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Spirale der Gewalt

Afghanistan: Wieder ein Taliban-Führer "ausgeschaltet"

Von Peter Strutynski *

Am 19. Oktober 2012 wurden in der Nähe von Kundus drei von der NATO gesuchte Afghanen gefaßt. Sie stehen im Verdacht, am Karfreitag des Jahres 2010 einen Angriff auf die Bundeswehr unternommen zu haben, bei dem drei deutsche Soldaten getötet wurden. Bei einem der jetzt gefangengenommenen Aufständischen soll es sich um einen hochrangigen Taliban-Führer handeln, dem die Verantwortung für den Angriff von 2010 zugeschrieben wird. Entsprechend groß fiel der Jubel bei der Bundeswehr aus. Der Vorfall bringt aber zwei Probleme ans Licht, die aus der Afghanistan-Berichterstattung systematisch verdrängt werden. Einmal die Frage der gezielten Tötung – auch wenn diese Operation zu einer Gefangennahme führte: Sie hätte auch mit dem Tod der Aufständischen enden können. Und zum zweiten der Einsatz deutscher Spezialkräfte.

2008 wurde die Beteiligung der »Eliteeinheit« Kommando Spezialkräfte (KSK) im sogenannten Antiterrorkrieg »Enduring Freedom« offiziell beendet. Das Verteidigungsministerium räumte aber in der damaligen Debatte im Bundestag ein, daß das KSK durchaus Bestandteil des ISAF-Mandats bleibe. Eine konkrete Auskunft über die Anzahl der KSK-Soldaten oder über deren Aufgabengebiet wurde wie üblich verweigert. Das KSK »arbeite« grundsätzlich im verborgenen.

Im Zusammenhang mit dem vom deutschen Obersten Georg Klein befohlenen Angriff auf zwei Tanklaster bei Kundus am 4. September 2009, bei dem 142 afghanische Zivilpersonen getötet wurden, wurde bekannt, daß das KSK bei der Aktion mitmischte.

Kein Dementi

Die Bundesregierung leugnet beharrlich, daß KSK- oder andere Einheiten der Bundeswehr in Afghanistan an »gezielten Tötungsaktionen« beteiligt seien. Dies sei mit deutschem Recht nicht vereinbar. In einem Tagesspiegel-Interview sprach Brigadegeneral Josef Dieter Blotz 2010 allerdings davon, »daß Extremisten, deren Hauptbeschäftigung darin besteht, unsere Soldaten zu erschießen und in die Luft zu sprengen, verfolgt und bekämpft werden müssen«. Verfüge man über entsprechende Informationen, »wo solche Extremisten zu finden sind«, müsse versucht werden, »diese auszuschalten«. Dies sei, so der General wörtlich, »im wesentlichen die Aufgabe von Kräften, die speziell dafür ausgebildet, ausgerüstet und trainiert sind«. (Tagesspiegel online, 16.8.2010)

Josef Dieter Blotz war damals immerhin Sprecher von ISAF, wußte also, wovon er redete. Und er sagte auch, was die Bundesregierung in ihren Mandaten für Afghanistan immer ausklammert, daß die Zahl der Spezialkräfte 2009/2010 »ganz erheblich« erhöht worden sei. Das sei unbedingt erforderlich gewesen, denn: »Wir brauchen genau diese Spezialkräfte, um Taliban-Netzwerke effektiv ausschalten zu können.«

Aus dem Verteidigungsministerium gab es kein Dementi, auch keinen Rüffel für den forschen Brigadegeneral. Gezielte Tötungen gehören demnach zum Geschäft von KSK-Kämpfern. Im Juli 2012 bestätigte Minister Thomas de Maizière (CDU) diese Praxis indirekt. Bei einem – überraschenden – Besuch in der südafghanischen Stadt Kandahar zeigte er sich zufrieden über die Lektionen, die Bundeswehr-Angehörige im Einsatz gelernt hätten. Der »Ruf der deutschen Soldaten«, so heißt es in einer Pressemitteilung des Ministeriums, habe sich in den letzten Jahren geändert. De Maizière wird darin folgendermaßen zitiert: »Bis 2009 gab es tatsächlich den Eindruck, wir machen es uns im Norden bequem. Aber das ist inzwischen anders. Die deutschen Soldaten haben bewiesen, daß sie kämpfen können.« Die »Elitetruppen« der Bundeswehr haben ihre Anschlußfähigkeit an die Killerqualitäten der US-amerikanischen oder britischen Spezialeinheiten, die für den Süden Afghanistans zuständig sind, unter Beweis gestellt. Ja, Afghanistan ist geradezu das ideale Manövergelände für die lernwillige Bundeswehr. De Maizière resümiert seine Erfahrungen aus Kandahar mit folgenden Worten: »Die Zusammenarbeit, die wir hier zwischen den Partnern erleben, ist NATO vom Feinsten. Das ist eine Erfahrung für das Bündnis, die kein Training je ersetzen könnte. Das wird auch bleiben, egal, was aus Afghanistan wird.« (Website des Verteidigungsministeriums, 25.7.2012)

KSK im Einsatz

Für den ehemaligen KSK-Kommandeur Hans-Heinrich Dieter ist die Sache ohnehin klar: Auf die Frage, ob »gezielte Tötungen« denn zu dem gehörten, was der Bundeswehr erlaubt sei, antwortete er: »Nach meiner Überzeugung ist eine ergänzende Gesetzgebung nicht erforderlich, um zum Beispiel in Afghanistan auch deutsche Spezialkräfte auf der Grundlage des UN-Mandates im vollen Spektrum der NATO-Planungen einsetzen zu können.« Oder noch deutlicher: »Auf der Grundlage dieses Mandates (ISAF, P.S.) sind an sich auch offensive Operationen nach allen Regeln militärischer Kunst gegen Aufständische möglich und legitim. Und das schließt aus meiner festen Überzeugung gezielte Tötungen ein.« (zit. nach NDR-Info »Streitkräfte und Strategien«, 11.9.2010)

Wohlgemerkt: Wenn hier von »gezielten Tötungen« die Rede ist, sind damit nicht gezielte Angriffe auf bewaffnete Gegner in Gefechtssituationen gemeint. Die sind rechtlich nicht zu beanstanden, da es sich hier nicht um Zivilpersonen, sondern um »Kombattanten« handelt. Statt dessen ist dann die Rede von Angriffen auf unbewaffnete und nicht an konkreten Kämpfen beteiligte Menschen, die aber auf der langen NATO-Liste gesuchter »Terroristen« (alle Gegner der Alliierten in Afghanistan sind »Terroristen« oder »Taliban« oder »Extremisten«) vermerkt sind. Die Liste trägt den Namen »Joint Priority Effects List«.

Ein zweites Problem ist der Einsatz von Spezialkräften im Rahmen des ISAF-Mandats selbst. In den ersten Jahren des Afghanistan-Kriegs – der damals ja noch nicht »Krieg« genannt werden durfte – hatte das vom Bundestag beschlossene Mandat ausdrücklich auch die Möglichkeit vorgesehen, eine Einheit der KSK nach Afghanistan zu schicken. Ab 2008 befinden sich keine KSK-Soldaten mehr auf der Liste der zu entsendenden Einheiten – jedenfalls was das Mandat »Operation Enduring Freedom« (OEF) betrifft. Aus dieser Operation hat sich Deutschland 2011 ganz herausgezogen. Im laufenden ISAF-Mandat sind die Aufgaben der Bundeswehr beschrieben: Sie reichen von der »Ausbildungs- und Ausrüstungsunterstützung« über »Stabilisierung, Sicherung, Schutz und gegebenenfalls Evakuierung« und die »logistische Unterstützung« oder die »Aufklärung und Überwachung« bis zur »zivil-militärischen Zusammenarbeit einschließlich humanitärer Hilfs- und Unterstützungsdienste«. (Bundestags-Drucksache 17/8166 vom 14.12.2011)

Aus dieser Aufgabenbeschreibung ist nicht ersichtlich, wozu KSK-Kämpfer in Afghanistan überhaupt nützlich sein sollten. Sie sind aber im Einsatz. Über Einzelheiten schweigt sich das Verteidigungsministerium aus – man wolle dem Gegner ja keine Informationen preisgeben, aus denen er Rückschlüsse auf Einsatzgebiet und -art ziehen könnte, heißt es regelmäßig bei entsprechenden Anfragen von Journalisten. Bekannt geworden ist die Anwesenheit von Offizieren der »Task Force 47« bei der Entscheidung von Oberst Klein, den Angriff auf die Tanklaster bei Kundus 2009 zu befehlen. Die Spezialeinheit setzt sich zusammen aus »normalen« Bundeswehrsoldaten sowie Angehörigen des KSK und des deutschen Auslandsgeheimdienstes BND, wie die Linke-Bundestagsabgeordnete Inge Höger, Berichterstatterin des Kundus-Untersuchungsausschusses, feststellte.

Perspektivenwechsel

Irgendwie schließt sich hier ein Kreislauf von Aktion-Reaktion-Aktion. Im September 2009 sind in der Nähe von Kundus 142 Afghanen getötet worden: Auftraggeber der Aktion war ein deutscher Oberst, der sich zuvor mit KSK-Offizieren beraten hatte. Am Karfreitag 2010 wurden drei deutsche Soldaten getötet und acht zum Teil schwer verletzt bei einem Angriff Aufständischer, der mutmaßlich von dem »Taliban-Führer« Mullah Rahman angeführt wurde. Im Oktober 2012 wird eben dieser Mullah Rahman in einer Militäraktion afghanischer Sicherheitskräfte, die von deutschen ISAF-Soldaten unterstützt wurden, gefangengenommen (der Hinweis auf seinen Aufenthalt soll vom BND stammen, so dessen Chef Gerhard Schindler). Derselbe Mullah Rahman hatte sich im Herbst 2009 gerühmt, für die Entführung der beiden Tanklastzüge verantwortlich gewesen zu sein, deren »Rückeroberung« durch Oberst Klein in dem bekannten Massaker von Kundus endete.

Man stelle sich nur einmal vor, der Verantwortliche für das Kundus-Massaker, Oberst Klein (seine Beförderung zum General wurde im August 2012 angekündigt), fiele in einer geheimen Operation den Taliban in die Hände oder wäre Ziel eines Terroranschlags. Aus Sicht der »Terroristen« wäre das eine ebenso legitime Kriegshandlung wie das, was mit Mullah Rahman geschehen ist. Im einen Fall allerdings wird ein Terrorist gefangengenommen, auf daß er seiner gerechten Strafe zugeführt werde; im anderen Fall handelt es sich um einen verabscheuungswürdigen Terrorakt. Nach diesem Muster wird der Krieg in Afghanistan aber noch lange weiter gehen.

* Peter Strutynski ist Sprecher des Bundesausschusses Friedensratschlag

Aus: junge Welt, Montag, 29. Oktober 2012


KSK: Geheimtruppe der Bundeswehr

Das Kommando Spezialkräfte (KSK) der Bundeswehr nahm am 20. September 1996 offiziell seinen Dienst in der Graf-Zeppelin-Kaserne in Calw auf. Gebildet wurde die Eliteeinheit des Heeres nach dem Vorbild des britischen Special Air Service (SAS), aber auch der US Special Operations Forces sowie der GSG 9 der Bundespolizei. Ihr Auftrag – »einsatzbereit, jederzeit, weltweit« – ist nach Selbstdarstellung der Bundeswehr z.B. die »ständige Bereitschaft zur Rettung von bedrohten bzw. gefangenen deutschen Staatsbürgern im Ausland oder die Festsetzung von Kriegsverbrechern in Krisengebieten«. Weiter heißt es: »Alle Einsatzaufgaben sind dabei weltweit und unter allen klimatischen Bedingungen wahrzunehmen.«

Das KSK wurde u.a. zur Verfolgung von »Kriegsverbrechern« im ehemaligen Jugoslawien sowie seit 2001 im Rahmen der Operation Enduring Freedom in Afghanistan eingesetzt. Mit dem Mandat des Deutschen Bundestages wurden von 2001 bis 2008 deutsche Spezialkräfte (Obergrenze: 100 Soldaten) bereitgestellt, die in ganz Afghanistan eingesetzt werden konnten. Dieser Auftrag wurde am 13. November 2008 vom Bundestag wieder gestrichen.

Alle Operationen der Elitetruppe unterliegen strengster militärischer Geheimhaltung. Auch nach den jeweiligen Einsätzen werden keine Details über Verluste oder Erfolge vermeldet. Kritik an dieser Geheimhaltungs­praxis wurde u. a. im Bundestag und von seiten der Friedensbewegung geübt. So lehnte die Tübinger Informationsstelle Militarisierung e.V. (IMI), die als Reaktion auf die Aufstellung des KSK am selben Tag gegründet wurde, das KSK als »undemokratisch« ab und stufte es als Instrument für »weltweite deutsche Machtpolitik« ein.

Eine öffentliche Debatte lösten Äußerungen von Reinhard Günzel, von 2000 bis 2003 Kommandeur des KSK, aus, der die Truppe in seinem Buch »Geheime Krieger« in die Tradition der Spezialeinheit »Division Brandenburg« der Naziwehrmacht stellte. Günzel wurde später von Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) von seiner Leitungsaufgabe entbunden, nachdem er sich in einem offenen Brief mit dem Exbundestagsabgeordneten der CDU Martin Hohmann solidarisiert hatte. Dieser hatte in einer Rede geäußert, man könne »Juden mit einiger Berechtigung als ›Tätervolk‹ bezeichnen«. (jW)




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