Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Nebenrolle für die Bundeswehr? Vorbereitungen für Großoffensive in Nordafghanistan

Ein Beitrag aus der NDR-Reihe "Streitkräfte und Strategien" *

Von Andreas Flocken *

Der Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr findet in der Bevölkerung immer weniger Rückhalt. Meinungsumfragen sprechen eine deutliche Sprache. In knapp zwei Wochen sieben tote Bundeswehr-Soldaten bei Gefechten – es lässt sich nicht mehr leugnen: auch in Nordafghanistan herrscht Krieg. Die Zweifel am Einsatz wachsen. Nicht zuletzt deshalb hat die Bundeskanzlerin Afghanistan zur Chefsache gemacht. In dieser Woche gab sie im Bundestag eine Regierungserklärung ab.

Das Militärengagement lässt sich auf Dauer aber nicht gegen einen breiten Mehrheitswillen der Bevölkerung durchhalten. Mittlerweile ist daher von einem Strategiewechsel und einer Ausstiegsperspektive die Rede. Deutschland und auch die NATO wollen sich auf die Ausbildung der afghanischen Sicherheits-kräfte konzentrieren. Verteidigungsminister zu Guttenberg Anfang des Jahres:

O-Ton zu Guttenberg
„Wir wachsen von derzeit 280 Soldaten, die mit der Ausbildung befasst sind, auf 1400 Soldaten, die sich [auf] Ausbildung und Schutz im Zusammenspiel konzentrieren... Mehr Schutz und Ausbildung statt beispielsweise offensiv agierender Kampftruppen. Auch darin besteht ein ganz wesentlicher Strategiewechsel.“

Die Quick Reaction Force - der schnelle Eingreifverband – wird zu einem Schutz- und Ausbildungsverband umstrukturiert. Im Afghanistankonzept der Bundesregierung ist die Rede von einer Schwerpunktverlagerung von einem offensiven Vorgehen zu einer grundsätzlich defensiven Ausrichtung. Paradoxerweise wird dadurch der Einsatz für die Soldaten aber erheblich gefährlicher. Denn die Ausbildung der Afghanen findet nicht mehr in befestigten und geschützten Feldlagern statt, sondern - wie die Militärs sagen - in der Fläche. D.h. Bundeswehrsoldaten begleiten ihre Schützlinge und beteiligen sich an Einsätzen der afghanischen Streitkräfte - „Partnering“ heißt dieses Konzept. Als eine Art Vorläufer kann die zurzeit im Norden durchgeführte Operation Tahoid II gesehen werden. Beteiligen sollten sich eigentlich rund 3.000 vor allem afghanische Soldaten. Doch es konnte gerade mal die Hälfte mobilisiert werden. Dass die afghanischen Verbände nicht wie zugesagt in voller Stärke antreten – am Hindukusch ist das ganz normal. Ziel war, das Umfeld von wichtigen NATO-Nachschubrouten unter Kontrolle zu bringen. Die vier in der vergangenen Woche getöteten Bundeswehr-Soldaten waren an der Operation Tahoid II beteiligt. Drei von ihnen waren Ausbilder, sogenannte Mentoren. Die Militäraktion hat die Risiken und Gefahren deutlich gemacht, die mit dem Partnering-Konzept verbunden sind. Es zeigte sich außerdem, wer bei solchen Operationen das Sagen hat. Der für die Nordregion eigentlich zuständige deutsche Ein-Sterne-General Leidenberger hatte Bedenken gegen den Zeitpunkt der Aktion. Vor allem, weil sie während des deutschen Kontingentwechsels starten sollte. Doch das im ISAF-Hauptquartier in Kabul zuständige International Joint Command bestand auf einer zeitnahen Operation. Geführt wird das Kommando vom amerikanischen Drei-Sterne-General David Rodriguez. Er ist zugleich der Stellvertreter von ISAF-Befehlshaber McChrystal.

In den nächsten Wochen werden die rund 4.500 Bundeswehr-Soldaten durch mehr als 5.000 US-Soldaten verstärkt. Offiziell werden sie dem von Deutschland geführten Regionalkommando Nord in Mazar-i-Scharif unterstellt. Vor allem wegen dieser Verstärkungen wird der Nachfolger von Brigadegeneral Leidenberger ein deutscher Zwei-Sterne-General sein. Doch auch diese Höherstufung wird nicht viel daran ändern, dass die zentralen Entscheidungen im ISAF-Hauptquartier in Kabul getroffen werden – von General Rodriguez und dessen Vorgesetzten McChrystal. Dort will man dem zunehmenden Einfluss der Taliban nicht mehr tatenlos zusehen. Man hat im Norden größeres vor. Der ISAF-Stabschef, der deutsche General Kasdorf, im vergangenen Monat:

O-Ton Kasdorf
„Es wird sicherlich eine Operation geben dort oben in Kundus. Ich will nicht sa-gen, in dem Ausmaß und in dem Umfang, wie wir das jetzt unten in Helmand sehen. Aber sicher etwas Ähnliches.“

An der Operation in der Provinz Helmand im Süden des Landes waren rund 15.000 Soldaten beteiligt.

Zu hören ist, die Offensive in Norden könnte schon im Sommer beginnen. Für die Bundeswehr eigentlich zu früh. Denn die Umsetzung des Partnering-Konzepts wird bis dahin noch nicht abgeschlossen sein. Zwei sogenannte Schutz- und Ausbildungsbataillone mit jeweils 700 Soldaten sollen aufgestellt werden. Doch es wird noch einige Zeit vergehen, bis diese eingesetzt werden können. Die volle Einsatzbereitschaft wird mit Beginn des 24. Einsatzkontingents angestrebt, so die Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Bündnis-Grünen im Bundestag. D.h. vor November wird es nichts mit dem „Partnering“-Ausbildungskonzept. So lange werden allerdings die Amerikaner mit der geplanten Großoffensive im Norden nicht warten. Aber auch wenn die Bundeswehr in ihrem eigenen Kommandobereich dabei nur in der zweiten Reihe stehen wird: Es wird weitere Verluste geben. Und die Stimmen nach einem Abzug werden immer lauter – inzwischen auch im Bundestag.

Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 24. April 2010; www.ndrinfo.de


Zurück zur Bundeswehr-Seite

Zur Afghanistan-Seite

Zurück zur Homepage