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Kundus-Bombardement: »Briefträger« spielte Gott

Neben den offiziellen deutschen Geheimdiensten hat sich bei der Bundeswehr ein weiterer ausgebreitet – unkontrolliert

Von René Heilig *

Die Afghanen lassen Taliban-Führer laufen, die Bundeswehrsoldaten umbringen. So etwa lautete Ende vergangener Woche eine Schreckensmeldung in der »Bild«. Die Darstellungen waren zwar falsch, doch auch hinter dem realen Geschehen steckt ein Skandal. Der allerdings auf die Bundeswehr zurückfällt.

Am 6. März hatten deutsche KSK-Spezialkräfte einen Afghanen festgenommen, der Drahtzieher eines Angriffs auf Bundeswehrsoldaten gewesen sein soll. Dabei starben am Karfreitag 2010 bei Isa Khel drei junge Deutsche. Man übergab den Aufstandsführer an die afghanische Justiz, die ließ ihn nach eigenen Ermittlungen laufen. Skandal! Oder doch nicht ...?

Abgesehen davon, dass es zu den rechtsstaatlichen Normen (die einzuführen ja ein Ziel des ISAFEinsatzes sein soll) gehört, jemanden, dessen Schuld nicht zweifelsfrei nachgewiesen ist, nicht einzusperren – der Mann ist einfach nicht der Mann, der an dem Anschlag beteiligt war. Das bestätigen deutsche Sicherheitskreise. Der Irrtum wirft abermals Fragen zur stinkgeheimen Bundeswehreinheit »Task Force 47« auf, die in Afghanistan eingesetzt wird, um Aufstandsführer zu ermitteln und zu ergreifen.

Dass es die Task Force 47 gibt und dass sie von der Führung Operationen von Spezialkräften (FOSK) im Potsdamer Einsatzführungskommando geleitet wird, wurde erst bekannt durch den Bombenangriff auf zwei entführte Tanklaster nahe Kundus. Dabei kamen durch Befehl des deutschen PRT-Chefs Oberst Georg Klein vor fast zwei Jahren vermutlich 140 Menschen – darunter mindestens 22 Kinder und 60 Zivilisten – um.

Die Entscheidung zum Bombardement fiel in der Operationszentrale der »TF 47« und nach dem, was der Bundestagsuntersuchungsausschuss in seinen geheimen Akten hat, wurde Klein vom damals ranghöchsten TF 47-Offizier, einem Hauptmann N., und dessen Leuten förmlich zum Angriff gedrängt. N. fütterte den Oberst mit halben Informationen, ließ ihn nicht wissen, dass die menschliche Quelle, die vom Geschehen im Fluss berichtete und behauptete, dass da nur Taliban zugange waren, gar nicht vor Ort war. N. ließ Klein ebenso nicht wissen, dass der Sprachmittler, über den alles lief, nicht sicherheitsüberprüft war. Vieles – und auch die Erfahrungen in allen anderen deutschen Auslandseinsätzen – spricht dafür, dass lokale Dolmetscher die Schwachstelle im dichten Bundeswehr-Sicherheitsgefüge sind, weil sie in der Regel für mehrere Herren arbeiten.

Hauptmann N. behauptet, er sei nur so eine Art »Briefträger« gewesen zwischen der Quelle – es war die einzige überhaupt – und dem PRT-Kommandeur. Die Fakten legen etwas anderes nahe, nämlich dass die »Task Force 47« nicht Kleins Dienstleister war, sondern er für deren Zwecke eingespannt wurde.

N. gibt zu: »Ich wollte das Ganze nutzen, um die Glaubwürdigkeit meines Kontakts in Bezug auf andere Dinge ... noch einmal zu verifizieren, und gucken, ob er wirklich so gut arbeitet ...« Dafür mussten Unschuldige sterben?

Nicht nur, denn der »TF 47«-Mann, der Gott spielte, hatte auch die Information, dass bei den Tanklastern vier regionale Taliban-Kommandeure waren, die bei der Bundeswehr schon lange »auf dem Schirm« standen. Dennoch waren die Verdachtsmomente gegen sie nicht gewichtig genug, um sie auf die sogenannte JPEL-Zielliste zu stellen. Auf diese Joint Priority Effects List der ISAF kommen Feinde, die ergriffen oder getötet werden sollen. Den Deutschen allerdings, so lautet der Befehl, ist nur das Ergreifen Verdächtiger gestattet.

Die jüngste Freilassung eines Verdächtigen lässt zumindest Zweifel an der fehlerfreien Arbeit der »TF 47«, die zum militärischen Nachrichtendienst der Bundeswehr (MilNWBw) gehört, zu. Schlimmer noch. Mit diesem Nachrichtenwesen hat sich neben dem BND, dem Verfassungsschutz und dem MAD ein neuer Geheimdienst herausgebildet, der von keiner demokratischen Instanz kontrolliert wird. Er verletzt ungezügelt Gesetze und Vorschriften. So führen die Militär- Nachrichtendienstler – wie der BND – in Afghanistan Agenten und Zuträger, geben ihnen Anweisungen, klassifizieren deren Wert und bezahlen die Quellen und deren Zulieferer nach Leistung. Was deren »Eifer« zwar anstachelt, jedoch nicht unbedingt zur Wahrheit streben lässt.

Allein: Was dem BND geheimdienstlich erlaubt ist, ist der Bundeswehr strikt verboten. Doch da Militär und BND ebenso verbandelt sind wie deren Aufsichtsbehörden, also das Verteidigungsministerium und das Kanzleramt, hat die Zuwiderhandlung bislang kaum jemanden erregt.

* Aus: Neues Deutschland, 15. August 2011


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