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"Mehr als 60 Regierungen setzen auf das Prinzip Hoffnung und versinken immer mehr in einen sinnlosen Krieg"

Friedensbewegung zu den Ergebnissen der Londoner Afghanistan-Konferenz

Im Folgenden dokumentieren wir:
  • eine Pressemitteilung der gemeinsamen Kampagne der Friedensbewegung "Dem Frieden eine Chance - Truppen raus aus Afghanistan" vom 29. Januar, und
  • eine Pressemitteilung von IPPNW und Pax Christi vom selben Tag.
Beide befassen sich mit den Ergebnissen der Londoner-Afghanistan-Konferenz.
Was den spezifischen deutschen Beitrag zur Afghanistan-Konferenz angeht, so weisen wir auf die Presseerklärung des "Friedensratschlags" vom 28. Januar hin:
"Die Bundesregierung weigert sich weiterhin, die Realitäten des Afghanistan-Krieges zur Kenntnis zu nehmen"
Friedensratschlag kommentiert die jüngste Regierungserklärung der Bundeskanzlerin: "'Strategiewechsel' ist ein Rohrkrepierer"


Kriegs-rat-los in London

Internationale Afghanistan-Konferenz setzt auf das Prinzip Hoffnung

Pressemitteilung der Friedensbewegung

Kassel/Berlin, 28. Januar 2010 - Zu den Ergebnissen der Londoner Afghanistan-Konferenz erklärten die Sprecher der Kampagne "Dem Frieden eine Chance - Truppen raus aus Afghanistan":

Dass die Londoner Konferenz eine Truppenstellerkonferenz werden würde, hatte ohnehin niemand gedacht. Die von den USA und der NATO geforderte Erhöhung der ausländischen Kampftruppen um 40.000 war ja bereits im Vorfeld nahezu gelungen: Nach Auskunft des NATO-Generalsekretärs wurden bisher zusätzliche Truppen in Höhe von 37.000 zugesagt; 30.000 gehen allein auf das Konto der Obama-Administration, der Rest verteilt sich auf 36 Staaten, darunter die Bundesrepublik Deutschland mit 850 zusätzlichen Soldaten.

Die NATO wird nach Ende der Dislozierung neuer Truppen insgesamt ca. 150.000 Militärangehörige in Afghanistan stehen haben; nicht eingerechnet die unbekannte Zahl von Söldnern diverser profitorientierter privater "Sicherheitsfirmen", die am Hindukusch im Auftrag westlicher Regierungen ihr Unwesen treiben und von niemandem dafür zur Rechenschaft gezogen werden.

Der Krieg lässt sich auf diese Weise nicht "gewinnen". Im Gegenteil: Alle Erfahrungen des bisherigen achtjährigen Kriegsverlaufs sprechen dafür, dass die Sicherheitslage in Afghanistan weiter destabilisiert wird, dass die Anzahl der bewaffneten Widerstandsgruppen (die UNO zählte vor zwei Jahren über 2.000 solcher Organisationen) weiter zunimmt und dass in der Folge noch mehr gekämpft und noch mehr gestorben wird - auf allen Seiten, insbesondere auch auf Seiten der Zivilbevölkerung.

Die Londoner Konferenz, an der Regierungsvertreter von über 60 Staaten beteiligt waren, hat als Ergebnis im Wesentlichen nur vier Botschaften vorzuweisen:

1) Zusätzliche NATO-Truppen sollen den Taliban und anderen Aufständischen schmerzhafte Verluste zufügen. Nach einer verstärkten Phase der erbarmungslosen Aufstandsbekämpfung könne ab 2011 mit dem Rückzug der zusätzlichen Truppen begonnen werden.

2) Neben der Aufstandsbekämpfung gehe es der NATO vordringlich darum, die Afghanen in die Lage zu versetzen, für die Sicherheit des Landes immer mehr Eigenverantwortung zu übernehmen. Der britische Premierminister Gordon Brown brachte es bei der Konferenz auf den Punkt: "The first thing is to strengthen the Afghan forces". Das aber, so sind sich die Experten einig, dauerte Jahre.

3) Eine Abzugsperspektive der ausländischen Truppen wäre zwar wünschenswert, hieß es von verschiedenen Seiten, lässt sich aber weder mit einem Anfangs- noch gar mit einem Enddatum bestimmen. Der unter mehr als zweifelhaften Umständen wieder"gewählte" Präsident Karsai sprach in London davon, dass Afghanistan noch ungefähr 15 Jahre auf die Hilfe des Westens angewiesen sei. Etwa "fünf bis zehn Jahre" dürfte nach seinen - nicht gerade präzisen - Angaben die Ausbildung afghanischer "Sicherheitskräfte" dauern. Bis Oktober 2011 sollen die afghanischen Sicherheitskräfte von derzeit 180.000 (nominell, real sind es höchstens 100.000) auf rund 300.000 Mann anwachsen - eine unlösbare Mammutaufgabe, wenn man bedenkt, dass jeder zweite ausgebildete Polizist oder Soldat wieder desertiert bzw. die Seiten wechselt.

4) Neben der Verstärkung des Militäreinsatzes soll die zivile Hilfe ausgebaut werden. "Die Anstrengungen und Opfer unserer Soldaten allein werden nicht genügen, um die Wende in Afghanistan zu bringen", sagte NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen in London, es ginge auch um eine "Roadmap", einen "klaren politischen Fahrplan". Dazu gehört auch die in der EU und im deutschen Auswärtigen Amt ausgeheckte Idee eines "Reintegrationsfonds" sog. "moderater Taliban", deren Effekte indessen mehr als zweifelhaft sind. Diese "Rückkehrprämie ins zivile Leben" wird von manchem in Anspruch genommen, der später wieder zum bewaffneten Kampf zurückkehren wird; und zwar einfach deswegen, weil die strukturellen Probleme des Landes nicht angegangen werden. Die Aufständischen rekrutieren sich zu einem großen Teil aus arbeitslosen Männern; und das wird so bleiben. Der Reintegrationsfonds könnte also für die Aufrüstung des afghanischen Widerstands zweckentfremdet werden.

Die wichtigste Botschaft der Taliban an die Adresse der Londoner Konferenz bestand in der Ankündigung, dass die Taliban über alles mit sich reden lassen - allerdings nur wenn die ausländischen Truppen abgezogen werden.

Dem steht die Absicht der NATO diametral gegenüber, die - in den Worten von Premierminister Brown - darauf zielt, die afghanischen Sicherheitskräfte (Militär und Polizei) so stark zu machen, dass sie - unterstützt von den ausländischen Truppen - in der Lage sind, die Taliban entscheidend zu schwächen. Danach erst könne mit Verhandlungen begonnen werden.

Die Afghanistan-Konferenz in London hat weder einen Strategiewechsel, noch eine belastbare Aussage zu einem "Abzug" der ausländischen Truppen noch gar eine Perspektive zur Entwicklung der vom Krieg so geschundenen Bevölkerung gebracht. Mehr als 60 Regierungen setzen offenbar weiter auf das Prinzip Hoffnung und versinken dabei immer mehr in einen sinnlosen Krieg. Das einzige, was nach London feststeht ist, dass der Krieg ausgeweitet und dass er zugleich der Öffentlichkeit als humanitäre Aktion verkauft wird.

Die Friedensbewegung ist in ihrer grundsätzlichen Ablehnung des Krieges bestärkt. Sie wird international gegen den Krieg vorgehen. In Deutschland wird sie gegen die vorgesehene Erhöhung der Truppen protestieren und - mit Rückendeckung der übergroßen Mehrheit der Bevölkerung - den Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan fordern. Damit muss sofort begonnen werden.

Für die Kampagne "Dem Frieden eine Chance - Truppen raus aus Afghanistan":
Peter Strutynski


Bei Rückfragen stehen Ihnen von der Pressegruppe der Kampagne zur Verfügung:
  • Lühr Henken, Hamburger Forum für Frieden, mobil: 0160 40 666 30
  • Monty Schädel, DFG-VK, mobil: 0177 88 71 014
  • Peter Strutynski, Bundesausschuss Friedensratschlag, mobil: 0160 976 28 972



Pressemitteilung vom 29. Januar 2010:
Pressekonferenz von pax christi und IPPNW zur Londoner Afghanistankonferenz

Sogenannter "Strategiewechsel" ist Täuschung der Öffentlichkeit

Einen Tag nach der Londoner Afghanistan-Konferenz haben Pax Christi und IPPNW auf einer Pressekonferenz in Berlin die Ergebnisse bewertet.

Krieg macht krank. Damit Frieden geschaffen werden kann, benötigt die Afghanistanpolitik einen radikalen Politikwechsel: Eine zivile Konfliktbearbeitung muss die gescheiterte militärgestützte Kriegspolitik ablösen", erklärte die Vorsitzende der IPPNW, Dr. Angelika Claußen. Der von Westerwelle verkündete sogenannte "Strategiewechsel" sei eine gezielte Täuschung der Öffentlichkeit. Verschwiegen werde der Beschluss des NATO-Oberkommandierenden Mc Crystal, wonach 5000 US-Soldaten und 48 Hubschrauber in die unter deutschem Kommando stehenden Nordprovinzen verlegt werden.

"Die massive Verstärkung der militärischen Einsatzkräfte ist keine Exitstrategie", urteilte Christine Hoffmann, Generalsekretärin von Pax Christi. Damit setze die internationale Gemeinschaft den Prozess der Gewalteskalation fort. Zu begrüßen seien allerdings die Initiativen der Londoner Konferenz zur schrittweisen Übertragung der Sicherheitsaufgaben auf einheimische Kräfte und die Einberufung einer Loja Dschirga, einer großen Ratsversammlung. Pax Christi fordert mit dem Truppenabzug jetzt zu beginnen und den zivilen Aufbau und Wirtschaftshilfen in ziviler Verantwortung zu stärken.

Die Soziologin Mariam Notton forderte für Afghanistan ein Neutralitätsabkommen nach dem Beispiel von Laos. Dies würde auch einen Nichteinmischungsvertrag für die im Konflikt beteiligten Länder bedeuten. Das Amnestiegesetz von 2006 müsse rückgängig gemacht werden. Die Konten der Kriegsverbrecher, der Warlords und der Drogenmafia im Ausland sollten eingefroren und die Gelder zurück nach Afghanistan transferiert werden.

Quelle: IPPNW-Newsletter, 29. Januar 2010

Weitere Beiträge zur Londoner Konferenz:




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