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"Nur wegen des Geldes in Afghanistan"

Zwei Linksparteiabgeordnete sondierten die Lage bei den deutschen Truppen am Hindukusch. Ein Gespräch mit Christine Buchholz

Christine Buchholz ist Mitglied des Deutschen Bundestages und friedenspolitische Sprecherin der Linksfraktion.



Sie kommen soeben von einer Reise nach Afghanistan zurück. Konnten Sie mit Überlebenden des Massakers von Kundus sprechen?

Mein Fraktionskollege Jan von Aken und ich hatten die Reise selbst organisiert, per Zufall flog zur selben Zeit auch Hans Christian Ströbele von den Grünen dort hin. Das Rahmenprogramm haben wir gemeinsam absolviert – zusätzlich hatten wir aber eigene Kontakte.

Das waren die unterschiedlichsten Gesprächspartner: Bundeswehrsoldaten, Parlamentsabgeordnete, Diplomaten, arme wie reiche afghanische Bürgerinnen und Bürger, regierungstreue wie oppositionelle. Unsere Absicht war vor allem, uns mit Hinterbliebenen und Opfern des Bombenangriffs vom 4. September zu treffen. Über diese Gespräche werden wir aber erst kommende Woche die Öffentlichkeit informieren. Wir wollen unsere Eindrücke erst einmal sammeln und auswerten.

Wir hatten auch eine Begegnung mit Malalai Joya, der Kriegsgegnerin und Frauenrechtlerin, die seit drei Jahren im Untergrund leben muß. Darüber hinaus haben wir uns mit Menschen getroffen, die in Friedens- und Versöhnungsprojekten oder in der Entwicklungshilfe arbeiten. Dabei fiel uns auf, daß vor allem die ausländischen Gesprächspartner immer über mehr Polizei und mehr Militär redeten, die Afghanen vor allem über die drängenden Probleme des Wiederaufbaus.

War es ein Problem, unvoreingenommene Gesprächspartner zu finden? Das alles konnte doch nur eskortiert durch deutsche Soldaten stattfinden …

Das ist so nicht ganz richtig. Wir hatten auch eigene Kontakte und konnten einige Treffen privat oder durch Vermittlung der uns begleitenden Beamten des Bundeskriminalamtes vereinbaren.

Haben Sie neue Erkenntnisse über den Hergang der Bombardierung der beiden Tankwagen sammeln können ?

Darüber berichten wir nächste Woche. Unsere wichtigste Erkenntnis war, wie vertrackt die Lage der Bundeswehr im Norden Afghanistans ist: Die zivil-militärische Zusammenarbeit (CIMIC) funktioniert nicht – was auch verständlich ist, weil die CIMIC-Leute der Bundeswehr in einem Troß gepanzerter Fahrzeuge in die Dörfer fahren. Vertrauen läßt sich da nicht aufbauen. Wiederaufbau, der der militärischen Logik untergeordnet ist, funktioniert so gut wie gar nicht.Die Armut ist auch acht Jahre nach Beginn des Krieges extrem hoch, es sind kaum Straßen gebaut worden. Nahe Kundus warten die Leute seit Jahren auf den Bau einer Brücke.

Aber die Bundesregierung behauptet doch immer, es gehe voran, und die Bevölkerung sei sehr dankbar …

Das hängt immer davon ab, mit wem man redet. Die, die von den dort stationierten Bundeswehreinheiten profitieren, malen dann die schönsten Bilder. Die Wirklichkeit sieht anders aus: Der Widerstand gegen die Besatzer hat zugenommen, die Lage wird immer unsicherer, 70 Prozent der Menschen sind Analphabeten, ebensohoch ist die Arbeitslosigkeit. Kabul wird zwar seit kurzem zu 80 Prozent mit Strom versorgt, aber eine halbe Stunde von der Hauptstadt entfernt ist es stockduster. Die Stadt hat fünf Millionen Einwohner – aber kein Abwassersystem! Die Enttäuschung ist groß.

Milliarden Euro sind nach Afghanistan geflossen – in die Taschen einzelner Leute, in die von Nichtregierungsorganisationen, die sich hinter dicken Mauern verschanzen. Ein Bruchteil davon ist dort angekommen, wo das Geld wirklich gebraucht wird.

Sie haben auch mit deutschen Soldaten gesprochen. Wie ist die Stimmung bei unseren Freiheitsverteidigern?

Wir wurden durchaus offen aufgenommen. Ich war überrascht, wie differenziert wir mit den Soldaten diskutieren konnten. Die höheren Dienstgrade unterstützen den gegenwärtigen Kurs, sie halten eine Aufstockung der Truppen für notwendig. Wenn man aber mit einfachen Soldaten ein Bier trinkt, klingt das oft anders. Viele haben das Gefühl, der Krieg gegen die Aufständischen sei nicht zu gewinnen. Nicht nur einer erzählte mir, daß er nur wegen des Geldes in Afghanistan sei – dies sei sein letzter Einsatz.

Interview: Peter Wolter

* Aus: junge Welt, 5. Februar 2010


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