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Steinmeier: "Wir verhindern, dass sich Afghanistan erneut zum Rückzugsraum für Terroristen entwickelt" - Gysi: "Es gibt jetzt eine Macht von Drogenbaronen und von Warlords"

Der Bundestag diskutierte in erster Lesung über die Verlängerung des ISAF- und Tornadoeinsatzes - Die Debatte im Wortlaut

Im Folgenden dokumentieren wir die zum Teil hitzig geführte Bundestagsdebatte vom 20. September 2007 über die Verlängerung des ISAF-Einsatzes der Bundeswehr in Afghanistan. Es sprachen


Deutscher Bundestag, 115. Sitzung
Berlin, Donnerstag, den 20. September 2007


V O R A B - V E R Ö F F E N T L I C H U N G
DER NACH § 117 GOBT AUTORISIERTEN FASSUNG
VOR DER ENDGÜLTIGEN DRUCKLEGUNG

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Wir kommen nun zu den Tagesordnungspunkten 3 a und 3 b:

a) Beratung des Antrags der Bundesregierung

Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz der Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe in Afghanistan (International Security Assistance Force, ISAF) unter Führung der NATO auf Grundlage der Resolutionen 1386 (2001) vom 20. Dezember 2001, 1413 (2002) vom 23. Mai 2002, 1444 (2002) vom 27. November 2002, 1510 (2003) vom 13. Oktober 2003, 1563 (2004) vom 17. September 2004, 1623 (2005) vom 13. September 2005, 1707 (2006) vom 12. September 2006 und 1707 (2007) vom 19. September 2007 des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
- Drucksache 16/6460 -

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Rechtsausschuss
Verteidigungsausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
Haushaltsausschuss gemäß § 96 GO

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Jürgen Trittin, Winfried Nachtwei, Kerstin Müller (Köln), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
ISAF und OEF parlamentarisch gemeinsam behandeln
- Drucksache 16/6325 -

Zum Antrag der Bundesregierung liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für diese Aussprache 75 Minuten vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so vereinbart.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat zunächst der Bundesminister des Auswärtigen, Frank Steinmeier.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des Auswärtigen:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Dass wir in Deutschland eine öffentliche Debatte über Auslandseinsätze und über Afghanistan führen, ist gut. Die Art und Weise, wie sie geführt wird, macht es notwendig, dass wir zu Beginn dieser Debatte an zwei Dinge erinnern:

Erstens. Es waren die mörderischen Anschläge vom 11. September, die uns nach Afghanistan gebracht haben.

Zweitens. Erst mithilfe der gesamten internationalen Staatengemeinschaft ist es gelungen, das verbrecherische Regime der Taliban niederzuringen.

Erst seither - darum geht es mir - stellen wir uns in diesem Hohen Hause jedes Jahr die Frage, wie wir verhindern können, dass sich Afghanistan erneut zum Rückzugsraum für Terroristen entwickelt.

Ich sage Ihnen gleich vorweg: Unsere Antwort auf diese Frage war nie schlicht, sie war nie einfältig. Sie lautete von Anfang an: Wir verhindern das, indem wir den Menschen in Afghanistan eine neue Perspektive, neue Hoffnung geben, indem wir sie dabei unterstützen, das Land wiederaufzubauen, indem wir es ihnen ermöglichen, die Zukunft ihres Landes wieder in die eigenen Hände zu nehmen, und indem wir sie unterstützen, die Verantwortung für die Sicherheit im eigenen Lande schrittweise wieder selbst zu übernehmen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das war von Anfang an unsere Politik. Möge mir heute keiner mit dem dämlichen Argument kommen, wir hätten von Anfang an nur Panzer und Soldaten in untauglicher Weise gegen Fundamentalismus eingesetzt. Das stimmt nicht.

(Dr. Peter Struck (SPD): Richtig!)

Aus meiner Sicht kann kein Zweifel daran bestehen - wie ich weiß, haben sich viele von Ihnen in den letzten Monaten davon überzeugen können -, dass wir in Afghanistan einiges erreicht haben. Nach den jahrzehntelangen Kriegen bzw. Bürgerkriegen, durch die vieles in Trümmer gelegt wurde, ist die Wirtschaft etwas in Gang gekommen. Nach inzwischen fast sechs Jahren haben sich die staatlichen Institutionen - das gilt auch für die Regierung - etwas Freiraum erkämpft. Besonders im Norden, wo wir Verantwortung tragen, sind neue Schulen und neue Straßen gebaut sowie Brunnen gebohrt worden. Über 6 Millionen Kinder können dort wieder eine Schule besuchen. Die Schülerzahl hat sich in den letzten sechs Jahren mehr als verfünffacht. Immerhin 80 Prozent der dortigen Bevölkerung haben wieder Zugang zu medizinischer Versorgung.

Trotz alledem muss ich sagen: Ja, es stimmt; der Weg hat sich als schwieriger erwiesen, als wir, als viele von uns sich erhofft haben. Insbesondere im Süden und Südosten des Landes vollzieht sich der Aufbau, natürlich auch aus Sicht der afghanischen Bevölkerung, bei weitem nicht schnell genug. Wenn das richtig ist, frage ich: Welche Schlussfolgerung ziehen wir daraus? Gehen, weil es schwierig ist? Ich glaube nicht. Ich glaube, die einzig mögliche Schlussfolgerung, die wir daraus ziehen können, ist, dass wir mehr tun müssen, dass wir unsere Anstrengungen im Rahmen des zivilen Wiederaufbaus verstärken müssen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist ja auch der Kern des Afghanistankonzepts, das wir Ihnen gerade vorgelegt und über das wir in einigen Ausschüssen schon gesprochen haben. Wir brauchen eine deutliche Aufstockung der Mittel für die zivile Wiederaufbauhilfe. Ich bin mir sicher, dass der Deutsche Bundestag das in der Schlussabstimmung über den Haushalt auch so beschließen wird.

Wir müssen uns nicht gegenseitig darüber belehren, wie schwierig die Sicherheitslage ist. Die internationale Staatengemeinschaft hat es zwar vermocht, eine drohende Frühjahrsoffensive der Taliban zu verhindern, aber die Gefährdungen haben sich auf andere Art und Weise entwickelt. Wir haben bei den Anschlägen in Kunduz und Kabul erleben müssen, wie deutsche Polizisten und deutsche Soldaten auf tragische Weise ums Leben gekommen sind.

Meine Damen und Herren, in dieser Situation ist es notwendig, dass wir neben dem zivilen Engagement, von dem ich gesprochen habe, auch unser militärisches Engagement aufrechterhalten. Das sagen übrigens auch die Afghanen, die hier gegenwärtig zu Gast sind und mit denen Sie ja Gespräche führen. Das hat uns auch die afghanische Frauenministerin vor kurzem bei ihrem Besuch in der SPD-Fraktion gesagt, begleitet mit der dringlichen Bitte, die Menschen in Afghanistan - gerade die Frauen - in der gegenwärtigen Lage nicht alleinzulassen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich könnte es zuspitzen und sagen: Es ist doch irrig, zu glauben, wir könnten gerade in der derzeitigen Situation auf die militärische Komponente unseres Einsatzes völlig verzichten. Oder noch genauer gesagt: Wer heute den Abzug unserer Truppen aus Afghanistan fordert, setzt all das aufs Spiel, was wir in den letzten sechs Jahren dort aufgebaut haben.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Wer sich dabei auch noch in der moralisch besseren Position fühlt, der sollte nicht nur den Drachenläufer von Khaled Hosseini lesen - den haben Sie alle vermutlich gelesen -, sondern auch sein neues Buch Tausend strahlende Sonnen. Schauen Sie einmal auf den Katalog an Verboten -Sie finden ihn auf den Seiten 257 f.; er ist anderthalb Seiten lang! -, durch die in zynischer und menschenverachtender Weise jedes Leben in Kabul nach dem Einzug der Taliban im Grunde genommen unmöglich gemacht worden ist. Etwas, das den Namen ?Leben“ verdient, blieb nicht übrig. Wer das will, der muss in der Tat fordern, dass wir unser Engagement in Afghanistan aufgeben. Ich glaube, an einer solchen Forderung können und sollten wir uns nicht beteiligen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Damen und Herren, aus diesen Gründen hat der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen heute Nacht das ISAF-Mandat bestätigt. Deshalb bittet auch die Bundesregierung Sie als Abgeordnete des Deutschen Bundestages, das Mandat zu verlängern.

Es geht neben dem ISAF-Mandat gleichzeitig um die Verlängerung des Einsatzes der Aufklärungstornados. Ich habe die Debatte, die wir dazu hier im Hohen Haus vor einem halben Jahr geführt haben, in guter Erinnerung. Ich glaube, ich darf mit den meisten von Ihnen sagen, dass sich viele Befürchtungen, die sich an den Einsatz der Aufklärungstornados knüpften, nicht bestätigt haben. Ich sage: Unsere Entscheidung damals war richtig. Die Tornados werden zur Aufklärung eingesetzt. Sie helfen der ISAF, die Lage vor Ort besser zu beurteilen. Sie helfen auch, militärische Mittel angemessener einzusetzen, was ja - darüber haben wir hier in vielen Debatten miteinander diskutiert - unser gemeinsamer Wunsch war.

Wir schlagen bei alldem vor, das ISAF-Mandat und das Tornado-Mandat zusammenzulegen. Inhaltlich - das wird der Verteidigungsminister erläutern - bleiben die Mandate unverändert; aber sie geben uns die Möglichkeit, durch eine gemeinsame Obergrenze die Soldaten flexibler einzusetzen, um zum Beispiel - das haben wir hier im Hohen Hause schon als notwendig festgestellt - die afghanischen Sicherheitskräfte, vor allen Dingen die afghanische Armee, beim Aufbau und bei der Ausbildung besser zu unterstützen. Genau das müssen wir tun.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Lassen Sie mich zum Abschluss eines sagen: Unsere Soldaten leisten in Afghanistan genauso wie die zivilen Wiederaufbauhelfer und unsere Polizisten unter schwierigsten Bedingungen einen hervorragenden Job. Sie haben sich bei den Afghanen, aber auch bei unseren internationalen Partnern große Anerkennung erworben. Sie wissen das. Deshalb sage ich: Dafür gebührt ihnen unser uneingeschränkter Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Bei Debatten wie dieser geht es aber nicht nur ums Danksagen, sondern auch darum, den Soldaten, Aufbauhelfern und Polizisten die breite Unterstützung des Hohen Hauses zu signalisieren, die sie bei einem solchen Einsatz unter schwierigen Bedingungen brauchen. Deshalb erhoffe ich mir am Ende dieser Debatte eine breite Zustimmung dieses Hohen Hauses. Ich bitte Sie um Unterstützung bei der Verlängerung des Antrags.

Danke.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Werner Hoyer für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Dr. Werner Hoyer (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die FDP-Bundestagsfraktion wird den Antrag der Bundesregierung, dessen endgültige Fassung wir erst seit wenigen Stunden kennen, sorgfältig, unvoreingenommen und verantwortungsbewusst prüfen. Nach allen Vorgesprächen gehe ich davon aus, dass wir nach sorgfältigen Beratungen in den Ausschüssen dem Antrag, wahrscheinlich mit überwältigender Mehrheit, zustimmen werden.

Der Bundesminister hat zu Recht noch einmal darauf hingewiesen, warum wir uns in Afghanistan engagieren, warum es unsere moralische Verpflichtung ist, warum es aber auch unserem ureigenen Interesse dient, diesen Einsatz effektiv fortzusetzen.

Wir bedauern, dass die Entscheidung über ISAF aus innerparteilichen Gründen von der Entscheidung über OEF getrennt worden ist. Man kann die beiden Dinge nicht getrennt bewerten.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ruprecht Polenz (CDU/CSU))

Zumindest gibt dies der Bundesregierung die Chance - wir sprachen heute schon in einer Unterrichtung im Verteidigungsministerium darüber -, die betroffenen Ausschüsse, aber auch den Deutschen Bundestag insgesamt besser über das zu unterrichten, was bei der Operation Enduring Freedom passiert.

Die Unterscheidung zwischen dem vermeintlich bösen OEF-Mandat und dem guten ISAF-Aufbaumandat scheint mir nicht sachgerecht und nicht fair gegenüber unseren Partnern, die sich bei OEF besonders engagieren.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Ich möchte im Übrigen daran erinnern, dass gestern im Süden Afghanistans die große Operation ?Hammerschlag“ mit 2 500 ISAF-Soldaten begonnen hat. Diese Terrorbekämpfungsaktion wird also von der ISAF durchgeführt. Die häufig vorgenommene Unterscheidung zwischen ISAF und OEF ist daher nicht in Ordnung.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Insofern sind die Debatten auf manchen Parteitagen geradezu bizarr: Neben der Tatsache, dass die grüne Basis ihren Bundestagsabgeordneten Verantwortungsverweigerung auferlegen will - wie am letzten Wochenende beschlossen -, finde ich es bemerkenswert, mit welchem Verfahren die Parteiführung versucht hat, eine Entscheidung herbeizuführen. Wer bei einer so gravierenden Gewissensentscheidung - das ist es am Ende für jeden von uns - die Feststellung einer Parteimeinung über Fragebögen im Multiple-Choice-Verfahren ermitteln will, verabschiedet sich von Verantwortungsübernahme.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben mit der Zusammenlegung der Entscheidung über das ISAF-Mandat und der Entscheidung über den Einsatz von Tornados kein Problem. Wir richten unseren ausdrücklichen Dank an die Angehörigen des Aufklärungsgeschwaders. Unsere vor einem halben Jahr in dieser Sache getroffene Entscheidung war schwierig, aber richtig.

Wenn wir - höchstwahrscheinlich - zustimmen werden, heißt das nicht, dass wir nicht Kritik zu üben hätten und nicht auf Verbesserung drängten. Ich unterstütze zunächst einmal ausdrücklich einen Punkt, den der Minister angesprochen hat: das Umsteuern hin zur Bewältigung der Herausforderungen des Wiederaufbaus. Ich möchte darüber hinaus vier kurze Anmerkungen machen:

Erstens. Die Rolle der NATO in diesem Zusammenhang muss politischer werden. Es kann nicht sein, dass der Generalsekretär der NATO mit dem Verweis, die NATO dürfe keine Entwicklungsagentur werden, darauf besteht, dass wir uns auf das Militärische beschränken. Wenn die Gefahr besteht, dass aufgrund unseres Versagens im nichtmilitärischen Teil, nämlich dem Aufbau Afghanistans, auch die militärische Mission scheitert, dann ist es im Interesse des Bündnisses und seiner Mitglieder, dass wir unsere Aktivitäten im nichtmilitärischen Teil zumindest einmal koordinieren und gemeinsam festlegen, welche Ziele - sie sollten übrigens manchmal etwas bescheidener sein - wir verfolgen und welche effektiven Zielerreichungsstrategien wir anwenden wollen.

(Beifall bei der FDP)

Übrigens möchte ich darauf hinweisen, dass die NATO ein Konsensgremium ist. Es kann keine Forderung der NATO an Deutschland geben, die nicht auch von den deutschen Vertretern abgesegnet worden ist. Deswegen frage ich mich manchmal, welche Weisungen die Leute, die für uns in den Gremien der NATO sitzen, eigentlich haben.

Zweitens. Es ist Erhebliches geleistet worden; Minister Steinmeier hat darauf hingewiesen. Das sollten wir nicht kleinreden. Was wir allerdings einfordern müssen, ist mehr Nachhaltigkeit. Unsere Kolleginnen und Kollegen aus Afghanistan, von denen einige heute auf der Besuchertribüne sitzen, haben uns gestern gesagt: Es gibt einen ?lack of continuity“, also einen Mangel an Kontinuität und auch an Nachhaltigkeit. Es ist unbefriedigend, wenn wir mit großem Aufwand Schulen bauen, nach ein paar Jahren aber nicht mehr genug Geld zur Verfügung steht, um die Stellen der Lehrer finanzieren und diese Schulen tatsächlich betreiben zu können.

Drittens. Auch und erst recht im Bereich von Verwaltung, Polizei und Justiz gibt es einen Mangel an Rechtsstaatlichkeit; das haben uns unsere Kollegen gestern berichtet. Daher müssen wir feststellen, dass der Vorsitzende des Bundeswehr-Verbandes schlicht und ergreifend recht hat, wenn er unseren Beitrag im Rahmen der Polizeiausbildung zwar als gut gemeint, aber zugleich als beschämend bescheiden darstellt. Hier müssen wir dringend zulegen und in qualitativer und quantitativer Hinsicht in neue Dimensionen vorstoßen.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Ruprecht Polenz (CDU/CSU))

Viertens. Der große Schwachpunkt all unserer Bemühungen in Afghanistan ist und bleibt das Thema Drogen. Als es damals um die Ausweitung des Einsatzes auf Kunduz ging, habe ich darauf hingewiesen, dass wir unsere Soldaten in eine ?Mission Impossible“ schicken, wenn wir auf Dauer dabei zusehen, wie unsere Soldaten vor blühenden Mohnfeldern patrouillieren und damit das dreckige Geschäft der Drogenbarone - ich meine nicht die Bauern, sondern die Zwischenhändler, die Laborbetreiber usw. - sogar noch militärisch absichern. Wenn wir uns nicht möglichst schnell gemeinsam mit unseren Partnern auf einen Weg verständigen, um dieses Problem zu lösen - dafür werden wir ein Bündel von Maßnahmen brauchen, nicht nur eine einzelne Maßnahme -, dann wird auch unsere militärische Aktion scheitern.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen.

Dr. Werner Hoyer (FDP):

Dann können wir eines Tages unseren Soldaten, unseren zivilen Aufbauhelfern und unseren Polizisten nicht mehr zumuten, dort länger tätig zu sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat der Bundesminister der Verteidigung, Dr. Franz Josef Jung.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Dr. Franz Josef Jung, Bundesminister der Verteidigung:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich kann nahtlos an das anschließen, was der Bundesaußenminister gerade gesagt hat. Ich denke, ganz entscheidend ist die Tatsache, dass es uns gelungen ist, innerhalb der NATO unser Konzept der vernetzten Sicherheit, das wir im Rahmen des Weißbuchs verabschiedet haben, als Gesamtkonzept für Afghanistan durchzusetzen. Wir haben es in unserem Afghanistan-Konzept wie folgt beschrieben: ohne Sicherheit keine Entwicklung und kein Wiederaufbau, aber ohne Entwicklung und Wiederaufbau auch keine Sicherheit. Ich bin der felsenfesten Überzeugung, dass das Konzept der vernetzten Sicherheit erfolgreich sein wird, um das Vertrauen der Bevölkerung, also die Herzen und die Köpfe der Menschen, zu gewinnen und in Afghanistan für Stabilität und für eine friedliche Entwicklung zu sorgen. Vor diesem Hintergrund bittet die Bundesregierung das Parlament, das Mandat ISAF und das Mandat bezüglich des Einsatzes der Recce-Tornados jetzt um ein Jahr zu verlängern.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

In der jetzigen Debatte müssen wir auch unterstreichen, was wir in den Jahren, in denen wir in Afghanistan Aufbauarbeit leisten, bereits erreicht haben. Im Norden des Landes haben wir über 700 konkrete Projekte durchgeführt. Diese Projekte reichten von der Herstellung von Strom- und Wasserversorgung über die Errichtung von Straßenverbindungen, Schulen und Kindergärten bis hin zur Verbesserung der medizinischen Versorgung. Man muss den Blick allerdings auch auf Gesamtafghanistan richten. Wir haben dieses Land von der Terrorherrschaft der Taliban befreit. Nun hat das Land eine Verfassung und ein gewähltes Parlament.

Dass heute Parlamentarier aus Afghanistan, auch weibliche Parlamentarier, diese Debatte verfolgen können, ist auch ein Erfolg unserer Politik. Ich begrüße Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen aus Afghanistan, herzlich in unserem Parlament!

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich kann weitere Beispiele bringen: Als ich in Kabul war, kamen Mädchen lächelnd, freundlich und fröhlich aus den Schulen gelaufen.

(Zurufe von der LINKEN: Oh! Oh! - Na ja!)

Unter der Herrschaft der Taliban durften Mädchen nicht zur Schule gehen. Mit Ihrer Politik - Sie lehnen einen solchen Einsatz ja ab - wäre das nicht möglich gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN -Widerspruch bei der LINKEN)

Früher gingen in Afghanistans Schulen 1 Million Schüler, jetzt sind es über 6,5 Millionen. Wir haben erreicht, dass fast 80 Prozent der Bevölkerung im Land Zugang zu medizinischer Grundversorgung haben. 4,7 Millionen Flüchtlinge sind in dieses Land zurückgekehrt. Die Höhe der Einkommen hat sich verdoppelt. Wir haben eine wesentlich verbesserte Infrastruktur; wir haben gerade erst im Norden eine Brücke für eine Straßenverbindung nach Tadschikistan eingeweiht. Wir stellen Krankenhäuser wieder her. Wir sind hier auf einem Weg des Erfolges. Diesen Weg des Erfolges müssen wir weitergehen.

Der Weg, den Sie von der Linken uns empfehlen, nämlich Rückzug, wäre dagegen der falsche Weg, auch im Hinblick auf die Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Das würde nämlich einen Rückfall zur Folge haben, sodass Afghanistan wieder zum Ausbildungszentrum für Terroristen würde.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN - Zuruf von der LINKEN: Hören Sie auf, solch einen Quatsch zu reden!)

Wir haben konkret vor, auch mit diesem Mandat, unsere Aktivitäten im Norden weiter zu verstärken. Wir sind damals mit den Provincial Reconstruction Teams, wie es in der Fachsprache heißt, also mit den Wiederaufbauteams in den einzelnen Regionen, vorangegangen. Wir wollen jetzt mit Provincial Advisory Teams den Menschen in den einzelnen Regionen mit Beratung und Unterstützung helfen. Damit dehnen wir diesen Prozess innerhalb Nordafghanistans aus.

Wir werden weiterhin, da wir im Norden die Verantwortung für den strategischen Lufttransport haben, für die medizinische Versorgung, gegebenenfalls auch für Evakuierung aus medizinischen Gründen sorgen. Wir wollen auf diesem Weg weiter erfolgreich vorangehen. Wir wollen unsere Anstrengungen zur Ausbildung der afghanischen Armee verdreifachen. Denn unser Konzept muss ja letztlich zum Ziel haben, dass die afghanische Regierung in die Lage versetzt wird, selbst für ihre Sicherheit zu sorgen: deshalb die Ausbildung der Polizei, deshalb die Verdreifachung der afghanischen Streitkräfte. Das ist unser Konzept, und ich glaube, das ist der richtige Weg für Afghanistan.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die Diskussion über den Süden will ich sagen: Wir lassen in Notsituationen Freunde nicht im Stich. Wir sind zurzeit mit insgesamt 3 200 Soldaten im Norden, einer Region, die halb so groß ist wie die Bundesrepublik Deutschland. Wir haben hier eine Verantwortung für 17 Nationen. Im Süden stehen 14 500 Soldaten, im Osten 16 500, also insgesamt über 30 000 Soldaten. Aber wenn Freunde in Not kommen, helfen wir: Wir haben mit 120 Lufttransportflügen geholfen, wir haben mit Fernmeldern ausgeholfen. Um letztlich zur Stabilisierung und zur friedlichen Entwicklung des gesamten Landes zu kommen, ist es, wie ich denke, richtig, dass wir unsere Verantwortung im Norden wahrnehmen und dort unseren Weg weitergehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Das Thema der zivilen Opfer hat am Anfang dieses Jahres in der öffentlichen Diskussion eine bedeutende Rolle gespielt. Wir haben über eine Weisung des COM ISAF mit dafür gesorgt, dass alle Anstrengungen unternommen werden, um zivile Opfer zu vermeiden. Es ist natürlich die hinterhältige Strategie der Taliban, bewusst zivile Opfer zu verursachen, um die politische Diskussion zu instrumentalisieren. Deshalb ist es richtig, dass die entsprechende Weisung an die Soldaten ergangen ist. Dass in Zukunft zivile Opfer vermieden werden, ist wichtig, um das Vertrauen der Bevölkerung in unseren Einsatz zu gewinnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der FDP)

Deshalb denke ich, wir sind in Afghanistan auf einem erfolgreichen Weg. Diesen Weg wollen wir gemeinsam fortsetzen: im Interesse von friedlicher und stabiler Entwicklung in diesem Land, im Interesse der Menschen in diesem so geschundenen Land Afghanistan, aber auch im Interesse der Sicherheit unserer Bürgerinnen und Bürger. Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung zu diesem Mandat.

Besten Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Da Sie, Herr Bundesverteidigungsminister Jung, vor mir gesprochen und Sie gesagt haben, dass Sie sich auf bestimmte Wege nicht einlassen, muss ich Ihnen sagen: Die Wege, die Sie planen zu gehen, sind fernab von anderen Vorstellungen, fernab vom Grundgesetz und fernab vom Bundesverfassungsgericht. Das ist nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)

Lassen Sie mich einige Sätze dazu sagen. Ich kenne die Theorie, wonach man, wenn man ein entführtes Passagierflugzeug abschießt, zwar Tote verursacht, die es sowieso geben würde, aber das Leben anderer rettet. Das ist doch Ihr Ausgangspunkt.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Hier vorne spielt die Musik! - Zuruf von der CDU/CSU: Sagen Sie etwas zu Afghanistan!)

- Ich sage gleich etwas zu Afghanistan. - Herr Minister Jung, Sie haben in einer solchen Situation aber nur wenige Minuten, um zu entscheiden, und Sie können nur vermuten, was der Pilot macht.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bitte etwas lauter! Gebt ihm mehr Saft!)

Es ist doch abenteuerlich, prophylaktisch zu töten. Das ist das, was Sie erklärt haben. Ich sage Ihnen: Das wäre eine Anstiftung zum vielfachen Totschlag und ist in unserer Gesellschaft nicht hinnehmbar.

(Beifall bei der LINKEN - Alexander Bonde (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ist trotzdem das falsche Thema! - Zuruf von der CDU/CSU: Zum Thema!)

Da wir jetzt über Afghanistan sprechen: Es gibt in unserer Gesellschaft sehr unterschiedliche Positionen, die Sie nicht zur Kenntnis nehmen. Der Parteitag der Grünen hat sich jetzt wieder früheren antimilitaristischen Positionen angenähert, was wir im Unterschied zu anderen begrüßen. Die anderen kritisieren die Grünen dafür, dass sie außenpolitisch unzuverlässig werden. Sie merken gar nicht mehr, dass Militär und Außenpolitik für sie zu einer Einheit geworden sind, was wir überwinden wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Natürlich haben die Grünen dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Jugoslawien und bisher allen Militäreinsätzen in Afghanistan zugestimmt. Es wird höchste Zeit, dass Sie wieder einmal auf Ihre Basis hören und Ihre Positionen schrittweise verändern.

(Beifall bei der LINKEN)

Der Außenminister hat zu Recht gesagt, dass die Taliban in Afghanistan bekämpft und entmachtet werden sollten. Nun sollen auch die Menschenrechte wiederhergestellt werden. Das Talibanregime wurde beseitigt; das ist wahr. Es wird aber nie dazugesagt, dass die Nordallianz deutlich an Macht gewonnen hat. Die Stellung der Nordallianz zu Frauen- und zu Menschenrechten ist ähnlich wie die der Taliban. Das wird verschwiegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Es gibt jetzt eine Macht von Drogenbaronen und von Warlords, die einfach nicht hinnehmbar ist. Das Bild, das hier gemalt wird, dass jetzt alle in traumhaften Zuständen dort leben würden, hat mit der Realität nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der CDU/CSU)

Es gibt entsprechende Studien. Nach sechs Jahren geht jedes fünfte Mädchen in Afghanistan zur Schule.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD) - Jedes fünfte Mädchen. - Das ist für Sie ein Riesenerfolg. Ich finde das eine Schande. Jedes Mädchen muss zur Schule gehen.

(Beifall bei der LINKEN - Zurufe von der CDU/CSU und der SPD)

Ich erkläre Ihnen, warum Sie so aufgeregt sind: Die Mehrheit der Bevölkerung ist auf unserer Seite und nicht auf Ihrer. Das macht Sie so nervös.

(Beifall bei der LINKEN - Christoph Strässer (SPD): Noch nichts vom ?Politbarometer“ gehört?)

Jetzt sage ich Ihnen noch etwas: Wir hatten gerade Besuch von Malalai Joya, einer sehr tapferen und mutigen afghanischen Frau.

(Zuruf von der SPD)

- Finden Sie nicht? - Sie ist mit vielen Stimmen in die verfassunggebende Versammlung gewählt worden. Natürlich kannte sie die Herren und sagte ganz konkret, wer Drogenbaron, wer Warlord etc. war. Daraufhin hat die Mehrheit beschlossen, sie wieder aus dem Parlament herauszuschmeißen. Das versteht man dort auch unter Demokratie.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bin sehr froh, dass sie zu uns gekommen ist.

(Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Setzen!)

Sie vertritt nicht in allen Punkten unsere Auffassung; seien Sie doch ganz ruhig. Sie hat zum Beispiel gesagt, dass mit den deutschen Soldaten die Hoffnung auf Befreiung verbunden war. Das stimmt. Sie hat auch gesagt, dass diese Hoffnung weniger mit den US-Soldaten und eher mit den europäischen Soldaten verbunden war. Das Problem war nur, sagte sie, dass man die Nordallianz hätte entwaffnen müssen, sie aber aufgerüstet worden sei. Sie sagte weiter: Die Nordallianz achtet Frauenrechte genauso wenig wie die Taliban. - Das ist das Problem.

(Beifall bei der LINKEN)

Dasselbe sagt sie von den Warlords und den Drogenbaronen.

Eines kommt noch hinzu: Sie sagte, sie habe auf die deutschen Soldaten gehofft. Das Problem sei nur, dass sich die deutschen Soldaten der US-Strategie unterwerfen. Deshalb sei es keine Befreiung, sondern eine Besatzung geworden. - Das sagen nicht wir, das sagt diese afghanische Frau. Reden Sie doch mit ihr!

(Beifall bei der LINKEN - Christoph Strässer (SPD): Das machen wir!)

Da ich weiß, dass sie auf der Besuchertribüne sitzt, möchte ich sie - mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident - herzlich begrüßen.

(Beifall bei der LINKEN)

Lassen Sie mich noch etwas zu Ihren Argumenten anmerken. Unter der sowjetischen Besatzung konnten Mädchen zur Schule gehen. Frauen durften sogar Fußball spielen. Das hat die Besatzung niemals gerechtfertigt. Damals haben Sie das auch nicht behauptet. Sie haben Ihre Vorstellungen im Laufe der Jahre sehr stark geändert. Darauf muss man hinweisen.

(Beifall bei der LINKEN)

Derzeit wird - auch bei den Grünen - darüber diskutiert, ob die Strategie der deutschen Soldaten geändert und dann gegebenenfalls dem ISAF-Mandat zugestimmt werden könnte. Abgesehen davon, dass ISAF gerade eine große Offensive gestartet hat, ist eines zu bedenken: Weder die rot-grüne noch die heutige Regierung hatten die Kraft, sich gegen die USA zu stellen und eine andere Strategie zu verfolgen. Sie wollen es auch nicht. Deshalb müssten Sie nach Ihrem Parteitagbeschluss auch gegen ISAF stimmen, so wie wir das tun.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie haben über die Frauen- und Menschenrechte gesprochen. In wie vielen Ländern wollen Sie eigentlich aus diesem Grund intervenieren? Wie ist es um die Frauenrechte in Saudi-Arabien bestellt?

(Beifall bei der LINKEN)

Dort dürfen die Frauen nicht einmal Auto fahren. Sie dürfen ohne Genehmigung ihres Ehemannes nicht das Land verlassen. Sie werden schlicht und einfach unterdrückt. Aber Herr Bush und seine Familie machen dickste Geschäfte mit der herrschenden Familie in Saudi-Arabien.

(Beifall bei der LINKEN)

Deshalb interessieren ihn dort die Menschenrechte nicht.

Es gibt sehr viele Länder in Afrika, Asien und Lateinamerika, in denen Sie einmarschieren müssten. Selbst die USA müssten Sie wegen Guantánamo angreifen. Werden Sie doch nicht albern: Als ob Sie Ihr Militär überall dorthin schicken, wo Menschenrechte verletzt werden.

(Beifall bei der LINKEN - Christoph Strässer (SPD): Das ist doch niveaulos!)

Es wird immer wieder gefragt, was passiert, wenn wir das Land verlassen. Als Antwort wird immer die schlimme Herrschaft der Taliban genannt. Das ist völlig falsch.

(Bernd Schmidbauer (CDU/CSU): Moralapostel! Und das bei der Vergangenheit!)

Wir müssen die Nordallianz entwaffnen.

(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Zurufe von der SPD: Wie denn?)

Sie bewaffnen hingegen die Nordallianz. Das ist die Wahrheit. Sie sehen zu, wie die Nachbarländer eine völlig unterschiedliche Politik betreiben. Ob Russland, Usbekistan, Pakistan oder der Iran: Sie alle bewaffnen entweder die Taliban oder die Nordallianz. Sie aber schauen nur zu. Das ist die Realität; darin liegt das Problem.

(Beifall bei der LINKEN - Bernd Schmidbauer (CDU/CSU): Was haben Sie denn früher gemacht?)

Sie haben angekündigt, Sie wollten die Polizei und Armee ausbilden. Was machen Sie denn seit sechs Jahren?

(Bernd Schmidbauer (CDU/CSU): Was haben Sie denn in Ihrer Vergangenheit gemacht?)

Warum gibt es noch keine eigenständige Polizei in Afghanistan? Warum gibt es keine Armee? Nichts ist diesbezüglich ernsthaft geleistet worden.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie tun immer, als ginge es um die Menschenrechte. Ich zitiere in diesem Zusammenhang Herrn Greenspan - er ist kein Linker -, der erste Notenbankpräsident der USA, der einen ausgeglichenen Haushalt zustande gebracht hat und gerade seine Memoiren veröffentlich hat: Der wesentliche Grund für den Krieg im Irak war das Öl.

(Zuruf von der SPD: Ach!)

- Ja, das stammt nicht von mir, sondern von ihm.

Im Übrigen haben die USA hervorragend mit den menschenverachtenden Taliban verhandelt, und zwar über eine Gaspipeline durch Afghanistan.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Erst als die Verhandlungen über die Gaspipeline gescheitert waren, entdeckten sie die Menschenrechte in Afghanistan. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie verweisen immer darauf, dass im Falle eines Abzugs der Soldaten auch die Aufbauhelfer abgezogen werden müssten. In diesem Zusammenhang beziehe ich mich wieder auf einen Nichtlinken, einen ehemaligen Arzt der Bundeswehr, mit dem ich bei einer Sendung im Bayerischen Fernsehen zusammengetroffen bin und der im Süden Afghanistans Schulen baut. Er sagt, dass das nur dann funktioniert, wenn der nächste Soldat 10 Kilometer entfernt ist. Er wurde gebeten, seine Schulen für die Wahl des Präsidenten zur Verfügung zu stellen. Er hat sich unter einer Bedingung dazu bereit erklärt, nämlich dass der nächste Soldat 10 Kilometer entfernt ist. Das hat er auch durchgesetzt mit der Folge, dass 60 Prozent der Wahlberechtigten zur Wahl gekommen sind, davon 40 Prozent Frauen. Wo die US-Soldaten standen, betrug die Wahlbeteiligung 10 Prozent, darunter nur 1 Prozent Frauen. Das ist die Wahrheit: Er braucht nicht den Schutz der Soldaten; er braucht die Soldaten nicht, um seine Aufbauarbeit in Afghanistan zu leisten.

(Beifall bei der LINKEN)

Das sagt ein ehemaliger Arzt der Bundeswehr.

(Christel Riemann-Hanewinckel (SPD): Das ist unerträglich, Herr Gysi!)

Lassen Sie mich abschließend sagen: Herr Außenminister, Sie haben hier erklärt, dass derjenige, der für den Abzug der Soldaten ist, die Macht der Taliban wiederherstellen will.

(Uta Zapf (SPD): So ist es!)

Das ist eine Unverschämtheit,

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN - Bernd Schmidbauer (CDU/CSU): Wie kommen Sie dazu, so etwas zu sagen! Unverschämt!)

die Sie zwar äußern können, Herr Außenminister, aber Sie müssen eines wissen: Zwei Drittel der deutschen Bevölkerung ist für den Abzug der deutschen Soldaten aus Afghanistan.

(Walter Kolbow (SPD): Das ist falsch!)

Damit unterstellen Sie zwei Drittel der Bevölkerung, dass sie für die Taliban ist. Was Sie hier geboten haben, ist indiskutabel.

(Beifall bei der LINKEN - Walter Kolbow (SPD): Ihre Rede war indiskutabel!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Fritz Kuhn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr Gysi, das war eine skurrile Mischung aus dummem Zeug, das Sie hier vorgetragen haben. Das habe ich selten gehört.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Ich sage Ihnen, warum. Herr Gysi, Sie haben sich hier aufgeblasen wie ein Ochsenfrosch und gesagt, nur ein Fünftel der Mädchen in Afghanistan könnten zur Schule gehen, nicht fünf Fünftel. Sie haben aber niemals gesagt, wie Sie es seit 2001 durchgesetzt hätten, dass zumindest dieses Fünftel zur Schule gehen kann. Das ist absolut billig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Herr Gysi, Sie haben argumentiert, wir, die Grünen, die CDU/CSU, die SPD und die FDP, seien inkonsequent, weil wir in vielen Regionen der Welt, in denen es ebenfalls Menschenrechtsverletzungen gebe, nicht eingriffen. Das ist noch nicht einmal winkeladvokatisch, sondern einfach nur unter der Gürtellinie. Ich stelle fest, dass Ihr Vorsitzender, wenn er nach Kuba fährt, keinen Piep zu dem sagt, was dort passiert.

(Lachen des Abg. Dr. Diether Dehm (DIE LINKE))

Herr Dehm, ich will Ihnen auch den Grund sagen. Sie sagen nichts zur dortigen Situation der Menschenrechte, weil es Sie so sehr an die DDR erinnert. Was dort geschehen ist, haben viele von Ihnen als ganz normal empfunden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Ich muss Sie enttäuschen, was unsere Position angeht. Die Mehrheit hat auf dem Parteitag der Grünen entschieden, dass wir für ISAF und gegen den Tornado-Einsatz sind. Deswegen wird die Mehrheit meiner Fraktion bei der verbundenen Abstimmung nicht zustimmen, also sich enthalten oder mit Nein stimmen. Aber wir haben klar gesagt, dass wir gegen OEF und für ISAF sind. Ein Antrag auf unserem Parteitag, der den sofortigen Abzug der ISAF-Truppen vorsah, hat nur 10 Prozent der Stimmen erhalten und wurde nicht verabschiedet. Das ist die Sachlage.

Herr Westerwelle, Sie haben sich über unseren Parteitag so sehr gefreut und gesagt - das haben alle gehört -, wir, die Grünen, seien nicht regierungsfähig, während die FDP eine andere Einschätzung der Verantwortung in der Welt habe. Ich will in diesem Zusammenhang daran erinnern, wie die FDP bei den Abstimmungen in den letzten Jahren die Verantwortung in der Welt wahrgenommen hat. Die FDP hat 2003 und 2004 - Herr Hoyer, Sie waren in Ihrer Rede sehr unvorsichtig - den Bundeswehreinsatz im Rahmen des ISAF-Mandats abgelehnt. Danach hat sie wieder zugestimmt. Die FDP hat 2003 das OEF-Mandat mit deutlicher Mehrheit abgelehnt. Des Weiteren hat die FDP zweimal gegen die UNIFIL-Mission gestimmt, genauso wie gegen die EUFOR-Mission anlässlich der Wahlen im Kongo 2006 und das KFOR-Mandat im Juni 2001. Wenn Sie meinen, dass derjenige, der irgendwann einmal gegen einen Einsatz gestimmt hat, nicht regierungsfähig ist, Herr Westerwelle, dann kann ich Ihnen nur sagen, dass Sie angesichts des Abstimmungsverhaltens Ihrer Fraktion auf 20 Jahre nicht regierungsfähig sind.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich will nun zur Sache, zu den Mandaten, kommen. Wir sind für einen Strategiewechsel. Auch die Bundesregierung, insbesondere Herr Steinmeier, tritt für einen Strategiewechsel ein. Aber die entscheidende Frage ist, ob ein Strategiewechsel in Afghanistan tatsächlich stattfindet, wenn OEF in der heutigen Form bestehen bleibt. Ein Strategiewechsel ist kein theoretisches Konstrukt, das wir uns im Parlament oder in den Ausschüssen ausdenken. Vielmehr geht es um die Frage, was vor Ort tatsächlich stattfindet und von der Bevölkerung wahrgenommen wird.

Es war nicht Anfang des Jahres, wie Sie, Herr Jung, gesagt haben, dass es Klagen über die Strategie von OEF gab. Britische Führungsoffiziere haben sich noch im August dieses Jahres beklagt und gesagt - lesen Sie die New York Times vom 9. August -, dass sie bei sich im Süden kein OEF haben wollten, weil es kontraproduktiv sei und der Glaubwürdigkeit des ISAF-Einsatzes des britischen Kontingents zuwiderlaufe. An der Stelle schweigen die Kanzlerin und auch der Außenminister nachhaltig.

Die Frage, die Kollegen meiner Fraktion und ich mehrfach gestellt haben, lautet: Haben Sie auf dem politischen Wege im Dialog mit der amerikanischen Regierung angemahnt, dass OEF eine andere Strategie verfolgt, als es in der Vergangenheit der Fall war? Welches Ergebnis wurde erreicht, und welche Verabredung gab es dazu? Dazu sagen Sie nichts. Sie sagen auch dem Parlament nicht, was genau bei OEF geschieht. Dazu gibt es keinerlei präzise Aufklärung. Wir haben den Eindruck, dass Sie es nicht wissen und nicht wissen können.

Allen muss klar sein, Herr Hoyer, warum wir immer auf dem Unterschied bestehen: ISAF ist ein Mandat, das auf dem Multilateralismus gründet. Die NATO entscheidet. Ich stimme Ihnen ausdrücklich zu, dass - das haben Sie vorhin gesagt - die NATO politischer als in der Vergangenheit entscheiden muss. OEF hingegen ist ein unilaterales Mandat, bei dem die Amerikaner entscheiden, was geschieht, und niemanden, weder diejenigen, die dabei sind, noch diejenigen, die nicht dabei sind, darüber aufklären, welche Strategie verfolgt wird. Dies muss aufhören. Das ist der Grund, warum wir sagen, dass OEF keine sinnvolle strategische Legitimation hat.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Bundeskanzlerin, Sie müssten einmal sagen, wie Sie das sehen; denn seit Sie Kanzlerin sind, verstecken Sie sich systematisch, wenn es um die Beantwortung dieser Frage geht. Wir können Ihnen das nicht durchgehen lassen.

Übrigens, Herr Außenminister, auch die Legitimation der Operation ?Enduring Freedom“ wird immer öfter mit Fragezeigen versehen. Erinnern wir uns an das Jahr 2001. Der Grund, warum der Sicherheitsrat dem zugestimmt und OEF legitimiert hat, war, dass der Angriff auf New York von Terrorlagern aus, die in Afghanistan lagen, ausgeführt wurde und somit der Verteidigungsfall eingetreten war. Diese Begründung kann man zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr anführen. Heute geht es um die Frage, ob die Taliban wieder zurückkommen, wenn ISAF zurückgezogen würde. Wir sagen klar, dass dem so wäre und wir das deswegen nicht tun können.

Aber die Frage hinsichtlich der Legitimation müssen Sie beantworten. Die Terroristencamps sind heute in Pakistan oder sonst wo auf der Welt, aber mit Sicherheit nicht mehr wie vor 2001 in Afghanistan. Deswegen meine ich, dass Sie sich vor einer Antwort drücken. Auch die Verschiebung der Entscheidung über OEF - ich weiß nicht genau, ob sie verschoben wurde, aber man kann das manchmal hören - auf einen Zeitpunkt nach dem SPD-Parteitag ist nicht dazu geeignet, die Diskussion in diesem Hause über ein Gesamtkonzept für Afghanistan zu erleichtern.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Frau Merkel und Herr Steinmeier, wir sind für einen Strategiewechsel. Wir finden, dass der zivile Aufbau zu schleppend erfolgt und die Mittel in Höhe von 25 Millionen Euro dafür zu gering sind. Ich glaube, dass Deutschland - die Amerikaner haben das übrigens anders gemacht - einen größeren Sprung in Richtung ziviler Aufbau machen müsste, als dies bisher geschehen ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE))

Den Einsatz der Tornados lehnt meine Partei ab - übrigens im Unterschied zu vielen in der Fraktion -, weil er in einem Kontext zu OEF stehe und von dieser Operation nicht unterschieden werden könne. Andere von uns - ich gehöre dazu - sagen, dass die Tornados auch dem Schutz der ISAF-Truppen dienen. Es gibt also eine Differenz. Aber eines, was ich der Bundesregierung sagen möchte, ist wichtig: Eine klare Evaluation dessen, was die Tornados in diesem halben Jahr tatsächlich gemacht haben, hat bisher weder in den Ausschüssen oder im Parlament noch in der Öffentlichkeit stattgefunden, Frau Merkel. Sie sagen das eine oder andere in Unterrichtungen, aber Sie legen keine klare Evaluation der einzelnen Aufklärungsflüge und dessen, was daraus praktisch gefolgt ist, vor.

(Dr. Peter Struck (SPD): Das stimmt nicht!)

Von diesem Vorwurf kann ich Sie nicht entlasten. Eine Evaluation wäre die Pflicht der Bundesregierung, aber Herr Jung, der dafür zuständig ist, hat dies bisher nicht getan.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss. Wir als Grüne stehen zur Verantwortung Deutschlands in Afghanistan. Wir tun dies am Beispiel des ISAF-Mandats. Wir lehnen OEF ab, wenn im Oktober oder November in diesem Hohen Haus über die Verlängerung des Mandats diskutiert und entschieden wird. Ich will für meine Fraktion ganz deutlich machen, dass sich an der Grundüberzeugung, dass es in der Situation die Aufgabe deutscher Politik ist, zu helfen und für den zivilen Aufbau und den Strategiewechsel in Afghanistan einzutreten, nichts, aber auch gar nichts geändert hat.

Ich danke Ihnen.

(Anhaltender Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zu einer Kurzintervention erhält der Kollege Gysi noch einmal das Wort.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Getroffene Hunde bellen!)

Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE):

Herr Präsident! Herr Kuhn, ich will auf Ihre Beleidigungen gar nicht weiter eingehen, sondern nur auf einen Vorhalt: Sie sagen, es sei eine beachtliche Leistung, dass nach sechs Jahren jedes fünfte Mädchen zur Schule gehe, und wir hätten nicht erklärt, wie wir das hätten durchsetzen können. Wenn nach sechs Jahren jedes fünfte Mädchen zur Schule geht und die Zeitabschnitte so bleiben, brauchen wir noch ungefähr 30 Jahre, bis alle Mädchen zur Schule gehen. Ich halte das nicht für eine Leistung. Ich halte das für viel zu wenig. Dort üben die Besatzungsmächte die Macht aus, die für entsprechende Veränderungen sorgen können.

(Zurufe von der SPD - Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Jetzt sagen Sie mal, was Sie machen wollen!)

- Ich sage Ihnen gleich etwas dazu. Warten Sie doch ab! Sie halten keine Bemerkung aus, nur weil Sie in der Bevölkerung in der Minderheit sind. - Lassen Sie mich das noch einmal sagen: Das ist überhaupt keine Leistung. Ich bleibe dabei.

Entscheidend ist das unterschiedliche Konzept. Ich bin für die Selbstbefreiung der Völker.

(Beifall bei der LINKEN - Lachen bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich bin dafür, dass man die reichhaltig vorhandenen demokratischen Kräfte in Afghanistan unterstützt. Jetzt haben wir eine Macht der Nordallianz, der Warlords und der Drogenbarone. Das ist doch kein menschenrechtlicher Fortschritt. Ich bitte Sie! Deshalb müssen wir andere Kräfte unterstützen. Das funktioniert militärisch nicht. Das haben die letzten sechs Jahre bewiesen.

(Beifall bei der LINKEN - Dr. Peter Struck (SPD): Das war aber so!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zur Erwiderung Herr Kollege Kuhn.

Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Gysi, niemand von meiner Fraktion - ich nehme auch an, niemand von den anderen Fraktionen - würde sagen, es sei ausreichend, dass ein Fünftel der Mädchen in die Schulen gehen können. Selbstverständlich wollen wir mehr. Das steht doch gar nicht zur Diskussion. Zur Diskussion steht aber, dass Sie keinerlei Beitrag zu der von Ihnen proklamierten Selbstbefreiung der Völker geleistet haben, weil Sie immer Nein sagen. Haben Sie eigentlich noch in Erinnerung, was das Taliban-Regime vor 2001 in Afghanistan gemacht hat?

(Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE): Ja!)

Daher ist Ihre Forderung nach Selbstbefreiung der Völker nichts anderes als eine leere Phrase, mithin sogar eine Ausrede.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP - Zuruf von der CDU/CSU: Blanker Zynismus ist das!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner für die SPD-Fraktion ist Kollege Christoph Strässer.

Christoph Strässer (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr Kollege Dr. Gysi, ich sage es ganz deutlich: Ich bin Ihnen sehr dankbar für Ihre Rede. Ich bin Ihnen deswegen sehr dankbar - ich bin mir ziemlich sicher, dass es nicht nur mir, sondern vielen Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion auch so geht -, weil die Zustimmung zu diesem Mandat nach Ihrem Redebeitrag bei uns deutlich höher geworden ist. Die letzten Zweifel, die ich hatte, sind durch Ihren zynischen Beitrag über die Menschenrechte in Afghanistan zu einem großen Teil beseitigt worden. Herzlichen Dank für diesen Beitrag.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich will es anhand der Frage, die Sie aus meiner Sicht in wirklich unerträglicher Weise gestellt haben, verdeutlichen. Mir ist es nicht ganz so wichtig, welche Leistung wie von Ihnen bewertet wird. Wenn aber von Ihrem Parteivorsitzenden in Kuba dem Rest dieses Hauses eine großspurige Auseinandersetzung mit Menschenrechten vorgeworfen wird, dann wird ein Schuh daraus. Denn es ist Ihnen offenbar völlig egal ist, ob 5 oder 6 Millionen Menschen in Afghanistan wieder zur Schule gehen können. Fahren Sie einmal nach Afghanistan und reden Sie mit den Mädchen. Fragen Sie sie, was sie davon halten, wie Sie über diese Situation reden. Das ist zynisch und menschenverachtend. Damit haben Sie sich endgültig aus der Debatte über Menschenrechte verabschiedet. Das ist die Wahrheit, die hier heute zutage gekommen ist.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)

In diesem Punkt haben Sie zum Teil recht: Uns allen verläuft die Entwicklung in Afghanistan viel zu langsam. In vielen Bereichen müsste viel mehr viel schneller geschehen. Wir tragen Verantwortung für den Aufbau der zivilen Strukturen und der Gerichtsbarkeit. Dort ist es schlicht und ergreifend nicht vorangegangen.

Die Arbeitsgruppe "Rechtspolitik" meiner Fraktion hat dem Rechtsausschuss und anderen Institutionen des Deutschen Bundestages zum Beispiel empfohlen, doch einmal nach Afghanistan zu fahren und dort am Aufbau mitzuwirken, wenn schon Delegationsreisen durchgeführt werden. In Afghanistan braucht man Rat und Unterstützung, auch materieller und ideeller Art, dringlicher als zum Beispiel die Juristen in Neuseeland oder in Australien. Vielleicht sollten wir uns einmal an die eigene Nase fassen und überlegen, was wir selber besser machen können.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Ich möchte noch auf den Zeitfaktor eingehen. Darüber sollten wir hier in Deutschland einmal intensiver diskutieren. Wie wir gehört haben, gibt es in Afghanistan seit mehr als 30 Jahren Krieg, Zerstörung, Missachtung der Menschenwürde, Missachtung der elementaren Grundregeln des menschlichen Zusammenlebens, auch durch Drogenbarone - das bestreitet in diesem Saal doch kein Mensch -, auch durch Warlords und die Taliban. Man hat sich die ehrgeizige Aufgabe gestellt, im Rahmen der internationalen Staatengemeinschaft dafür zu sorgen, dass die Missstände abgeschafft und dass der Wiederaufbau vorangebracht wird. Wer kann schon, bitte schön, dafür Gewähr bieten, dass diese Aufgabe in sechs, sieben oder acht Jahren erfolgreich abgeschlossen ist?

Ich empfehle, bei der Diskussion über Demokratieentwicklung und über Menschenrechtsentwicklung in anderen Ländern und in anderen Gesellschaftsformen ein bisschen mehr Bescheidenheit und auch ein bisschen mehr Demut an den Tag zu legen. Schauen wir doch einmal in unsere eigene Geschichte: Vom Zeitpunkt der Aufklärung bis zur Durchsetzung der Menschenrechte in Europa sind 300 Jahre vergangen. Ich hoffe nicht, dass wir den Aufbau in Afghanistan ebenfalls 300 Jahre lang unterstützen müssen. Aber zu fordern, dass das alles in sechs oder sieben Jahren geschieht, ist absurd. Niemand konnte glauben, dass das gelingt. Wir sollten beharrlich daran arbeiten, dass die Situation dort auf Sicht besser wird. Mit dieser Aufgabe haben wir es nämlich zu tun.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich stelle einmal etwas polemisch fest: Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zur Umsetzung demokratischer Grundregeln auf dem gesamten deutschen Boden sind über 40 Jahre vergangen. Das sollten wir im Hinterkopf behalten. Was Deutschland angeht, waren die Voraussetzungen anders. Schon allein deshalb sollte man Demut zeigen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich komme zum Schluss. Hier wurde darauf hingewiesen, dass sich nach dem "ZDF-Politbarometer" 49 Prozent der Befragten für einen Verbleib in Afghanistan ausgesprochen hätten. Das ist für mich nicht das zentrale Problem.

Stichwort Tornado-Jets: Ich bekenne ganz klar, dass ich in diesem Hohen Hause vor einem halben Jahr gegen den Tornado-Einsatz gestimmt habe. Ich habe das damals aus Überzeugung getan. Wenn ich heute wieder nur die damals vorliegenden Informationen hätte, dann würde ich heute wieder dagegenstimmen.

Was ich allen empfehle, ist, sich Klarheit darüber zu verschaffen, was Tornados machen. Ich habe gelernt: Meine Befürchtungen, dass es durch den Einsatz von Tornados im Rahmen dieses Mandats zu einer Unterstützung von Bodentruppen kommt, waren unberechtigt. Deshalb werde ich zwar mit großen Bauchschmerzen, aber mit voller Überzeugung mit meiner vorherigen Position brechen. Ich spreche mich dafür aus, dass dieser Antrag der Bundesregierung durch den Deutschen Bundestag mit großer Mehrheit angenommen wird. Ich werde dafür werben, dass es dafür auch eine gesellschaftliche Akzeptanz in unserem Land gibt.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächste Rednerin ist die Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Birgit Homburger (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu Beginn unserer heutigen Diskussion über den Antrag der Bundesregierung möchte ich sehr deutlich sagen, dass die FDP-Bundestagsfraktion die Zusammenlegung der Mandate von ISAF und OEF begrüßt. Ich denke, das sorgt für mehr Flexibilität bei der Umsetzung der Mandate und für Synergieeffekte, und das begrüßen wir.

Wenn man heute Bilanz zieht, stellt man fest: Durch die Aufklärungsaktivitäten der Tornados kann ein Beitrag zur Verbesserung der Sicherheitslage geleistet werden. Das dient letztlich auch dem Schutz der dort stationierten Soldatinnen und Soldaten, aber auch der Zivilbevölkerung. Herr Kuhn, Sie haben hier mit Blick auf das Abstimmungsverhalten darauf hingewiesen, dass die FDP-Bundestagsfraktion im Jahre 2003 und im Jahre 2004 den Antrag zur Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem ISAF-Einsatz abgelehnt hat. Ja, Herr Kuhn, wir haben es damals abgelehnt, weil es kein durchgängiges PRT-Konzept gab. Wir haben immer gesagt, dass wir in der Fläche Wiederaufbauteams brauchen. Das hat sich am Ende auch als richtig herausgestellt. Wir haben das OEF-Mandat im Jahr 2003 abgelehnt, weil die Obergrenze von der Bundesregierung damals auf 3 100 Soldaten angesetzt war, aber nur 700 im Einsatz waren. Die FDP lehnt Mondzahlen und solche Vorratsbeschlüsse schlicht ab. - Das waren die Begründungen.

Herr Kuhn, der entscheidende Unterschied zwischen unserer Position und Ihrer Position heute ist, dass wir uns immer bemüht haben, uns intensiv mit diesen Fragen auseinanderzusetzen, und dann für uns auch ein Ergebnis gefunden haben. Wir sind zu unseren Ablehnungen damals nicht in der Folge eines innerparteilichen Streits gekommen, sondern wir haben unsere Ablehnungen klar begründet.

(Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Was war denn die Begründung?)

Wir haben damit auch etwas erreicht. Es hat sich in der Folge in all den Punkten, die wir angemahnt hatten, eine Veränderung ergeben. Deswegen haben wir dann auch wieder zugestimmt.

(Beifall bei der FDP)

Wenn wir das alles betrachten, ist es heute wichtig, zu fragen: Wo standen wir vor einem Jahr, und wo stehen wir heute? Das betrifft vor allen Dingen die Frage nach der Umsetzung des Strategiewechsels, nämlich hin zu einem stärkeren Gewicht für mehr Wiederaufbau und zivil-militärische Zusammenarbeit. Im Sommer wurden Diskussionen über ein immer größeres militärisches Engagement geführt. Das ist falsch. Wir werden die Lage allein durch immer größeres militärisches Engagement nicht in den Griff bekommen; vielmehr bedarf es eines Gesamtkonzepts und der Umsetzung des angekündigten Strategiewechsels.

Wir als FDP-Bundestagsfraktion erkennen hier Bewegung, beispielsweise bei den Bemühungen, im Rahmen der militärischen Operation zivile Opfer zu vermeiden - es gibt neue Einsatzregeln -, beispielsweise beim Ansatz der Bundesregierung, im Bereich der zivil-militärischen Zusammenarbeit die Präsenz in der Fläche weiter auszubauen. Es ist kein Geheimnis, dass die westlichen Aufbauanstrengungen anfangs zu sehr auf die Städte konzentriert waren und zu spät auf die Fläche ausgedehnt worden sind. Deshalb begrüßen wir es, dass es jetzt weitere regionale Beraterteams geben soll. Wir sollten weiter an dieser Optimierung des Wiederaufbaus und der zivil-militärischen Zusammenarbeit arbeiten.

(Beifall bei der FDP)

Die Berichterstattung der letzten Wochen war immer wieder von schlechten Nachrichten dominiert. Sicherlich, die Sicherheitslage bleibt angespannt. Gerade hat der Kommandeur der internationalen Schutztruppe ISAF in der Nordregion, General Warnecke, gesagt, die Qualität der Anschläge habe sich deutlich verändert. Das möchte ich zum Anlass nehmen, nochmals deutlich zu machen: Wir als FDP-Fraktion erwarten, dass die Soldatinnen und Soldaten die bestmögliche Ausrüstung mit in den Einsatz bekommen.

(Beifall bei der FDP)

Wir erkennen, dass es hierbei Fortschritte gibt, aber wir erwarten, dass bestimmte Anstrengungen weiter intensiviert werden und die Versorgung mit entsprechendem Material beschleunigt wird. Ich sage an dieser Stelle sehr deutlich: Es müsste manchmal schneller gehandelt werden. Das wird nur funktionieren, wenn die teilweise langwierigen bürokratischen Verfahren zur Prüfung von Materialanforderungen vor solch einem Einsatz deutlich verbessert werden. Andere Partner sind in dieser Frage schneller, Herr Minister, und an diesen Partnern sollten wir uns orientieren.

(Beifall bei der FDP)

Der Aufbau von Militär und Polizei und eines funktionierenden Justiz- und Strafvollzugswesens bleibt das Herzstück der Bemühungen. Deshalb ist es richtig, die Ausbildung des Militärs zu forcieren. Deshalb ist es auch richtig, dass wir uns in der Polizeiausbildung engagieren.

An dieser Stelle muss man, wenn man resümiert, fragen, was hier geschehen ist. Was bei der Polizeiausbildung erreicht worden ist, ist ein einziges Fiasko, und es zeichnet sich ab, dass es weitere Probleme geben wird.

Deshalb müssen wir dafür sorgen, dass es zu der im Rahmen der ESVP-Mission geplanten Aufstockung der Anzahl der Ausbilder auf 195 wirklich kommt. Das sollte im Oktober erreicht sein. Wir haben jetzt 80 Ausbilder vor Ort. Das ist deutlich zu wenig.

Deswegen ist es von zentraler und entscheidender Bedeutung, dass wir es gemeinsam mit den europäischen Partnern schaffen, die Polizeiausbildung zu verstärken.

(Beifall bei der FDP)

Abschließend möchte ich eines sagen: Die Probleme, vor denen wir stehen, sind vielfältig und komplex: Korruption, das Fehlen funktionierender staatlicher Strukturen, die Problematik des Drogenanbaus und die Probleme im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet.

Meine Damen und Herren, bei uns besteht der Eindruck, dass es nicht nur um eine bessere Abstimmung zwischen den Mandaten bei den Partnern geht, sondern auch um eine bessere politische Koordinierung. Daher erbitten wir vonseiten der FDP von der Bundesregierung, dass sie uns vor der abschließenden Entscheidung darlegt, wie der Strategiewechsel umgesetzt werden kann und wie es vor allen Dingen zu einer besseren politischen Koordinierung innerhalb der NATO kommen kann. Diese Punkte müssen wir nach unserer Überzeugung hier in den Mittelpunkt stellen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort hat nun der Kollege Dr. Andreas Schockenhoff für die CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Völlig zu Recht haben mit einer Ausnahme alle Vorredner auf die erreichten Fortschritte beim Wiederaufbau in Afghanistan hingewiesen. Bis 2001 war Afghanistan auf einen Entwicklungsstand des Mittelalters zurückgefallen. Heute haben wir die Lebenssituation der Menschen durch die Versorgung mit Trinkwasser und Strom sowie den Bau von Straßen, Krankenhäusern und Schulen verbessert. Wo immer Infrastrukturverbesserungen geschaffen wurden, gibt es einen sichtbaren Wirtschaftsaufschwung.

All diese Fortschritte wären ohne militärische Absicherung nicht möglich gewesen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Es ist doch bekannt, dass beispielsweise Lehrerinnen von Mädchenschulen von radikalen Taliban ermordet und Mädchenschulen niedergebrannt wurden, weil den Taliban Bildung und Gleichberechtigung von Frauen nicht ins ideologische Konzept passen. Wer ISAF als militärische Schutzkomponente des Wiederaufbaus ablehnt und damit den Abzug der internationalen Streitkräfte fordert, trüge die Verantwortung dafür, dass Afghanistan wieder zurück ins Mittelalter terrorisiert würde.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Die Folge wäre, Afghanistan den Terroristen und den Drogenbaronen zu überlassen. Die Menschen in Afghanistan jedenfalls - einige von ihnen sitzen heute bei uns auf der Zuschauertribüne - wollen das nicht. Auch liegt dies nicht in unserem Sicherheitsinteresse. Wiederaufbau geht nicht ohne militärische Absicherung.

Deshalb trägt jeder die gleiche Verantwortung, auch derjenige, der zwar zu den Wiederaufbaumaßnahmen Ja sagt, sich aber der Stimme enthalten will, weil er zur militärischen Schutzkomponente oder auch nur zu Teilen davon Nein sagt. Dies gilt erst recht für diejenigen, die wegen der Aufklärungstornados Nein sagen oder sich enthalten wollen. Wer Nein zu einer Aufklärungskomponente sagt, die auch dem Schutz der Bevölkerung dient, und deshalb dem Mandat nicht zustimmen will, der sagt zugleich Nein zur gesamten Schutzkomponente und damit in der Konsequenz auch Nein zu Wiederaufbau und Modernisierung.

(Lachen und Widerspruch bei der LINKEN)

Verehrter Herr Kuhn, Sie haben das Notwendige zum Kollegen Gysi gesagt. Aber wie wollen Sie eigentlich einer afghanischen Frau, die endlich an einer Universität studieren kann, und einem Mädchen, das eine bessere Lebensperspektive hat, weil es in die Schule gehen kann, erklären, dass ihnen diese Chance wieder genommen würde oder sie gar um ihr Leben fürchten müssten, weil wegen der Tornadoluftaufklärung die gesamte Schutzkomponente abgelehnt wird? Das wäre doch die absurde Konsequenz!

Herr Kuhn, Sie haben in dieser Woche schon ganz offen vor Journalisten und auch heute dargelegt, die Führung und die Mehrheit Ihrer Fraktion seien für ISAF und die Tornadoaufklärung, Sie hätten sich aber untereinander abgesprochen, dass mehr Fraktionsmitglieder mit Enthaltung und Nein stimmen müssten als ihrem Gewissen folgen und zustimmen dürften. Dies, lieber Herr Kuhn, hat mit Freiheit des Abgeordnetenmandats nichts zu tun; das ist blanker Zynismus und Flucht aus der Verantwortung.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Die CDU/CSU-Fraktion unterstützt den Afghanistaneinsatz, auch wenn vieles besser gemacht und verstärkt werden muss, was den Beitrag der internationalen Gemeinschaft, aber vor allem auch die Arbeit der afghanischen Verantwortlichen betrifft. Dringend erforderlich ist der verstärkte Kampf gegen die Korruption. Sonst kann die afghanische Regierung nicht das Vertrauen ihrer Bevölkerung gewinnen oder die international getroffenen Vereinbarungen umsetzen. Daher muss die internationale Gemeinschaft Präsident Karzai hier zu härterem Durchgreifen drängen.

Der Kampf gegen Drogenanbau und -handel zeigt Wirkung. Die Zahl der drogenfreien Provinzen konnte in diesem Jahr von 6 auf 13 erhöht werden. Das muss unbedingt verstärkt werden; denn noch immer gibt es 21 Provinzen, in denen Drogen angebaut werden.

Nicht zuletzt muss unsere Entwicklungshilfe auch im bisher vernachlässigten Süden und Südosten Afghanistans verstärkt greifen, um der dortigen paschtunischen Bevölkerung eine Entwicklungsperspektive und Zukunftshoffnung zu geben. Je effektiver afghanische Sicherheitsstrukturen geschaffen werden, desto früher werden wir zusammen mit der internationalen Gemeinschaft unseren militärischen Beitrag reduzieren und irgendwann einmal beenden können. Deshalb müssen Polizei- und Militärausbildung beschleunigt und erweitert werden.

Meine Damen und Herren, die CDU/CSU-Bundestagsfraktion wird dem Antrag der Bundesregierung zum Afghanistan-Einsatz der Bundeswehr zustimmen, weil die Bundesregierung ein überzeugendes Afghanistan-Konzept zur Verbesserung und Verstärkung beim Wiederaufbau und bei der Ausbildung von Polizei und Militär vorgelegt hat. Weil Wiederaufbau nicht ohne militärische Schutzkomponente möglich ist, stimmen wir dem ISAF-Einsatz mit allen Komponenten zu. Es ist richtig, dass sich der Einsatz der Bundeswehr auf den Norden und auf Kabul konzentriert. Es wäre unverantwortlich, würden wir angesichts der zunehmend schwieriger werdenden Sicherheitslage unsere verfügbaren Kräfte überdehnen.

Richtig ist aber auch, was der Verteidigungsminister dargelegt hat: Das Mandat gilt in seinem vollen Umfang, und das schließt ein, dass die Bundeswehr für zeitlich und im Umfang begrenzte Unterstützungsmaßnahmen, sofern diese zur Erfüllung des ISAF-Gesamtauftrages unabweisbar sind, in Gesamtafghanistan eingesetzt werden kann. Das tun wir bereits, und dieses Mandat gilt für alle Kräfte der Bundeswehr. Es gehört zur Erfüllung des ISAF-Gesamtauftrags, dass wir im Notfall in der Lage sind, auch im Süden zeitlich und im Umfang begrenzt effektiv und robust zu helfen.

Wir brauchen für die Stabilisierung und den Wiederaufbau Afghanistans mehr Zeit, mehr Energie, mehr Geduld und mehr Geld, bis wir sicher sein können, dass von Afghanistan keine Bedrohung für die Sicherheit Deutschlands mehr ausgeht. Afghanistan darf nicht wieder zur Brutstätte des Terrorismus werden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:



Zu einer Kurzintervention erhält die Kollegin Monika Knoche das Wort.

Monika Knoche (DIE LINKE):

Herr Präsident! Die Möglichkeit zur Kurzintervention kommt etwas spät; ich wollte direkt auf die Rede von Herrn Kollegen Strässer von der SPD reagieren. - Ich muss Ihnen sagen: Als Frau in der Politik bin ich mehr als überrascht, mit welcher Selbstgerechtigkeit Sie über die tatsächliche heutige Lage der Frauen in Afghanistan hinweggehen. Ich finde es auch nicht korrekt, dass der Auswärtige Ausschuss, der gestern Parlamentarierinnen und Parlamentarier des afghanischen Parlaments eingeladen hatte, es nicht für erforderlich gehalten hat, Malalai Joya in den Ausschuss einzuladen. Sie ist zurzeit in Berlin und kann authentisch Auskunft darüber geben, was es bedeutet, in der angeblich demokratischen Regierung unter Karzai als Frau die Wahrheit über die Verbindung von Korruption und Drogenhandel in der Regierung zu sagen. Sie ist als Parlamentarierin ausgeschlossen worden, und das kann in gar keinem Fall als Beweis für eine demokratische Realität in Afghanistan bezeichnet werden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Wir haben Berichte, auch von den Frauen aus der afghanischen Delegation in Berlin, die deutlich zum Ausdruck bringen: Die Situation der Frauen ist unter den Bedingungen der heutigen Karzai-Regierung, die quasi im Rahmen der Petersberger Gespräche installiert wurde, so schlimm, wie sie auch vorher war.

(Dr. Werner Hoyer (FDP): Entschuldigung, ich war gestern auch im Ausschuss! Das ist doch völliger Unsinn!)

Wer damals - ich gehörte zu den Kritikerinnen des Krieges unter den Grünen - genau hingeschaut hat, wer in die afghanische Regierung gesetzt wird, hat wissen können und wissen müssen, dass die Korruption in diese Regierung gesetzt wird. Unter solchen Bedingungen erlaube ich es mir als Frau nicht, mich mit scheinheiligen Argumenten zufriedenzugeben, die sich auf die Situation der Mädchen in den Schulen begrenzen.

Wir wissen heute, dass Mädchen unter der Macht der Warlords und gewissermaßen unter der Obhut der Regierung Karzai nach wie vor als Tauschobjekt für Autos und Hunde betrachtet werden. Es ist nach wie vor so, dass 80 Prozent der Gerichtsbarkeit von den Stammesfürsten ausgeübt wird. Diese gehen mit den Frauen genauso übel und schlimm um wie die Taliban.

Ich bin nicht erst seit heute Parlamentarierin. Ich empöre mich, wenn die Situation der Frauen als kriegslegitimierender Grund herangezogen wird.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))

Das ist ein Missbrauch der Frauen in diesem instrumentellen Verhältnis. Keiner und keine derer, die heute die weitere militärische Präsenz in Afghanistan mit der Situation der Frauen begründen, hat sich vor dem 11. September um die Lage der Frauen unter den Taliban, die unter den USA groß geworden sind, gekümmert. Kommen Sie mir also, bitte sehr, nicht mit diesen scheinheiligen menschenrechtlichen Argumenten! Herr Gregor Gysi hat vollkommen recht gehabt, als er diese Doppelzüngigkeit in Bezug auf die Menschenrechtsfrage deutlich dargestellt hat.

(Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)

Es ist schlichtweg infam -

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Frau Kollegin Knoche, ich muss Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Monika Knoche (DIE LINKE):

- ich bin sofort fertig -, wenn Sie sagen, dass diejenigen - dazu gehören wir -, die gegen den Abzug des Militärs sind, kein Engagement für die Zivilbevölkerung übrighätten. Wer das sagt, verbreitet schlichtweg Unwahrheiten. Niemand anderes in diesem Haus außer uns sagt, dass die Mittel für das Militär konsequent für den zivilen Aufbau in diesem Land umgewidmet werden müssen.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Zur Erwiderung hat Herr Kollege Strässer das Wort.

Christoph Strässer (SPD):

Frau Kollegin Knoche, das ist schon ein starkes Stück, was Sie hier vortragen. Dass Sie Menschen, die sich über die veränderte Situation von afghanischen Schulmädchen unterhalten und Gedanken machen, als selbstgerecht, zynisch und menschenrechtlich mit doppelten Standards ausgestattet kennzeichnen, das ist Zynismus!

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wenn Sie richtig zugehört hätten, dann würden Sie vielleicht respektieren und akzeptieren, dass zum Beispiel ich in meiner Rede über die Situation der Frauen in Afghanistan kein einziges Wort verloren habe. Sie können mir diesbezüglich gar nichts vorwerfen, außer vielleicht, dass ich sie nicht erwähnt habe.

Sie sprechen nicht nur die Parlamentarierinnen und Parlamentarier in diesem Land an, sondern auch ganz viele NGOs.

(Widerspruch bei der LINKEN)

Fragen Sie zum Beispiel einmal die NGO Kinderberg, die in Kunduz arbeitet, warum in ihrem Bericht über Basic-health-Projekte in Nordafghanistan unter anderem steht, dass diese nur mit Unterstützung der Bundeswehr möglich sind. Ich kann Ihnen diesen Bericht gern zeigen. In diesem Bericht steht neben anderem, dass die Unterstützung der Bundeswehr unter anderem durch das Identifizieren und Vorschlagen von Einsatzorten der mobilen Behandlungsteams stattfinde. Ich frage Sie: Wo bekommen sie die Informationen denn her, die sie in die Lage versetzen, ihre Arbeit dort zu machen? Das ist nur durch die Informationen der Bundeswehr möglich und durch nichts anderes.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Wenn die Bundeswehr aus Afghanistan herausginge, würden diese Projekte schlicht und ergreifend im Orkus des afghanischen Landes untergehen.

Lassen Sie mich noch einen letzen Satz sagen: Es wird hier immer so getan, als sei es die einhellige Auffassung von NGOs und anderen, dass in Afghanistan alles besser ginge ohne die Bundeswehr.

(Widerspruch bei der LINKEN)

- Entschuldigung, lassen Sie mich bitte einmal ausreden. - Human Rights Watch ist bekanntermaßen kein Büttel diktatorischer Regierungen weltweit. Human Rights Watch hat an Sie alle einen Brief geschrieben, aus dem ich den letzten Satz zitieren möchte:

... Deutschlands Rolle in der internationalen Staatengemeinschaft würde aber ein schlechter Dienst erwiesen, würde die Bundeswehr ihr Engagement in Afghanistan reduzieren oder gar beenden.

Ich schließe mich diesem Zitat an. Human Rights Watch hat wie in allen menschenrechtlichen Fragen auch in dieser Frage vollständig recht. Sie sollten sich das einmal näher anschauen.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Das Wort erhält nun der Kollege Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (fraktionslos):

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Herr Bundespräsident hat aus Anlass des 50-jährigen Bestehens der Führungsakademie letzten Freitag die dort ausgebildete militärische Elite in den höchsten Tönen gelobt. Das hat durchaus etwas für sich, wenn man die Offiziere der Bundeswehr mit denen des einen oder anderen NATO-Partners vergleicht. Nur habe ich mich in den letzten Tagen nach dieser Jubiläumsrede sehr gewundert. Ich habe mich gefragt: Wo waren denn die hochgelobten Eliten? Wo waren der Generalinspekteur, der Leiter der Führungsakademie und der Kommandeur des Zentrums Innere Führung? Wo waren die goldbetressten Staatsbürger in Uniform mit ihrer Zivilcourage, als sie sich anlässlich des Focus-Interviews ihres Ministers schützend vor ihre Wittmunder und Neuburger Piloten hätten stellen müssen? Dazu kann ich nur sagen: Es reicht nicht aus, einmal im Jahr, am 20. Juli, im Bendlerblock des moralischen Vorbilds zu gedenken, aber zu kneifen, wenn es darauf ankommt.

Der Bundesminister der Verteidigung hat zu Verfassungsbruch und Straftaten aufgerufen, und die sogenannte Elite hat es Oberst Gertz und einem ehemaligen Piloten überlassen, sich schützend vor die fliegenden Besatzungen zu stellen. Statt seinen Rücktritt einzureichen, lässt sich der Inspekteur der Luftwaffe politisch für das Ziel des Ministers missbrauchen, innere und äußere Sicherheit mithilfe eines ungeheuerlichen Tabubruchs zu verschmelzen.

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Das ist doch die Rede von gestern!)

Mehr als: "Offiziere haben ihre Befehle zu erfüllen", und zwar ohne Diskussion - so die Financial Times Deutschland von gestern -, fällt Herrn Stieglitz dazu nicht ein. Der General sollte eher einmal einen Blick in das Wehrstrafgesetz und das Soldatengesetz werfen

(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Sie haben den Tagesordnungspunkt verwechselt!)

und sich an seine Grundpflicht erinnern, ?Recht und Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. - So viel zu den Eliten.

Damit komme ich zum Antrag der Bundesregierung.

(Hartwig Fischer (Göttingen) (CDU/CSU): Ach so!)

Sie beantragen, die Mandate für ISAF und für den Tornadoeinsatz zusammenzulegen, dies jedoch nicht aus sachlichen Erwägungen. Nein, Sie haben zu einem kleinen schäbigen Trick gegriffen. Es geht Ihnen darum, den Widerstand in den Koalitionsfraktionen auszuhebeln. Wer im März dieses Jahres den Tornadoeinsatz abgelehnt hatte, den ISAF-Einsatz aber grundsätzlich befürwortet, soll nun die Kröte durch Verabschiedung eines Gesamtpaktes schlucken. Ganz nebenbei konnten Sie so einer Oppositionsfraktion auch noch kräftig in die Suppe spucken.

Ich bin zwar nicht der Auffassung, dass das ISAF-Konzept der Bundeswehr im Norden Afghanistans mit seiner zivil-militärischen Zusammenarbeit Aussicht auf Erfolg hat; aber es ist völkerrechtlich nicht zu beanstanden. Es gibt Kollegen, die die zivil-militärische Zusammenarbeit anders bewerten. Darunter sind aber Kollegen, die Luftbilder als Beihilfe zur Bombardierung einer großen Anzahl Unschuldiger nicht verantworten wollen. Denen nehmen Sie mit Ihrem Taschenspielertrick die Möglichkeit, sich frei zu entscheiden. Das ist der Versuch eines Anschlages auf Art. 38 des Grundgesetzes. Es ist ein weiteres Beispiel dafür, wie Sie das Parlament schleichend zu Ihrem Büttel degradieren.

Seit dem Focus-Interview vom Montag haben wir übrigens auch beim Thema Afghanistan eine neue Situation. Wie kann man denn einer Bundesregierung noch trauen, die diesen Minister deckt? Da stellen sich doch noch ganz andere Fragen, zum Beispiel beim Thema "restriktive" Weitergabe von Luftbildern an den OEF-Kommandierenden mit dem Doppelhut. Ergingen vielleicht Anweisungen an den deutschen Chef des Stabes, das nicht zu restriktiv, zu eng zu sehen, um die von der Kanzlerin reanimierten transatlantischen Beziehungen nicht zu gefährden? Werden die sogenannten Erfolge beim Wiederaufbau nicht vielleicht ein wenig aufgehübscht? Werden kritische Meldungen aus dem Protektorat unterdrückt? Diese Fragen müssen Sie sich gefallen lassen, zumal Ihnen afghanische Experten bei nahezu allem widersprechen, was Sie als Erfolg ausgeben. Fragen Sie doch einmal Dr. Matin Baraki aus Marburg oder die NGOs Brot für die Welt, Welthungerhilfe und medico-international. Oder fragen Sie das neutrale Rote Kreuz, was es von Ihrem Konzept hält, zivile Hilfe mit Militär zu verknüpfen: nämlich gar nichts.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Sie dürfen sich nicht länger in die eigene Tasche lügen. Sie sind gescheitert. Afghanistan wird zunehmend irakisiert; das ist die Folge Ihres falschen Kurses. Allein von 2005 bis 2006 hat sich die Zahl der Selbstmordattentate verfünffacht und die der direkten Attentate verdreifacht. Ziehen Sie also die Bundeswehr ab, solange das noch unter würdigen Umständen geht!

Dem Verteidigungsminister muss ich von dieser Stelle noch etwas sagen: Herr Minister, Sie haben etwas geschafft, was noch keinem Ihrer Vorgänger gelungen ist: an sich brave Soldaten ohne Not als Gehorsamsverweigerer auf die Titelseiten zu bringen. Gratulation! Das gab es noch nicht einmal im Kalten Krieg.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Rainer Arnold für die SPD-Fraktion.

Rainer Arnold (SPD):

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Unter dem Eindruck meiner letzten Reise nach Afghanistan kann ich Ihnen zwei Dinge berichten:

Die Gespräche mit der afghanischen Zivilbevölkerung haben eines erfreulicherweise sehr deutlich gezeigt: Die Deutschen sind in Afghanistan außerordentlich erwünscht - das gilt für die zivilen Helfer, in hohem Maße aber auch für die Soldaten -, weil die Deutschen bei ihrer Arbeit die einheimische Kultur respektieren und die gewachsenen Strukturen Afghanistans in die Aufbauüberlegungen einbeziehen.

Überall haben wir aber auch eine kritische Anmerkung vernommen: Die Akzeptanz der afghanischen Regierung sinkt bedrohlich. Wir wissen, dass klare Worte der Staatengemeinschaft gelegentlich notwendig sind, wenn es um Korruption geht. Wir wissen aber auch, dass man Demokratie nicht von außen aufbauen kann. Es braucht Zeit, bis sich die Demokratie in den Dörfern und in Kabul ausgebreitet hat. Wir müssen Geduld haben. Problematisch ist, dass mit der sinkenden Akzeptanz der zentralen Administration auch die Hoffnungen der Menschen in Afghanistan sinken. Es ist ganz wichtig, dem entgegenzutreten. Das tun wir, indem wir den Menschen Perspektiven eröffnen, ihnen durch den zivilen Aufbau Hoffnung geben.

Ich finde es schon bemerkenswert, was Herr Gysi von den Linken dazu gesagt hat. In einer Hinsicht ist Die Linke sehr konsequent: Sie verweigert durchgängig, von der Arbeits- und Sozialpolitik bis zur Außenpolitik, die Akzeptanz der Wirklichkeit. Sie verdrängt die Realität.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Werner Hoyer (FDP) - Widerspruch bei der LINKEN))

Folgendes ist die Realität: Afghanistan würde ohne die Bundeswehr, die in Afghanistan übrigens 700 zivile Aufbauprojekte durchgeführt hat, in Bürgerkrieg und Chaos zurückfallen.

(Dr. Werner Hoyer (FDP): So ist es!)

Würde die Nordallianz entsprechend Ihrer Forderung entwaffnet, würde das Talibanregime dort am Ende die Oberhand behalten. Das würde bedeuten, dass keine Frau mehr im Parlament säße, überhaupt keine. Das würde bedeuten, dass, wie früher, kein einziges Mädchen eine Chance hätte, dass kluge, intelligente Frauen ihr Dasein in den Kellern fristen müssten. Diesen Weg schlagen Sie hier vor. Das ist zutiefst menschenverachtend.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Gleichwohl wissen wir alle, dass ein einfaches ?Weiter so“ in Afghanistan nicht ausreicht. Deshalb sind wir sehr dankbar für die Vorschläge der Bundesregierung. Ich bin der Meinung, dass in den nächsten Jahren eine ganze Menge erreicht werden kann. Der Vorschlag, mehr Ausbildungshilfe zu leisten, Soldaten der ANA im Norden für den Norden auszubilden, ist vernünftig. Wir müssen darüber diskutieren, ob die Einzelverantwortung von Nationen für bestimmte Prozesse,

(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)

zum Beispiel im Rahmen der Militärausbildung, im Polizei- oder Justizwesen, richtig ist oder ob wir in Afghanistan nicht eine kohärentere Organisation und Führung dieser Prozesse brauchen. Das wird eine wichtige Aufgabe für uns in den nächsten Monaten sein.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Arnold, gestatten Sie eine Zwischenfrage?

Rainer Arnold (SPD):

Ja, selbstverständlich.

Präsident Dr. Norbert Lammert:



Bitte.

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):

Lieber Kollege Arnold, ein zentraler Punkt ist ja, dass das Tornado-Mandat jetzt - das ist der Vorschlag der Bundesregierung - in das ISAF-Mandat einbezogen werden soll. Als wir im Frühjahr darüber debattiert haben, haben viele Kolleginnen und Kollegen große Sorgen und sogar Ängste geäußert. Sie haben sich gefragt, wie das Tornado-Mandat in Afghanistan wahrgenommen wird und was dort geschehen wird. Können Sie uns sagen, wie im Rahmen des Tornado-Mandates nach Ihrer Kenntnis in Afghanistan agiert wird?

Rainer Arnold (SPD):

Kollege Kuhn von den Grünen meinte vorhin, wir wüssten nichts darüber. Herr Kollege, das ist falsch. Zumindest die Obleute im Verteidigungsausschuss verfügen über eine sehr gute Informationsdichte.

Ich kann hier dazu sagen: Wir wissen, dass die Tornados mehr als 500-mal geflogen sind. 83 Prozent dieser Einsätze waren erfolgreich. Für uns ist besonders wichtig, dass 40 Prozent dieser Flüge im Norden und Westen des Landes stattgefunden haben, also im deutschen bzw. italienischen Verantwortungsbereich. Bei den Einsätzen geht es in erster Linie um Aufklärung im Bereich Infrastruktur; das ist das Allerwichtigste. Es geht darum, festzustellen, ob Straßen verändert wurden. Es geht auch darum, bei Entführungen Aufklärung zu leisten und die Grenze in dieser Region zu überwachen. Alles in allem heißt das: Das Tornado-Mandat ist für das ISAF-Mandat elementar und extrem wichtig.

Die Befürchtung, die immer wieder geäußert wurde, dass zwei oder drei Stunden, nachdem die Tornados über ein Gebiet geflogen sind, dort Bomben abgeworfen werden, ist eindeutig zu widerlegen, und zwar deshalb, weil diese Kollateralschäden - wie der Ausdruck ja heißt -, die zivilen Opfer, die es leider gibt, dann entstehen, wenn Bodentruppen Luftunterstützung anfordern müssen, weil sie allein nicht mehr zurechtkommen. Diese Luftunterstützung können die Tornados gar nicht leisten. Erstens können sie es nicht, weil sie in Kampfzonen gar nicht fliegen dürfen.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Arnold, ich muss Sie bitten, zum Ende zu kommen.

Rainer Arnold (SPD):

Ich bin mit der Beantwortung der Zwischenfrage gleich fertig.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Sehr schön.

Rainer Arnold (SPD):

Zweitens können sie es nicht, weil ihre Bilder nicht zeitgleich übermittelt werden können; die Auswertung dauert anderthalb bis zweieinhalb Stunden. Deshalb ist diese Sorge nach dem heutigen Kenntnisstand unbegründet. Deshalb kann dieses Mandat mit dem ISAF-Mandat verbunden werden, und deshalb können wir aus meiner Sicht mit einer breiten Mehrheit dem Teil, der die Tornados betrifft, zustimmen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Es gibt jetzt noch den Wunsch nach einer Zwischenfrage des Kollegen Gehrcke. Wollen Sie die auch noch zulassen?

Rainer Arnold (SPD):

Ja, gerne.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich bitte, sowohl die Frage als auch die Antwort in einer gewissen Proportion zu der ansonsten verfügbaren Redezeit zu halten.

(Heiterkeit bei der SPD und der CDU/CSU)

Rainer Arnold (SPD):

Ich werde mich bemühen, Herr Präsident.

Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE):

Herr Präsident, ich habe Ihren Hinweis verstanden; Kollege Arnold sicherlich auch.

Kollege Arnold, können Sie mir bestätigen, dass wir beide und der Kollege Weisskirchen heute bei einer Unterrichtung im Verteidigungsministerium waren und dort gebeten worden ist, dass man in der Bevölkerung mehr propagiert, dass die Tornados nichts mit der Kriegsführung zu tun haben, und dass Kollege Weisskirchen diesem Auftrag sofort nachgekommen ist?

(Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Ich war heute Morgen gar nicht dort!)

Rainer Arnold (SPD):

Kollege Weisskirchen habe ich heute früh dort leider gar nicht gesehen, Herr Kollege.

(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Zweitens kenne ich den Kollegen Weisskirchen als einen ziemlich eigenständigen Politiker, der nicht einfach Aufträge ausführt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD) Ich glaube, da haben Sie ein falsches Bild vom Parlamentarier Weisskirchen.

(Eckart von Klaeden (CDU/CSU): Und drittens war es geheim!)

War die Antwort kurz genug, Herr Präsident?

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ja.

Rainer Arnold (SPD):

Ich möchte jetzt noch darüber reden, was vor uns liegt. Ich habe den Eindruck, dass eine Chance möglicherweise stärker genutzt werden muss. Meine Beobachtung im Deutschen Bundestag ist, dass viele Parlamentarier sehen, dass mehr Verantwortung übernommen werden muss. Ich glaube, die Bundesregierung könnte dies bei zukünftigen Überlegungen durchaus berücksichtigen.

Es gibt ein weiteres ernsthaftes Problem in der Staatengemeinschaft. Die Beobachtung in den NATO-Gremien ist, dass dort gerade so etwas wie NATO-Mikado gespielt wird: Keiner bewegt sich. Die Deutschen müssen das aus meiner Sicht nicht als Erste tun; als drittstärkstes Kontingent leisten wir wichtige Beiträge. Aber auf Dauer wird das nicht ausreichen. Wir müssen in der NATO erreichen, dass das, was Afghanistan zugesagt wurde und notwendig ist, von den Staaten insgesamt erfüllt werden kann. Ich gehe davon aus, dass wir deshalb in den nächsten Monaten hier noch wichtige Debatten zu führen haben.

Nun haben die Linken immer wieder argumentiert, dass die Bevölkerung diesen Einsatz nicht möchte. Das ist erstens in einem unglaublichen Maß populistisch, und zweitens wünsche ich mir eine Zeitung oder ein Institut, das nicht fragt: Wollen Sie, dass die deutschen Soldaten heimkommen? Das wollen wir doch alle; jeder vernünftige Mensch will das. Ich wünsche mir eine Umfrage, in der gefragt wird: Möchten Sie, dass die deutschen Soldaten heimkommen und das Risiko tragen, dass dieses Land wieder dem Terror anheimfällt -

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege.

Rainer Arnold (SPD):

- und Deutschland durch Terrorcamps in Afghanistan gefährdet wird? Diese Umfrage würde aus meiner Sicht ganz anders ausgehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Ich komme zum Ende. Mit Blick auf die afghanische Delegation sage ich, dass sie in ihre Heimat mitnehmen kann, dass der große, verantwortungsvolle Teil in der deutschen Politik das afghanische Volk nicht im Stich lassen wird. Dies soll ihre Gesellschaft wissen. Wir stehen zu unseren Zusagen. Dies müssen auch alle Kriminellen und Terroristen wissen.

Danke schön.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Nächster Redner ist der Kollege Dr. Christian Ruck für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU - Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wieder eine Ruck-Rede!)

Dr. Christian Ruck (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich möchte zunächst der Bundesregierung für etwas danken, was sie international durchgesetzt hat, was vor einem Jahr noch nicht selbstverständlich war und jetzt bei uns Konsens ist, nämlich dass die Zukunft Afghanistans und des gesamten internationalen Engagements dort langfristig und letztlich von einem erfolgreichen zivilen Aufbau und der Überwindung von Armut und Unterdrückung abhängt. Nur so fassen die Menschen Mut, können die Herzen der Menschen erreicht werden, fallen die Menschen nicht auf falsche Propheten herein. Nur so kann eine Stabilisierung Afghanistans von innen bewirkt werden; das Land befindet sich jedoch in einer sehr schwierigen Nachbarschaft. Die Bundesregierung musste diese Erkenntnis, die heute für uns selbstverständlich ist, erst durchsetzen; der Durchbruch wurde in London mit dem Afghan Compact erreicht: Erst damit wurde die Entwicklungspolitik in Afghanistan - das ist die größte Baustelle - auch international in den Fokus gerückt.

Gerade an Afghanistan sehen wir, was eine moderne Entwicklungspolitik leisten muss: Sie muss die Funktionsfähigkeit eines ganzen Landes wiederherstellen, und zwar nicht von außen aufgezwungen, sondern Schritt für Schritt mit der Bevölkerung.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dabei gibt es drei Schlüsselbereiche, die gleichzeitig angepackt werden müssen: erstens die rasche und sichtbare Wiederherstellung der physischen Infrastruktur, also der Straßen, der Brücken und der Energieversorgung; zweitens die Befähigung der Afghanen, ihr Land, die Regierung, die Administration und vor allem die Wirtschaft - hier ist an den Mittelstand zu denken - selbst in die Hand zu nehmen, und drittens die Schaffung der Grundlagen für eine langfristige Aufwärtsentwicklung durch Bildungs- und Erziehungsarbeit für die Kinder.

Wir haben heute gehört, dass wir große Fortschritte erreicht haben. Darauf können wir, unsere Soldaten, unsere Entwicklungsexperten und die internationale Gemeinschaft, stolz sein. Wir haben zum Beispiel erreicht, dass in 19 Universitäten Afghanistans fast 10 000 junge Frauen studieren; vorher waren es null.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Wir haben ferner erreicht, dass die Kindersterblichkeit in Afghanistan dramatisch gesunken ist, dass hingegen das Wachstum der Wirtschaft drastisch steigt, und zwar um 12 bis 13 Prozent pro Jahr, wenn man die Drogenökonomie herausrechnet. Darauf können wir, aber auch die Entwicklungsexperten stolz sein. Ich möchte an dieser Stelle erwähnen, dass das mit Opfern verbunden ist: Mindestens 50 Entwicklungshelfer haben bisher ihr Leben in Afghanistan verloren.

Auch ich begrüße ausdrücklich, dass wir das Entwicklungshilfebudget für Afghanistan kontinuierlich aufwachsen lassen. Ich möchte aber auch für eines plädieren: Wir sollten die finanziellen Mittel nicht nur stetig erhöhen, sondern auch dafür sorgen, dass das Geld sinnvoll angelegt wird, dass es auch abfließt. Es hat keinen Sinn, dass in den Provinzen dringend benötigtes Geld in Kabul bleibt, weil die Administration dort noch zu schwach ist und das Geld nicht abfließen lässt. Das ist eines der Probleme, auf die wir reagieren müssen; es gibt aber auch andere.

Wichtig ist, dass wir, die internationale Gemeinschaft, gerade in Afghanistan bereit sind, aus Fehlern zu lernen und bei der Korruptionsbekämpfung, bei der Hilfe für die Provinzen und bei der gigantischen Aufgabe der Koordination die Afghanen nicht zu überfordern, sondern sie mitzunehmen.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Wir müssen auch lernen, dass ohne eine Stabilisierung Pakistans eine Stabilisierung Afghanistans sehr schwierig wird.

Im Hinblick auf die Drogenökonomie können wir zwei Dinge lernen:

Erstens. Wir können den Kampf gegen die Drogenökonomie nicht ohne die rückhaltlose Unterstützung der Bevölkerung führen. Deswegen ist es gut, dass immer mehr Mullahs in ihren Freitagsgebeten den Kampf gegen die Drogenökonomie führen, Seite an Seite mit uns.

Zweitens. Der Kampf gegen die Drogenökonomie und für den Wiederaufbau ist sinnlos, wenn wir nicht Sicherheit garantieren können, vor allem auf dem flachen Land, wo die Menschen erkennen müssen, dass es nicht nur die Taliban, die infiltrieren, sondern auch eine Staatsmacht gibt. Das heißt, wir müssen mehr bei der Polizei tun. Ich möchte daran erinnern, dass bereits 19 000 Polizisten ausgebildet wurden. Auch beim Aufbau der Armee ist etwas getan worden. Darüber hinaus ist es ein zutiefst entwicklungspolitisches Anliegen, dass wir beim Aufbau des Justizwesens Fortschritte erzielen müssen. Es nützt nichts, wenn wir sagen, das sei keine Aufgabe Deutschlands. In Afghanistan muss ein Gesamtkunstwerk entstehen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Herr Kollege Ruck, Sie müssen zum Ende kommen.

Dr. Christian Ruck (CDU/CSU):

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss. Wer den Zusammenhang zwischen Aufbau und Sicherheit nicht sieht und unsere Sicherheitsanstrengungen torpediert, der torpediert die Mission Afghanistan. Wer die Mission Afghanistan torpediert, der torpediert die Möglichkeit des Westens, Gefahren in der Welt gemeinsam abzuwehren. Wer dies tut - in einer durchgeknallten Rede von den Linken konnten wir feststellen, wer das tut -,

(Widerspruch bei der LINKEN)

der gefährdet das Wohl unseres eigenen Landes.

Wir jedenfalls wissen, wohin wir gehören: an die Seite der Afghanen. Darüber hinaus wollen wir die Sicherheit unserer eigenen Bevölkerung gewährleisten. Ich bitte auch die Grünen, ihrem Gewissen einen Ruck zu geben, wenn es so weit ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD): Das war ja auch jetzt gerade der Ruck!)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich erteile das Wort dem Kollegen Andreas Weigel für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Andreas Weigel (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In großer Verbundenheit mit meinen Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen möchte ich an dieser Stelle meinen Respekt vor der Debatte, die in dieser Partei zurzeit stattfindet, zum Ausdruck bringen. Der Parteitag am letzten Wochenende hat die Zerrissenheit in dieser Partei gezeigt.

Herr Kollege Kuhn, in Ihrer heutigen Rede haben Sie deutlich gemacht, dass Sie durchaus gewillt sind, fundiert über die anstehenden Fragen zu diskutieren. Das unterscheidet Sie von dem, was dieser Tage in der Presse geschrieben wurde. In der taz von vorgestern erschien zum Beispiel ein Interview mit Ihrem Parteikollegen Herrn Spanta, dem Außenminister von Afghanistan. Die Überschrift lautete: "Grüne sind unsolidarisch und naiv".

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei manchen stimmt das ja!)

Ich kann nur an Sie appellieren und Sie darum bitten, in dieser Frage auch weiterhin mit uns zusammenzuarbeiten. Ich glaube, das haben wir in den vergangenen Jahren gut gemacht. Wir wollen dafür kämpfen, dass das so bleibt.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte an dieser Stelle nicht ausführlich auf das eingehen, was Herr Gysi von den Linken heute zum Besten gegeben hat. Aber, Herr Gysi, an eines möchte ich Sie erinnern: Da Sie das Beispiel angeführt haben, dass Sie Gespräche mit afghanischen Parlamentarierinnen geführt haben - sie haben übrigens auf der Besuchertribüne Platz genommen -, und dies kritisch dargestellt haben - darüber kann man ja durchaus diskutieren -, bitte ich Sie, dabei nicht zu vergessen, dass solche Gespräche im Jahr 2002 oder vorher nie möglich gewesen wären, weil sie nicht nach Deutschland hätten kommen können und wir keine Gespräche mit ihnen hätten führen können.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gelegentlich entsteht der Eindruck, dass wir eine oberflächliche Diskussion führen; das war heute teilweise festzustellen. Daher möchte ich ausdrücklich daran erinnern, dass in den letzten Wochen und Monaten viele deutsche Parlamentarierinnen und Parlamentarier nach Afghanistan gereist sind, sich im Land umgeschaut und Gespräche mit Vertretern des Militärs und mit Vertretern der Zivilorganisationen geführt haben. Das zeigt, wie fundiert und bewusst wir die Auseinandersetzung mit diesem Thema führen. Daran wird auch deutlich, dass wir gewillt sind, uns damit zu beschäftigen.

Wir, die SPD-Fraktion, haben aus diesem Grunde eine Taskforce ins Leben gerufen, eine Arbeitsgruppe, die sich aus Politikern ganz unterschiedlicher Fachbereiche zusammensetzt, und zwar aus Politikern all der Politikbereiche, die mit dem Aufbau in Afghanistan beschäftigt sind. Außen- und Verteidigungspolitiker, Menschenrechtspolitiker und Innen- und Entwicklungspolitiker arbeiten ressortübergreifend zusammen.

Ich glaube, hierin liegen die Chance und das Geheimnis, bei der Entwicklung Afghanistans voranzukommen. Wir brauchen eine ressortübergreifende Zusammenarbeit, nicht nur hier im Parlament, sondern auch vor Ort.

Diese Zusammenarbeit wird in den PRTs praktiziert. Allerdings möchte ich an dieser Stelle selbstkritisch sagen: Manches kann durchaus noch besser werden. Natürlich müssen wir überdenken, ob die Verweildauer unserer Kontaktleute in den PRTs auf vier oder sechs Monate begrenzt sein sollte oder ob eine längere Verweildauer erforderlich ist, um gerade erst entstandene Kontakte auszubauen, nützliche Informationen zu beschaffen und Vertrauensverhältnisse aufzubauen.

Wir müssen über die elementare, entscheidende Frage des Drogenanbaus noch intensiver als bisher nachdenken. Natürlich bedarf es zuallererst der Zerschlagung der Strukturen und Verflechtungen der Drogenmafia mit lokaler Verwaltung und lokaler Polizei. Aber wir müssen uns darüber hinaus Gedanken über Alternativen machen, wie also der Anbau anderer landwirtschaftlicher Erzeugnisse und andere legale Einnahmequellen für die Bevölkerung entwickelt werden können. Wir brauchen entwicklungspolitische Leuchttürme. Ich sage das bewusst, weil wir bei all unseren Diskussionen über entwicklungspolitische Ziele eines nicht vergessen dürfen: Wir dürfen uns nicht nur mit Projekten beschäftigen, die langfristig wirken. Unsere Projekte müssen sofort greifen. Die Bevölkerung vor Ort muss unmittelbar spüren, dass unser Engagement wirkt.

Eine Vielzahl von positiven Projekten ist heute schon angesprochen worden: Schulen, Bildungsmaßnahmen. Ich will zum Schluss meiner Rede noch einmal auf den Aufbau der Polizeistrukturen zu sprechen kommen.

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Die können Sie jetzt aber nicht mehr im Einzelnen erläutern; das ist Ihnen klar.

Andreas Weigel (SPD):

Wir haben die Polizeiakademie im Jahr 2004 eröffnet. Seitdem sind 18 600 Polizisten ausgebildet worden. Wir müssen uns an diesem Punkt weiter engagieren - was wir tun wollen. Wir führen gemeinsam mit der EU Gespräche und verhandeln. Es braucht ein größeres Engagement, mehr deutsche Beteiligung. Die Weiterführung des ISAF-Mandates bietet dafür die besten Rahmenbedingungen. Ich bitte um große Unterstützung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Bernd Siebert für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Bernd Siebert (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als letzter Redner möchte ich doch noch einmal auf das, was in Afghanistan in der Vergangenheit geleistet wurde, zurückkommen und mich im Namen der Arbeitsgruppe ?Verteidigung“, aber auch im Namen der übrigen Mitglieder der CDU/CSU-Fraktion in besonderer Weise bei all denen bedanken, die vor Ort Besonderes geleistet haben, nämlich bei den Soldatinnen und Soldaten und bei den vielen zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, die seit Beginn der Afghanistan-Mission ihren schweren Dienst leisten und - auch das muss hier erwähnt werden - zum Teil mit ihrem Leben bezahlt haben. Insbesondere Letzteren und ihren Angehörigen gehören unser besonderer Respekt und natürlich auch unser Mitgefühl.

Die Aufgaben, die wir dort erfüllen - und auch erfüllen wollen -, werden auch in Zukunft nicht ohne Gefahr für Leib und Leben der dort eingesetzten Menschen erledigt werden können. Aber gerade aufgrund der Leistungen, der Erfolge unserer Aufbauarbeit in Afghanistan fühlen wir uns verpflichtet, der Verlängerung des ISAF-Mandates bzw. der Zusammenlegung von ISAF- und Tornado-Mandat zuzustimmen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ISAF-Mandat, welches vor allem dem Wiederaufbau des unter den Taliban zerstörten Landes dient, steht zugegebenermaßen in der Kontinuität der rot-grünen Vorgängerregierung. Gleichwohl ist der eingeschlagene Weg immer noch richtig. Umso erstaunlicher ist es für mich, zu sehen, dass sich die Grünen, die mit dem damaligen Außenminister Joschka Fischer einen entscheidenden Befürworter des Einsatzes in ihren Reihen hatten, am vergangenen Wochenende in Göttingen aus ihrer Verantwortung für Afghanistan, so befürchte ich, verabschiedet haben.

(Josef Philip Winkler (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da haben Sie Herrn Kuhn aber nicht gehört!)

- Herr Kuhn hat in der Tat vorhin vernünftige Bemerkungen gemacht, die in den wesentlichen Teilen zu unterstützen sind.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Nur, wenn jemand noch nicht einmal in der Lage ist, in der eigenen Partei für eine Mehrheit zu sorgen, wird das, was er hinterher hier erklärt, mit dem Wort ?Glaubwürdigkeit“ nicht zu verbinden sein. Deswegen wünsche ich Ihrer Führung, dass sie in Zukunft wieder Ihre Parteibasis

(Dr. Norbert Röttgen (CDU/CSU): Überzeugt!)

überzeugt. Denn wenn Sie das umsetzen würden, Herr Trittin - und Sie haben ja mehrheitlich beschlossen, hier im Parlament der Verlängerung des Mandates nicht zuzustimmen -, dann bedeutet das im Ergebnis: Sie sind für den Abzug. Dann sind Sie letztlich für nichts wesentlich anderes als das, was die Linken seit Jahr und Tag propagieren. Das müssen Sie wissen bei dem, was Sie diskutieren und was Sie beschließen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Jedem politisch denkenden und die Realität betrachtenden Menschen ist jedoch klar, dass es keine Alternative zum ISAF-Mandat in Afghanistan gibt. Ein Ende des Engagements in Afghanistan hätte für das Land und die dort lebenden Menschen verheerende Folgen. Es muss aber auch in aller Deutlichkeit gesagt werden: Wir brauchen noch auf Jahre hinaus die militärische Absicherung des Wiederaufbaus in Afghanistan. Nur so, im Sinne des im Weißbuch von 2006 beschriebenen Konzeptes der vernetzten Sicherheit, können wir auch langfristig zum Erfolg gelangen.

Für diesen Wiederaufbau im Norden Afghanistans ist die im Mandat enthaltene Höchstgrenze von 3 500 Soldaten und Soldatinnen aus unserer Sicht vollkommen ausreichend. Da die Tornados ohnehin unter dem ISAF-Befehl standen und stehen, macht es auch Sinn, diese bisher getrennten Mandate unter einem gemeinsamen Mandat zusammenzufassen.

Darüber hinaus hat sich der Einsatz der Tornados bewährt. Das ist hier einige Male ausgeführt worden; deswegen brauche ich das nicht zu wiederholen. Dass er so erfolgreich war, haben viele hier in diesem Parlament - auch in der Vergangenheit - bezweifelt. Wir haben vorhin ein Statement besonderer Art gehört. Ich muss den Kollegen beglückwünschen, dass er seine Gedankengänge hier in aller Offenheit dargestellt hat.

Einige Kolleginnen und Kollegen haben im Vorfeld dieser Debatte geäußert, dass man sich durchaus auch mit einer dauerhaften Ausdehnung unseres Auftrages - mit Ausbildung im Süden - beschäftigen sollte. Ich denke, dass damit der Rahmen des Mandates, das wir in der Vergangenheit beschlossen haben und heute wieder beschließen wollen, gesprengt würde. Deshalb glaube ich nicht, dass es sinnvoll ist, einen anderen Ansatz von Kräften und Mitteln für diese Aufgabe zu wählen.

Zum Schluss möchte ich noch einmal feststellen: Der bisherige Ansatz für den Wiederaufbau Afghanistans hat sich bewährt und wird mit dem Afghanistan-Konzept der Bundesregierung dort nachjustiert, wo es nötig ist. Aus diesem Grunde werden wir das vorläufige ISAF-Mandat verbunden mit dem Tornado-Mandat unterstützen und entsprechend zustimmen.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Präsident Dr. Norbert Lammert:

Ich schließe die Aussprache.

Tagesordnungspunkt 3 a. Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf der Drucksache 16/6460 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Der Entschließungsantrag auf der Drucksache 16/6461 soll an dieselben Ausschüsse überwiesen werden, an den Haushaltsausschuss jedoch nicht nach § 96 der Geschäftsordnung. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist offenkundig der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen nun unter dem Tagesordnungspunkt 3 b zur Abstimmung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Drucksache 16/6325 mit dem Titel ISAF und OEF parlamentarisch gemeinsam behandeln. Wer stimmt für diesen Antrag? - Wer stimmt dagegen? - Wer enthält sich der Stimme? - Dann ist dieser Antrag mit großer Mehrheit abgelehnt.


Quelle: Deutscher Bundestag, Vorabveröffentlichungen der Plenarprotokolle;
www.bundestag.de




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