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Den Frieden afghanisieren

Von Wolfgang Gehrcke *

Im Jahr neun nach dem Einmarsch der ersten US-amerikanischen Truppen ist der Frieden am Hindukusch weit entfernt. Die alte Afghanistan-Strategie ist desaströs gescheitert, eine neue soll her. Das war das Ziel der Londoner Konferenz vom Donnerstag (28. Jan.), doch es wurde verfehlt. Die Beschwörung von Außenminister Westerwelle, dass London einen »Wendepunkt« markiere und dort ein »neues Kapitel in der Afghanistanpolitik« aufgeschlagen worden sei, ist nur ein Pfeifen im Walde.

Eine Wende hätte bedeutet, den Krieg zu beenden. Und ein neues Kapitel hätte geheißen, Frieden und nur Frieden am Hindukusch, strikt und ausschließlich Versöhnung und Entwicklung der ganzen Region zur Leitlinie der Afghanistan-Politik zu machen. Dazu ist der Abzug der ausländischen Truppen die unerlässliche Voraussetzung. Doch in London wurde die fatale Kriegspolitik der westlichen Mächte gerade nicht korrigiert. Es war keine Friedens-, sondern eine Kriegskonferenz.

Von ihr wird berichtet als einer Konferenz der »internationalen Staatengemeinschaft«. Aber es war nicht die UNO, es trafen sich vielmehr die USA und die NATO mit Gästen, während Vertreter der Vereinten Nationen anderenorts erste Kontakte zu Taliban-Führern für mögliche Friedensgespräche knüpfen konnten; die wollen offensichtlich nicht mit Kriegsparteien reden. Angeblich war das Wohl Afghanistans Gegenstand der Konferenz, tatsächlich aber war die Regierung Karsai nicht ein-, sondern vorgeladen. So stand London in der Reihe kolonialer Großkonferenzen. Die »neue« Afghanistan-Strategie bleibt in ihrem Kern eine alte Kolonialstrategie.

London habe eine Rückzugsperspektive aus Afghanistan aufgezeigt, heißt die Botschaft der Bundesregierung. Doch sicher ist zunächst nur: Es werden mehr Soldaten an den Hindukusch geschickt, angeblich um sie alle bald abzuziehen. Das ist eine krude Unlogik.

In allen Debatten erklären die Bundesregierung und die Bundeswehr-Führung, sie wüssten nicht so genau, wer der Gegner in Afghanistan und wie er bewaffnet sei. Klar ist nur: Es wird draufgehalten. Die »neue« Strategie gruppiert sich um Aufstandsbekämpfung. Für die Bundesregierung ist dies ein Unwort, das sie unbedingt vermeidet, brächte es doch zum Ausdruck, dass alle bekämpft werden, die sich gegen die ausländische Besatzung wehren. Das sind höchst unterschiedliche Gruppen. Für eine präsentiert Außenminister Westerwelle den Clou, er heißt: Taliban kaufen! Was hier als Re-Integration dargestellt wird, hat mit einem afghanischen Versöhnungsprozess nichts zu tun.

Neu ist angeblich auch, dass der zivile Aufbau ein größeres Gewicht erhalten soll. Doch tatsächlich findet keine Zivilisierung des Militärischen statt, sondern eine Militarisierung des Zivilen, in deren Folge zivil Helfende zunehmend als nicht uniformierte Mitbesatzer wahrgenommen und entsprechend gefährdet werden

Nicht der Krieg, sondern der Frieden muss afghanisiert werden. Verhandeln muss man mit Gegnern; ein Prozess der Versöhnung muss nicht unter Freunden, sondern unter Feinden eingeleitet werden. Auf diesen äußerst schwierigen Wegen kann Frieden erreicht werden. Doch die standen in London nicht auf der Tagesordnung.

* Wolfgang Gehrcke, Bundestagsabgeordneter der LINKEN, ist Mitglied im Auswärtigen Ausschuss.

Aus: Neues Deutschland, 30. Januar 2010 (Gastkolumne)


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