Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Per Los in den Krieg

Wie vor zehn Jahren von Schröder und Fischer deutsche Soldaten nach Afghanistan geschickt wurden – und welche Fortschritte die Bundesregierung heute zu vermelden hat


Im PapyRossa-Verlag ist von Wolfgang Gehrcke, Christel Buchinger, Jutta von Freyberg und Sabine Kebir gerade das Buch »Afghanistan – So werden die ›neuen Kriege‹ gemacht« erschienen (236 Seiten, 14,90). junge Welt dokumentierte auszugsweise das Vorwort.

Am 16. November 2001, 12.26 Uhr, beschloß der Bundestag die Beteiligung an der Operation Enduring Freedom (OEF) und stellte dafür bis zu 3900 Soldaten zur Verfügung. Ein Teil von ihnen sollte in Afghanistan eingesetzt werden. Am 22. Dezember 2001 mandatierte er die Beteiligung an der ISAF mit bis zu 1200 Soldaten. Formal hieß es: Deutschland beteiligt sich am »Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungsgruppe« in Afghanistan, die ein Mandat der Vereinten Nationen hat.

Fast zehn Jahre später kam die Bundesregierung in ihrem als Fortschrittsbericht bezeichneten Text, der am 12. Dezember 2010 dem Bundestag zugeleitet wurde, zu dem Urteil: »Die stetig wachsende Militärpräsenz hat bisher nicht zu einer signifikanten und nachhaltigen Verbesserung der Sicherheitslage geführt.« Jahr für Jahr hat die Mehrheit des Bundestages immer wieder Mandate ausgestellt und die Anzahl der Soldaten erhöht, die in den Krieg nach Afghanistan geschickt wurden. Das Scheitern dieser Politik ist unübersehbar und berechtigt zur Feststellung: »Nichts ist gut in Afghanistan.«

Kriege, oder wie es offiziell heißt: der Einsatz der Bundeswehr außerhalb des NATO-Gebietes, bedürfen der Zustimmung des Bundestages. Außer Deutschland und den Niederlanden kennt kein anderer europäischer Staat einen solchen Parlamentsvorbehalt. Für Krieg ist in Deutschland das Parlament zuständig, für die Verweigerung des Krieges auch. Leider ist bisher noch kein Antrag der Bundesregierung, Soldaten in die Auseinandersetzungen zu schicken, abgelehnt worden, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung von Anfang an gegen diesen Krieg war. Die Zustimmung zum Krieg bröckelt nun im Parlament. Das ist ein Ergebnis der militärischen Erfolglosigkeit, aber auch ein Verdienst der Friedensbewegung und der Partei Die Linke als Teil derselben. Ihr sind die Bundestagsabgeordneten der Linken verpflichtet.

Ohne Mehrheit im Bundestag kann und darf die Bundeswehr nicht in Afghanistan bleiben. (…)

Das Protokoll des Bundestages führt die Namen der Abgeordneten auf, die gegen den Krieg, gegen die Beteiligung an ISAF gestimmt haben. Im Jahr 2001 war es eine recht kleine Schar der Aufrechten – für die Regierung kein Problem. Demgegenüber war Wochen zuvor die Abstimmung über das OEF-Mandat kurios verlaufen. Die rot-grüne Bundesregierung verfügte nach der Ankündigung von acht Grünen-Abgeordneten, dem Mandat nicht zustimmen zu wollen, nicht mehr über eine eigene (»Kanzler«-)Mehrheit. Bundeskanzler Gerhard Schröder verband daraufhin die Abstimmung mit der Vertrauensfrage. Und nun begann ein groteskes Verwirrspiel: CDU/CSU und FDP, die das Mandat wollten und es begründeten, stimmten mit Nein, um die rot-grüne Regierung zu schwächen. Was nur wenige wissen: Das Grünen-Fähnlein der acht Aufrechten, die die Beteiligung an OEF ablehnten, wollte indes nicht Schuld am Sturz ihrer Regierung sein. Sie ließen das Los entscheiden. Wer gewonnen hatte, durfte bei seinem Nein bleiben. Wer eine Niete zog, mußte dem Krieg zustimmen. Das ist die historische Wahrheit: Die deutsche Beteiligung an der Operation Enduring Freedom wurde durch das Los entschieden.

Betrug und Verrat standen am Anfang: der Betrug der Konservativen und Liberalen, die aus innenpolitischen Gründen mit Nein stimmten und in der Öffentlichkeit Ja sagten, der Verrat an der Friedensverpflichtung durch SPD und Grüne, die wieder in den Krieg marschierten, und der Verrat der acht Losezieher, die mit einem Glücksspiel ihre Ideale billig machten.

Das Nein der Abgeordneten der PDS und der Linken steht in der Tradition von Karl Liebknechts Nein zu den Kriegskrediten im Ersten Weltkrieg und folgt dem Aufruf von Wolfgang Borchert »Sag Nein!« nach dem Zweiten Weltkrieg. Auch das Neinsagen und das Durchhalten des Neins, der Widerstand gegen Spott und Verführungen wollen gelernt sein. Diese Lektion hat Die Linke begriffen. Die Linke ist eine Antikriegslinke oder sie ist nicht links.

De damalige Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) hat die Formel geprägt, die Sicherheit Deutschlands werde auch am Hindukusch verteidigt. Das Unwort, die Unwahrheit des Krieges. Struck wußte: Artikel 26 des Grundgesetzes verbietet die Vorbereitung und Teilhabe an Angriffskriegen und stellt ein solches Handeln unter Strafe. Das Grundgesetz enthält auf nationaler, die UN-Charta auf internationaler Ebene die wenigen, aber relativ klar definierten Kriterien für einen gerechtfertigten Krieg als Verteidigungskrieg. Also fälschte Struck mit Hinweis auf drohende Terrorangriffe den Krieg in einen Verteidigungseinsatz um. Der Krieg durfte nicht Krieg genannt werden. Aber auch propagandistisch umgedeutete Militäraktivitäten müssen als legitim dargestellt werden – sozial, moralisch, politisch und militärisch.

* Aus: junge Welt, 7. September 2011


Zurück zur Afghanistan-Seite

Zur Bundeswehr-Seite Zur Parteien-Seite

Zurück zur Homepage