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"Auf diesem Kriegsschauplatz läuft so viel schief, dass dieser Einsatz nicht zu einem guten Ende gebracht werden kann"

Aktuelle Stunde im Bundestag: Dokumentation der Debatte

Am 14. Februar diskutierte der Bundestag in einer "Aktuellen Stunde" über die Afghanistan-Politik der Bundesregierung. Dabei standen Fragen einer Aufstockung des Bundeswehreinsatzes, einer Änderung des Einsatzgebiets sowie einer Erweiterung des Kampfauftrags im Mittelpunkt. Die aktuelle Stunde war von der Fraktion DIE LINKE beantragt worden.
Wir dokumentieren im Folgenden die gesamte Debatte.
Es sprachen in dieser Reihenfolge folgende Abgeordnete:

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Ich rufe nun den Zusatzpunkt 3 auf: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE - Haltung der Bundesregierung zu einer räumlichen und personellen Ausweitung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Redner das Wort dem Kollegen Paul Schäfer für die Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Paul Schäfer (Köln) (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Seit vergangenem Wochenende wissen wir zumindest eines: Die Schlagzahl, mit der über eine Verstärkung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan geredet wird, erhöht sich beträchtlich. Kaum hatte man die Stellung der schnellen Eingreiftruppe im Norden zugesagt, wurde darüber diskutiert, dass das Kontingent aufgestockt und eventuell das Einsatzgebiet erweitert werden müsse. Die Bundesregierung hat zwar schnell dementiert, aber sofort auch gesagt, spätestens im Herbst würden die Karten neu gemischt. Das heißt, es wird neu über das Mandat geredet.

Heute lesen wir in den Agenturmeldungen, dass es einen Koalitionsgipfel geben solle, wo man vielleicht schon vorher über eine Aufstockung des Bundeswehrkontingents reden wolle. Das liegt in Ihrer Logik. Sie wollen die schnelle Eingreiftruppe stellen, Sie wollen mehr Militärausbilder, Sie wollen mehr Personal für den Schutz der Bundeswehreinrichtungen, Sie wollen mehr Aufbauteams. Das alles ist mit dem bisherigen Aufwand nicht zu machen. Vergessen wir eines nicht: Der Druck - auch das ist am vergangenen Wochenende deutlich geworden - der NATO, dass die Bundeswehr sich stärker engagieren und mit mehr Truppen und mehr Kampfverbänden vertreten sein soll, hält an. Die US-Botschafterin hat es deutlich gesagt: Wir werden alle unsere Verbündeten, darunter auch Deutschland, auf dem NATO-Gipfel in Bukarest im April dringend bitten, mit uns Soldat für Soldat, Euro für Dollar gleichzuziehen. Das ist die eindeutige Ansage. Für uns steht fest: Die deutsche Beteiligung an den Kriegshandlungen in Afghanistan wird umfangreicher und intensiver. Genau das lehnen wir als Linke entschieden ab.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] - Rainer Arnold [SPD]: Sie lehnen doch alles ab!)

Die Intensivierung ergibt sich allein schon durch die Stellung der schnellen Eingreiftruppe. Das ist eine neue Qualität des deutschen Militäreinsatzes. Da geht es nicht vorrangig um Routinepatrouillen, sondern es geht um die militärische Bekämpfung des Gegners, um Einsätze mit militärischer Gewalt, um offensive Militäroperationen. Die Erfahrungen der Norweger, die bisher diese Quick Reaction Force gestellt haben, belegen: Dabei geht es um Einsätze, bei denen man nicht zimperlich zu Werke geht. Ich füge hinzu: Das, was dort im Rahmen der Operation Harekate Yolo gemacht worden ist, ist mit den bisherigen deutschen Einsatzregeln nicht in Übereinstimmung zu bringen. Deshalb werden wir nächste Woche darüber hier im Bundestag abstimmen lassen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] - Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Können Sie doch!)

Zumindest hören wir jetzt von Ihnen, die Debatte müsse ehrlicher geführt werden. Ja, es gehe um Kampfeinsätze, und man müsse auch mit Toten rechnen. - Man könnte es martialisch ausdrücken: Der Kampf an der Heimatfront ist eröffnet.

(Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Ach Gott, ach Gott!)

Ich wage allerdings zu bezweifeln, ob es gelingen wird, mittels verschärfter PR-Arbeit die Deutschen von der Afghanistan-Mission zu überzeugen. 84 Prozent der Bundesbürger sind gegen eine Beteiligung der Bundeswehr an Kampfeinsätzen im Süden. Weit über die Hälfte der Befragten wollen das Bundeswehrengagement grundsätzlich beendet sehen. Das bekommen Sie nicht weg, und das ist auch gut so.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Sie haben ja selber Zweifel am Erfolg Ihrer Öffentlichkeitskampagne. Warum sonst die Überlegungen, die Mandatsverlängerungen nicht im Herbst 2009, sondern Monate später zu vollziehen?

Wir, die Linke, werden uns dieser Manipulation entschieden widersetzen. Die Bevölkerung muss die Möglichkeit haben, bei der Bundestagswahl im nächsten Jahr auch darüber zu entscheiden, ob die Bundeswehr in Afghanistan bleiben soll oder nicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] - Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg [CDU/CSU]: Kann sie ja!)

Es gibt zwei Gründe, warum es eine so große Mehrheit der Deutschen gegen diesen Einsatz gibt:

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum gibt es die große Mehrheit in der nordafghanischen Bevölkerung für diesen Einsatz? Bitte auch dazu eine Antwort! Nicht nur das rausfiltern, was einem gefällt!)

Erstens, lieber Kollege Nachtwei, fürchten die Menschen, dass wir uns in Dinge verstricken, in die wir uns vor dem Hintergrund unserer Geschichte im letzten Jahrhundert nicht verstricken sollten. Sie sehen die Bilder von Abu Ghureib, sie hören, dass in afghanischen Gefängnissen auch misshandelt und gefoltert wird, und keiner hier kann definitiv ausschließen, dass gezielt getötet wird, was völkerrechtswidrig ist. Deshalb ist es, glaube ich, richtig, dass die Leute nicht wollen, dass wir uns an so etwas beteiligen, auch nicht mittelbar.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Der zweite Punkt. Man merkt: Auf diesem Kriegsschauplatz läuft so viel schief, dass dieser Einsatz nicht zu einem guten Ende gebracht werden kann. Die britische Außenministerin hat jetzt gesagt, Afghanistan drohe ein "failed state" zu werden. Bisher waren diese gescheiterten Staaten eher ein Anlass, um zu intervenieren, um die Dinge in Ordnung zu bringen. Jetzt sind sieben Jahre Militärintervention offensichtlich der Grund für einen "failed state". Man muss darüber nachdenken, was dieser Auflösungsprozess mit der US- und NATO-geführten Militärmission zu tun hat.

Das sind die Gründe, warum auch wir meinen, dass der Militäreinsatz so schnell als möglich beendet und die Truppen zurückgezogen werden sollten. Sie gehen stattdessen in die entgegengesetzte Richtung und weiter in die Sackgasse hinein. Andersherum wird es richtig: Truppenabzug, Vervielfachung der zivilen Aufbauhilfe und Verstärkung des diplomatischen Prozesses, um zu einem stabilen Waffenstillstand im Land zu kommen. Das ist der Weg, um die Taliban wirkungsvoll zu bekämpfen und um dem Land zu einer eigenständigen, demokratischen Entwicklung zu verhelfen. In diese Richtung und nicht in die andere müssen wir gehen. Dieser Irrweg muss unverzüglich beendet werden.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nächster Redner ist nun der Kollege Eckart von Klaeden für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Eckart von Klaeden (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren Kollegen! Was unterscheidet die Linkspartei von einem Huhn? Das Huhn begackert das Ei erst, wenn es gelegt ist. Die Linkspartei nutzt eine Pressemeldung vom Wochenende, die schon längst dementiert wurde, um für den Donnerstag eine Aktuelle Stunde zu beantragen.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: So schnell sind wir!)

Das zeigt: Es geht hier nicht um Afghanistan, sondern um Innenpolitik, nämlich um die Bürgerschaftswahlen in Hamburg.

(Beifall des Abg. Dr. Karl-Theodor Freiherr zu Guttenberg [CDU/CSU])

Man versucht, die Sorgen unserer Bevölkerung zu instrumentalisieren. Dieses Spiel kennen wir von der Linkspartei schon seit einiger Zeit.

Ganz besonders deutlich wurde das im vergangenen Sommer, als ein deutscher Ingenieur in Afghanistan entführt wurde. Das Auswärtige Amt wies danach darauf hin, dass die Entführung einen rein kriminellen Hintergrund hatte und den Zweck verfolgte, Lösegeld zu erpressen. Gleichzeitig haben aber zwei versucht, dieses Verbrechen für politische Zwecke zu missbrauchen. Der eine war der Sprecher der Taliban in Afghanistan, und der andere war der Sprecher der Linkspartei, Gregor Gysi, in Deutschland.

(Widerspruch bei der LINKEN - Zuruf von der LINKEN: Unverschämt!)

Beide haben dieselbe Forderung aufgestellt, nämlich nach einem sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan.

Dabei wissen wir alle, dass die Tragödie in Afghanistan mit dem Einmarsch der Roten Armee begonnen hat. Wir wissen auch, dass die einzige Partei, die diesen Einmarsch frenetisch begrüßt hat, die umbenannte Linkspartei gewesen ist.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD - Widerspruch bei der LINKEN - Zuruf von der LINKEN: Noch blöder kann man nicht argumentieren!)

Furchtbare Juristen wie Professor Paech, der heute für die Linkspartei im Auswärtigen Ausschuss sitzt, haben damals diesen Einmarsch gerechtfertigt. Heute wollen sie nichts mehr davon wissen.

Aber nicht die Geisteshaltung der Linkspartei, sondern die Verhältnisse haben sich - übrigens gegen ihren Willen - durch die demokratische Revolution von 1989 geändert. Vor dem Fall der Mauer hat die umbenannte Linkspartei mit arabischen Terrorgruppen und Terrorstaaten sowie der RAF kooperiert. Man hat den Genossen von der RAF in der DDR Unterschlupf gewährt.

(Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Sagen Sie doch mal etwas zum Tagesordnungspunkt!)

- Ich komme jetzt dazu.

(Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Ach, wie schön!)

Heute wirbt Herr Professor Paech mit weicher Stimme im Auswärtigen Ausschuss für Verständnis für Terrorgruppen und Mörderbanden wie die Hamas oder die FARC.

(Zuruf von der CDU/CSU: Pfui!)

Die Verhältnisse haben sich geändert, aber "der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch".

(Paul Schäfer [Köln] [DIE LINKE]: Was hat denn Franz Josef Strauß zu Pinochet gesagt?)

Auch wenn ein Misserfolg der Bundeswehr und der NATO im Rahmen des ISAF-Mandats in Ihr politisches Kalkül passen würde: Die Fakten in Afghanistan sprechen eine andere Sprache. Ich möchte in diesem Zusammenhang aus einer Studie der FU Berlin zitieren,

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Die Sie doch selbst bestellt haben!)

über die die FAZ am 6. Februar berichtet hat.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: So ein dubioser Verein!)

- Die FU Berlin ist ein dubioser Verein? Ich möchte, dass dieser Zwischenruf von Herrn Gehrcke in das Protokoll aufgenommen wird.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Gerne!)

Die FAZ schreibt, dass 2 034 Haushalte in Nordafghanistan von der FU Berlin befragt worden sind. Weiter heißt es:

76 Prozent der Befragten gaben an, dass sich die Sicherheitslage in den vergangenen zwei Jahren stark verbessert habe, 23 Prozent sagten, sie habe sich etwas verbessert. Nur 0,6 Prozent äußerten, die Sicherheitslage habe sich in dieser Zeit verschlechtert.

Zur Verbesserung haben in der Wahrnehmung der Afghanen im Norden des Landes - also dort, wo wir die Verantwortung im Rahmen eines Mandats tragen, von dem Sie meinen, dass wir es unmittelbar beenden sollten - vor allem die Soldaten aus dem Westen beigetragen. 80 Prozent der Befragten glauben demnach, ihre Präsenz habe positive Effekte auf die Sicherheitslage.

Die FAZ führt weiter zutreffend aus, dass Sicherheit als Voraussetzung für den Erfolg der Friedensmission beim zivilen Aufbau nicht wegzudenken sei. Deswegen stehen wir zu unserem Einsatz in Afghanistan und zu unserem dortigen Engagement. Wir stehen für das Konzept der vernetzten Sicherheit, weil es keine Entwicklung ohne Sicherheit, aber auch keine Sicherheit ohne Entwicklung geben kann. Wir stehen zu der regionalen Aufteilung der Verantwortung in Afghanistan und für unsere Verantwortung im Norden. Und: Wir stehen zu der Solidaritätsklausel im Mandat des Bundestages. Wir lassen unsere Verbündeten in ganz Afghanistan nicht im Stich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)

Vieles liegt noch vor uns, und vieles muss besser gemacht werden. Aber wir alle wissen doch, dass die bisher glücklicherweise vereitelten Anschläge in Deutschland alle im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet vorbereitet worden sind und dass bis heute mehr deutsche Staatsbürger durch den islamistischen Terror gestorben sind als durch die Anschläge der RAF. Deswegen dient unser Einsatz in Afghanistan nicht nur dem afghanischen Volk, sondern vor allem unserer eigenen Sicherheit.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nun hat das Wort die Kollegin Birgit Homburger für die FDP-Fraktion.

(Beifall bei der FDP)

Birgit Homburger (FDP):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der öffentlichen Debatte, die derzeit über den Afghanistan-Einsatz geführt wird, geht es wieder überwiegend um militärische Fragen. Ich finde, dies greift zu kurz. Dies reicht nicht; wir brauchen einen Gesamtansatz. Wir müssen vor allen Dingen versuchen, den Menschen in Deutschland zu vermitteln, warum die Bundeswehr in Afghanistan eingesetzt ist.

Ich sage hier in aller Deutlichkeit - darauf hat mein Vorredner schon hingewiesen -: Wir sind dort, um die afghanische Regierung und das afghanische Volk beim Aufbau zu unterstützen, um eine selbsttragende Sicherheit in Afghanistan zu erreichen. Aber wir sind auch dort, weil wir wissen: Wenn wir Afghanistan jetzt alleine lassen würden, dann würde von dort aus wieder eine terroristische Bedrohung ausgehen, ganz abgesehen von der destabilisierenden Wirkung, die dies auf Pakistan hätte, mit unabsehbaren Folgen auch für uns hier. Deshalb stehen wir zu diesem Einsatz.

(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und der SPD)

Ich möchte einige Bemerkungen an die Bundesregierung richten: Herr Bundesverteidigungsminister, Sie bzw. die Bundesregierung haben gerade erst eine Ausweitung des Einsatzes im Rahmen des bestehenden Mandats beschlossen. Die Bundeswehr wird ab Sommer dieses Jahres die schnelle Eingreiftruppe im Norden Afghanistans stellen. Ich sage deutlich, dass diese Diskussion für die FDP-Fraktion noch nicht abgeschlossen ist. Wir möchten von Ihnen wissen, ob die Ausstattung und Ausrüstung, die der Truppe zur Verfügung gestellt werden, tatsächlich ausreichend sind. Wir haben hier Zweifel. Dies bezieht sich auf die gepanzerten Fahrzeuge, die Fernmeldeausrüstung, den Lufttransport, die Mörsertrupps und die Fliegerleittrupps. Darauf sind Sie, Herr Minister, bisher eine Antwort schuldig geblieben. Die Bundesregierung kann zwar im Rahmen des bestehenden Mandats über diesen Einsatz entscheiden. Auch wir sagen ganz eindeutig: Die schnelle Eingreiftruppe im Norden des Landes ist absolut notwendig. Aber sie ist nur verantwortbar, wenn die Bundeswehr die nötige Ausrüstung und Ausstattung erhält. Da erwarten wir von Ihnen, Herr Minister, klare Antworten; wir erwarten, dass Sie dafür sorgen, dass das passiert.

(Beifall bei der FDP)

Die Ausweitung ist noch nicht einmal umgesetzt, schon folgt die nächste Diskussion über noch mehr Militär. Deswegen möchte ich an dieser Stelle für meine Fraktion sehr deutlich festhalten: Mit immer mehr Soldaten allein wird der Erfolg in Afghanistan nicht zu erreichen sein.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Will ja auch niemand!)

Ich möchte Auskunft über die fragliche Ausweitung der Mandatsobergrenze, über die seit dem Wochenende diskutiert wird, haben, wozu Ihr Generalinspekteur, Herr Minister, öffentlich mitteilt, er werde Ihnen eine Ausweitung der Obergrenze vorschlagen. Wir möchten wissen, was es mit der Erweiterung des Einsatzes von der Nordregion gen Westen zu tun hat. Hören Sie endlich mit der Geheimniskrämerei auf und sagen Sie dem Deutschen Bundestag, was Sie planen!

Herr Jung, es ist eben nicht so, wie Sie sagen. Dass es ein Mandat gibt, an das Sie sich halten müssen, das ist insoweit richtig. Dass dann der Deutsche Bundestag entscheidet, auch das ist richtig. Aber Sie, Herr Minister, müssen vorlegen. Sie wissen genau, dass wir im Deutschen Bundestag nur Ja oder Nein zu einem Mandat sagen können. Das heißt, Sie sind auskunftspflichtig. Was wir von Ihnen hierzu hören, ist schlicht und ergreifend ausweichend. Es sind Ausreden, und es ist Verschleierung. Hören Sie endlich auf damit und spielen Sie mit offenen Karten! Denn Sie werden den Deutschen Bundestag am Ende brauchen.

Ich sage Ihnen: Gerüchte schaden. Sie heizen die Diskussion an,

(Dr. Karl A. Lamers [Heidelberg] [CDU/ CSU]: Und wer setzt sie in die Welt?)

verunsichern die Truppe und befördern die Skepsis in der Bevölkerung. Wir erwarten von Ihnen, dass Sie uns endlich klar und deutlich sagen, was die Bundesregierung plant.

(Dr. Karl A. Lamers [Heidelberg] [CDU/ CSU]: Wer macht denn die Gerüchte?)

Ich möchte hier noch einmal ansprechen, dass wir für Afghanistan ein Gesamtkonzept brauchen. Der Wiederaufbau und der Aufbau staatlicher Strukturen bei Militär und Polizei müssen im Zentrum dieses Konzeptes stehen. Als Bundesregierung haben Sie Verantwortung übernommen und klare Zusagen gemacht. Wir erwarten, dass diese klaren Zusagen jetzt auch eingehalten werden. Wir erwarten, dass beim Wiederaufbau mehr passiert. Wir erwarten, dass bei der Militärausbildung mehr passiert. Und wir erwarten vor allen Dingen, dass Sie bei der Polizeiausbildung, bei der es immer noch furchtbar und erbärmlich läuft, bei der nichts vorwärtsgeht, mehr tun.

(Beifall bei der FDP)

Eine bessere Koordinierung aller Maßnahmen ist notwendig, und zwar NATO-weit. Das klappt aber noch nicht einmal bei den Ressorts der Bundesregierung. Sie sprechen von vernetzter Sicherheit. Ja, das ist das, was wir brauchen. Wir brauchen vernetzte Sicherheit. Sorgen Sie aber bitte dafür, dass das keine Leerformel bleibt, sondern mit Leben erfüllt wird! Das erwarten wir von Ihnen, bevor Sie schon wieder über mehr Soldaten reden.

(Beifall bei der FDP)

Zum Schluss sage ich: Wir sehen die öffentliche Diskussion in der NATO mit Sorge. Ich denke, dass auf dem Gipfel in Bukarest ein Gesamtkonzept beschlossen werden muss, das von allen getragen wird. Es muss in politischer, ökonomischer und militärischer Hinsicht ein Gesamtkonzept geben. Das ist absolut zwingend. Die öffentliche Diskussion innerhalb der NATO muss aufhören; das schadet uns. Wenn diese Diskussion weiterhin geführt wird, wird das in Afghanistan negative Effekte hervorrufen. Dieses Gesamtkonzept muss die NATO auf dem Gipfel in Bukarest Anfang April leisten, damit sie in den nächsten, wie ich finde, ziemlich entscheidenden Monaten in Afghanistan geschlossen auftreten kann.

Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Detlef Dzembritzki [SPD])

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nächster Redner ist nun der Kollege Walter Kolbow für die SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU])

Walter Kolbow (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, es ist richtig, auch in dieser Aktuellen Stunde darauf hinzuweisen, dass Soldatinnen und Soldaten unserer Bundeswehr, aber auch zivile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Menschen in Afghanistan in einem überaus harten Winter helfen, den Familien Unterstützung zuteilwerden lassen und Menschenleben retten, womit sie sich auch in einem humanen Einsatz befinden.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜND-NISSES 90/DIE GRÜNEN)

Genauso richtig ist es, darauf hinzuweisen, dass das afghanische Parlament nach der Pause, die es im Winter zwangsläufig eingelegt hat, wieder mit den Tagungen begonnen hat und Präsident Karzai, aber auch der Unterhaussprecher Qanuni, den wir hier bald erwarten dürfen und mit dem wir hier sprechen werden, im afghanischen Parlament die Erfolge, aber auch die Defizite der ISAF-Mission und der zivilen Anstrengungen angesprochen haben.

Ich denke, es ist wichtig, dass wir nicht vergessen, unsere Leistungen darzustellen. Die Bundesregierung tut das Gott sei Dank nicht. Lassen Sie mich an dieser Stelle die Bemerkung einschieben, dass das auch auf der Münchener Sicherheitskonferenz geschehen ist. Die Berichterstattung, die für Aufregung gesorgt hat, muss zurechtgerückt werden. Das geschieht auch dadurch, dass im afghanischen Parlament die verbesserte Selbstversorgung mit Lebensmitteln, die Förderung der Zivilgesellschaft und der Medien, der Ausbau des Bildungs- und Gesundheitsbereichs sowie die Gewährleistung der Frauenrechte als Erfolg bezeichnet werden. Unsere afghanischen parlamentarischen Kollegen sagen aber auch, dass es Rückschläge gegeben hat, vor allem im Sicherheitsbereich. Sie sprechen auch die weiteren terroristischen Gefahren, die Drogensituation und die Korruption an.

Ich denke, es ist richtig, an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass wir im Afghanistan Compact die Gesamtstrategie der internationalen Gemeinschaft für Afghanistan festgelegt haben und die Bundesregierung die deutschen Ziele für Afghanistan im Rahmen dieser Gesamtstrategie im Einvernehmen mit dem Parlament festgelegt hat. In der Verlautbarung unserer Regierung, die wir alle kennen, heißt es: Beibehaltung der Bundeswehrpräsenz im internationalen Rahmen so lange, bis die afghanischen Kräfte selbst für die Sicherheit sorgen können; Werben im Kreise der Bündnispartner um noch konsequentere Vermeidung ziviler Opfer.

Wir sind nicht nur im Norden Anhänger der Strategie "Frei verhandeln, statt freikämpfen", sondern auch draußen im Lande. Denn die zivile Strategie, die des Sicherheitskonzepts nicht entbehren darf, ist die Voraussetzung dafür, dass die Gesamtstrategie des Afghanistan Compact und unsere nationale Zielrichtung in der internationalen Gemeinschaft gelingen. Das bedeutet eben auch eine aktive Vermittlung der Notwendigkeit des Einsatzes in der deutschen Öffentlichkeit. Ich würde mich sehr freuen, wenn die deutschen Medien mehr darauf abstellen würden, was geleistet wird, und nicht nur darauf, was noch fehlt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Natürlich fehlt etwas.

Ich denke, dass die Ausfächerung der Präsenz im Norden durch Bildung von mehreren zivil-militärischen regionalen Beraterteams eine Ergänzung der aktuellen Strategie, die mehr als sinnvoll ist, darstellt. Die Verdreifachung der Bemühungen für die Ausbildung der afghanischen Armee ist ein wesentlicher Bestandteil der Weiterentwicklung; Weiterentwicklung muss in einem dynamischen Mandatsprozess enthalten sein. Wir haben klare Festlegungen getroffen. Diese Festlegungen gelten. Nun ist es an der Bundesregierung, mit den nationalen und internationalen Partnern abzustimmen, wie ein Mandat weiterentwickelt werden muss oder kann.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Was heißt das konkret?)

- Das heißt konkret, dass wir auf den NATO-Gipfel gehen und mit unseren internationalen Partnern abstimmen, was möglicherweise fortentwickelt werden muss; denn am 13. Oktober dieses Jahres läuft das jetzige ISAF-Mandat aus.

(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)

Das ist im Übrigen bei jedem anderen Mandat, über das der Deutsche Bundestag beschließt, auch der Fall. Bei der internationalen Afghanistan-Konferenz, deren Einberufung wir hier im Parlament stark gewollt haben und der wir als Bestandsaufnahme- und Evaluierungseinrichtung für die internationale Gemeinschaft eine große Bedeutung geben, werden für die mögliche Fortentwicklung eines Mandates Outputs gegeben. Es ist dann Sache der Bundesregierung, dies dem Parlament vorzulegen. Dann ist es Sache des Parlaments, dies zu beurteilen. Wenn dieser Fall eintritt, dann werden wir eine Beurteilung vornehmen, und zwar im Rahmen unseres Selbstverständnisses, das die Rednerinnen und Redner von der Koalition, aber auch von der Opposition - ich nenne Frau Homburger - hier dargestellt haben.

Das ist auch Grundlage dafür, innerhalb der internationalen Gemeinschaft zu bestehen und die Defizite, die wir haben, auf der Basis von tatsächlichen Fortschritten zu beheben, um in Afghanistan zum Erfolg zu kommen. Dafür werben wir auch in dieser Aktuellen Stunde trotz ihrer vordergründig taktischen Anberaumung durch die Fraktion der Linken.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nun hat das Wort der Kollege Jürgen Trittin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Eine Vorbemerkung zu Ihnen, Kollege Schäfer: Afghanistan ist nicht erst in den letzten sieben Jahren zu einem "failed state" geworden. Afghanistan war ein "failed state", seit Russland und die USA dort den Kalten Krieg heiß gemacht haben. Es war ein "failed state", als der Bürgerkrieg tobte. Es war ein "failed state", als die Taliban dort ihre Terrorherrschaft errichtet haben. Die Afghanen aus der Situation des "failed state" zu holen, ist der Ansatz der Vereinten Nationen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Das ist nicht einfach. Es gibt Rückschläge, es gibt Widersprüche; es gibt Fehler. Man kann auch über unabhängige und seriöse Untersuchungen sagen, dass sie von einem dubiosen Verein durchgeführt wurden. Ich halte die FU und den entsprechenden Forschungsbereich dort für das Gegenteil. Man kann das alles machen. Aber man muss doch auch einmal zur Kenntnis nehmen, dass von den Menschen, die aufgrund der Tatsache, dass Afghanistan ein "failed state" ist, ins Ausland geflohen sind, mittlerweile 4,7 Millionen Menschen zurückgekehrt sind, dort bauen und dort ihre Zukunft sehen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Das kann man nicht einfach unter den Tisch fallen lassen.

Jetzt komme ich zur Bundesregierung. Sie stellt sich immer besonders pfiffig dabei an, ihre Afghanistan-Politik zu verteidigen.

(Zuruf von der FDP: Die aktuelle?)

- Ich rede von der aktuellen Bundesregierung. Von welcher sonst? -

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Aha! Die vorherige war also nicht pfiffig!)

Was ist denn am letzten Wochenende passiert? Wir alle konnten in den Zeitungen lesen, Herr Jung plane, die deutschen Truppen, um die Amerikaner zu beschwichtigen, um 1 000 Leute aufzustocken, das Einsatzgebiet im Norden und im Westen Afghanistans zu erweitern und das Ganze so zu stricken, dass der Deutsche Bundestag nach Möglichkeit nicht mehr vor der nächsten Bundestagswahl mit diesem unangenehmen Thema befasst wird. Soll ich Ihnen einmal sagen, was das ist?

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Eine Ente!)

Beim Kollegen Lafontaine war die Freude natürlich groß; denn wenn man dieses Thema so anfasst, dann wird doch völlig klar, dass man nicht zur eigenen Politik steht. Das ist besonders peinlich, wenn man dann auf der Münchener Sicherheitskonferenz danach gefragt wird und darauf, weil man in Gedanken offensichtlich schon beim Amt des hessischen Ministerpräsidenten ist, keine Antwort weiß

(Dr. Karl A. Lamers [Heidelberg] [CDU/ CSU]: Wirklich billig! - Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Lachhaft!)

und wenn dann Vertreter der Oppositionsfraktionen - in diesem Fall war es der Vorsitzende der Partei von Frau Homburger - die deutsche Position darstellen bzw. klarstellen müssen.

(Dr. Karl A. Lamers [Heidelberg] [CDU/ CSU]: Nein! Nicht die deutsche Position! Nur die der Opposition!)

Ich sage Ihnen: Mit dieser Haltung tun Sie uns im Ausland keinen Gefallen. Vor allen Dingen tun Sie uns dann keinen Gefallen, wenn Sie die Bundesrepublik weiterhin unter Wert verkaufen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN - Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Trittin muss Verteidigungsminister werden!)

Haben wir es eigentlich nötig, uns in dieser Debatte von den USA in die Ecke drängen zu lassen? Das geht so weit, dass es heißt, auch wir hätten mehr als 20 Tote zu beklagen gehabt. Das ist eine Herangehensweise, die nicht von Selbstbewusstsein zeugt. Das ist nur peinlich. Tatsache ist doch: Der größte Legitimationsverlust des internationalen Einsatzes in Afghanistan war der ohne völkerrechtliche Begründung durchgeführte Krieg der Amerikaner im Irak. Dadurch wurden die Bemühungen um den Aufbau Afghanistans massiv zurückgeworfen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN und des Abg. Dr. Werner Hoyer [FDP])

Da es in dieser Debatte auch um Caveats, also um Vorbehalte, geht, weise ich Sie darauf hin: Den größten Caveat im Zusammenhang mit dem Einsatz in Afghanistan haben nicht die Deutschen, die Dänen oder die Norweger. Den größten Caveat haben die USA. Sie haben bis heute massive Vorbehalte dagegen, die Truppen, die sie im Rahmen von OEF einsetzen, dem Kommando, der Einsatzdoktrin und den Einsatzregeln von ISAF zu unterstellen. Das ist meiner Meinung nach der größte Caveat. Ich finde, in Anbetracht dessen sollte man auch mit guten Verbündeten und Freunden einmal Klartext reden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Hüseyin-Kenan Aydin [DIE LINKE])

Als der amerikanische Verteidigungsminister Robert Gates in München gesagt hat, es bedürfe in Afghanistan endlich einer zivilen Koordinierung, und als er dann auf die Europäer gezeigt hat, hätte ich mir von einem deutschen Verteidigungsminister, von einem deutschen Außenminister folgende Antwort gewünscht:

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Oh! Da übt wohl schon einer!)

Die Amerikaner und die Briten, die Tom Koenigs so lange gemobbt haben, bis er vorzeitig aus dem Amt geschieden ist, die aber bis zum heutigen Tag nicht in der Lage waren, einen Nachfolger zu stellen, sind die letzten, von denen wir uns über Koordination bei der zivilen Hilfe belehren lassen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich füge eine letzte Bemerkung hinzu: Derjenige, den die Amerikaner und die Briten gerne im Amt des UN-Sondergesandten in Afghanistan gesehen hätten, hat ihnen etwas ins Stammbuch geschrieben. Paddy Ashdown, der abgelehnte Bewerber, hat gesagt: Mehr Truppen helfen nicht. Wir brauchen mehr Hilfe zur Selbsthilfe. Wir brauchen mehr Zivilität. Wir brauchen einen Strategiewechsel.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung sagt, dass sie für einen Strategiewechsel ist. Sie hat aber nicht einmal auf einer öffentlichen Konferenz den Mores in der Hose, um offensiv für diesen Strategiewechsel zu streiten. Das sind im Hinblick auf den kommenden NATO-Gipfel in Bukarest sehr schlechte Nachrichten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nächster Redner ist nun der Kollege Bernd Schmidbauer für die CDU/CSU-Fraktion.

Bernd Schmidbauer (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen! Wir haben ja erlebt, wie in den letzten Tagen Enten durch die Presse geeiert sind und jeder, der die Argumente gebraucht hat, draufgehüpft ist.

(Heiterkeit - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch ein schönes Bild!)

Aber ernsthaft: Wir sind doch der Meinung, dass unser Engagement vor vielen Jahren gerechtfertigt war, weil wir den Sumpf des Terrors in Afghanistan austrocknen wollen. Die Bundeskanzlerin hat im Hinblick auf München und im Hinblick auf die Debatten, dass der eine oder andere 1 000 Soldaten zusätzlich schicken soll, zu Recht gesagt, dass unser Mandat, das wir erst vor wenigen Monaten verabschiedet haben, bis Oktober gilt und dass daran nichts geändert wird. So ist das nun einmal mit einem Mandat: Es wird im Deutschen Bundestag verabschiedet und bringt dann entsprechende Termine mit sich.

Wir können nun für die Zeit ab Oktober neu überlegen. In der Zwischenzeit sollten wir aber aufpassen, nicht Verteufelung zugunsten der Taliban zu betreiben. Die verfolgen schließlich aufmerksam, was hier erzählt und verabschiedet wird. Auch die Nord-Süd-Debatte und das Herausstellen von Egoismen sind kleinkariert. Wir alle sollten uns bemühen, in Solidarität mit diesem Bündnis die Argumente, die erwägenswert sind, auszutauschen.

Frau Homburger spielt ja seit vielen Debatten auf diesem Instrument und hat sich im zweiten Teil ihrer Rede der Bundesregierung zugewandt. Selbstverständlich muss kritisch hinterfragt werden, wie es mit der Ausrüstung unserer Soldaten in Afghanistan aussieht. Darüber, was Experten zur Frage der Hubschrauber sagen, lese ich mehr in englischsprachigen Zeitungen als bei uns. Wir würden ja gerne Hubschrauber liefern; aber wir haben keine solchen Hubschrauber. Es gibt auch Ideen, Munition auszuleihen. Frau Homburger, es wäre gut, wenn wir uns in der nächsten Zeit Antworten geben ließen zum Einsatz, zur Ausbildung, zur Sicherheit unserer Soldaten. Ich habe bisher nur gehört, was uns der Verteidigungsminister im Ausschuss darüber berichtet hat. Ich kann das nachvollziehen. Ich kann aber auch nachvollziehen, dass wir vor der Entscheidung stehen, zusätzliche Ausrüstung zu beschaffen, die im Hinblick auf Nothilfe, auch im Süden, nötig ist. In der Öffentlichkeit wird zwar immer so getan, als würden wir uns über eine bestimmte Demarkationslinie - aus welchen Gründen auch immer - nicht hinauswagen. Aber dem ist nicht so. Wir helfen aus im Süden: mit Transportmaschinen, mit Funkaufklärung, mit Flugzeugaufklärung insgesamt. Wir haben einen Gesamtansatz.

Natürlich gibt es Bereiche, in denen die Situation desaströs ist, bei der Polizeiausbildung zum Beispiel. Heute Morgen konnten wir wieder - bei Marmelade und Wurst - lesen, dass sich alles positiv entwickelt habe. Ein Dreck hat sich hier positiv entwickelt! Die Situation wurde Monat für Monat schlechter.

(Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich will aber festhalten, dass der deutsche Beitrag hervorragend war, dass wir hervorragende Polizisten in Kabul hatten.

(Beifall des Abg. Detlef Dzembritzki [SPD] - Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur keine aus Bayern!)

Plötzlich aber gab es die Idee, die Situation zu europäisieren. Damit fing es an. Den 27 Ländern war es nicht möglich, 18 Polizisten dorthin zu entsenden, weil die Division nicht aufging. Dann hat man festgestellt, dass man andere Überlegungen anstellen muss.

Die Situation verschlechtert sich; es ist derzeit nicht abzusehen, wie wir sie verbessern können. Ich habe vorgeschlagen, gemeinsam einen Teil der Ausbildung in Deutschland durchzuführen. Geschockt hat mich, dass mir daraufhin vorgehalten wurde, das gehe nicht, weil das ein Kulturschock für die Polizisten aus Afghanistan wäre. Mit dieser Argumentation kommen wir nicht weiter. Wir können doch Spezialisten ausbilden, die ihrerseits als Multiplikatoren vor Ort andere Polizisten ausbilden. Wenn das alle europäischen Länder tun - und seien es nur die, die unsere Ansicht teilen -, kommt eine erkleckliche Anzahl zustande.

(Beifall des Abg. Jürgen Trittin [BÜND-NIS 90/DIE GRÜNEN])

Das Problem war ja, dass die Anzahl der Polizisten nicht dividierbar war, dass manche Länder 0,7 Polizisten hätten stellen müssen. Aber das war wohl nicht der Grund. Ich hoffe, Herr Trittin, dass die kommende Konferenz in Paris im Sommer nicht eine erneute Ausrede wird, mit Leerformeln,

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)

mit der Forderung nach neuen Strategien, nach einer Gesamtstrategie, sondern dass das, was in London vorgegeben wurde, erfüllt wird. Dann hätten wir einen großen Schritt gemacht. Dazu gehört auch, der Regierung in Kabul zu sagen, dass sie ihren Beitrag leisten muss.

Ich habe an sich keine große Freude daran, weil wir wissen, dass dort immer noch ein Korruptionssystem befördert wird, dass wir die Einsetzung des Ausschusses nicht erreichen und andere Dinge mehr. In Kabul wird Vorschub geleistet für Gerüchte in Zeitungsartikeln und Presseberichten.

Ich glaube, man kann nicht alles mit PR machen. Eine PR-Geschichte, die sich nicht auszahlen würde, wäre, bei der Erteilung des Mandats hier im Parlament zu manipulieren, nur weil ein Wahlkampf ansteht.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Meine Freunde, ich sage Ihnen allen: Wir stehen zu diesem Einsatz, also können wir auch Wahlen bestehen.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)

Wir müssen doch nicht auf diejenigen hereinfallen, die vor Populismus strotzen und meinen, man müsse das zwei Monate lang verschweigen.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Was bringt das denn? Glaubt denn einer, dass wir um Afghanistan einen Zaun ziehen können und damit die Debatte in der Öffentlichkeit beendet ist? Nein, unser Engagement für diese Aufgabe, Terror auszutrocknen, ist glaubwürdig. Diejenigen, die nicht mitziehen, dürfen sich nicht beschweren, wenn der Terror weitergeht und wir es nicht schaffen, die zweite und dritte Generation des Terrors in Afghanistan zu bekämpfen und auszurotten.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nächste Rednerin für die Fraktion Die Linke ist nun die Kollegin Heike Hänsel.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]

Heike Hänsel (DIE LINKE):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr von Klaeden, ich möchte zunächst einmal zu den Vergleichen kommen, die Sie hier gezogen haben und die absolut unzulässig sind. Dass Sie uns und insbesondere Herrn Gysi mit faschistischen Tendenzen beleidigen - "Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch" -, möchte ich im Namen unserer Fraktion ganz klar zurückweisen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] - Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Lesen Sie die Zeitung?)

Bezüglich der Einschätzung der Sicherheitslage im Norden habe ich jetzt eine Frage an Sie: Lesen Sie auch die regelmäßigen Berichte der Bundeswehr über den signifikanten Anstieg der Zahl der Anschläge im Norden? Wenn Sie nach Afghanistan fahren, werden Sie stark geschützt. Sie machen Blitzbesuche; Frau Merkel kündigt ihren Besuch nicht einmal an. Aus dem Entwicklungsausschuss waren zwei Leute im Norden Afghanistans; sie wurden ebenfalls stark geschützt, die Begleiter waren schwerbewaffnet. Wir vom Entwicklungsausschuss wollten bereits zweimal nach Afghanistan fahren. Das wurde aus Sicherheitsgründen abgesagt. Trotzdem sprechen Sie von einer Sicherheitslage im Norden Afghanistans, die für die Menschen erträglich ist. Das kann ich hier nur ganz klar zurückweisen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Nach sieben Jahren Militärpräsenz wird die Sicherheitslage für die Menschen in dieser Region immer schlechter.

Zur Instrumentalisierung der Politik und der Soldaten und Soldatinnen. Sie instrumentalisieren die Soldaten und Soldatinnen, um von einer fehlenden Politik abzulenken. Sie haben keine politische Lösung für Afghanistan. Ihnen geht es um Bündnistreue. Wie Herr Lamers sprechen auch Sie von der Glaubwürdigkeit der NATO, die dort auf dem Spiel steht. Deswegen sind dort Soldaten und Soldatinnen, die kämpfen. Das ist für mich eine Instrumentalisierung der Leben von Soldaten und Soldatinnen, da wir hier nicht fähig sind, politische Lösungen für dieses Land zu entwickeln.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Herr von Klaeden, ich möchte Ihnen auch noch etwas bezüglich Ihres Gedächtnisses sagen. Sie sprachen von der Sowjetunion. Wer hat denn in den 80er-Jahren die Taliban, die Mudschaheddin und pakistanische Söldner systematisch finanziert, ausgebildet und ausgerüstet? Das war die US-Regierung.

(Beifall bei der LINKEN)

Die werden jetzt auch von deutschen Soldaten bekämpft. Wer hat diese Kräfte über Jahrzehnte stark gemacht?

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Trittin hat das doch richtig auf den Punkt gebracht!)

Jetzt muss das Bündnis in Afghanistan gegen diese Kräfte kämpfen - das ist der Zynismus der Politik -, während wir hier im Parlament sitzen. Man spricht hier noch nicht einmal von Kämpfen. In diesem Land, in Afghanistan wird Krieg geführt - das wird hier mit keinem Wort erwähnt -, und die Bundeswehr ist dabei. Die Süddeutsche Zeitung hat am 7. Februar 2008 sehr gut getitelt: "Kämpfen, aber nicht darüber reden". - Wir müssen darüber reden und uns fragen lassen - vor allem Sie -, ob Sie das vor dem Hintergrund der Situation in Afghanistan verantworten können.

Aus entwicklungspolitischer Sicht - ich bin ja Entwicklungspolitikerin - kann ich nur sagen: Nach diesen sieben Jahren ist die Lebenssituation der Menschen katastrophal. Wir müssen uns auch fragen lassen, wohin sehr viele Gelder dieser Entwicklungshilfe fließen.Wir müssen auch über die Korruption der dortigen Regierung sprechen: Welches System wird dort eigentlich von ISAF aufrechterhalten? Mit welchen Kräften kooperieren sie dort, mit demokratischen Kräften oder mit Warlords und Drogenbaronen, die im Parlament sitzen? Über 60 Prozent der Abgeordneten in Afghanistan haben militärischen oder Drogenhintergrund; dies müssen wir doch einmal ansprechen.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

In 10, 20 Jahren werden sie diese Kräfte bekämpfen müssen, etwa die Nordallianz, die systematisch aufgebaut wird, weil sie mit dem Westen kooperiert.

Das ist die Situation in Afghanistan, die auch mit einer Unglaubwürdigkeit den Menschen gegenüber einhergeht. Fragen Sie doch einmal in Ihrer FU-Umfrage nach der Akzeptanz und Glaubwürdigkeit der Regierung in Afghanistan.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist nicht meine Umfrage! Freie Universität!)

Die Menschen vertrauen dieser Regierung nicht mehr, weil sich ihre Lebenssituation nicht verbessert.

In diesem Zusammenhang begrüße ich eine mutige Frau, die auf der Besuchertribüne sitzt: die afghanische Parlamentarierin Malalai Joya.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Sie hat am Montag den Human Rights Award von "Cinema for Peace" bekommen, weil sie genau das thematisiert, was ich hier anspreche: die schreckliche Situation für Frauen und die insgesamt schreckliche Menschenrechtssituation in diesem Land. Sie spricht von Kollegen im Parlament, die Kriegsverbrecher sind. Sie spricht von -

(Rainer Arnold [SPD]: Ist sie der Meinung, die deutschen Soldaten sollten heimgehen?)

Können Sie hier bitte einmal für Ruhe sorgen?

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Beantworten Sie doch mal die Frage! Sie instrumentalisieren sie! Sie missbrauchen sie für Ihre Propaganda!)

Sie spricht von der schrecklichen Situation. Sie hat genau das gesagt: Sie sind Opfer zwischen US-feindlichen Fundamentalisten und US-freundlichen Fundamentalisten.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Will sie, dass die Bundeswehr abzieht?)

Das ist keine Zukunft für Afghanistan.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])

Wir wollen, dass diese demokratischen Kräfte unterstützt werden, Herr von Klaeden. Aber Frau Joya konnte nicht einmal im Auswärtigen Ausschuss reden, obwohl wir darum gebeten hatten. Seit Monaten bemühen wir uns darum, dass sie in das Netzwerk "Parlamentarier schützen Parlamentarier" aufgenommen wird. Es gibt seitens des Auswärtigen Amtes immer neue Verzögerungen. Wenn solche Menschen, die mutig die Zukunft Afghanistans repräsentieren, weil sie den Mund aufmachen, nicht einmal hier in Deutschland unterstützt werden, dann brauchen Sie von Demokratisierung in Afghanistan gar nicht mehr zu reden.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] - Dr. Karl A. Lamers [Heidelberg] [CDU/CSU]: Es gibt dort nur Parlamentarierinnen, weil wir da sind!)

Wir brauchen einen Politikwechsel in Afghanistan. In meinen Augen ist die Bundeswehr Teil des Problems und nicht der Lösung. Wir müssen langfristig auf demokratische Kräfte in Afghanistan setzen. Dazu gehören Malalai Joya und viele mutige Journalisten, die jetzt Todesstrafen ausgesetzt sind, weil sie die Fundamentalisten kritisieren. Wo ist da die Bundesregierung, wo ist ISAF? Werden diese Menschen geschützt? Da passiert nichts. Deswegen brauchen wir einen Politikwechsel. Ich bedanke mich noch einmal ausdrücklich, dass es so mutige Menschen wie Malalai Joya gibt. Sie sollte sogar an der Ausreise gehindert werden. Ich hoffe, dass wir uns alle dafür einsetzen, dass solche Menschen in Afghanistan stärker geschützt werden.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos] - Gert Weisskirchen [Wiesloch] [SPD]: Von wem geschützt?)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Für die Bundesregierung erteile ich nun das Wort Herrn Staatminister Günter Gloser.

Günter Gloser, Staatsminister für Europa:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr verehrte Frau Kollegin, in den letzten Wochen und Monaten gab es eine Reihe von Begegnungen zwischen Parlamentarierinnen und Parlamentariern, an denen auch Gäste aus Afghanistan teilnahmen. Dort haben Frauen vorgetragen und deutlich gemacht, dass ihnen heute vieles möglich sei, was sie vorher nicht hätten tun können. Dies konnte nur dadurch gelingen, dass Soldaten in Afghanistan sind.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Sie haben davon gesprochen, dass ein Zugang zur Gesundheitsversorgung, zur Wasserversorgung und zu Bildung vorhanden sei. Wir blenden die Probleme in keiner Weise aus; aber wir sollten auch dokumentieren - dies haben mehrere Rednerinnen und Redner bereits gesagt -, was in dieser Zeit erreicht worden ist.

Ich komme auf die in den letzten Wochen - insbesondere im Vorfeld des NATO-Verteidigungsministertreffens in Vilnius und der Münchener Sicherheitskonferenz - sicherlich etwas aufgeregte Debatte über das internationale militärische Engagement in Afghanistan zurück. Die USA und andere NATO-Partner - deren Einsatz im Süden Afghanistans ist unstreitig - haben in unterschiedlicher Form in den letzten Tagen und Wochen die gleiche Botschaft an ihre NATO-Partner, auch an Deutschland, gerichtet: Bitte verstärkt erneut euer Engagement in Afghanistan und engagiert euch insbesondere im Süden Afghanistans. - Für die Bundesregierung stelle ich ganz klar fest: Sie hat stets die Position vertreten, dass Fragen der Truppengenerierung im Rahmen der NATO zu beraten sind. Kollege Kolbow hat darauf bereits hingewiesen. Das geschah dann auch beim NATO-Verteidigungsministertreffen letzte Woche in Vilnius in einer partnerschaftlichen Atmosphäre. Dabei wiederholten die USA, Kanada, die Niederlande und Großbritannien ihre Appelle, wobei sie aber nicht die einzelnen Staaten, sondern die NATO insgesamt angesprochen haben.

Wir haben in dieser Debatte deutlich darauf hingewiesen - dabei beziehe ich mich auf die Beiträge von Frau Homburger oder Herrn Trittin -, dass es nicht ständig nur darum gehen kann, mehr Truppen zu entsenden; vielmehr hängt in Afghanistan viel von einer verbesserten Vernetzung der Bemühungen der verschiedenen Akteure um den Wiederaufbau und die Schaffung von Sicherheit ab. In Vilnius sowie am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz hat die Bundesregierung vor allem eines sehr deutlich gemacht: Wir brauchen uns mit unserem Engagement in Afghanistan nicht zu verstecken.

(Beifall bei der SPD)

Denn mit derzeit 3 300 tatsächlich eingesetzten Soldaten bei einer Obergrenze des ISAF-Mandats von 3 500 Soldaten stellt Deutschland das drittgrößte ISAF-Kontingent. Mit der Übernahme des regionalen Wiederaufbauteams in Kunduz im Herbst 2003 und im Herbst 2004 auch in Faizabad haben wir als erste - das unterstreiche ich - den Regionalisierungsansatz von ISAF vollzogen.

Wir wissen, dass der Wiederaufbau Afghanistans ein sehr komplexes Unterfangen ist, in dem die einzelnen Bereiche eng miteinander verknüpft sind. Wir haben von Anfang an einen umfassenden zivil-militärischen Ansatz verfolgt, der zwar von einigen NATO-Partnern anfangs kritisch hinterfragt wurde; er hat sich jedoch als richtig herausgestellt. Es gibt keinen Grund für die Behauptung, dass dieser Beitrag nicht ausreichend sei. Ich finde, er ist vorbildlich, nachhaltig und im internationalen Vergleich überdurchschnittlich.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich möchte an dieser Stelle etwas ansprechen, das bei einem Besuch der Gebirgsjägerbrigade in Bad Reichenhall vor einer Woche deutlich geworden ist und widerlegt, was Sie in Ihren Ausführungen gesagt haben, nämlich dass Soldaten, die Auslandseinsätze auf dem Balkan, aber auch in Afghanistan hatten, festgestellt haben: Je mehr wir am Wiederaufbau beteiligt sind und je mehr sichtbare Projekte des zivilen Aufbaus wir schaffen, desto größer ist die Akzeptanz. Diese sichtbaren Erfolge bedeuten nicht nur Sicherheit für die afghanische Bevölkerung, sondern auch Sicherheit und Schutz für die dort eingesetzten Soldatinnen und Soldaten. - Dies hat jemand geschildert, der das vor Ort hautnah miterlebt hat.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wir haben einen klaren Fokus auf den Norden Afghanistans. Wir sind dorthin gegangen und haben den Auftrag nach besten Kräften erledigt, und wir kommen unserer Verantwortung dort auch weiter nach, was sich auch in der Übernahme der Quick Reaction Force des Regionalkommandos Nord, das bisher von Norwegen gestellt wurde, ab dem zweiten Halbjahr 2008 widerspiegelt.

Wir haben unsere Haushaltsmittel für die Ausbildung der afghanischen Armee und der Polizei signifikant erhöht. Aber auch für den Gesamterfolg der Mission entziehen wir uns keinesfalls der Verantwortung. Wir - auch das unterstreiche ich - leisten mit den Aufklärungsflügen unserer Tornados in ganz Afghanistan einen wichtigen und von unseren Partnern vor Ort hochgeschätzten Beitrag für den Erfolg von ISAF. Unsere Partner wissen aber auch, dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten in Notsituationen helfen werden und dies bereits jetzt beispielsweise mit Lufttransportunterstützung und Fernmeldepersonal tun. Solche Solidarität in Notsituationen ist nach Vorgaben des Bundestagsmandats zeitlich und im Umfang befristet möglich, wenn dies für den Erfolg der Gesamtmission unabweisbar ist.

Dies alles zeigt, dass die Bundesregierung zum bestehenden ISAF-Mandat steht. Wir können und werden unseren im Bündnis übernommenen Aufgaben im Rahmen des bestehenden Mandates nachkommen. Für Spekulationen, wie ein zukünftiges Mandat aussehen kann, ist es noch zu früh. Hierzu müssen wir weitere Entwicklungen in Afghanistan, aber auch innerhalb des Bündnisses abwarten. Es ist ein sehr wichtiger Schritt, dass voraussichtlich im Juni eine internationale Afghanistan-Konferenz in Paris stattfinden wird. Auf dieser Konferenz soll die bisherige Arbeit im Rahmen des Afghanistan-Compact im Rahmen einer Art Halbzeitbilanz kritisch überprüft werden. Die Ergebnisse dieser Konferenz werden dann ebenfalls in die von Ihnen angemahnte Debatte über unser weiteres Afghanistan-Engagement einfließen.

Es gibt also derzeit innerhalb der Bundesregierung noch keinerlei Festlegungen oder Positionierung zu diesen Fragen. Das gilt auch im Hinblick auf die Mandatsdauer.

Bundesminister Frank-Walter Steinmeier hat darauf hingewiesen - diesen Punkt hat bereits Herr Schäfer angesprochen -, dass das Ende des ISAF-Mandats in den Oktober 2009 und damit voraussichtlich in den Zeitraum nach der Bundestagswahl und möglicherweise vor der Neukonstituierung von Bundestag und Bundesregierung fallen wird. Es wäre sinnvoll, einem neuen Kabinett und einem neuen Bundestag die Möglichkeit zu geben, die Entscheidung über die Fortsetzung des ISAF-Engagements zu treffen. Nichts anderes wurde gesagt.

Genauso wie bei allen anderen vorangegangenen Entscheidungen über ein Mandat oder über eine Mandatsverlängerung wird sich die Bundesregierung an das bewährte Verfahren halten. Sie wird für eine Abstimmung mit den NATO-Partnern sorgen und das Parlament rechtzeitig unterrichten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Gerda Hasselfeldt:

Nun hat das Wort der Kollege Hans Raidel für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Hans Raidel (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich begrüße die afghanische Kollegin sehr herzlich und darf feststellen: Wenn es nach der Politik der Linken gegangen wäre, hätte die verehrte Kollegin überhaupt keine Chance, hier zu sein. Das muss hier klar und deutlich zum Ausdruck gebracht werden.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)

Sie malen den Teufel an die Wand und betätigen sich dann als Teufelsaustreiber. Das ist keine hervorragende Politik, weil sie mehr vernebelt als versachlicht. Ich meine, dass wir mehr Sachlichkeit bei diesem Thema brauchen, um die Fakten richtig beurteilen zu können.

Verehrte Frau Kollegin Homburger, es gibt keine Geheimniskrämerei. Die Auseinandersetzungen werden nicht ständig im Bundestag ausgetragen, wohl aber in den Ausschüssen.

(Birgit Homburger [FDP]: Da wurde gestern auch nichts gesagt!)

- Sie haben nicht richtig zugehört oder es nicht richtig verstanden. Dafür kann aber der Minister nichts. Wir alle haben kapiert, worum es geht. Wir sind ausreichend informiert. Wenn Sie sich nicht ausreichend informiert fühlen, ist das nicht unser Problem, sondern Ihr persönliches.

Wir fühlen uns in der Sache ausreichend informiert. In jeder Ausschusssitzung wird über die hier zur Debatte stehenden Themen diskutiert. Der Minister ist für alle Fragen zugänglich, und das Haus ist für alle Fragen offen. Es gibt keine Geheimniskrämerei. Ich bin sehr dankbar, dass wir hier immer wieder vor der deutschen Öffentlichkeit diskutieren; denn so wird deutlich, wie sehr uns dieses Thema berührt, wie wichtig es ist und wie sehr der Einsatz in Afghanistan im deutschen Interesse liegt. Meine Vorredner haben darauf bereits ausreichend hingewiesen.

Mittlerweile ist das deutsche Konzept zu einem nachahmenswerten Modell für alle anderen Nationen geworden. Auch die NATO nimmt dieses Konzept immer mehr an. Das von uns verfolgte Konzept sieht vor, den Terrorismus auszugrenzen und ihm den Boden zu entziehen. Hier sind Erfolge zu verzeichnen. Wir setzen aber nicht nur auf die militärische Karte, sondern gleichermaßen auf Nation-Building, den Aufbau einer zivilen Verwaltung und Good Governance. Es wurde unterstellt, wir verschwiegen, dass es sich um kritische Einsätze, um Kampfeinsätze handle. Natürlich gilt: Wer helfen und schützen will, muss in einer solchen Situation kämpfen können und kämpfen wollen, wenn es darauf ankommt, und zwar mit der notwendigen Ausrüstung und Ausbildung. Dazu sind sicherlich kritische Fragen teilweise angebracht.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Wir müssen nun unseren Blick auf das neue NATO-Konzept richten. Das Gipfeltreffen der NATO in Bukarest bietet dazu eine gute Chance. Natürlich muss die NATO mehr Wert darauf legen, dass die kollektiven Anstrengungen verbessert werden und dass neben dem militärischen Engagement das zivile stärker zum Tragen kommt. Ich bin der Meinung, dass immer mehr Militär nicht das richtige Konzept ist. Im Übrigen kann man mit Verlustdebatten über tatsächlich geübte Solidarität nicht hinwegtäuschen, wenngleich wir die Sorgen der anderen Nationen durchaus verstehen.

Dieses einheitliche Konzept muss natürlich auch die unterschiedlichen ethnischen Gruppen in diesem Zusammenhang berücksichtigen. Afghanistan ist groß, verschiedene Stämme mit verschiedenen Kulturen leben dort. Wenn wir zum Beispiel zu einem Rotationsmodell kämen und wir den Norden verlassen und in andere Regionen gehen würden, dann würde vieles, was dort aufgebaut worden ist, genau wegen dieser Fragen wieder aufs Spiel gesetzt werden, und wir würden uns eines großen Vorteils begeben.

Deswegen sollte unser Einsatzschwerpunkt im Norden beibehalten werden. Wir sollten unsere Aufgabe dort weiter beispielhaft lösen. Wir sollten innerhalb der NATO darauf drängen, dass dieses Konzept weiter verfeinert und auf ganz Afghanistan ausgedehnt wird. Wir sollten die Einzelfragen einschließlich des Drogenanbaus neu bewerten und neue Instrumente zur Bekämpfung entwickeln. Der Wiederaufbau ist notwendig, und die Regierungs-, Polizei- und die Verwaltungsstrukturen müssen verbessert werden. Wir wissen, dass wir gerade im zivilen Bereich mehr Defizite als im militärischen Bereich haben. Wir müssen dafür werben, dass hier nachhaltige Verbesserungen eintreten.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege, würden Sie bitte zum Ende kommen?

Hans Raidel (CDU/CSU):

Gerne. - Ich bin für den Regionalansatz. Wir müssen die Nachbarstaaten einbeziehen; denn es kann nicht sein, dass die NATO die Aufgaben allein bewältigt und die Nachbarstaaten danebenstehen und nur über den Zaun blicken. Insgesamt - ein letzter Satz sei mir gestattet - bin ich der Meinung, dass wir trotz aller Probleme gerade mit dem deutschen Beitrag auf dem richtigen Weg sind. Wir sollten aus eigenen Interessen diesen Beitrag verstärken. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Ich gebe das Wort dem Kollegen Rainer Arnold, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD)

Rainer Arnold (SPD):

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist es das parlamentarische Recht der Linken, inzwischen jede Woche eine Aktuelle Stunde zum Thema Afghanistan zu beantragen. Ob das zeitökonomisch ist, ist eine ganz andere Frage; denn Sie erzählen jede Woche genau dasselbe.

(Widerspruch bei der LINKEN)

- Hören Sie erst einmal zu! - Sie bleiben bei Ihrer üblichen Oberflächlichkeit und bei der Verdrehung von Tatsachen. Frau Kollegin Hänsel, Sie befinden sich, wenn es um Polemik geht, auf Augenhöhe mit Ihren Herren Lafontaine und Gysi.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie sprachen die Kollegin des afghanischen Parlamentes an, die dort oben sitzt, sagen eines aber nicht: Ohne den Petersberg-Prozess, den Deutschland maßgeblich initiiert hat, ohne Afghanistan Compact und ohne die Anstrengungen der Vereinten Nationen zum zivilen, politischen und Sicherheitsaufbau des Landes gäbe es diese Kollegin nicht im Parlament, weil es dann kein demokratisches Parlament in Afghanistan gäbe.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie fordern, die Parlamentarier in Afghanistan müssten geschützt werden.

(Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Die wären nicht am Leben, wenn die NATO nicht da wäre!)

Sie sollten sich einmal Gedanken darüber machen, ob freundliche Worte und Ideologie Schutz für die Menschen in Afghanistan sind oder ob es nicht auch bestimmter robuster polizeilicher und militärischer Fähigkeiten bedarf. Sie machen einen Fehler und erzählen der deutschen Öffentlichkeit Falsches. Sie wollen den Menschen bei uns einreden, dort gehe es um Krieg zwischen den Talibanterroristen und den internationalen Truppen. Das ist falsch. Es geht zunächst um einen Krieg der Terroristen gegen die Menschen in Afghanistan,

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU - Zuruf von der Linken: Wer bombardiert denn eine Hochzeitsgesellschaft?)

gegen den Lehrer, der Mädchen ausbildet, gegen die Krankenschwester, die Fortschritt bringt, gegen den Straßenbauarbeiter, der die Brücke saniert, und gegen die Familien, die auf dem Marktplatz von Talibanbomben in die Luft gesprengt werden. Wenn man dies sieht, dann merkt man sehr schnell: Um die Menschen in Afghanistan kümmern Sie sich nicht wirklich.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Insofern ist es wirklich schade, dass Sie Ihre Reise nicht machen konnten. Gerade die Linken müssen nach Afghanistan und sich die Situation dort anschauen.

(Beifall bei der SPD)

Und die Herren Lafontaine und Gysi sollten, bevor sie darüber reden, erst einmal nach Afghanistan fahren und dort hören und sehen. Das könnte vielleicht, wenn man gutwillig ist, hilfreich sein.

Warum nun führen wir die heutige Debatte? Herr Gates, der amerikanische Verteidigungsminister, hat in einem recht. Er sagte nämlich: In Deutschland sind diese Debatten immer etwas zu aufgeregt. - Ich glaube, es gibt dafür in der Tat überhaupt keinen Grund. Die Frage der Ausweitung hinsichtlich der Regionen oder des Umfangs können wir in Deutschland solide und gelassen diskutieren, aber nicht, indem Parlamentarier über Zahlen philosophieren, sondern indem wir uns ins Gedächtnis rufen, welche Aufgaben wir in Afghanistan gemeinsam bewältigen wollen. Es gibt die neue Komponente der schnellen Eingreiftruppe. Letzte Woche hat die Regierung der NATO zugesagt. Aber man sollte der Regierung schon noch ein bisschen Zeit geben, um auszurechnen, wie sich das in der Feinplanung abbildet. Eine Woche ist dafür sicherlich zu kurz.

Wir wollen im Deutschen Bundestag miteinander, dass mehr Ausbildungsleistung für die afghanische Armee erbracht wird. Gestern konnten wir lesen, dass sich bei der ANA sehr viel Positives bewegt. Die Soldaten werden jetzt gut bezahlt und haben langfristige Perspektiven, bei der Armee zu bleiben. Das ist schon eine sehr gute Entwicklung. Wir müssen allerdings dazusagen: Bei der Polizei muss man dasselbe erreichen. Dieser Prozess muss quantitativ besser werden. Alle deutschen Innenminister sind aufgerufen, in diesem Bereich ihre Verantwortung wahrzunehmen.

(Beifall bei der SPD)

Wir wollen in Afghanistan sicherlich unsere Erkenntnisse umsetzen. Einer der wichtigen Punkte ist: Es genügt auf Dauer nicht, wenn die PRTs, die Wiederaufbauteams, nur in den Städten ihre Arbeit machen und nur bei Patrouillen hinauskommen. Nein, das Konzept der kleinen, dezentralen PATs, der Ableger der großen PRTs, ist richtig, und es muss implementiert werden. Jetzt muss auch im Norden von Afghanistan eine Phase erreicht werden, in der auch die Menschen in den abgelegenen Tälern, in den ländlichen Regionen sehen, warum die Staatengemeinschaft da ist, nämlich um ihre Lebensbedingungen zu verbessern. Deshalb brauchen wir die PATs.

Wenn man bedenkt, dass in Kunduz über Monate insgesamt 36 Raketen eingeschlagen sind, die nicht nur die deutschen Soldaten bedrohen, sondern auch die Familien, die auf dem Markt einkaufen, dann liegt es doch auf der Hand, dass die Bundeswehr darüber nachdenkt, auf welche Art und Weise sie im Umfeld von Kunduz, wo die Raketen abgeschossen werden, Präsenz zeigt, damit dies verhindert wird.

Die Aufgaben liegen also auf der Hand. Sie basieren inhaltlich zu 100 Prozent auf dem Mandat. Wenn die Bundeswehr schließlich meint, sie braucht dazu mehr Personal, dann ist es Sache des Verteidigungsministers,

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Aha!)

der deutschen Öffentlichkeit und dem Deutschen Bundestag zu einem geeigneten Zeitpunkt die Planungen vorzutragen. Dieser Prozess verdient überhaupt keine Aufregung.

Noch in Kürze ein zweiter Punkt, weil Sie auch die regionale Komponente angesprochen haben.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nein, Herr Kollege, das geht auch nicht in Kürze.

(Heiterkeit)

Ihre Redezeit ist abgelaufen.

Rainer Arnold (SPD):

In der deutschen Debatte ist klar geworden: Bundestag, Regierung und dankenswerterweise auch die verantwortungsvollen Oppositionsparteien haben, was den Einsatz im Süden betrifft, den amerikanischen Partnern mit guten Gründen gesagt, was wir nicht tun werden. Dabei wird es auch für die Zukunft bleiben. Ansonsten gilt: Wir tun in Afghanistan das, was notwendig ist, und halten immer die Balance zwischen dem, was wir politisch und gegenüber den Soldaten verantworten können und wollen. So wird es auch bleiben.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Ruprecht Polenz für die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Ruprecht Polenz (CDU/CSU):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will mit drei Zahlen anfangen: Etwa 60 Prozent der deutschen Bevölkerung sind für einen möglichst schnellen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Drei Viertel des Deutschen Bundestages haben diesem Einsatz zugestimmt und ihn für ein weiteres Jahr mandatiert. 80 Prozent der Bevölkerung von Afghanistan sind der Meinung, dass die ausländischen Soldaten bleiben müssen, weil sonst nicht für ihre Sicherheit gesorgt ist.

Nun debattieren wir hier im Deutschen Bundestag. Deshalb ist es notwendig, dass wir uns einmal etwas intensiver mit der Haltung und den Gründen auseinandersetzen, die zu dieser Einschätzung in der deutschen Bevölkerung führen. Ich weiß nicht, wie es Ihnen in Ihren Veranstaltungen geht und was Sie ihrer Post entnehmen. Ich glaube, es gibt zwei tiefer liegende Gründe für die Skepsis gegenüber dem Einsatz. Darauf müssen wir zuerst reagieren, ehe wir über konkrete Einzelheiten des Einsatzes sprechen können: Was klappt? Was klappt nicht? Wie weit sind wir? Wohin wollen wir?

Aus meiner Sicht sind es vor allen Dingen die Kriegsgeneration oder diejenigen, die in der unmittelbaren Nachkriegszeit groß geworden sind, die aus dem Zweiten Weltkrieg zu Recht die Lektion gelernt haben: Das war ein Verbrechen, und das darf nie wieder passieren. Aber sie haben daraus auch eine zweite Lektion gelernt - ich halte sie für falsch -, die lautet: Wir Deutsche sollten uns in der Zukunft besser heraushalten; dann machen wir auch nichts verkehrt. Mit dieser Haltung haben wir zu kämpfen. Die Linke bedient diese Haltung. Herr Schäfer hat vorhin davon gesprochen: Wir sollten uns nicht in Dinge verstricken. Das gibt genau diese Haltung wieder. Lassen Sie es mich einmal so formulieren: Aus dem deutschen Überfall aus Polen erwächst für das heutige Deutschland kein Recht auf unterlassene Hilfeleistung.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das Gegenteil ist richtig.

Die Forderung, sich herauszuhalten, knüpft an eine zweite, urmenschliche Erfahrung an: Wenn man selbst einem anderen nichts Böses tut, dann passiert einem umgekehrt in der Regel auch nichts. Im unmittelbaren persönlichen Umfeld macht hoffentlich jeder diese Erfahrung. Aber schon in der Gesellschaft allgemein trifft diese Erfahrung nicht mehr zu, wie wir wissen; sonst brauchten wir keine Polizei. International gesehen, ist diese Erfahrung erst recht weder historisch noch aktuell je richtig gewesen.

Was den Terrorismus betrifft, müssen wir doch wissen: Der Terrorismus lebt von der Unschuld der Opfer. Das heißt, die Strategie, sich gegenüber Terroristen herauszuhalten, funktioniert nicht. Auch hier bedient die Linke diese Haltung, indem sie quasi Ursache und Wirkung umkehrt und der deutschen Bevölkerung suggeriert: Weil wir uns engagieren, sind wir nunmehr gefährdet.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist aber so!)

Der 11. September wurde von Leuten geplant und durchgeführt, die alle über Wochen und Monate in Trainingscamps der al-Qaida in Afghanistan waren. Schon vorher, Ende der 90er-Jahre, waren die Bombenanschläge auf die amerikanischen Botschaften in Afrika von afghanischem Territorium ausgegangen. Es gab in der Zwischenzeit die Anschläge in Madrid, London, Istanbul, Amsterdam, Paris, Glasgow, Bali und Djerba. Diese Anschläge haben stattgefunden - ausgeübt von al-Qaida. Allein das begründet schon, dass wir alles tun müssen, damit Afghanistan nicht wieder eine sichere Zuflucht für die al-Qaida-Mitglieder wird, etwa wenn die Taliban den Süden Afghanistans oder das ganze Land wieder in ihre Hand bekämen, wie es in den 90er-Jahren der Fall war.

Was wir aber gar nicht so wahrnehmen, was hier auch einmal vorgetragen werden muss und was eben auch begründet, dass wir wegen unserer eigenen Sicherheit in Afghanistan sind, sind die vielen Anschläge, die glücklicherweise rechtzeitig entdeckt und vereitelt worden sind. Es gab sehr konkrete Pläne der al-Qaida, eine ganze Reihe von Flugzeugen über dem Atlantik gleichzeitig explodieren zu lassen, in der Londoner U-Bahn Anschläge mit Rizin zu verüben, in der Metro in Paris chemische Waffen einzusetzen, mit Autobomben Anschläge in England, Belgien und Deutschland zu verursachen und Bombenanschläge auf Hochgeschwindigkeitszüge in Deutschland und Spanien durchzuführen. Außerdem war geplant, in Dänemark zwei Anschläge auszuüben. Dort wurden in Häusern Anleitungen zum Bombenbauen und die erforderlichen Materialien gefunden. Glücklicherweise konnten sie vereitelt werden. Gerade vor kurzem sind in Barcelona 14 Verdächtige festgenommen worden, die Selbstmordattentate gegen Transportsysteme in Spanien, Portugal, Frankreich, Großbritannien und Deutschland geplant haben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Streben nach Autarkie ist im Zeitalter der Globalisierung eine falsche politische Zielsetzung. Das gilt für die Ernährung, für die Energie und erst recht für die Sicherheit.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Aus diesem Grunde haben wir auch eine Bündnisverpflichtung; denn nur darin können wir unsere Sicherheit schützen. Ohne Frieden in Afghanistan gibt es keine Sicherheit für Deutschland.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Nächster Redner ist der Kollege Detlef Dzembritzki, SPD-Fraktion.

(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU])

Detlef Dzembritzki (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Polenz, Ihren richtigen Aufzählungen möchte ich gern noch etwas hinzufügen. Das Unbehagen in der Bundesrepublik über den Afghanistan-Einsatz hing zum Teil auch damit zusammen, dass hier der Eindruck war: Die Menschen in Afghanistan sind mit dem, was dort geschieht, nicht einverstanden. - Umso überraschender war es für viele, als dann durch Untersuchungen, zum Beispiel initiiert von kanadischen Zeitungen und Universitäten oder in Deutschland von der ARD und jetzt von der Freien Universität, endlich belastbare Ergebnisse dazu vorlagen, wie dieser Einsatz in Afghanistan selbst gesehen wird, nämlich mit großer Zufriedenheit, mit Zustimmung. Dass man manche Dinge differenziert betrachten muss, dass es Situationen gab, wo man mit dem Fortgang der Dinge eben nicht zufrieden war, ist unbestreitbar. Deswegen werden wir auch weiter diskutieren, wie wir im Zweifel besser werden können.

Wir diskutieren in unserem Parlament. Wir sind aber in eine internationale Gemeinschaft, in ein multilaterales Staatenbündnis eingebunden. Wir betonen zum Beispiel, dass wir ein Stückchen stolz darauf sind, den Parlamentsvorbehalt zu haben. Wir müssen uns aber auch mit den Erwartungen und den Vorstellungen unserer Partner auseinandersetzen. Ich finde ausgesprochen interessant - das will ich heute in die Diskussion einbringen -, dass die kanadische Regierung eine Sonderkommission unter Federführung des ehemaligen Außenministers Manley eingesetzt hat, um sich mit der Frage zu beschäftigen, was aus kanadischer Sicht, aus Bündnissicht eigentlich notwendig wäre, um in Afghanistan voranzukommen.

Interessant ist zum Beispiel, dass auch in diesem Bericht als Erstes festgestellt wird: Wir glauben, dass ein stärkeres Gewicht auf Diplomatie, Wiederaufbau und Führungsaufgaben der Rolle Kanadas in Afghanistan besser entspricht, während die militärische Mission sich zunehmend auf die Schulung der afghanischen Sicherheitskräfte konzentrieren sollte.

Weiter wird gesagt, im Hinblick auf Afghanistan und die Akteure in der Region sei eine stärkere und diszipliniertere diplomatische Position geltend zu machen. Insbesondere soll Kanada mit den wichtigsten Verbündeten auf dem folgenden Punkt bestehen: frühzeitige Ernennung eines hochrangigen Zivilvertreters des UN-Generalsekretärs, um in Bezug auf die zivilen und militärischen Bemühungen in Afghanistan mehr Kohärenz zu erreichen. Kollege Trittin, Sie haben dazu einiges gesagt, was ich unterstreichen kann. Aber wie oft haben wir im Bundestag - ich kann das jedenfalls für mich in Anspruch nehmen - diese internationale Kohärenz schon gefordert? Damit ist ein ganz wichtiger Punkt angesprochen worden.

(Beifall bei der SPD)

Die Kommission empfiehlt weiter die baldige Festlegung der NATO auf einen umfassenden politisch-militärischen Handlungsplan mit dem Ziel, auf Sicherheitsfragen und Ungleichgewichte einzugehen. Hier sei, heißt es, besonders ein höherer Truppenbestand zur Verbesserung der Sicherheit und zur schnelleren Ausbildung und Ausrüstung der afghanischen Sicherheitskräfte notwendig.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich empfehle Ihnen die Lektüre dieses Berichts, weil wir uns dieser Argumentation nicht entziehen können. Wir müssen uns mit unseren Partnern zusammensetzen und mit ihnen darüber diskutieren, selbst wenn diese Kommission der Regierung in Kanada vorschlägt, auf jeden Fall das Mandat im Süden über 2009 hinaus fortzusetzen, allerdings mit der Erwartung, dass die NATO - es wird nicht ein bestimmter Bündnispartner genannt - oder andere Verbündete darüber nachdenken, wie eine Verstärkung für die kanadischen Kräfte in diesem Bereich möglich ist. Wenn wir uns diesem Diskussionsprozess darüber, wie wir mehr Kohärenz und eine gemeinsame Strategie hinbekommen, entziehen, würden wir einen entscheidenden Fehler machen.

Hier wurde immer wieder die Polizeiausbildung angesprochen, weil wir da hohe Verantwortung haben. Zur inneren Sicherheit gehört natürlich vorrangig die Polizei, aber auch - ich sage das immer dazu - die Justiz. Wenn man sich da umschaut, ist man noch erschrockener.

Es liegen objektive Zahlen vor. Ich will mich jetzt nicht darüber auslassen, dass wir durchaus Qualität geliefert haben, aber eben nicht in der notwendigen Quantität. Nur Folgendes: Derzeit sind zum Beispiel von den 195 Experten, die EUPOL stellen soll, 83 da.

(Birgit Homburger [FDP]: 81!)

- 81. Um die zwei wollen wir uns nicht streiten. - Ich will noch etwas darlegen, damit wir einmal die Dimension erkennen und uns klarmachen, wo wir uns eigentlich bewegen und welche Erwartungen wir haben dürfen. Ich habe die heutige Meldung einmal in einen Zusammenhang mit der Mission, die die Europäische Union im Kosovo mit einbringen will, um dort zu helfen, gebracht. Kosovo entspricht in etwa der Größe eines deutschen Landkreises mit 100 Kilometer Durchmesser. Allein der Norden Afghanistans, den wir zu betreuen haben, umfasst einen Raum, der vom Bodensee bis nach Flensburg reichen würde. Im Kosovo wollen wir 1 400 Polizisten, 250 Richter sowie 200 Beamte verteilt über die Provinz einsetzen. Diese Zahlen sollte man sich einmal vergegenwärtigen. Angesichts dessen muss man doch zugespitzt fragen: Was machen wir eigentlich in Afghanistan?

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Jetzt ist der Parlamentarische Staatssekretär des Innenministeriums schon wieder weg. Wir ringen im Auswärtigen Ausschuss seit Monaten darum, dass der Innenminister einmal kommt und mit uns über die Frage der Polizeiausbildung diskutiert.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Kollege Dzembritzki, ich darf Sie an Ihre Redezeit erinnern. Sie ist deutlich überschritten.

Detlef Dzembritzki (SPD):

Das ist einerseits freundlich, andererseits schade.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Trotzdem muss ich Sie an Ihre Redezeit erinnern.

Detlef Dzembritzki (SPD):

Ich denke, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass wir hier in aller Kooperation und kollegialer Zusammenarbeit international wie national unsere Schulaufgaben zu machen haben; denn die Erwartungen an uns sind hoch. Diese können wir mit den von Ihnen immer wieder angestoßenen Diskussionen nicht erfüllen. Diplomatie ist - so haben Sie Ihre Rede geschlossen, Herr Schäfer; in diesem Punkt sind wir uns ja einig - notwendig. Aber ohne Sicherheit wird das nicht machbar sein.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Das Wort hat der Kollege Gert Winkelmeier.

Gert Winkelmeier (fraktionslos):

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren! Gerne würde ich an dieser Stelle sagen können: Was lange währt, ist endlich gut geworden. - Doch davon sind wir in Afghanistan meilenweit entfernt.

Der Senlis Council, der ja nicht gerade linker Umtriebe verdächtig ist, hat schon vor einem Jahr davor gewarnt, dass die NATO mit ihrer Strategie der militärischen Aufstandsbekämpfung "Freunde verliert und sich Feinde macht". Heute, nach einem Jahr des "Weiter so!", kommt Senlis zu dem vernichtenden Urteil, dass diese kontraproduktive Strategie die Regierung Karzai an den Rand des Abgrunds gebracht hat und sich die Aufständischen im Süden festgesetzt haben. Karzai sagte im Interview mit der Welt am 30. Januar dieses Jahres, dass weitere Truppen nicht die richtige Antwort seien. Die signifikant gestiegene Zahl der Anschlägt gibt ihm dabei recht.

Anderen, auch hier in Deutschland, ist dies offensichtlich nicht klar. Die Stiftung Wissenschaft und Politik, die auch von den Steuern der 70 Prozent Kriegsgegner finanziert wird, trommelt seit Monaten für die Umstellung des deutschen Konzeptes von CIMIC auf Aufstandsbekämpfung. Die von der Großindustrie gesponserte Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Quatsch!)

forderte am 4. Februar: "Volles Engagement in Afghanistan!". In wessen Interesse wohl? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.

Die Kollegen der SPD reden öffentlich der Aufstockung des Bundeswehrkontingentes und einer Erweiterung des deutschen Kommandobereiches das Wort. Wo soll das denn enden? Soll das bei den 400 000 Soldaten enden, die General McNeill für eine erfolgreiche Aufstandsbekämpfung für nötig hält? Nein, wir brauchen vielmehr eine schonungslose Bilanz, die dann in ein politisches Gesamtkonzept münden muss. Dabei muss der Schwerpunkt auf die zivile Aufbauhilfe gelegt werden, wie Norwegen dies gerade vorgemacht hat und wie dies auch 78 Prozent der kanadischen Bevölkerung fordern.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Mir ist völlig unbegreiflich, wie sich die Bundesregierung diese eskalierende Ausweitungsdebatte aufzwingen lassen konnte. Immer nur zu reagieren, ist miserables politisches Management. Anstatt proaktiv für das eigene, als richtig erkannte Konzept zu werben und den Verbündeten klare Signale zu geben, hat sie seit Jahren scheibchenweise dem Druck derer nachgegeben, die sich offensichtlich in Afghanistan auf Dauer militärisch festsetzen wollen. Britische und US-Politiker sprechen von Jahrzehnten, die der Einsatz noch dauern werde. Davor kann man doch nicht die Augen verschließen. Das ist die Spaltung der NATO. Die Gefahrenquelle liegt nicht zwischen Nord und Süd. Seit Rumsfeld wissen Sie auch: Freund ist, wer gerade zur Hand ist, um US-Interessen zu unterstützen. 1993 waren die Taliban Freund; ab 2000 hatte der Mohr seine Schuldigkeit getan. Für die Wahlen 2009 in Afghanistan wird bereits jetzt ein Karzai-Nachfolger aufgebaut; das pfeifen sogar die Spatzen in Washington von den Dächern.

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Herr Winkelmeier, Ihre Redezeit ist zu Ende.

Gert Winkelmeier (fraktionslos):

Ich komme zum Ende; letzter Satz. - Wie kann man nur eine Politik von einem derartig opportunistischen Verbündeten abhängig machen? In Afghanistan wird ein neokolonialer Krieg geführt. Steigen Sie aus, bevor es zu spät ist!

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Gert Weisskirchen, SPD-Fraktion.

Gert Weisskirchen (Wiesloch) (SPD):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Afghanistan ist ein Land, von dem wir alle hoffen - ich denke, dass wir in diesem Punkt übereinstimmen -, dass es so schnell als möglich aus den Wirren des Krieges und der gewalttätigen Auseinandersetzungen herausfindet. Wenn das so ist, dann müssen wir uns überlegen: Was ist der nächste richtige Schritt, den wir gehen müssen?

Der richtige Schritt ist meiner Meinung nach, in Bezug auf die Situation in diesem Land ehrlich zu sein. Das Land ist in vielen Punkten von Gewalt geprägt. Es gibt nach wie vor kriegerische Gruppen, Banden, Kriminelle, die versuchen, das Land auszubeuten, Territorien zu besetzen, Grenzen nicht anzuerkennen. Das kann man beispielsweise an der nicht bestimmten Grenze zwischen Afghanistan und Pakistan sehr plastisch sehen.

Wenn das die Situation ist, wenn dieses Land und die Gewählten dieses Landes, sei es der Präsident, sei es das Parlament, zugleich der Meinung sind, dass Afghanistan der Hilfe bedarf, und insbesondere wenn und solange die Vereinten Nationen ein Mandat bereitstellen, damit diesem Lande geholfen werden kann, dürfen wir uns dem Hilferuf aus diesem Lande nicht entziehen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das ist der entscheidende Punkt, der uns von allen unterscheidet, die einfach über das hinweggehen, was die Weltgemeinschaft will. Sie will, dass wir diesem Lande helfen. Dieser Aufforderung, dieser Bitte des Weltsicherheitsrats müssen wir uns stellen.

Es muss immer wieder neu darüber debattiert werden, wie die Mandate aussehen. Der zentrale Punkt dabei ist: Wie kann durch Mandate, also durch Produktion von Sicherheit, bewirkt werden, dass die Menschen die eigene Entwicklung selbst gestalten können?

Ich greife einmal einen Punkt aus dem Afghanistan Compact - in dem sich ja 51 Staaten dieser Erde im Januar 2006 verpflichtet haben, diesem Land zu helfen - heraus: Minenräumung. Dieser Punkt ist jetzt erledigt, und zwar deshalb, weil wir alle, die internationale Staatengemeinschaft, gemeinsam dazu beigetragen haben, dass die Minen in diesem Lande geräumt werden konnten. Das ist eine Verpflichtung, die wir übernommen haben, und wir haben diese Verpflichtung erfüllt. Ich wünsche mir, liebe Kolleginnen und Kollegen, besonders von der Linken, dass wir jetzt versuchen, in der Sache das abzuarbeiten, was der Afghanistan Compact von uns gemeinsam verlangt.

Ich nenne ein zweites Beispiel. In dem Compact steht, dass wir im Rahmen der sozialen Entwicklung des Landes mithelfen, dass am Ende 60 Prozent aller Mädchen und Jungen gemeinsam in die Primarschule gehen können, davon hoffentlich über die Hälfte - das ist das Ziel - Mädchen. Wir sind noch nicht an diesem Punkt angelangt. Es ist noch nicht gelungen, dass über 60 Prozent aller Jungen und Mädchen in die Primarschule können. Das ist aber, verdammt noch mal, eine Aufgabe, der wir uns gemeinsam stellen können! Das ist doch eine Aufgabe, bei der wir gemeinsam unsere Kraft zusammennehmen können, um im Rahmen der Entwicklungspolitik mitzuhelfen, diesen jungen Menschen eine Zukunft zu geben und die Möglichkeit zu eröffnen, ihr eigenes Land selbst in die Hand zu nehmen! Das ist ein wichtiger Punkt des Afghanistan Compact.

(Beifall bei der SPD)

Auch ein anderer Punkt hat etwas mit Sicherheit zu tun - ich will jetzt nicht auf die Armee zu sprechen kommen; die Zahlen hierzu sind bekannt -: der Aufbau der Polizei. Darunter versteht man nicht Verkehrspolizei in unserem Sinne. Es handelt sich um Polizeikräfte wie etwa die Guardia Civil in Spanien oder die Gendarmerie in Frankreich. Auch an dieser Stelle ist es wirklich zwingend erforderlich, dass wir unsere Anstrengungen verstärken.

Ich bitte um Entschuldigung, dass ich auch diesen Punkt anspreche - leider ist niemand aus dem Innenministerium mehr anwesend -: Wir warten im Auswärtigen Ausschuss schon seit Monaten darauf, dass der Innenminister zu uns kommt und mit uns über diesen Punkt debattiert. Wie lange will er eigentlich noch warten? Die Zahlen, die wir heute früh erfahren haben - der Kollege Schmidbauer hat darüber gesprochen -, sind verheerend. Wir haben gegenwärtig 18 deutsche Polizeibeamte in Afghanistan, in einem Land, das Sicherheit braucht. Wir haben uns sogar dazu verpflichtet, mitzuhelfen, eine Polizei aufzubauen. Aber wir waren bisher nur in der Lage, 18 deutsche Polizeibeamte dorthin zu schicken.

Die Aufgabe, die wir uns selbst gestellt haben, müssen wir erfüllen. So können wir Afghanistan am besten helfen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:

Die Aktuelle Stunde ist beendet.

Quelle: www.bundestag.de


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