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"Unangemessen entsorgt"

Vorwurf der Koranschändung gegen US-Truppen / Tausende Afghanen protestieren *

Die vermutliche Verbrennung von Koran-Exemplaren durch US-amerikanische Soldaten in Afghanistan hat am Dienstag (21. Feb.) Proteste ausgelöst.

Vor dem US-Stützpunkt in Bagram versammelten sich mehrere tausende afghanische Demonstranten, die »Tod den Amerikanern« skandierten. Die Internationale Truppe ISAF räumte ein, dass Soldaten in Bagram muslimische Schriften wie den Koran »unangemessen entsorgt« hätten. ISAF-Kommandeur John Allen entschuldigte sich und betonte, die Soldaten hätten nicht vorsätzlich gehandelt.

Die Sprecherin der Regierung der Provinz Parwan, Roschana Chalid, sagte, auf der US-Basis arbeitende Afghanen hätten angebrannte Koran-Exemplare von dort mitgebracht. Bei anschließenden Protesten hätten Sicherheitskräfte mit Warnschüssen versucht, die Menge aufzulösen. Ein Teilnehmer an den Protesten namens Sami Ullah erklärte, ein Demonstrant sei von Soldaten angeschossen worden. Die Behörden bestätigten das nicht. Muslimen gilt die Verbrennung sowie jede andere Schändung des Korans als Todsünde.

ISAF-Kommandeur Allen versprach, ein solcher Fall werde nicht erneut vorkomme. »Das sichergestellte Material wird ordnungsgemäß durch die entsprechenden religiösen Obrigkeiten gehandhabt werden.« Die ISAF machte keine Angaben, warum religiöse Schriften wie der Koran auf der Basis lagerten. Allerdings unterhalten die US-Truppen in Bagram ein umstrittenes Gefängnis. Häftlingen wird dort der Koran zur Verfügung gestellt.

Letzte Meldungen:

Bei neuen Protesten gegen die Verbrennung von Koran-Ausgaben auf dem US-Stützpunkt Bagram in Afghanistan sind mindestens acht Demonstranten getötet worden. Dutzende weitere wurden bei den Ausschreitungen in verschiedenen Landesteilen verletzt, wie die Behörden mitteilten.
Im Bezirk Schinwar in der Provinz Parwan nördlich von Kabul starben sechs Menschen, wie eine Sprecherin der Provinzbehörden der Nachrichtenagentur AFP sagte. Bei Zusammenstößen mit der Polizei seien 13 weitere Menschen verletzt worden. Die Demonstranten hätten die Beamten mit Steinen beworfen. Jeweils einen weiteren Toten gab es nach Angaben des Gesundheitsministeriums in der Hauptstadt Kabul und in der ostafghanischen Stadt Dschalalabad.
In Kabul setzten wütende Demonstranten nach Angaben der Polizei Fahrzeuge in Brand und griffen Geschäfte an, hunderte Afghanen lieferten sich Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften. Dabei wurde auch auf die Demonstranten geschossen. Vor dem US-Stützpunkt Camp Phoenix in Kabul warfen Demonstranten mit Steinen, die Soldaten schossen daraufhin in die Luft, wie ein AFP-Fotograf berichtete. Von brennenden Autoreifen stieg schwarzer Rauch auf.
"Tod Amerika", riefen die Demonstranten in verschiedenen Teilen des Landes. In Dschalalabad setzten Studenten ein Bild von US-Präsident Barack Obama in Brand. Die US-Botschaft in Kabul riegelte das Botschaftsgebäude nach eigenen Angaben ab und untersagte den Mitarbeitern das Verlassen des Gebäudes.

(Nachrichtenagentur AFP, 22.02.2012)



Im vergangenen Frühjahr waren in Afghanistan bei tagelangen Protesten gegen die Koran-Verbrennung durch einen US-Prediger 23 Menschen ums Leben gekommen, darunter sieben ausländische UN-Mitarbeiter. 2005 hatte ein später zurückgezogener Medienbericht über eine angebliche Schändung des Korans im US-Gefangenenlager Guantanamo schwere Proteste ausgelöst. Bei Unruhen waren damals in Afghanistan und Pakistan insgesamt 17 Menschen gestorben.

Taliban-Kämpfer haben nach Angaben der Behörden in der südafghanischen Provinz Helmand vier Zivilisten enthauptet. Die Aufständischen hätten den Opfern fälschlicherweise vorgeworfen, für die Regierung und die internationalen Truppen zu spionieren, teilte Helmands Provinzregierung am Dienstag mit. »Diese Menschen hatten keine Verbindung zur Regierung und waren Zivilisten und Unschuldige.« Sie seien in der Nacht zu Montag im Distrikt Waschir ermordet worden.

* Aus: neues deutschland, 22. Februar 2012


Schändung

Von Olaf Standke **

Es ist nicht der erste Skandal dieser Art. Zuletzt machte ein Video Schlagzeilen, auf dem zu sehen ist, wie US-Marineinfanteristen in Kampfanzügen lachend auf tote Taliban urinieren. Und nun sollen auf dem Militärstützpunkt Bagram Koran-Exemplare verbrannt worden sein. Hunderte wütender Demonstranten haben am Dienstag (21. Feb.) vor der US-Basis gegen diese Schändung protestiert. Die Schrift gilt den Muslimen als heilig, jede Entweihung als Todsünde. Der NATO-Oberbefehlshaber am Hindukusch bemühte sich, die Wogen der Entrüstung mit dem Hinweis zu glätten, niemand habe aus Vorsatz den Koran oder andere religiöse Schriften unangemessen behandelt.

Doch ob nun Dummheit oder bewusste Provokation, Vorfälle wie der in Bagram ziehen sich wie ein roter Faden durch die Feldzüge und Besatzungen in Irak und Afghanistan. Der Skandal um das berüchtigte Foltergefängnis Abu Ghraib unweit von Bagdad mit Missbrauch und Demütigung perfidester Art steht da wie das Gefangenenlager Guantanamo für eine Deformation in Denken und Tun, für die die Politik in Washington mit ihrem rechtsstaatliche Regeln eliminierenden »Anti-Terrorkrieg« verheerende Grundlagen gelegt hat. Auch in den USA selbst, wo Muslime nach den Anschlägen von 2001 unter Generalverdacht gestellt wurden und etwa ein Prediger in Florida im Vorjahr öffentlich einen Koran verbrannte. In Bagram übrigens unterhalten die USA ein Lager mit rund 3000 Gefangenen, das wegen Folter- und Missbrauchsvorwürfen als »schwarzes Gefängnis« und »afghanisches Guantanamo« bezeichnet wird.

** Aus: neues deutschland, 22. Februar 2012 (Kommentar)

Blutige Proteste gegen die Koran-Verbrennung
Afghanistan in Aufruhr / US-Prediger Jones: Bin nicht verantwortlich (4. April 2011)




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