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Ein Frontbericht

Mit Rosenkranz und Glücksschwein: Was die Süddeutsche Zeitung sich vom Krieg in Afghanistan melden läßt

Von Kurt Pätzold *

Nein, dieser Beitrag zur Aufklärung soll nicht ungewürdigt durchgehen. Wer den späten und stotternden Erklärungen von Regierungsmitgliedern nicht geglaubt hatte, der kann das jetzt doch tun. In Afghanistan führen Deutsche Krieg. Wie sonst ließe sich, nicht von Märchenerzählern und Legendenerfindern, sondern von einem leibhaftigen Korrespondenten aus dem fernen Land ein Text schreiben, der keine andere Kennzeichnung verträgt als: Frontbericht. Zwei Druckseiten lang hat ihn die Süddeutsche Zeitung veröffentlicht. So sind letzte Zweifel ausgeräumt seit dem Wochenende vom 12. und 13. Juni 2010.

Ausgebreitet wird da die Geschichte zweier Zeitsoldaten, zu derem Begleiter sich der Berichterstatter für die Dauer von zwei »Kampftagen« gemacht hat. Ihre Namen werden nicht verraten, sondern mit »Rücksicht auf die Betroffenen« abgekürzt. Ein wenig erfährt der Leser aus dem Milieu, dem sie entstammen. Der eine, Daniel mit Namen, hat den Dienst in einem Supermarkt, wo er nach dem Besuch einer Hauptschule das Handwerk des Fleischfachverkäufers lernte, gegen den in einer Kaserne getauscht. Denn: Soldat war sein »Traumberuf«. So ist er ins ferne Asien gekommen, wenngleich der Großvater, bei dem er aufwuchs, diesen Einsatz jedenfalls für sinnlos hält. Ganz anders die Familie, aus der sein Kamerad kommt, der Robert heißt. In der ist er Soldat in fünfter Generation. Die Bilder der uniform gedreßten Vorväter hängen an der Wand des Vaterhauses, haben dort zusammen mit den Vorfahren verliehenen Orden einen Ehrenplatz. Ihm war der Infanterist, der er jetzt in der 2.Kompanie ist, gleichsam in die Wiege gelegt. Der Vater, selbst Mitglied des lokalen Schützenvereins, war es seinen Kameraden einfach schuldig, den eben noch in den Windeln Liegenden in diesem Verein als dessen jüngstes Mitglied anzumelden. Und der entwickelte, kaum herangewachsen, für des Vaters Schießpassion, Waffensammlerehrgeiz und Besitzerstolz früh mehr als Verständnis. Er hat seinem Erzeuger eines nicht genannten Jahres unter den Weihnachtsbaum eine P 38, das war die zur Dienstpistole der faschistischen Wehrmacht bestimmte Waffe aus dem einstigen Walther-Werk in Zella-Mehlis, gelegt, die wollte der schon immer besitzen. Soviel vorerst über jene deutsche Familie in der Oberpfalz. Auf den Vater wird noch einmal zurückzukommen sein.

Keiner winkt

Eines Tages ging es dann los. Ein Bus brachte die beiden aus der Kaserne zum Flughafen nach Köln. Die Reise hat dem einen der beiden nicht recht gefallen. Er hatte sich unterwegs durch die Scheibe blickend den Hals verrenkt, ob er da nicht doch eine winkende Hand erblicken konnte. Er konnte nicht, und es kam ihm vor, als schlichen sie sich aus dem Vaterlande.

Nun also, eines Morgens im April 2010 haben sich die beiden, der Haupt- und der Obergefreite, für das Ausrücken in Form gebracht. Dafür sind sie Tage vorher geschult worden. Der eine hat sich am Abend vorher noch »The Pacific«, ein Kriegsspektakel aus dem Zweiten Weltkrieg, angesehen. Nun hilft ihnen ihr Hauptfeldwebel, sich für das Unternehmen in Stimmung zu bringen, aufzuputschen und ihnen »ein wissendes Grinsen« in die Gesichtszüge zu bringen. Wie immer beim Ausrücken läßt er dazu über den Lautsprecher dieses Liedlein erklingen: »Getadelt wird, wer Schmerzen kennt vom Feuer, das die Haut verbrennt. Ich werf' ein Licht in mein Gesicht. Ein heißer Schrei: Feuer frei! Bäng bäng, bäng bäng.« Dann geht es hinaus aus dem heimatfernen Heim, einer »abgeschotteten Welt«, in der es weder an einem Gottes- noch an einem Krankenhaus, weder an einem Volleyballplatz noch einer Großleinwand für Fernsehübertragungen und natürlich weder an einem Billard noch an Bier fehlt. Hinter sich lassen die Kameraden das Terrain, auf dem eine bayerische Fahne weht und ein mitgebrachtes Ortsschild an die vertraute Gemeinde in Deutschland erinnert. Es geht in »Feindesland« nicht frei von Angst, vor den Selbstmordattentätern, den gemeinen Hinterhalten, in denen sie lauern, die zu Großvaters Zeiten einst »Heckenschützen« hießen, so hier jedoch wegen des Fehlens von Hecken nicht gut genannt werden können.

Auch in anderer Hinsicht haben sich die Zeiten gewandelt. Nicht, daß der Feind in seinem Lager oder Versteck aufgesucht würde und vernichtet werden soll. Auftrag und Befehl heißen »sich zeigen«, »Kontakt pflegen«, »Vertrauen schaffen« und vor allem »Gefahrenaufklärung«, was soviel bedeutet wie: Es soll die nahe wohnende Bevölkerung gefragt werden, ob sie etwas von Feinden gehört oder gesehen hat. Als solchen informellen Mitarbeiter hat der Kommandeur der ausrückenden Kolonne von »Mardern« und »Dingos« einen Ortsvorsteher im geistigen Visier, während der ihn beschützende Obergefreite die Dorfbewohner ins Visier seines Maschinengewehrs zu nehmen hat, die sich bei diesem Gespräch, bei dem sich »vielleicht sogar wertvolle Informationen herauskitzeln« lassen, eventuell ungerufen einstellen.

Indessen: Das Unternehmen schlägt fehl. Der Vorsteher - hat er sich beim Herannahen des Konvois aus dem Staube gemacht oder lag das vordem schon in seinem Tagesplan? - ist auf den nahen Markt in Kundus entschwunden, Einkäufe zu erledigen. Eingestellt hat sich mit den paar Kindern, die sich als Schaulustige eingefunden haben, nun doch Enttäuschung bei den Soldaten und nicht anders bei ihrem schriftkundigen Begleiter: »So ein Aufwand, Panzer, Scharfschützen, eine ganze Kompanie Soldaten, ein zwanzig Fahrzeuge umfassender Konvoi, und jetzt das. Tagelang hat man die Route ausgearbeitet, hat Risiken abgewogen und die Feindlage einzuschätzen versucht, und nun muß man sich, statt Kontakte zu pflegen, mit Zufallsbekanntschaften begnügen ...«

Schweres Gepäck

Nichts also mit »Befehl ausgeführt«. Heiß ist es den beiden doch geworden unter den Sonnenbrillen, angetan mit Handschuhen und Knieschützern, mit Helmen, versehen mit »bleischweren Schutzwesten«, zudem behängt mit einem Sprechfunkgerät der eine. Das geht nicht immer gut, und tags darauf, bei einer ähnlichen Ausfahrt, wird der gar einen Schwächeanfall erleiden. Da hat er zu alledem noch einen Rucksack voller Taschenlampen schleppen müssen, die Dorfbewohnern zum Geschenk gemacht werden sollten. Erfolg hin oder her, Daniel ist nach diesem Einsatz »abgekämpft«. Und dem Reporter kann er versichern: »Ja, hat auch Spaß gemacht.« Was? »Ja, so mal richtig reinlaufen in die Ortschaften, hat mir gefallen.« Als ob er das am Main nicht hätte haben können und mit weniger Gepäck.

Jedenfalls ist er an diesem Tag heil auch wieder rausgelaufen. Und daß das wieder geschieht, dafür haben er und seine Kameraden zusätzliche Vorsorge getroffen. In ihren Fahrzeugen hängen oder in ihren Taschen am Körper befinden sich ein paar Gegenstände, von denen sie Schutz erhoffen. Und nicht nur Glücksschweine. Daniel hat schon von seiner Freundin einen Rosenkranz mitbekommen. Anderen, die unversorgt ins Feindesland kamen, hilft der Militärgeistliche aus. Der hat, als er die Mitbringsel segnete, allen eine Plakette überreichen können. Auf denen ist der Erzengel Michael abgebildet, der Schutzpatron der Krieger. Der geistert seit der Schlacht auf dem Lechfeld, von der trennen uns 1055 Jahre, als siegbringendes Geflügel durch die deutsche Geschichte, wenngleich in deren Kriegen selbst mit ihm auf das Siegen im allgemeinen und auf den Schutz im besonderen und einzelnen häufig nicht Verlaß war. Indessen, der Gottesmann hat ein Einsehen. Sie haben lange genug in der Sonne herumgestanden. Da kürzt er ihr frommes Beisammensein unter freiem Himmel lieber ab. Zudem weiß er, daß die Übertragung der »Formel 1« wartet. Gottes Segen also, und »der Beschte« möge gewinnen.

Die beiden Kameraden haben wieder einen Tag herumgebracht. In der persönlichen Bilanz, in Euro ausgedrückt, stehen 110, das macht der Zuschlag für die »Auslandsverwendung«. Und die haben sich im Traumberuf (und hätten sich hinter dem Fleischverkaufsstand am Supermarkt nicht) verdienen lassen. Ärgerlich nur, daß die Summe auch »der Küchenhelfer, der das Lager so gut wie nie verläßt«, auf seinem Bankkonto vorfindet. Doch die Motive aller sind von anderer Natur. Für sie versichern die beiden, sie sind hier, »um Frieden zu schaffen, damit Afghanistan auf eigenen Füßen stehen kann, um einem Volk zu helfen«. Nur wie sie das bewerkstelligen wollen, wissen sie so recht nicht.

Zwei Monate noch, dann geht es nach Hause. Bis dahin werden sie mit ihren Lieben noch ein paar Telefonate führen, E-Mails und vielleicht eine jener Karten schreiben, die es im Lager gibt. Deren Aufschrift lautet »In Kundus ist alles doof«. Vorerst wird ausgehalten und, wie Roberts Vater das ausgedrückt hat, die Sache »durchgezogen«. Von ihm ist der Kämpfer zudem mit einem Ratschlag ausgestattet worden: »Sei auf der Hut. Versetz Dich in die Denkweise des Feindes. Mach es wie ich auf der Jagd. Der Kopfschuß ist auf kurze Distanz das Beste. Deine Ehre heißt Treue. Vergiß das nie!!« Den Spruch mit der Treue hat der Vater bei Heinrich Himmler gelernt, oder er hat ihn schon von seinem Vater bezogen. Eine deutsche Familie, die auf Tradition hält.

* Aus: junge Welt, 1. Juli 2010

Lesen Sie auch die anderen "Frontberichte" von Kurt Pätzold:

Demokratischer Krieg
Oder: Wie der Spiegel die Heimatfront in Sachen Afghanistan ausrichtet. Von Kurt Pätzold (21. Juli 2010)
Ungezogene afghanische Kinder
Ein zweiter Frontbericht von den Mühen deutscher Bürger in Uniform. Von Kurt Pätzold (13. Juli 2010)




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