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Kundus: Erst Bomben, jetzt Bohnen

"Soforthilfe" für afghanische Bundeswehropfer – Persilschein für verantwortlichen Oberst

Von René Heilig *

Der für den Tod von über 140 Afghanen Anfang September 2009 verantwortliche deutsche Oberst Klein hat offenbar weder von der deutschen Justiz noch vom deutschen Parlament etwas zu befürchten. Derweil werden fünf Monate nach dem Bombardement »als unbürokratische Sofortmaßnahme für bedürftige Familien in den von dem Luftschlag betroffenen Gebieten« Hilfspakete verteilt.

Nach Angaben der Bundeswehr beinhaltet jedes Paket 50 Kilogramm Mehl, zehn Kilogramm Reis, vier Kilogramm Bohnen, zwei Kilogramm Zucker, fünf Liter Speiseöl. Außerdem können die Empfänger zwischen Brennholz oder einem Gasbrenner mit Kartusche wählen. Für Familien gibt eine Wolldecke dazu. Sicherheitshalber erfolgt die Verteilung durch Afghanen.

Freilich ist diese Aktion keineswegs ein Eingeständnis deutscher Schuld, betont die Bundeswehr. Wie auch? Jenseits des Moralischen müssten dazu erst einmal – juristisch einwandfrei – eine Schuld und zumindest ein Schuldiger festgestellt sein. Doch dazu soll es offenbar nicht kommen. Denn während man Stillhaltepäckchen für Afghanistan packte, schnürten Regierung, Justiz und Bundeswehr ein »Hilfspaket« für Oberst Georg Klein, der den Bombenangriff auf zwei Tankwagen befohlen hat und dabei – um maximalen Erfolg bemüht – auch zahlreiche Einsatzregeln der ISAF ignorierte.

Klein hat vom entsprechenden Untersuchungsausschuss des Bundestages – er ist identisch mit dem Verteidigungsausschuss – für den 11. Februar eine Vorladung erhalten. Dem Vernehmen nach soll die Sitzung des Ausschusses wider jede Verabredung nicht öffentlich sein. Zudem will Klein nur eine Erklärung verlesen und keine Fragen beantworten. Grund: Ihm droht ein Ermittlungsverfahren durch die Generalbundesanwaltschaft. Ist das wirklich so? Der »Kölner Stadt-Anzeiger« berichtet, dass es das Verfahren nicht geben wird. Generalbundesanwältin Monika Harms sei zu dem Schluss gekommen, dass Klein nicht gegen das Kriegsvölkerrecht verstoßen habe. Dies werde sie in den nächsten Wochen – nachdem »Zeuge Klein« bereits durch den Untersuchungsausschuss geschleust wurde – mitteilen lassen.

Dass deutsche Soldaten, die in Afghanistan in »besondere Vorfälle« verwickelt wurden, im juristischen Sinn ungeschoren davonkommen, ist üblich. Es begann widerlich, doch im Vergleich zu späteren »Vorfällen« harmlos. Deutsche Soldaten posierten mit Totenschädeln. Die Staatsanwaltschaft in München stellte Ende 2006 die Ermittlungen ein. Im Juli 2009 stoppte sich die Staatsanwaltschaft Potsdam, die eigentlich den Tod eines von deutschen Soldaten erschossenen Afghanen klären sollte. Die Ermittler in Zweibrücken beschlossen die Einstellung eines Verfahrens im Januar 2009. Drei Bundeswehrangehörige hatten fünf Zivilisten schwer verwundet.

Staatsanwälte aus Frankfurt (Oder) sahen nach neun Monaten Untersuchung keinen Totschlags-verdacht gegen einen deutschen Oberfeldwebel, der bei Kundus eine Frau und zwei Kinder erschossen hatte. Die Einstellungsbegründung ist seltsam. Es gab zwar keine Notwehrsituation, doch konnte dem Beschuldigten »nicht vorgeworfen werden, pflichtwidrig von einer Notwehrsituation ausgegangen zu sein«. Schuld waren »Dunkelheit«. »Staubentwicklung« und eingeschränkte Sichtverhältnisse.

Die Beispiele lassen eine »Persilschein-Methode« ahnen. Doch das reicht Schwarz-Gelb nicht. Im Koalitionsvertrag vereinbarten Union und FDP die Schaffung einer zentralen Gerichtsbarkeit für Soldaten. SPD-Experten nicken dazu.

* Aus: Neues Deutschland, 5. Februar 2010


NATO sucht Geld für Afghanistan

Aufbau einer Armee soll Abzug ermöglichen **

Die NATO auf der Suche nach Geld für Afghanistan: Noch in diesem Jahr will das Bündnis fast zwei Milliarden Euro auftreiben, um damit unter anderem den Aufbau der afghanischen Armee voranzutreiben.

Der Aufbau der afghanischen Armee gilt als Voraussetzung, um wie geplant ab 2013 schrittweise aus Afghanistan abziehen zu können. In dieser Summe sind zusätzliche Ausgaben der 28 NATO-Staaten für die ebenfalls benötigten Armee- und Polizeiausbilder noch nicht enthalten.

Dies geht aus Unterlagen für ein Treffen der NATO-Verteidigungsminister vom Donnerstag in Istanbul hervor. Die Minister mussten über Einsparmöglichkeiten ebenso wie über zusätzliche Zahlungen reden. Im Kreis der 28 NATO-Verteidigungsminister zeichnete sich nach Angaben von Diplomaten am Donnerstag noch keine Einigung über mögliche Sparmaßnahmen ab. Höchst umstritten sei auch die Frage, wie eine mögliche »Sonderumlage« auf die Bündnispartner verteilt werden könnte. Deutschland, das etwa 16 Prozent des NATO-Haushalts finanziert, sei ebenso wie andere große Zahler dagegen, diesen Schlüssel einfach auf mögliche Zusatzzahlungen anzuwenden, hieß es. Entscheidungen wurden nicht erwartet.

NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen bestätigte die Ende Januar in London beschlossene Einrichtung eines Sonderfonds, mit dem die Wiedereingliederung von ehemaligen Kämpfern der radikal-islamischen Taliban in die afghanische Gesellschaft gefördert werden soll. Deutschland gehört neben Japan, Spanien und Australien zu den ersten Ländern, die Geld für den Fods bereitgestellt haben. Es gehe nicht darum, »die Taliban zu bestechen, nur damit wir Frieden haben«, sagte Rasmussen. Er machte keine Angaben über die finanzielle Gesamtausstattung des Fonds. Deutschland hat für die nächsten fünf Jahre zehn Millionen Euro jährlich versprochen, Australien 22 Millionen.

** Aus: Neues Deutschland, 5. Februar 2010


Rückwärtige Dienste

Von René Heilig *

Es wäre in der Norm, wenn auch die Generalbundesanwältin keinen Grund sieht, gegen einen Bundeswehrsoldaten zu ermitteln. Der Fall des Oberst Klein war von den Staatsanwälten in Dresden an die Kollegen in Potsdam übergeben worden, weil da das Einsatzführungskommando sitzt. Die Potsdamer Ermittler reichten den Fall Klein an die Bundesanwaltschaft weiter. Und zwar mit einem sehr sinnvollen Gedanken. Auch wenn die Regierung sich vor dem Begriff drückt – das, was da in Afghanistan vorgeht, sei zumindest eine kriegerische Auseinandersetzung. Dafür gebe es das Kriegsvölkerrecht und nach dessen Grundsätzen wäre zu prüfen, ob Kleins Bombenbefehl von Kundus ein Kriegsverbrechen ist.

Allein die Frage ließe noch mehr Menschen über Deutschlands Drang in die Welt und die damit verbundenen juristischen Implikationen nachdenken. Um das im Ansatz zu verhindern, wollen Union und FDP eine Art Militärstaatsanwaltschaft bilden. Quasi als Rückwärtiger Dienst der Bundeswehr. Freilich tragen die Ermittler keine Uniform. Es reicht, wenn sie Reserveoffiziere sind, sagt man im Guttenberg-Ministerium. So vorbelastet, könnten sie »sachkundiger« ermitteln. Der Bundeswehrverband geht noch weiter. Er will bei Auslandseinsätzen nur noch Rechtsberater der Bundeswehr unter Leitung von Frau General(bundesanwältin) Harms ermitteln lassen. Die deutsche Geschichte sollte jeden gelehrt haben, warum die Einsetzung von Militärjuristen keine gute Idee ist.

*** Aus: Neues Deutschland, 5. Februar 2010 (Kommentar)


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