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Geheimniskrämerei statt Transparenz?

Vom Umgang der Bundeswehr mit dem Eingreifverband für Afghanistan

Im Folgenden dokumentieren wir die gleichnamige Sendung, die der NDR im Rahmen der Sendereihe STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN am 23. Februar 2008 erstmals ausstrahlte.



Moderation: Andreas Flocken

Heute mit einer neuen Ausgabe der Sendereihe Streitkräfte und Strategien, am Mikrofon begrüßt Sie Andreas Flocken.

In unserer Sendung geht es diesmal um die Aufstellung der Quick Reaction Force für Afghanistan. Außerdem beschäftigen wir uns mit der Deutschen Marine. Dort gibt es nämlich Probleme mit den neuen Fregatten und Korvetten. Seit Anfang des Monats hat die Führungsakademie einen neuen Kommandeur. Zur Situation an der höchsten Ausbildungsstätte der Bundeswehr hören Sie ein Interview.

Die Bundeswehr ist zurzeit dabei, einen rund 200 Soldaten starken Eingreifverband für Nordafghanistan aufzustellen. Die so genannte Quick Reaction Force soll in Notfällen anderen ISAF-Truppen zu Hilfe kommen. Sie steht aber auch bereit für offensive Operationen gegen Aufständische. Die Bundeswehr wird im Sommer die Norweger ablösen, die bisher diesen Verband gestellt haben. Doch es läuft nicht alles nach Plan. Hören Sie Andreas Dawidzinski:


Manuskript Andreas Dawidzinski

Der Bundeswehr wird bei ihren Einsätzen immer wieder mangelnde Transpa-renz vorgeworfen. Das gilt insbesondere für die Afghanistan-Mission. Dort hat man bei der Öffentlichkeit jahrelang den Eindruck erweckt, es ginge allein um den zivilen Wiederaufbau des Landes. Vom Kämpfen war dagegen bisher so gut wie nie die Rede. Dieses Bild lässt sich seit der Ankündigung, eine Quick Reaction Force aufzustellen, nicht mehr aufrechterhalten. Diesmal wollte die Bundeswehr daher vieles anders machen. Die Öffentlichkeit sollte frühzeitig über den Stand der Vorbereitungen informiert werden. Deswegen hatte man für Donnerstag dieser Woche beim Panzergrenadier-Bataillon 212 im nordrhein-westfälischen Augustdorf einen Medientag angesetzt. Der mit Marder-Schützenpanzern ausgestattete Verband soll nämlich die Quick Reaction Force für die Nordregion in Afghanistan stellen.

Die Medien wurden in der vergangenen Woche eingeladen. Vorausgegangen waren intensive Vorbereitungen und Abstimmungen zwischen dem Bataillon, diversen Dienststellen und dem Berliner Verteidigungsministerium. Das Inter-esse war groß. Mehr als 50 Journalisten aus dem In- und Ausland hatten sich bereits in den ersten Stunden angemeldet. Und das Verteidigungsministerium bot den Medienvertretern aus Berlin sogar an, sie kostenlos per Hubschrauber von Berlin nach Augustdorf und anschließend wieder zurück zu fliegen. Es sollte also eine ganz große Sache werden, zumindest an der Medienfront wollte die Bundeswehr in die Offensive gehen. Das Programm für Augustdorf stand: Informationen zu Ausbildung und Vorbereitung. Anschließend Transfer zum Standortübungsplatz. Dort Teilnahme an der praktischen Ausbildung. Danach Gespräche mit Soldaten aller Dienstgradgruppen. Doch dann kam plötzlich alles ganz anders. Keine 24 Stunden nach der Einladung hieß es von ganz oben: Kommando zurück. In der eilig verschickten Pressemitteilung war zu lesen:

"Aus organisatorischen Gründen wird der angekündigte Medientag in August-dorf bei der Panzerbrigade 21 verschoben. Der neue Termin steht noch nicht fest."

Aus organisatorischen Gründen. An der Organisation hat es mit Sicherheit nicht gelegen. Denn die Truppe und die mit der Vorbereitung beauftragten Soldaten hatten sich mächtig ins Zeug gelegt. Sie waren entsprechend sauer und frustriert.

Zu hören ist, Generalinspekteur Schneiderhahn habe die Veranstaltung ge-stoppt. Das Verteidigungsministerium will dies weder bestätigen noch demen-tieren. Über den eigentlichen Grund für die Verschiebung möchte man aber lieber nichts sagen.

Der liegt aber auf der Hand: Denn in den vergangenen Tagen ist deutlich ge-worden, dass sich die hochgerüstete Bundeswehr sichtlich schwer tut, einen Eingreifverband wie die Quick Reaction Force aufzustellen. Und da bekam die Bundeswehrführung offenbar Angst vor der eigenen Courage. Man wollte sich offensichtlich kritischen Fragen nicht stellen.

Denn im Augenblick gibt es gleich mehrere Probleme. So soll die Quick Reac-tion Force mit einer Mörserkomponente zur Kampfunterstützung ausgestattet werden. Mörser sind so genannte Steilfeuerwaffen, mit denen ein Gegner auch in einer Distanz von 5 bis 7 km bekämpft werden kann.

Das Problem ist nur, im vergangenen Monat musste die Mörser-Munition nach Truppenversuchen für den Einsatz gesperrt werden. Denn in den 90er Jahren hat man damit begonnen, Mörser auszumustern und zu verschrotten. Der Militärexperte Thomas Meuter von der Zeitung BEHÖRDENSPIEGEL zu den Konsequenzen:

"Es bleibt jetzt noch eine kleine Komponente von Mörsern übrig. Allerdings ist dieses Waffensystem aufgrund seines hohen Alters in der Funktionstüchtigkeit sehr stark eingeschränkt. Es bringt nicht die volle Leistung. Das hat dazu geführt, dass die Mörser-Komponente jetzt nicht mitgeführt werden kann, weil a) die Mörser nicht mehr betriebssicher sind und b) die Munition, die dazu gehört, ebenfalls nicht mehr betriebssicher ist."

Die Bundeswehr hat sich vor allem auf milliardenschwere Beschaffungsvorhaben wie den Eurofighter und Fregatten konzentriert und kleine Systeme dabei aus dem Blickfeld verloren. Fieberhaft bemüht man sich jetzt um Ersatz - bei Verbündeten und bei der Rüstungsindustrie. Das Problem ist allerdings: Die Munition braucht den "TÜV-Stempel" der Bundeswehr. Thomas Meuter:

"In der deutschen Gesetzgebung gibt es einen Passus, der sagt, dass wenn wir ausländische Munition kaufen, diese durch deutsche Amtsstellen getestet werden muss, um eben diese Munitionssicherheit herstellen zu können. Und da gibt es sehr, sehr strenge Kriterien. Und daraufhin werden solche Munitionstypen auch getestet, sehr intensiv durch das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung in Koblenz. Dies ist dafür zuständig. Und es dauert etwa ein halbes Jahr, bis die Mörser-Munition nach deutschen Sicherheitskriterien zertifiziert ist."

Dabei sollen in rund vier Monaten die Norweger in Afghanistan abgelöst wer-den. Doch es gibt weitere Probleme. Zur Quick Reaction Force gehören normalerweise besonders ausgebildete Soldaten, die vom Boden aus den Einsatz von Kampfflugzeugen bei der Luftunterstützung leiten können. Doch diese Fliegerleittrupps oder Forward Air Controller sind in den deutschen Streitkräften rar:

"In der Vergangenheit war es so, dass eben gerade diese Stellen nur sehr dünn besetzt worden sind, weil es gar keinen Bedarf in großem Umfang für die Bundeswehr gab. Das hat sich mit dem Einsatz der Quick Reaction Forces schlagartig geändert. Hier besteht ein sehr hoher Bedarf an solch hoch ausgebildeten Leuten und die Bundeswehr kommt mit dem Ausbilden dieser Leute nicht nach, weil die Anfrage nach diesen Leuten momentan überproportional gestiegen ist."

Schwächen zeigt auch das hochgelobte neue System "Infanterist der Zukunft". Gemeint ist damit die Kampfausstattung der Soldaten - vom Helm über Schutzweste bis zum Navigationsgerät und Laptop. Erfahrungen in Afghanistan haben gezeigt, dass es noch zahlreiche Probleme mit dieser Ausrüstung gibt. Kenner halten sie zurzeit für den Einsatz nur für bedingt geeignet. Die Defizite und Mängel wurden u.a. im Oktober während eines Selbstmordanschlags unweit von Kundus deutlich. Damals wurden drei Bundeswehr-Soldaten verletzt. Teile der Schutzausrüstung hielten nicht das, was man sich von ihr versprochen hatte. Zu hören ist, es gebe einen dringenden Handlungsbedarf.

Panzergrenadiere sind mit dem mehr als 30 Tonnen schweren Schützenpanzer Marder ausgestattet. Es heißt, dass dieses Waffensystem ebenfalls nach Afghanistan als Teil der Quick Reaction Force verlegt werden soll. Strittig sei nur die genaue Zahl der Panzer. Der Transport ist allerdings eine echte logistische Herausforderung. Denn die Bundeswehr verfügt über keine geeigneten Transportflugzeuge. Außerdem ist die Landebahn in Mazar-i-Scharif für die gelegentlich vom Verteidigungsministerium gecharterten russisch-ukrainischen Großraum-Transporter vom Typ Antonov noch immer gesperrt. Mit großer Mühe gelang es der Bundeswehr vor rund einem Jahr, vier Schützenpanzer nach Afghanistan zu transportieren. Die Marder sind zur Verteidigung des deutschen Feldlagers in Mazar-i-Scharif gedacht. Sie dienen dort als gepanzerte Reserve. Die Kettenfahrzeuge wurden umständlich mit amerikanischen Transportflugzeugen befördert - für viel Geld. Die Sendereihe Streitkräfte und Strategien hatte im Januar vergangenen Jahres darüber berichtet.

Für Kenner sind allerdings schwere mechanisierte Truppen wie Panzergrena-diere als Quick Reaction Force am Hindukusch denkbar ungeeignet. Denn ein Eingreifverband muss hochmobil und schnell verlegbar sein. Auch deshalb hat der bisherige Befehlshaber der Nordregion, der deutsche General Warnecke, als Quick Reaction Force Fallschirmjäger empfohlen. Denn der Eingreifverband soll in der Lage sein, auch offensiv gegen Taliban und andere Aufständische vorzugehen. Fallschirmjäger verfügen über Fähigkeiten zur Aufstandsbekämpfung. Ein weiterer Nebeneffekt: Anders als bei den Panzergrenadieren sind in der Fallschirmtruppe bereits Spezialisten integriert, die Luftunterstützung anfordern können. Doch die Empfehlung aus Mazar-i-Scharif fand bei der Heeresführung im Verteidigungsministerium keine positive Resonanz. Dabei war General Warnecke der Befehlshaber der im Herbst gestarteten Operation Harekate Yolo 2. Sein Urteil gründet sich auf vor Ort gemachte Erfahrungen. Mit dieser Offensive war man gegen die Taliban im Nordwesten Afghanistans vorgegangen. Die von den Norwegern gestellte Quick Reaction Force stand dabei in vorderster Linie.

Aber auch ein aus Fallschirmjägern bestehender Eingreifverband hätte das Problem, im Notfall schnell weit entfernte Brennpunkte zu erreichen. Denn die Bundeswehr verfügt in Afghanistan insgesamt nur über sechs CH-53 Transporthubschrauber. Zu wenig, wie man auch in Mazar-i-Scharif bemängelt. Denn in der Regel sind nur 60 Prozent der Maschinen einsatzbereit. Am Hindukusch können sie außerdem nicht nachts fliegen. Und da nach Lesart der Bundesregierung in Afghanistan kein Krieg geführt wird, gelten für die Helikopter die Friedensflugbestimmungen. Damit verbunden sind Mindestruhezeiten für die Besatzungen und andere Einschränkungen bei der Benutzung der Hubschrauber wie die Mindestflugsicht von rund zwei Kilometern. Eine absurde Situation: Deutsche Soldaten der Quick Reaction Force müssen zu einem gefährlichen Kampfeinsatz ausrücken - doch die dafür benötigten Helikopter bleiben am Boden, weil sie aufgrund der Friedensflugbestimmungen nicht starten dürfen.

Schwer in Einklang zu bringen mit den Aufgaben der Quick Reaction Force sind auch die gültigen Einsatzregeln der Bundeswehr, die so genannten Rules of Engagement. Danach gilt das Selbstverteidigungsrecht, d.h. deutsche Soldaten dürfen nur dann militärische Gewalt anwenden, wenn sie angegriffen werden. Flüchtet ein Angreifer, dann dürfen Bundeswehr-Soldaten auch nicht nachsetzen. Diese Einsatzregeln sollen auch für die Soldaten der Quick Reaction Force gelten. Dabei hat dieser Eingreifverband als Reserve und als eine Art Feuerwehr einen klassischen Kampfauftrag, er steht bereit, für offensive Operationen. Mit den gegenwärtigen defensiven Einsatzregeln wäre der Verband aber zur Untätigkeit verurteilt, zumindest bestünde die Gefahr, dass die deutsche Quick Reaction Force in einer rechtlichen Grauzone operieren würde. Gegenwärtig versucht sich die Bundeswehr zu helfen, indem man auf afghanische Polizisten oder Soldaten zurückgreift. Die müssen den Part übernehmen, der den deutschen Soldaten aufgrund der Einsatzregeln nicht erlaubt ist. Bei der Quick Reaction Force wird dies aber nicht möglich sein.

Es gibt also noch viele Fragen, die einer Antwort bedürfen. Beim Afghanistan-Einsatz aber neigt die Bundeswehr weiterhin zur Geheimniskrämerei. Dieses Verhalten steht im Widerspruch zu den offiziellen Appellen und Bekenntnissen des Verteidigungsministers. Beispielsweise sagte Franz Josef Jung bei seinem ersten Auftritt vor der Bundespressekonferenz Anfang des Monats:

"Ich habe eher den Eindruck, dass wenn man sich mit der deutschen Öffent-lichkeit inhaltlich auseinander setzt, und ihnen das sehr konkret darstellt, wenn wir, was ich ja schon etwas intensiver mir wünschen würde, die sicherheitspolitische Diskussion noch breiter führen würden, dass wir auch dafür eine breitere Unterstützung bekommen würden."

Eine konkrete Darstellung über den Stand in Sachen Quick Reaction Force wäre auf dem Medientag in Augustdorf möglich gewesen. Doch mit Offenheit und Transparenz tut sich die Bundeswehr weiterhin schwer, insbesondere auf der Führungsebene. Es werden lieber Nebelkerzen geworfen. Da verwundert es nicht, dass die breite Mehrheit der Bevölkerung die Afghanistan-Mission ablehnt. Mit der Absage des Medientages hat die Bundeswehr einmal mehr eine Chance verpasst.

Quelle: www.ndrinfo.de; die Sendemanuskripte werden auf Anforderung per e-mail verschickt.

Aktuelle Meldung

Ex-Generalinspekteur Kujat kritisiert Bundeswehr-Ausrüstung

Der frühere Generalinspekteur Harald Kujat hat im Vorfeld der Bundeswehr-Kommandeurtagung die Ausrüstung der Armee kritisiert. Anders als Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) sei er nicht der Auffassung, dass die Bundeswehr für ihre Aufgaben im Ausland gut ausgestattet sei, sagte Kujat im RBB-Inforadio. Zwar werde "schon alles getan, um einen optimalen Einsatz zu gewährleisten". "Aber im Vergleich zu modern ausgestatteten Armeen gibt es noch einiges zu tun in der Bundeswehr", sagte Kujat. Insbesondere in Afghanistan kämen neue Aufgaben auf die Soldaten zu.

Der Ex-Generalinspekteur wies auf Defizite in drei Bereichen hin, in denen keine optimale Ausrüstung vorhanden sei. Nötig sei eine Aufklärung, die ohne Zeitverzögerung funktioniere, und ein modernes Führungs- und Informationssystem, das diese Aufklärungsergebnisse transportiere. Außerdem würden weiter reichende Waffensysteme gebraucht, die den Gegner ohne Zeitverzug und auf große Entfernungen bekämpfen könnten. "Das sind die Kernbereiche, die nach meiner Auffassung entscheidend für den Einsatzerfolg sind und die entscheidend auch für die Sicherheit der eingesetzten Soldaten sind."

Die Kommandeure der Bundeswehr beraten von heute an (10. März) über die künftige Ausrichtung der deutschen Streitkräfte. Zu den Rednern gehören Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), NATO-Generalsekretär Jaap de Hoop Scheffer und Bundesverteidigungsminister Franz Josef Jung (CDU).

Nachrichtenagentur AFP, 10. März 2008




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