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"Endstation Kabul"

Bundeswehr in Afghanistan auf Abwegen - Enthüllungen eines ehemaligen KSK-Soldaten erheben schwere Vorwürfe - Neue Beweise aus Holland

Nur eine geschickte Werbestrategie eines Buchverlags zur Absatzsteigerung eines seiner Produkte oder ein wirklicher innenpolitischer Sprengsatz, der da gelegt wurde? Noch dazu von einem ehemaligen Soldaten der Bundeswehr-Elitekampfeinheit KSK, dessen Enthüllungen über den Afghanistaneinsatz nun vorab vom "Stern" veröffentlicht wurden. Ohne das berühmte Körnchen Wahrheit wird eine solche Veröffentlichung in einem so renommierten Verlag nicht auskommen können. Man darf also gespannt sein, wie die politische Klasse in Berlin reagiert. Kann die Bundeswehr einfach auf den Auftrag des Parlaments pfeifen, wie es in einem der folgenden Artikel heißt, oder wird die sich verselbständigende "Armee im Einsatz" zurückgepfiffen werden?
Wir dokumentieren einen Artikel aus der Tagespresse sowie die Presseerklärung des "Stern". Im Anschluss noch eine weitere Meldung aus der Tagesschau, die ebenfalls brisant ist.



Bundeswehr pfeift auf Bundestag

Afghanistan-Elitesoldat berichtet über illegale Einsätze / Regierung verweigert Informationen

Seit 2001 schweigt die Bundesregierung über die Einsätze von Bundeswehr-Elitesoldaten in Afghanistan. Nun könnte ein Buch Wissenslücken auffüllen helfen.

Berlin (ND-Heilig). »Endstation Kabul« heißt das Buch, das der Econ-Verlag heute in den Räumen der Bundespressekonferenz vorstellt. Autor ist ein »Klaus F.«, der mit bürgerlichem Namen Achim Wohlgethan heißt und als Stabsunteroffizier in Afghanistan gedient hat. Er bestätigt verschiedene andere Meldungen darüber, dass deutsche Soldaten am Hindukusch Aufgaben erledigten, die weit über die vom Parlament erteilten Mandate hinausgehen. So sollen bereits 2002 Bundeswehr-Angehörige mit Wissen ihrer Vorgesetzten außerhalb des vorgeschriebenen Mandatsgebietes operiert haben.

Laut einem Vorabbericht der Illustrierten »Stern« war Wohlgethan bei der Kabul-Brigade der Internationalen Schutztruppe ISAF für – wie es heißt – Sonderaufgaben eingesetzt worden. Er selbst habe »mindestens ein Dutzend Mal« außerhalb der sogenannten »Area of Responsibility« operiert. Zu solchen Einsätzen sei er zum Beispiel von einem Bundeswehr-Major der Abteilung J2 aufgefordert worden. Die J2-Abteilung ist zuständig für das militärische Nachrichtenwesen. Die Truppe sammelt, selektiert und bewertet Informationen, die durch eigene Aufklärung oder die von verbündeten Diensten gewonnen werden.

Wohlgethan und andere deutsche Fernspäher seien auch an der Seite der niederländischen »Korps Commandotroepen« (KCT) außerhalb des ISAF-Gebietes eingesetzt gewesen. Das sollen Dokumente der Bundeswehr und des niederländischen Heeres belegen. Er sei vor Ort gewesen, als Anfang August 2002 südlich von Kabul zwölf Afghanen unter ungeklärten Umständen erschossen wurden.

In Verdacht gerät wieder einmal der Militärische Abschirmdienst (MAD). Mit uniformierten deutschen Militärgeheimdienstlern habe er in Kabul gegen angebliche Waffenhändler- und Labors vorgehen müssen, sagt Wohlgethan. Dem MAD sind Auslandseinsätze jedoch erst seit 2004 gesetzlich erlaubt – und dies nur innerhalb dortiger Bundeswehr-Objekte.

So wie Wohlgethan waren verschiedene Bundeswehrspezialisten immer wieder außerhalb der genehmigten Operationsgebiete tätig. Das betrifft unter anderen Fernmelder, Aufklärer und Ausbilder. Das in Potsdam beheimatete Einsatzführungskommando musste mehrfach solche Einsätze zugeben, summierte sie aber unter im Mandat erlaubte temporäre Verwendungen zur Unterstützung Verbündeter.

Über Einsätze des Kommandos Spezialkräfte (KSK) in und außerhalb von ISAF erteilt die Bundesregierung generell keine Auskünfte. Nur die Fraktionschefs und die Obleute des Verteidigungsausschusses werden ins »Vertrauen« gezogen Dagegen protestierte die LINKE und stützt sich dabei auf ein Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Parlaments.

Als Reaktion auf die im Buch erhobenen Vorwürfe fordert die stellvertretende Vorsitzende und sicherheitspolitische Sprecherin der FDP-Bundestagsfraktion Birgit Homburger »eine sofortige und lückenlose Aufklärung«. Die LINKE geht dagegen über solches Verlangen hinaus. »Die einzige Lösung, dieses illegale Agieren zu unterbinden, ist die Auflösung des Kommandos Spezialkräfte«, meint ihr Europaabgeordneter Tobias Pflüger. Die Bundesregierung müsse vor dem Bundestag Rechenschaft darüber ablegen, wie es zu einer solchen nicht hinnehmbaren Praxis kommen konnte und wer sie wie gedeckt hat. Zugleich verweist Pflüger auf die europäische Dimension solcher Einsätze.

* Aus: Neues Deutschland, 10. Januar 2008


Ex-Elite-Soldat im stern: Bundeswehr operierte in Afghanistan außerhalb des Mandatsgebietes

Hamburg (ots) - Mehrere Bundeswehrsoldaten sollen 2002 in Afghanistan mit Wissen ihrer Vorgesetzten außerhalb des vorgeschriebenen Mandatsgebietes operiert und damit gegen Vorgaben des Bundestages verstoßen haben. Laut einem Vorabbericht des Hamburger Magazins stern, behauptet dies der frühere Bundeswehr-Elitesoldat Achim Wohlgethan, der im Jahr 2002 bei der Kabul-Brigade der Internationalen Sicherheitsbeistandtruppe ISAF für Sonderaufgaben eingesetzt wurde. Er selbst habe ""mindestens ein Dutzend Mal" außerhalb der sogenannten "Area of Responsibility" operiert, sagte Wohlgethan. Zu solchen Einsätzen sei er zum Beispiel von einem Bundeswehr-Major der Abteilung J2 aufgefordert worden, die bei ISAF für militärisches Nachrichtenwesen zuständig war.

Weitere Einsätze außerhalb des ISAF-Mandatsgebietes hätten er und weitere Soldaten der Bundeswehr an der Seite der niederländischen "Korps "Commandotroepen" (KCT) durchgeführt. Zu dieser Spezialeinheit wurden Fallschirmjäger Wohlgethan und deutsche Fernspäh-Soldaten abgestellt, wie Dokumente der Bundeswehr und des niederländischen Heeres belegen. Wohlgethan bestätigt überdies, dass er mit niederländischen Spezialkräften vor Ort war, als Anfang August 2002 südlich von Kabul zwölf Afghanen unter ungeklärten Umständen erschossen wurden.

Zudem berichtet der Ex-Stabsunteroffizier im stern, wie er in Afghanistan für den Militärischen Abschirmdienst (MAD) eingesetzt wurde. So seien er sowie deutsche Fernspähsoldaten im Jahr 2002 mit uniformierten deutschen Militärgeheimdienstlern in Kabul gegen angebliche Waffenhändler- und Labors vorgegangen. MAD-Operationen im Ausland sind erst seit 2004 gesetzlich erlaubt, und dies nur innerhalb dortiger Liegenschaften der Bundeswehr.

Achim Wohlgethan schied im Januar 2006 aus der Bundeswehr aus und arbeitet heute als Sicherheitsberater. Er ist Autor eines Buches mit dem Titel "Endstation Kabul", das am Donnerstag in Berlin vorgestellt wird und aus dem der stern in dieser Woche vorab Auszüge veröffentlicht.

Darin berichtet Wohlgethan auch über den hohen Alkoholkonsum der Soldaten in Afghanistan: Es habe nicht einen einzigen Tag im Camp Warehouse gegeben, an dem die sogenannte "Zwei-Dosen-Regelung", nach der pro Bundeswehr-Soldat und Tag zwei Dosen Bier getrunken werden dürfen, eingehalten worden sei. Außerdem habe es 2002 erhebliche Sicherheitsmängel gegeben. Es hätten Geräte, Waffen und Strategien gefehlt, um sich im Ernstfall zu verteidigen oder zu evakuieren. Das habe sich bis heute nicht wesentlich geändert, so Wohlgethan.

Originaltext: Gruner+Jahr, stern
Digitale Pressemappe: http://www.presseportal.de/pm/6329
Pressekontakt: Diese Vorabmeldung ist mit Quellenangabe zur Veröffentlichung frei. Für Rückfragen: stern-Nachrichtenredaktion, Tel. 040/3703 3555



Ausschuss befasst sich mit Soldaten-Bericht über Mandats-Verstoß

Berlin (dpa) - Der Bericht zweier 2002 in Afghanistan eingesetzter Bundeswehrsoldaten über Verstöße gegen das Bundestagsmandat werden den Verteidigungsausschuss des Bundestages beschäftigen. Nach Angaben aus der Bundeswehr in Berlin bereitet das Verteidigungsministerium eine Stellungnahme für die Sitzung in der nächsten Woche vor. Die FDP forderte die Regierung zur sofortigen Aufklärung auf. Die Soldaten schildern in ihrem Buch «Endstation Kabul», dass Soldaten im Jahr 2002 aus Aufklärungsgründen die Mandatsgrenzen überschritten hätten.
(dpa, 10. Januar 2008


Neue Beweise für Mandatsverstoß

Die Bundeswehr hat offenbar gegen den Bundestagsbeschluss für den Afghanistan-Einsatz verstoßen. Dem niederländischen Radio liegen Beweise vor, dass Soldaten 2002 außerhalb des Isaf-Mandatsgebietes operierten. Gestern hatte ein ehemaliger Bundeswehr-Soldat gleichlautende Anschuldigungen erhoben.

Laut einem Bericht von Alexander Richter für "tagesschau.de" verdichten sich die Hinweise, dass die Bundeswehr im Afghanistan-Einsatz gegen das Bundestagsmandat für die deutsche Beteiligung an der Internationalen Afghanistan-Schutztruppe (Isaf) verstoßen hat. Recherchen der "Argos"-Redaktion des niederländischen Rundfunks VPRO belegen, dass deutsche Soldaten sich außerhalb des Isaf-Mandatsgebiets bewegten. "Argos" beruft sich auf Schreiben des niederländischen Verteidigungsministeriums und auf Fotos, die während eines Einsatzes im Mai 2002 gemacht wurden.

Die Bilder, so heißt es in der online-Ausgabe der Tagesschau weiter, zeigten Soldaten in Bundeswehr-Uniformen und Angehörige des niederländischen Spezialkommandos KCT, sagte "Argos"-Redakteur Huub Jaspers gegenüber tagesschau.de. Während einer Operation, die außerhalb des damaligen Isaf-Gebiets durchgeführt wurde, hätten sich die Soldaten gegenseitig fotografiert. Das Verteidigungsministerium bestätigte laut Jaspers die Authentizität der Bilder und die Mission jenseits des Mandatsgebiets.

Die bisher unbekannte Zusammenarbeit deutscher Isaf-Soldaten mit dem KCT wurde im Übrigen vom niederländischen Verteidigungsministerium bestätigt. "Das KCT-Kontingent stand anfänglich unter dem Befehl einer deutschen Kampfgruppe. Damals waren etwa vier Deutsche zum KCT abkommandiert", heißt es in einem Ministeriumsschreiben vom 16.10.2007 an "Argos". Das Bundesverteidigungsministerium wollte gegenüber tagesschau.de zu den niederländischen Recherchen keine Stellungnahme abgeben.

Quelle: www.tagesschau.de


KSK auflösen!

Tobias Pflüger, Europaabgeordneter der Partei Die Linke, Mitglied im Auswärtigen Ausschuß und Koordinator der Linksfraktion (GUE/NGL) im Unterausschuß Sicherheit und Verteidigung, fordert die Auflösung des Kommando Spezialkräfte (KSK):

Der im aktuellen Stern veröffentlichte Bericht über das Agieren von Soldaten des Kommando Spezialkräfte (KSK) mit Billigung ihrer Vorgesetzten außerhalb der beschlossenen und gesetzlichen Vorgaben, bestätigt unsere Kritik der geheimen Bundeswehr-Elitetruppe. Die einzige Möglichkeit, dieses illegale Agieren zu unterbinden, ist die Auflösung des Kommando Spezialkräfte.

Der Bericht, der sich auf Aussagen des Bundeswehrelitesoldaten Achim Wohlgethan stützt, unterstreicht die immer wieder von uns geäußerte Kritik, daß das Kommando Spezialkräfte außerhalb jeder parlamentarischen und rechtlichen Kontrolle agiert und daß eine Reihe von Fragen zum KSK nach wie vor offen sind, so z.B. wie die genaue Befehls- und Kommandostruktur aussieht.

Die zentrale Frage ist, wie beim KSK mit Gefangenen umgegangen wurde und wird. Entsprechende »Rules of Engagement« wurden erst sehr verspätet eingeführt, zuvor agierten die Soldaten des KSK aufgrund des Versagens ihrer Vorgesetzten auf eigene Verantwortung und eigenes Risiko. In der Vergangenheit gab es darüber hinaus wiederholt Foltervorwürfe gegenüber dem KSK. (...)

(...) Die Bundesregierung muß vor dem Bundestag Rechenschaft darüber ablegen, wie es zu einer solchen nicht hinnehmbaren Praxis kommen konnte, wer sie wie gedeckt hat und wie die Bundesregierung gedenkt, eine umfassende Aufklärung dieser Einsätze zu betreiben und wie der zukünftige Umgang mit dem KSK aussehen soll. (...)




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