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Die Reifeprüfung rückt näher

Eskalation des militärischen Engagements: Man vergisst gern, dass in Afghanistan ein Weltkrieg eingeübt wird

Von Michael Jäger *

So groß war der Druck auf die Bundesregierung selten, ohne Wenn und Aber in den afghanischen Krieg einzusteigen. US-Verteidigungsminister Gates argumentiert, in der NATO hätten alle Mitglieder gleiche Rechte und gleiche Pflichten, das gelte auch am Hindukusch. Wie der deutsche Tornado-Einsatz zeigt, wurden bisher derartige Appelle an die Bündnissolidarität stets befolgt.

Indem die Bundesregierung dem Verlangen zustimmt, der von ihr geführten ISAF-Mission mit einer Schnellen Eingreiftruppe auszuhelfen, hat sie sich erneut etwas tiefer in den afghanischen Krieg verwickelt. Dass sie im gleichen Atemzug der Forderung widerspricht, sich am Krieg im Süden stärker zu beteilen, steht dazu nicht im Gegensatz.

Die Schnelle Eingreiftruppe bewegt sich zwar formell im Rahmen des schon bisher von der Bundeswehr übernommenen Auftrags. Die Aufbau-Unterstützung, die die ISAF leisten soll, müsse notfalls auch militärisch gesichert werden, hieß es ja von Anfang an. Zuletzt hatten die Norweger die Eingreiftruppe gestellt; dass es jetzt die Deutschen tun sollen, scheint schon deshalb nicht unlogisch, weil der Regionalkommandeur Nord, der über den Einsatz befehlen würde, derzeit ein deutscher General ist. Und von irgendwo, fügt man hinzu, müsse die Truppe schließlich kommen. Das ist richtig, ruft aber etwas in Erinnerung: ISAF ist eben nicht bloß "Aufbauhilfe", wie man hierzulande behauptet, um unsere Nerven zu beruhigen, sondern eine Militäroperation. Wenn es Aufbauarbeit wäre, hätte Deutschland Lehrer, Straßenbau-Unternehmer, auch Polizeiausbilder entsandt, wie in den Irak. Tatsächlich sind Soldaten gekommen. Mit einer deutschen Eingreiftruppe wird das wieder ein Stück deutlicher.

Natürlich möchte man gern, dass etwas für Afghanistans Schulen und Straßen getan werde. Man fragt sich besorgt, wie der Aufbau weitergehen soll, wenn die Soldaten der NATO das Land verlassen würden. Das ist ein Dilemma, aber kein unbekanntes. Es ist die Konfusion des Kolonialismus. Der hatte immer diese Seite, besetzte Regionen mit den Segnungen westlicher Zivilisation zu beglücken. Immer wurde behauptet, Zivilisations-Export sei überhaupt der einzige Grund, weshalb man sich militärisch abquäle. So war es aber nicht. Und es stimmt auch nicht für Afghanistan, vielmehr wird dort der Weltkrieg "gegen den Terror" eingeübt. Als der damalige Bundesverteidigungsminister Struck sagte, Deutschland werde "auch am Hindukusch verteidigt", was konnten wir daraus lernen? Diese Äußerung zeigte klar, dass es nicht primär um Aufbauarbeit gehen würde. Struck hatte von einem Krieg gesprochen. Die Frage, die sich heute stellt, ist daher nicht, wie sich Deutschland, wenn es eine Schnelle Eingreiftruppe entsendet, in die ISAF-Mission fügt, sondern wie es durch diesen Schritt seine Beteiligung am Krieg steigert - und um die Hauptfrage nicht zu vergessen: was das überhaupt für ein Krieg ist.

Selbst Karzai klagt

Nach dem 11. September 2001 hieß es, die Ausbildungslager von al-Qaida müssten beseitigt werden. Da die Taliban-Regierung dazu nicht bereit war, wurde sie selber bekämpft. Die NATO hatte so weit noch mit einem klassischen Kriegsgrund argumentiert. Doch im selben Moment war auch schon George Bushs Marschlinie im Spiel. "Unser Krieg gegen den Terror beginnt mit der al-Qaida, aber er wird dort nicht enden", erklärte der US-Präsident, "er wird nicht zu Ende sein, ehe jede weltweit tätige Terrorgruppe aufgespürt, gestoppt und besiegt worden ist". Eine neuartige Weltkriegsstrategie - was war ihr Klartext? Im Kleingedruckten lasen wir, dass die ihrem Wesen nach uferlose, daher imaginäre Bekämpfung "jeden" Terrors als Kriegsgrund gegen alle Staaten hinreiche, die man der Unterstützung des Terrors beschuldige. Mit dieser Klausel war die ganze Welt einer US-amerikanischen Polizei ausgeliefert. Bush hätte ebenso gut sagen können, es gelte die Kriminalität ein für alle Mal auszurotten und daher jeden Staat zu zerschlagen, der unter seinen Bürgern Verbrecher dulde.

Er hat seine Linie seither unablässig verfolgt. Das letzte Ergebnis ist die aktuelle Bedrohung Irans mittels der Behauptung, das Land sei eine Zentrale weltweiten Terrors. Das erste Ergebnis war aber eben der Krieg in Afghanistan, der bald aufhörte, eine Aktion gegen Terrorausbildungslager zu sein. Heute beklagt sich selbst der von den USA eingesetzte Präsident Karzai über den afghanischen Krieg: Mit der etwas dunklen Unterscheidung, "nicht hier" auf sein Land, sondern auf die Zufluchtstätten des Terrors müsse der Krieg konzentriert werden, zielt er letztlich auf jene Generalrechtfertigung Bushs für Kriege in aller Welt. Doch Karzais Stimme zählt nicht. Entscheidend sind die Lehren, die von den NATO-Verbündeten aus dem afghanischen Krieg gezogen werden. Und da gelingt es Bush gut, seine Strategie durchzusetzen. Während die Verbündeten noch heftig widerstreben, wenn es um die Anwendung auf Iran und Irak geht, lassen sie sich in Afghanistan schon einmal Stück für Stück überzeugen. Dort verfügen die USA geradezu über einen Lehrplan, der darauf gerichtet ist, die Partner vom "Schutz des Aufbaus" zum heißen Terrorkrieg überzuleiten, "von der Mission ISAF im Norden zur Mission OEF im Süden", wie es in der Sprache der "Mandate" und der Geographie öffentlich formuliert wird. (OEF: "Operation Enduring Freedom".)

Mit oder ohne Willen?

Man sieht die deutsche Lernfähigkeit schon länger. Es braucht hier nur an zwei Einschnitte erinnert zu werden, erstens die 2003 beschlossenen Verteidigungspolitischen Richtlinien und zweitens den Einsatz von Tornado-Flugzeugen seit 2007. Die Richtlinien waren es, die Struck mit den Worten vorstellte, Deutschland müsse auch am Hindukusch verteidigt werden. Zwar machten sie sich Bushs Angriffspläne gegen viele Staaten noch nicht zu eigen, distanzierten sich vielmehr von der US-Doktrin der präventiven Kriegführung. Doch stimmten sie mit dem Satz "Verteidigung lässt sich geographisch nicht mehr begrenzen" bereits der logischen Grundlage dieser Doktrin zu. Der Tornado-Einsatz war als dauerhafte faktische Kriegsbeteiligung der erste deutliche Schritt über den "Schutz des Aufbaus" hinaus. Es ist bekannt, dass durch die Aufklärung, die diese Flugzeuge leisten, die Kriegführung der USA erleichtert wird: Zwar heißt es, sie sei dazu nicht gedacht, doch führt die Verflechtung von ISAF und OEF dazu, dass es mit oder ohne Willen zu diesem Ergebnis kommt.

Mit oder ohne Willen? Man muss die Rollen von SPD und Unionsparteien unterscheiden. Während diese seit jeher das Ziel verfolgen, Deutschland immer "kriegsfähiger" zu machen, üben jene sich ebenso traditionell im hinhaltenden Widerstand. Die Resultante sind jedoch klar: Neue Schritte in den Krieg hinein werden in der Form "das nicht, sondern nur so viel" kommuniziert. Das heißt, sie werden ideologisch verhüllt. Mit der Schnellen Eingreiftruppe - deutschen Soldaten immerhin, deren Aufgabe eindeutig nur der militärische Kampf ist, wenn auch noch im Rahmen der ISAF - hat man sich nicht lange aufgehalten. Nein, man wirft sich in die Brust und verkündet tagelang, dass Deutschland der Forderung der USA nicht nachkomme, Soldaten in den Süden zu entsenden. Dann aber melden sich erste Stimmen (der rechte Sozialdemokrat Klose, der Ex-Generalinspekteur Naumann, der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Siebert), die für einen Einsatz im Süden plädieren oder ihn nicht ausschließen wollen. Alle anderen widersprechen wütend... Und was wird der nächste Schritt sein? Seine "Reifeprüfung" hat Deutschland noch längst nicht erreicht.

* Aus: Freitag 06, 8. Februar 2008


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