Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Blutige Proteste gegen die Koran-Verbrennung

Afghanistan in Aufruhr / US-Prediger Jones: Bin nicht verantwortlich *

Die Welle der gewalttätigen Proteste in Afghanistan gegen die Koran-Verbrennung in den USA vor zwei Wochen hat am Wochenende angehalten. Mindestens zwölf Menschen starben bei Demonstrationen in der südlichen Provinz Kandahar durch Steine und Schüsse. Der US-Pastor Terry Jones, der die Koran-Verbrennung geleitet hatte, sagte, er fühle sich nicht für die Vorfälle verantwortlich.

In Afghanistan halten die Proteste gegen eine Koranverbrennung in den USA an. Bei schweren Zusammenstößen zwischen Demonstranten und Sicherheitskräften in der südafghanischen Stadt Kandahar kamen am Samstag (2. April) nach offiziellen Angaben mindestens zwölf Menschen ums Leben. Mehr als 80 weitere wurden verletzt. Proteste am Sonntag verliefen nach Behördenangaben dagegen weitgehend friedlich. Nur vereinzelt seien Polizisten mit Steinen beworfen worden, hieß es.

Auslöser der Proteste war der radikale Prediger Terry Jones im US-Staat Florida. Er hatte nach Angaben der »New York Times« am 20. März einen Koran in seiner Gemeinde verbrannt. Dies war zunächst weitgehend unbemerkt geblieben, da US-Medien sehr zurückhaltend darüber berichtet hatten. Jones hatte im Vorjahr weltweit für Aufsehen gesorgt, als er den Koran am Jahrestag der Terroranschläge vom 11. September verbrennen wollte.

US-Präsident Barack Obama verurteilte unterdessen die Koranverbrennung und die Racheakte in Afghanistan. Laut einer Mitteilung des Weißen Hauses vom Samstag (2. April) erklärte er: »Die Schändung jedes heiligen Textes, einschließlich des Korans, ist ein Akt extremer Intoleranz und Bigotterie«. Jedoch sei es auch schändlich, als Antwort darauf unschuldige Menschen anzugreifen und zu töten. Keine Religion toleriere das Abschlachten und Enthaupten unschuldiger Menschen, sagte Obama. Dafür gebe es keine Rechtfertigung.

Jones wies jede Verantwortung für die blutigen Reaktionen zurück. »Wir wollten das Bewusstsein für diese gefährliche Religion schärfen«, sagte der Prediger dem US-Sender ABC. Für die tödliche Attacke auf das UN-Büro in Masar-i-Scharif »fühlen wir uns nicht verantwortlich«. Der Angriff »zeigt, dass es ein radikales Element im Islam gibt«. Bei der Verbrennung des heiligen Buches der Muslime habe es sich um einen »Gerichtsprozess« gegen den Koran gehandelt, bei dem die Schrift »schuldig« befunden worden sei.

In der südafghanischen Stadt Kandahar protestierten am Samstag (2. April) mehr als 2000 Menschen gegen die Koranverbrennung. Die Polizei hatte zunächst mit Schüssen in die Luft versucht, die Menge unter Kontrolle zu bringen. Die Menge bewarf daraufhin die Sicherheitskräfte mit Steinen, wie ein Sprecher der Regionalregierung mitteilte. Nach Ansicht der afghanischen Behörden seien die Menschen aufgewiegelt worden. »Das waren keine Demonstranten, das waren Opportunisten, die Schaufenster zertrümmert und Autos in Brand gesteckt haben«, sagte Ahmad Wali Karsai, Chef des Provinzrates von Kandahar und Bruder von Staatschef Hamid Karsai. Auch eine Mädchenschule sei in Flammen aufgegangen.

Eine wütende Menschenmenge hatte am Freitag (1. April) das UN-Büro in der Stadt Masar-i-Scharif gestürmt. Dabei starben sieben ausländische UN-Helfer, unter ihnen eine norwegische Pilotin und ein schwedischer Jurist. Der russische Büroleiter wurde verletzt, wie aus der Botschaft Russlands in Kabul verlautete. Auch fünf Angreifer kamen bei dem Überfall ums Leben. Wie ein Vertreter der afghanischen Polizei mitteilte, wurden einige der UN-Mitarbeiter enthauptet. Der UN-Sicherheitsrat verurteilte den Überfall und forderte von der afghanischen Regierung eine lückenlose Aufklärung.

* Aus: Neues Deutschland, 4. April 2011


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur Islam-Seite

Zurück zur Homepage