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ISAF-Dilemma am Hindukusch

Britische Debatte über Vorgehen in Afghanistan

Von Mattes Standke, Bradford *

Während die NATO die Ausdehnung ihres Afghanistan-Einsatzes auf das ganze Land beschlossen hat, verkünden britische Kommandeure im umkämpften Süden bereits die Niederlage der Taliban. Zu unrecht, warnen Experten und Frontsoldaten.

Einheiten der internationalen Stabilisierungstruppe für Afghanistan (ISAF) hätten den zuletzt wieder erstarkten Taliban-Kämpfern im Süden des Landes eine »taktische Niederlage« bereitet, erklärte jetzt der Oberbefehlshaber des britischen ISAF-Kontingents Ed Butler. Dabei seien den Aufständischen nach zweimonatigen schweren Gefechten in der Provinz Helmand erhebliche Verluste zugefügt worden, »Wir konnten eine Reihe ihrer Anführer töten. Ich denke, wir haben gewonnen«, sagte Butler.

Doch Frontoffiziere und Sicherheitsexperten wollen nicht recht an diesen »Sieg« glauben. Der Fernsehsender »Sky News« etwa veröffentlichte die wütende E-Mail eines Majors des britischen Fallschirmjäger-Regiments aus Helmand. Darin beschrieb dieser die verlustreichen Kämpfe der vergangenen Wochen und kritisierte die schlecht koordinierte Luftunterstützung. Zudem seien Moral und Versorgung der Truppen mitunter sehr schlecht. »Es sind viele Tränen geflossen«, klagte Major James Loden. Im Gefolge der schwersten Kämpfe seit der landesweiten Entmachtung der radikal-islamischen Taliban Ende 2001 waren bei den unerwartet heftigen Auseinandersetzungen der vergangenen drei Monate 33 britische Soldaten ums Leben gekommen.

Die Provinzen Helmand und Kandahar zählen zu den politisch instabilsten Regionen des Landes. Dort haben sich die Taliban seit Anfang dieses Jahres neu gruppiert und attackieren seither fast täglich Einheiten von ISAF und NATO. Neben rund 4000 Briten sind im Süden auch Niederländer und Kanadier sowie tausende USA-Soldaten stationiert. NATO-Angaben zufolge sollen bei Luftschlägen und Feuergefechten allein in diesem Monat bis zu 1500 Aufständische getötet worden sein. Fast 15 000 Menschen seien in Helmand und Kandahar auf der Flucht. Trotz eines millionenschweren Sofort-Budgets konnten die überlasteten ISAF-Soldaten dort ihrer ursprünglichen Aufgabe, der Sicherung und Unterstützung von international geförderten Wiederaufbaumaßnahmen, bisweilen nicht nachkommen.

Zudem stürzen Korruption und Drogenanbau die internationale Schutztruppe in ein gefährliches Dilemma. Das völlig verarmte Helmand gilt als Afghanistans größtes Anbaugebiet für Mohn, den Grundstoff für die Herstellung von Heroin. In einem jetzt veröffentlichten UNO-Report heißt es dazu, im Vergleich zum Vorjahr habe sich der Anbau in Helmand verdreifacht. Gegen die Bauern vorgehen aber hieße, sie den Taliban in die Arme zu treiben, warnte Großbritanniens Verteidigungsminister Des Browne: »Wenn wir die Menschen nicht überzeugen können, ihre Waffen niederzulegen, werden wir kaum vorankommen. Noch mehr Tote aber könnten die Lage in einen noch schwereren Konflikt eskalieren lassen«, sagte Browne in London. Um die Taliban zu schwächen, müsse aber nicht nur der Wiederaufbau Afghanistans schnellstmöglich vorangetrieben werden, meint Prof. Shaun Gregory, Leiter der Fakultät für Friedensforschung an der Universität Bradford. Ebenso wichtig sei die Stärkung demokratischer Kräfte im benachbarten Pakistan. »Es ist kein Geheimnis, dass Minister der Militärdiktatur und Geheimdienstoffiziere trotz ihres Bündnisses mit dem Westen den Taliban Unterschlupf und andere Unterstützung gewähren. Pakistan spielt ein doppeltes Spiel«, so Gregory gegenüber ND. Solange es nicht gelinge, diese Verbindungen zu kappen, sei ein Ende der Gewalt in Afghanistan nicht abzusehen.

* Aus: Neues Deutschland, 30. September 2006

Aus einem SPIEGEL-Online-Bericht vom 30. September 2006:

Wie der SPIEGEL nach einer Nato-Ministertagung im slowenischen Portoroz erfuhr, flogen deutsche Hubschrauber und "Transall"-Transporter bereits zahlreiche Unterstützungsmissionen für die Alliierten, die im Süden in blutige Kämpfe mit den Taliban verwickelt sind.
Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums bestätigte, dass die Bundeswehr logistische und medizinische Unterstützung im Süden leistet. (...) Allein die "Transall"-Maschinen haben in diesem Jahr bereits an die 60 Flüge absolviert. Mitgezählt sind dabei allerdings auch Transporte in den ruhigeren Westen des Landes, wo Italien das Kommando hat.
(...) Der bisher geheim gehaltene Beistand ist von dem Mandat gedeckt, das der Bundestag vergangene Woche um ein Jahr verlängert hat. Demnach dürfen deutsche Soldaten aus dem Norden "zeitlich begrenzt" auch in anderen Landesteilen aushelfen.

Aus einem Bericht der Nachrichtenagentur AP vom 1. Oktober

(...) Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung will einem Bericht der "Bild"-Zeitung zufolge mehr Licht in die streng geheimen Einsätze deutscher Elitesoldaten bringen. Die Zeitung zitierte den außenpolitischen Sprecher der CDU, Eckart von Klaeden, mit den Worten, der Verteidigungsminister habe zugesagt, "dass für den Fall eines KSK-Einsatzes in Afghanistan die Obleute des Auswärtigen Ausschusses unverzüglich unterrichtet werden".
Für den Osten Afghanistans sind bislang allein die USA zuständig. In nächster Zeit soll aber auch dort die NATO das Kommando übernehmen. Ein genaues Datum steht noch nicht fest. Wie am Sonntag in Kabul mitgeteilt wurde, steht danach nur noch ein einziger Stützpunkt mit rund 8.000 Soldaten allein unter US-Kommando. Die Soldaten bekämpfen dort Taliban und Angehörige der Terrororganisation Al Kaida.
Die NATO hatte erst vor zwei Monaten das Kommando über den Süden übernommen und hat dort immer noch mit der zunehmenden Gewalt zu kämpfen. Angesichts der aber auch im Norden gefährlicher werdenden Lage ist die Bundeswehr dabei, Sicherheitsmängel in ihrem Lager in Masar-i-Scharif zu beseitigen. Ein Sprecher des Verteidigungsministeriums sagte zu einer von der "Bild am Sonntag" (1. Okto.) veröffentlichten Mängelliste des Bundeswehr-Führungsstabes, die Beanstandungen stammten von Anfang des Jahres. Verbesserungen seien bereits im Mai beschlossen worden und würden umgesetzt.




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