien sprach sich de Maizière klar gegen ein militärisches Eingreifen in den Bürgerkrieg aus. Er unterstütze zwar jede politische Einflussnahme, sagte er. "Aber eine militärische Rolle im Moment sehe ich nicht." Ein wirksames Eingreifen sei militärisch kompliziert und aufwendig. "Wir stehen ratlos und hilflos daneben", sagte er. Zu den Informationen über den mutmaßlichen Giftgas-Einsatz äußerte sich der Minister zurückhaltend: "Wir haben noch nicht genug Informationen."

Gedenken an den Holocaust

Zum Auftakt seines USA-Besuchs hatte de Maizière am Montag an einer Festveranstaltung zum 20-jährigen Bestehen des Holocaust-Museums in Washington teilgenommen. Zu den Ehrengästen zählten auch der frühere US-Präsident Bill Clinton und der Holocaust-Überlebende und Schriftsteller Elie Wiesel.

"Natürlich ist es etwas besonderes, wenn man als Deutscher in den USA in einem Holocaust-Museum ist", sagte de Maizière. "Wenn Sie hier sitzen als deutscher Verteidigungsminister und nicht ein einziger anti-deutscher Zungenschlag bei dieser Veranstaltung stattfindet, das ist eine bewegende Sache."

Das Holocaust-Museum in Washington zählt zu den bedeutendsten weltweit. Seit 1993 haben mehr als 30 Millionen Menschen die Informations- und Gedenkstätte besucht.

Ausbildung des Offiziernachwuchses

Am Montagnachmittag hatte der Verteidigungsminister auch die United States Military Academy in West Point besucht. Dort verschaffte er sich einen Eindruck von der Ausbildung des Offiziernachwuchses. Rund 4.000 Kadetten des Heeres absolvieren dort dein vierjähriges Training, das viele zeitweise auch nach Deutschland führt.

De Maizière hielt einen Vortrag zum Thema "Auftrag und Führung demokratischer Streitkräfte" und stellte sich anschließend den Fragen der jungen Soldatinnen und Soldaten. Besonders hob er die engen Verbindungen beider Nationen hervor. Beispielhaft nannte er die US-Generäle Pershing, Eisenhower und Clay. Alle drei hätten in besonderer Weise die Grundlagen für eine enge transatlantische Partnerschaft gelegt.

Im Gegensatz zur ungebrochenen Tradition von West Point stünde die Geschichte der Ausbildung deutscher Offiziere in Dresden. Sie sei dort für fünf gänzlich unterschiedliche Armeen geleistet worden. De Maizière kündigte an, die Liegenschaft in Dresden noch in diesem Jahr umzubenennen. Sie soll dann "Stauffenberg-Kaserne" heißen. "Sie trägt dann den Namen des Mannes, der für die Freiheit und die Würde Deutschlands Hitler töten wollte – und schließlich selbst getötet wurde."

* Quelle: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung, 1. Mai 2013



"Töten per Mausklick können auch Feiglinge"

Worüber Chuck Hagel und Thomas de Maizière gesprochen haben und worüber beredt geschwiegen wird

Von Peter Strutynski


Wenn das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung eine derart ausführliche Mitteilung über den Auslandsbesuch eines Ministers herausgibt, dann muss es sich schon um etwas Besonderes handeln. Nun war Verteidigungsminister Thomas de Maizière der erste seiner Art, der vom frisch gebackenen US-Verteidigungsminister Chuck Hagel in Washington empfangen wurde. Die Freude darüber auf deutscher Seite war groß, sodass auch die Pressemitteilung entsprechend groß ausfiel.

Die politische Bedeutung des Treffens war demgegenüber eher gering. Zwar versucht die Bundesregierung den Eindruck zu erwecken, de Maizière habe seinem Amtskollegen im Pentagon einen Plan für den weiteren Verbleib der NATO in Afghanistan über das „Abzugs“-Jahr 2014 hinaus übermittelt. Neu daran ist aber nichts: Dass sich die Bundeswehr nach 2014 mit 600 bis 800 Soldatinnen und Soldaten am Hindukusch „engagieren“ werde, war schon zwei Wochen vorher bekannt gegeben worden (siehe z.B.: Der Krieg geht weiter). Und dass die NATO 8.000 bis 12.000 bewaffnete Kräfte in Afghanistan zurücklassen werde, ist auch schon länger bekannt. Was nicht im Detail feststeht, ist die Verteilung der Streitkräfte-Kontingente auf die beteiligten Nationen, ja, es ist nicht einmal klar, wie viele Länder überhaupt noch mitmachen werden und welche das sind. Länder wie Frankreich oder Italien, aber auch Polen und die Niederlande, dürften sich eher ganz aus dem Kriegsabenteuer verabschieden wollen. Das Angebot der Bundesregierung, 800 Soldaten zu stellen, geht offenbar schon von einer sinkenden Kampfbereitschaft anderer NATO-Partner aus. Die 800 Bundeswehrsoldaten bedeuten nämlich – relativ gesehen – eine Verdoppelung des deutschen Beitrags. In den vergangenen Jahren stellte die Bundeswehr mit ca. 5.000 Soldaten einen Anteil von unter 5 Prozent der ISAF-Truppen. Ab 2015 könnte dieser Beitrag auf bis zu 10 Prozent steigen.

Unerheblich ist dabei die aus der zivilen Logistik entlehnte Bezeichnung des Einsatzes als einem Speichenmodell ("Hub and Spoke Model"). Die "Nabe", das ist die afghanische Hauptstadt Kabul, und die vier "Speichen" befänden sich in den bevölkerungsreichen Gebieten Nord-, West-, Süd- und Ostafghanistans. Die Nord-„Speiche“ mit dem Zentrum Mazar-e Sharif wird also weiter im Kontrollbereich der Bundeswehr bleiben. Immer stärker ins Visier gerät aber Kabul, in der die Bundeswehr mit ca. 200 Soldaten vertreten sein wird. Nach zwei Jahren (also ab 2017) will sich Deutschland wohl ganz aus der Nord-„Speiche“ verabschieden und sich nur noch in der „Nabe“ aufhalten. Dem liegt wohl die Vorstellung zu Grunde, dass das flache Land auf längere Sicht militärisch nicht mehr zu kontrollieren ist – die Fähigkeit der afghanischen Sicherheitskräfte, für ihre Sicherheit eigenverantwortlich zu sorgen, steht ohnehin in den Sternen. Da möchte man wenigstens einen Fuß in der Tür zu Geschäften aller Art im politischen Zentrum des Landes haben.

Natürlich gibt es noch ein paar Bedingungen für den weiteren Einsatz der Bundeswehr: die offizielle „Einladung“ der afghanischen Regierung an die alliierten Truppen, ein erneuertes Mandat des UN-Sicherheitsrats, die Vereinbarung zwischen Berlin und Kabul über ein Truppenstatut, eine „hinreichende Sicherheitslage“ sowie eine „angemessene Beteiligung der Partner“. Mit Ausnahme der „hinreichenden Sicherheitslage“ sind die genannten Bedingungen wohl nur eine Formsache. Eine weitere Voraussetzung hat de Maizière erst gar nicht erwähnt: die Zustimmung des Bundestags. Warum auch?! Was seit 2001 Jahr für Jahr von einer übergroßen Koalition aus CDU/CSU-SPD-FDP-Grüne durch den Bundestag gewinkt wird, wird auch in Zukunft nicht in Frage gestellt.

Der Krieg in Afghanistan wird also weitergehen. Daneben wird es weitere Kriegsschauplätze geben, in die deutsche Soldaten geschickt werden. Diese Einsätze werden zunehmend durch neue Waffen bestimmt werden: durch unbemannte bewaffnete Drohnen. Die Pressemitteilung der Bundesregierung schweigt sich darüber aus. Haben de Maizière und Chuck Hagel darüber kein Wort verloren? Haben sie sich nicht über die Anfrage des deutschen Verteidigungsministeriums unterhalten, evtl. Kampfdrohnen vom Typ MQ-9 Reaper, einer Weiterentwicklung der „Predator“, zu bestellen? Eine solche Anfrage liegt seit Anfang 2012 in Washington vor, wie gerade in diesen Tagen zahlreiche deutsche Medien berichteten. Da Berlin gleichzeitig mit Tel Aviv über eine Weiterentwicklung der israelischen Drohne „Heron“ verhandelt – deren Aufklärungsversion bereits in Afghanistan im Einsatz ist – ist es ganz unwahrscheinlich, dass Hagel das Vorhaben nicht angesprochen hat. Als US-Verteidigungsminister vertritt er doch zugleich die Interessen der US-Rüstungsindustrie.

Natürlich haben sie über Kampfdrohnen gesprochen. Nachdem aber die Bundesregierung beschlossen hatte, dieses heikle Thema aus dem Bundestagswahlkampf herauszuhalten und die endgültige Entscheidung über die Bewaffnung der Bundeswehr mit Kampfdrohnen auf das kommende Jahr zu vertagen, ist es leichter einen solchen Verhandlungsgegenstand ganz unter den Tisch fallen zu lassen, als gewundene Erklärungen darüber abzugeben, dass derzeit doch nur geprüft und (vor)verhandelt aber keineswegs irgendetwas entschieden würde.

Dabei lässt der amtierende Verteidigungsminister kaum eine Gelegenheit aus, seine grundsätzliche Bereitschaft zur Bewaffnung der Bundeswehr mit Kampfdrohnen kundzutun. Eine moderne „Armee im Einsatz“ könne auf die Weiterentwicklung der Luftwaffe nicht verzichten. Kampfdrohnen seien billiger als Kampfflugzeuge und würden das Leben „unserer“ Soldaten schützen. Auch hat er keinerlei ethische Probleme mit Kampfdrohnen. Der forsche CDU-Bundestagsabgeordnete Philipp Mißfelder, außenpolitischer Sprecher der CDU-CSU-Fraktion, brachte es vor kurzem wieder auf den Punkt: „Wer sich gegen die Anschaffung von Drohnen stellt, verweigert unseren Soldaten den größtmöglichen Schutz, der derzeit denkbar ist.“ In der Tat: Zumindest der „Soldat“, der von Potsdam oder Kalkar oder von wo auch immer in Deutschland den Einsatz von Kampfdrohnen in aller Welt fernsteuert und nach getaner Arbeit nach Hause fährt und einen netten Abend mit der Frau oder mit Freunden verbringt, setzt sich keinem Risiko aus. Da mag das sonstige Leben, wie ein aktueller Filmtitel suggeriert, „nichts für Feiglinge“ sein; der Drohnenkrieg indessen kann ganz ohne Helden auskommen. Töten per Mausklick können auch Feiglinge.

3. Mai 2013


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