Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

US-Aufmarsch bei Kundus

Von Gerd Schumann *

Nach der Afghanistan-Konferenz-Show von London am Donnerstag (28. Jan.), auf der angeblich »die internationale Gemeinschaft den Abzug« vorbereitete (apn), kehrte am Freitag der Alltag wieder ein: Der Krieg wird intensiviert. Bekannt wurde, daß die US-Besatzer ihre ersten Einheiten in die nördlichen Gebiete des Hindukusch-Landes verlegen. Wo bisher die deutsche Bundeswehr das Kommando hat, marschiert verstärkt die US-Armee auf. 5000 Infanteristen sollen es insgesamt werden, doppelt so viele wie bisher vermutet. Die ersten GIs seien bereits im deutschen »Camp Marmal« eingetroffen und sondierten »Infrastruktur und Logistik für das Hauptkontingent«, berichtete Spiegel online.

Der US-Coup, in dessen Folge auch die Befehlshoheit des deutschen Regionalkommandeurs in Frage gestellt werden wird, war bereits vor der Londoner Afghanistan-Konferenz bekannt. Dort hatten sich die etwa 70 vertretenen Staaten und Organisationen auf eine »Afghanisierung« des Kriegs verständigt. Demnach sollten innerhalb von zwei Jahren über 300000 einheimische Soldaten und Polizisten einsatzbereit sein – ausgebildet von den ausländischen Besatzern, darunter auch einige hundert deutsche. In der Provinz Kundus, wo die Bundeswehr ein Lager mit 1200 Soldaten eingerichtet hat, sollen Trainingscamps in derzeit noch von Taliban beherrschten Gebieten entstehen. Um sich gegen Angriffe von Aufständischen zu schützen, ist der Bau von Basen und Befestigungsanlagen vorgesehen.

Wie sich Washington als Führungszentrum im Afghanistan-Krieg zu dem Berliner Vorhaben verhalten wird, ist derzeit offen. Tatsache ist, daß das US- Lager bei Kundus viermal größer als das der BRD sein soll. Und: Mit demnächst über 100000 am Hindukusch stationierten Soldaten baut das Pentagon sein Übergewicht innerhalb der NATO-Kommandostrukturen weiter aus. Aus dem Hauptquartier des Bündnisses verlautete bereits, so Spiegel online, »daß die USA einen General in den Norden schicken werden, der ihre Einheiten befehligt«. Dazu gehören auch Kampfverbände, Pioniere und mehrere Spezialeinheiten »für die Taliban-Jagd«.

Diese betreibt im Moment die Bundeswehr. An einer Großoperation im Raum Kundus sind seit Mittwoch 470 deutsche und 120 afghanische Soldaten beteiligt. Ziel sei es, »die Bewegungsfreiheit der internationalen Truppen wiederherzustellen« (tagesschau.de). Allerdings geriet bei diesem Vorhaben am Freitag eine Gruppe in einen Hinterhalt. Die Deutschen standen unter Feuer von Panzerfäusten und Maschinengewehren, wobei ein Soldat schwer verletzt wurde. Er soll nach Deutschland ausgeflogen werden.

Dort gehen unterdessen die Planungen für die in London angekündigte Aufstockung des Bundeswehr-Kontingents um bis zu 850 auf 5350 Soldaten weiter. Das geschieht gegen den Willen des übergroßen Teils der Bevölkerung. Laut einer ZDF-Umfrage von Freitag sind etwa zwei Drittel der Befragten (65 Prozent) dagegen. Das entspricht ungefähr der generellen Ablehnung des deutschen Einsatzes in Afghanistan. Der Krieg wird trotzdem intensiviert, was sich nicht ganz einfach mit dem Abschlußdokument von London vereinbaren läßt. Darin hatten die 70 Staaten und Organisationen vollmundig den Beginn einer »neuen Phase« auf dem Weg zu »vollständiger afghanischer Verantwortung« konstatiert.

* Aus: junge Welt, 30. Januar 2010


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur Bundeswehr-Seite

Zurück zur Homepage