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Bombenanschlag auf Kundus-Gouverneur

Bester Freund der Bundeswehr getötet

Der Gouverneur der afghanischen Unruhe-Provinz Kundus, Mohammad Omar, und mindestens elf weitere Menschen sind am Freitag bei einem Bombenanschlag getötet worden.

Omars Sprecher Faizullah Tauhidi berichtete, die Bombe sei in einer Moschee in Taloqan, der Hauptstadt der benachbarten Provinz Tachar, explodiert, als der Gouverneur und weitere Gläubige dort beteten. Der Polizeichef von Tachar, Schah Jahan Nuri, sagte der Nachrichtenagentur Reuters unmittelbar nach dem Anschlag: »Die Lage ist chaotisch. Wir wissen nicht, ob es ein Selbstmordanschlag war oder ob die Bombe bereits in der Moschee versteckt war.«

Die Region gehört zum nördlichen ISAF-Sektor, in dem die Bundeswehr das Kommando innehat. Der getötete Gouverneur stammte aus Taloqan. Er hatte sich stets hinter die Operationen der Bundeswehr gestellt und ein härteres Vorgehen gefordert. Auch den Bombenangriff, den der deutsche Oberst Georg Klein vor gut einem Jahr befahl und bei dem vermutlich über 140 Afghanen umgebracht wurden, hat Mohammad Omar wiederholt gerechtfertigt: »Es war das Beste, was die Bundeswehr jemals in Kundus gemacht hat.« Immer wieder betonte Omar, es seien fast ausschließlich Taliban getötet worden. Das soll er auch in einem Brief an die Bundesregierung behauptet haben, um dann einigen Opfer-Familien kleine Dollar-Bündel in die Hand zu stecken. Deutsche Debatten um Entschädigungen fand er absurd. Noch absurder, dass danach an einige Familien 5000 Dollar gezahlt worden sind.

Omars radikale Einstellung hatte vermutlich auch sehr persönliche Ursachen. 2009 tötete ein Taliban-Kommando seinen Bruder. Der Gouverneur schwor Rache. Jede Operation gegen mutmaßliche Taliban fand seither seinen Beifall, vor allem die nächtlichen Kommandoaktionen der USA.

Der nördliche ISAF-Sektor besteht aus neun Provinzen. Hier leben rund zehn Millionen Einwohner. Anfang des Jahres waren dort rund 7500 ISAF-Soldaten stationiert, die USA verstärkten die westlichen Besatzungstruppen unlängst um rund 5000 luftbewegliche Soldaten. Der Sektor galt lange Zeit als relativ friedlich. In den vergangenen Jahren ist die Gewalt jedoch auch hier extrem angestiegen. Erst am Donnerstag war ein deutscher Soldat bei einem Selbstmordanschlag in der Provinz Baghlan ums Leben gekommen. Für ihn findet heute eine Trauerfeier statt. Anschließend soll der Tote nach Deutschland geflogen werden.

* Aus: Neues Deutschland, 9. Oktober 2010


Gouverneur von Kundus getötet

Afghanistan: Anschlag in Moschee. Trauerfeier für toten deutschen Soldaten **

Bei einem Anschlag in einer Moschee in Nordafghanistan ist der Gouverneur von Kundus getötet worden. 14 weitere Menschen kamen ums Leben, als am Freitag (8. Okt.) eine gewaltige Explosion das Gotteshaus in der Stadt Talukan in der Provinz Kundus erschütterte, wie der örtliche Polizeichef der Nachrichtenagentur AFP sagte. Zunächst bekannte sich niemand zu dem Anschlag. Unter den Toten war den Angaben zufolge auch der Imam der Moschee. Der Gouverneur von Kundus, Mohammed Omar, stammte aus der Provinz Tachar. Mohammed hatte immer wieder vor einem Machtzuwachs der Taliban in der Provinz gewarnt und militärische Verstärkung gefordert. Ein Sprecher der Provinzverwaltung bestätigte den Tod des Gouverneurs.

Für den am Donnerstag getöteten deutschen Soldaten findet am Samstag morgen in Kundus eine Trauerfeier statt. Anschließend soll die Leiche nach Deutschland geflogen werden, teilte der Leiter des Einsatzführungskommandos der Bundeswehr, Generalleutnant Rainer Glatz, in Berlin mit. Nach seinen Angaben wurden bei dem Anschlag und dem folgenden Feuergefecht in Baghlan insgesamt 14 Soldaten verwundet, die meisten seien leicht verletzt, und niemand schwebe in Lebensgefahr. Zunächst war von sechs Verletzten die Rede.

Der Anschlag auf die deutschen ISAF-Soldaten ereignete sich am Donnerstag um 13.50 Uhr Ortszeit nördlich des regionalen Wiederaufbauteams in Pol-e Khomri in der Provinz Baghlan. Die Soldaten hatten den Auftrag, eine Brücke an der Übergangsstelle bei Aka-Khel zu sichern. Der deutschen Einheit näherte sich ein Bauer, der vermeintlich um medizinische Hilfe bitten wollte. In die Nähe der Soldaten gelangt, zündete der Mann einen Sprengsatz am Körper. Die Explosion der mit Eisenkugeln gefüllten Sprengstoffweste war so stark, daß dabei die Türen und Fenster eines geschützten Fahrzeuges vom Typ »Dingo« durchschlagen wurden. »Einen solchen Vorfall hatten wir noch nicht«, sagte der Leiter des Einsatzführungskommandos in Berlin.

Ein Angriff von NATO-Kampfhubschraubern hat in Ostafghanistan sechs Milizionäre das Leben gekostet. Nach Angaben des stellvertretenden Polizeichefs der Provinz Chost haben Hunderte Dorfbewohner die Leichen zum Haus des Provinzgouverneurs getragen und gerufen »Lang leben die Taliban« und »Tod den Amerikanern«.

** Aus: junge Welt, 9. Oktober 2010


Vorbereitung aufs Morgen

Von René Heilig ***

Dass der Gouverneur von Kundus kaum eine Chance hatte, eines natürlichen Todes zu sterben, war klar. Zu deutlich hat er sich an die Seite der Fremden gestellt, die vor nunmehr neun Jahren angetan mit Rüstung und Waffen ins Land kamen. Es wird ein Nachfolger kommen und wenn er klug ist, dann managt er seinen Job jetzt so moderat, dass er ihn und sich in die neue Zeit retten kann.

Viel Widersprüchliches ereignet sich derzeit in Afghanistan. Die Kämpfe werden brutaler. Es werden wechselseitig weiter Offensiven vorgetragen, die dann beiden Seiten doch nur deutlich machen, dass ein militärischer Sieg unmöglich ist. Man dringt nächtens mordend in das jeweils feindliche Lager ein, um tagsüber miteinander über einen möglichen Frieden zu reden. Wer mit wem warum gegen wen – das ist undeutlicher denn je. Mit den zunehmenden Versuchen, unumkehrbare Tatsachen zu schaffen, deuten sich Chancen für ein Ende des Krieges an. Zumindest auf Seiten der afghanischen Politik, die aus dem Weißen Haus weniger denn je kontrolliert werden kann. Was unlängst noch in London über die Zukunft Afghanistans beredet wurde, ist kaum noch von Bedeutung. Wenn die NATO jetzt klug ist, dann nutzt sie die Chance, sich aus der selbst aufgestellten Falle zu befreien: Übergabe in Verantwortung lautet die Zauberformel eigenen Überlebens.

Ob das an den entscheidenden Stellen schon so begriffen wird? Jüngst erklärte Brigadegeneral Erich Vad, Übergabe in Verantwortung sei nicht gleichbedeutend mit dem Abzug der Bundeswehr. Vad hat direkten Zugang zu Merkel. Er ist im Kanzleramt für Sicherheitspolitik zuständig.

*** Aus: Neues Deutschland, 9. Oktober 2010 (Kommentar)


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